Urteil des BVerwG vom 09.06.2005

Psychologisches Gutachten, Ärztliches Gutachten, Echte Rückwirkung, Grundsatz der Erforderlichkeit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 21.04
VGH 10 S 2796/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Juni 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D r i e h a u s
sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k , Dr. D e t t e ,
L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsge-
richtshofs Baden-Württemberg vom 18. Mai 2004 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
Die Klägerin begehrt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Sie erwarb erstmals im Jahr
1981 die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt). Im Zeitraum von 1985 bis 1987 wurde sie
mehrfach wegen Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt: Das Amtsge-
richt R. verhängte mit Urteil vom 12. August 1985 eine Geldstrafe wegen des Besitzes
geringer Mengen an Haschisch. Mit Urteil des Landgerichts R. vom 6. Mai 1986 wurde
die Klägerin wegen der Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Heroin in nicht geringen
Mengen zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Zugleich
wurde ihr die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrer-
laubnis von vier Monaten bestimmt. Das Amtsgericht S. verhängte mit Urteil vom
13. April 1987 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und Fahrens ohne
Fahrerlaubnis eine Geldstrafe. Dasselbe Gericht verurteilte sie am 28. Oktober 1987
wegen eines fortgesetzten Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz unter Einbe-
ziehung der beiden vorherigen Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren auf Bewährung. In der Urteilsbegründung wird ausgeführt, die Klägerin sei seit
längerer Zeit an den Konsum von Haschisch und Heroin gewöhnt. Sie sei mit einem
vergleichsweise hohen Grad an Wahrscheinlichkeit süchtig.
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Mit Bescheid vom 29. Juli 1987 lehnte das Landratsamt S. einen Antrag der Klägerin auf
Neuerteilung der Fahrerlaubnis ab und führte zur Begründung aus, nach dem vorge-
legten medizinisch-psychologischen Gutachten vom 5. März 1987 sei die Klägerin der-
zeit wegen erhöhter Drogengefährdung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet.
Aufgrund eines erneuten Antrages auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis unterzog sich
die Klägerin am 5. Januar 1993 einer medizinisch-psychologischen Untersuchung. Die
Medizinisch-Psychologische Untersuchungsstelle gelangte in ihrem Gutachten vom
5. Februar 1993 zum Ergebnis, es bestehe kein überzeugender Nachweis, dass der
Klägerin die Kraftfahreignung weiterhin abgesprochen werden müsse. Nach derzeitiger
Befundlage sei nicht mit erneuten verkehrs- oder strafrechtlichen Zuwiderhandlungen
bzw. Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu rechnen. Daraufhin wurde der
Klägerin am 5. Februar 1993 die beantragte Fahrerlaubnis erteilt.
Am 16. Mai 1995 verursachte die Klägerin einen Verkehrsunfall, infolge dessen sie mit
Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 18. August 1995 wegen fahrlässiger Gefährdung
des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40 DM verurteilt
wurde. Zugleich wurde ihre Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen und eine Sperre für
die Wiedererteilung von zehn Monaten verhängt. Nach den Feststellungen des Amtsge-
richts stand die Klägerin unter dem Einfluss von Heroin, Kokain und Haschisch, als sie
in einer leichten Rechtskurve von der Fahrbahn abkam, gegen die Leitplanke prallte und
dabei ihren mitfahrenden Ehemann konkret gefährdete.
Im August 2002 beantragte die Klägerin beim Landratsamt B. die Wiedererteilung der
Fahrerlaubnis. Unter dem 19. August 2002 forderte das Landratsamt sie auf, binnen drei
Monaten ein medizinisch-psychologisches Gutachten einer anerkannten Begutach-
tungsstelle für Fahreignung vorzulegen. Dieser Aufforderung trat die Klägerin mit der
Begründung entgegen, der Sachverhalt, der zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt
habe, liege nunmehr über sieben Jahre zurück und sei daher nicht geeignet, zur Beur-
teilung der aktuellen Kraftfahreignung herangezogen zu werden. Es bestünden keine
Anhaltspunkte für einen gegenwärtigen Drogenkonsum.
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Mit Bescheid vom 21. Oktober 2002 lehnte das Landratsamt B. den Antrag der Klägerin
auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin
habe in der Vergangenheit mehrfach Betäubungsmittel in Form von Haschisch, Heroin
und Kokain konsumiert und sogar ein Kraftfahrzeug unter Betäubungsmitteleinfluss ge-
führt. Es sei daher zu klären gewesen, ob sie weiterhin Drogen konsumiere. Die Auffor-
derung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei zu Recht auf der
Grundlage von § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV erfolgt. Da ein entsprechendes Gutachten verwei-
gert worden sei, müsse von einer Nichteignung der Klägerin zum Führen von Kraftfahr-
zeugen ausgegangen werden.
Den Widerspruch der Klägerin wies das Regierungspräsidium T. mit Widerspruchsbe-
scheid vom 9. Dezember 2002 zurück und führte zur Begründung aus: Die Vorausset-
zungen für die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14
Abs. 2 Nr. 2 FeV seien vorliegend erfüllt. Bei der Klägerin habe in der Vergangenheit
eine schwerwiegende Drogenproblematik vorgelegen. Die Rauschmittelfahrt vom
16. Mai 1995 begründe vor dem Hintergrund der Drogenvorgeschichte der Klägerin
auch in der Gegenwart noch schwerwiegende Bedenken gegen ihre Kraftfahreignung.
Diese Rauschmittelfahrt könne der Klägerin auch gegenwärtig noch vorgehalten wer-
den, weil sie nicht deutlich gemacht habe, wie sie ihre Drogenproblematik aufgearbeitet
oder bewältigt habe.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin im Wesentlichen geltend gemacht: Die Aufforderung zur
Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV
setze voraus, dass die zu einem früheren Zeitpunkt bestehende Ungeeignetheit in ei-
nem verwaltungsgerichtlichen Fahreignungsüberprüfungsverfahren festgestellt worden
sei. Anderenfalls sei nicht hinreichend sicher, ob von einer Ungeeignetheit zu einem
früheren Zeitpunkt auszugehen sei oder nicht. Die verwaltungsgerichtliche ex-post Be-
trachtung eines mittlerweile sieben Jahre zurückliegenden Sachverhalts könne eine sol-
che Rechtssicherheit nicht gewährleisten.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Juni 2003 abgewiesen.
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Im Berufungsverfahren hat die Klägerin vorgetragen, sie habe letztmals am Tag vor dem
Unfall am 16. Mai 1995 Betäubungsmittel konsumiert. Ihr Hausarzt habe sie in eine
Entgiftungseinrichtung vermittelt und ihr auch nach der Entgiftung mit Gesprächen ge-
holfen, ihre Abstinenz beizubehalten. Ihre langjährige Unauffälligkeit hinsichtlich des
Konsums von Betäubungsmitteln sei ein starkes Indiz dafür, dass eine früher bestehen-
de Drogenproblematik beendet sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat beim Bundeszentralregister sowie beim Verkehrszent-
ralregister Auskünfte eingeholt. Die unter dem 15. Januar 2004 übersandte Auskunft aus
dem Bundeszentralregister enthält sieben Eintragungen. Nach Auskunft des Kraftfahrt-
Bundesamtes vom 16. Januar 2004 sind im Verkehrszentralregister keine Eintragungen
vorhanden. Ferner hat der Verwaltungsgerichtshof durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens Beweis zur Frage der Nachweisbarkeit der Einnahme von
Heroin, Kokain, LSD, Amphetamin oder Metamphetamin durch die Untersuchung von
Blut, Urin und Haaren erhoben.
Mit Urteil vom 18. Mai 2004 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewie-
sen und zur Begründung ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erteilung
einer Fahrerlaubnis nach Bestehen der Fahrerlaubnisprüfung. Das Landratsamt B. habe
gemäß § 20 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV von der Nichteignung der Klägerin
ausgehen dürfen, weil sie sich geweigert habe, entsprechend der Anordnung des Land-
ratsamtes vom 19. August 2002 ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubrin-
gen. Die Anordnung erfülle die Voraussetzungen von § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV. Der Kläge-
rin sei die Fahrerlaubnis durch Strafbefehl vom 18. August 1995 im Zusammenhang mit
der Drogenfahrt vom 16. Mai 1995 und damit aus einem der in § 14 Abs. 1 FeV genann-
ten Gründe entzogen worden. Entgegen der Auffassung der Klägerin finde § 14 Abs. 2
FeV nicht nur dann Anwendung, wenn die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahr-
zeugen zu einem früheren Zeitpunkt in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren fest-
gestellt worden sei. Aus der in § 14 Abs. 1 und 2 FeV zum Ausdruck kommenden Kon-
zeption des Verordnungsgebers folge, dass nach einer erfolgten Entziehung der Fahrer-
laubnis im Zusammenhang mit der Einnahme von Betäubungsmitteln nicht nur ein ärzt-
liches Gutachten, sondern ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen sei.
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Der Zulässigkeit der Gutachtenanordnung stehe nicht entgegen, dass die Klägerin seit
1995 hinsichtlich des Konsums von Betäubungsmitteln nicht mehr auffällig geworden
sei. Das Fehlen von Hinweisen im Bundeszentralregister auf derartige Verstöße seit
1995 spreche nicht zwingend für eine tatsächliche Drogenabstinenz. Es lägen keinerlei
Nachweise für die Drogenabstinenz der Klägerin durch einen negativen Laborbefund
vor. Zudem müsse nach den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung zu einer in
der Regel einjährigen Abstinenz, die durch mindestens vier unvorhersehbar anberaumte
Laboruntersuchungen nachzuweisen sei, ein tiefgreifender und stabiler Einstellungs-
wandel hinzutreten, der es wahrscheinlich mache, dass der Betroffene auch in Zukunft
die Abstinenz einhalte. Hierfür habe der Verordnungsgeber in § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV die
Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vorgesehen. Die Zulässig-
keit der Gutachtenanordnung könne auch nicht im Hinblick auf den Grundsatz der Er-
forderlichkeit mit dem Argument angegriffen werden, anstelle des medizinisch-
psychologischen Gutachtens könne die Drogenfreiheit mit Hilfe eines bloßen ärztlichen
Gutachtens belegt werden. Nach den Aussagen des eingeholten Sachverständigengut-
achtens sei der Zeitraum, auf den sich eine Untersuchung von Blut oder Urin erstrecke,
sehr begrenzt.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
vor: Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass eine zeitliche Beschränkung bei
der Auslegung von § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV grundsätzlich nicht in Betracht komme, ver-
stoße gegen den mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsatz der Verhältnismäßig-
keit. Dieser Grundsatz sei jedem Verwaltungshandeln zu Grunde zu legen und könne
bei der Anwendung und Auslegung von Rechtsnormen nie grundsätzlich ausgeschlos-
sen sein. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beinhalte immer auch eine zeitliche Kom-
ponente. Daher müsse die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologi-
schen Gutachtens vor dem Hintergrund des seit der letzten betäubungsmittelrechtlichen
Auffälligkeit eingetretenen Zeitablaufs erfolgen. Das Fehlen von Hinweisen im Bundes-
zentralregister auf Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz seit 1995 sei ein star-
kes Indiz für eine tatsächliche Abstinenz der Klägerin in diesem Zeitraum. Es sei davon
auszugehen, dass bei einer wegen Betäubungsmitteldelikten vorbestraften Person, die
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in einem ländlichen Umfeld lebe, die Behörden davon Kenntnis erlangt hätten, wenn
eine Wiederaufnahme des Betäubungsmittelkonsums erfolgt wäre.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
II.
Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verletzt kein Bun-
desrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass
die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse 3 nach Beste-
hen der Fahrerlaubnisprüfung hat.
1. Über den geltend gemachten Anspruch ist nach dem materiellen Recht zu entschei-
den, das sich im Zeitpunkt der (revisions-)gerichtlichen Entscheidung Geltung beimisst.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist dies das Straßenverkehrsgesetz vom 19. Dezember
1952 (BGBl I S. 837), zuletzt geändert durch Art. 11 des Ersten Gesetzes zur Moderni-
sierung der Justiz vom 24. August 2004 (BGBl I S. 2198), sowie die Verordnung über
die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18. August 1998 (BGBl I
S. 2214) in der Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-
Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 9. August 2004
(BGBl I S. 2092) - im Folgenden: Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV).
Die Voraussetzungen für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis bestimmen sich nach § 2
Abs. 2, Abs. 7 und Abs. 8 StVG i.V.m. § 20 Abs. 1, § 22 Abs. 2 Satz 4, §§ 11 und 14
FeV. Ermächtigungsgrundlage für die genannten Bestimmungen der Fahrerlaubnis-
Verordnung ist § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c StVG. Danach wird das Bundesministerium für
Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ermächtigt, Regelungen über die Anforderungen an
die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen, die Beurteilung der Eignung durch
Gutachten sowie die Feststellung und Überprüfung der Eignung durch die Fahrerlaub-
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nisbehörde nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4, 7 und 8 StVG zu erlassen. Damit
genügt die Ermächtigungsgrundlage den Bestimmtheitsanforderungen von Art. 80
Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 89, 69 <84>).
2. Der Antrag der Klägerin auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ist zu Recht abgelehnt
worden, weil ihr die erforderliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen fehlt.
Nach § 20 Abs. 1 FeV gelten für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach vorange-
gangener Entziehung die Vorschriften für die Ersterteilung. Ein Anspruch auf (Erst)Er-
teilung besteht nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 StVG nur, wenn der Bewerber zum Führen von
Kraftfahrzeugen geeignet ist. Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 1
FeV ist geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen nur derjenige, der die notwendigen
körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt. Konkretisierend bestimmt § 11 Abs. 1
Satz 2 FeV, dass diese Anforderungen nicht erfüllt sind, wenn eine Erkrankung oder ein
Mangel nach Anlage 4 oder 5 der Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegt. Zur Klärung der
Eignung kann die Fahrerlaubnisbehörde nach § 2 Abs. 8 StVG anordnen, dass der An-
tragsteller ein ärztliches Gutachten oder ein Gutachten einer amtlich anerkannten Be-
gutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) beibringt,
wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige
Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen.
Eine solche Anordnung ist hier ergangen. Da die Klägerin sich geweigert hat, ihr Folge
zu leisten und das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten beizubringen, ist
nach § 11 Abs. 8 FeV von ihrer Nichteignung auszugehen.
Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf
die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn sich der Betroffene weigert, sich un-
tersuchen zu lassen oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht
fristgerecht beibringt. Damit hat der Verordnungsgeber in der Fahrerlaubnis-Verordnung
erstmals normiert, was unter der Geltung von § 15 b StVZO a.F. nur richterrechtlich an-
erkannt war. Nach der zur alten Rechtslage ergangenen Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts war der Schluss auf die Nichteignung nur zulässig, wenn die An-
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ordnung der Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnis-
mäßig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1985 - BVerwG 7 C 26.83 - BVerwGE 71,
93 <95>; Urteil vom 13. November 1997 - BVerwG 3 C 1.97 - Buchholz 442.16 § 15 b
StVZO Nr. 28, Urteil vom 5. Juli 2001 - BVerwG 3 C 13.01 - Buchholz 442.16 § 15 b
StVZO Nr. 29, S. 3). Diese Grundsätze sind auch bei der Anwendung der Fahrerlaubnis-
Verordnung zu beachten (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. 2003, § 11 FeV
Rn. 24; Jagow in: Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, 17. Aufl. 2002, § 3 StVG
Rn. 7 e). Der Verordnungsgeber hat in der Begründung zu § 11 Abs. 8 FeV ausdrücklich
auf die zur alten Rechtslage ergangene Rechtsprechung des Bundesverwal-
tungsgerichts Bezug genommen (BRDrucks 443/98, S. 257).
3. Der Beklagte durfte aus der mehrfachen schriftlichen Weigerung der Klägerin, sich
einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zu unterziehen, gemäß § 11 Abs. 8
Satz 1 FeV auf ihre fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, da
die Gutachtenanordnung vom 19. August 2002 formell und materiell rechtmäßig war.
Die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, genügte den
formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Das Landratsamt hat darin mitge-
teilt, dass die Frage der Kraftfahreignung der Klägerin zu klären sei, nachdem die Fahr-
erlaubnis wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz durch das Amts-
gericht K. am 18. August 1995 entzogen worden war. Die Anordnung enthält auch die
erforderliche Fristsetzung, einen Hinweis auf die Kostentragungspflicht des Betroffenen
und die Angabe, dass das Gutachten von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstel-
le für Fahreignung zu erstellen ist. Außerdem ist die Klägerin auf die Folgen einer Wei-
gerung, sich untersuchen zu lassen, oder einer nicht fristgerechten Vorlage des Gutach-
tens hingewiesen worden (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV).
Die Gutachtenanordnung war auch materiell rechtmäßig. Sie hatte ihre Grundlage in
§ 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV. Danach ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen
Gutachtens anzuordnen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der in Absatz 1 genannten
Gründe entzogen war. Der Klägerin ist die Fahrerlaubnis wegen einer unter Drogenein-
fluss begangenen fahrlässigen Straßenverkehrsgefährdung durch Strafbefehl vom
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18. August 1995 nach § 69 StGB entzogen worden. Die Entziehung muss wegen feh-
lender Kraftfahreignung im Zusammenhang mit dem Konsum von Betäubungsmitteln
erfolgt sein. Eine solche Maßnahme kann sowohl durch die Fahrerlaubnisbehörde aus-
gesprochen werden (vgl. § 4 StVG i.V.m. § 46 FeV) als auch durch strafgerichtliches
Urteil, wenn sich aus einer Straftat, die bei oder im Zusammenhang mit dem Führen
eines Kraftfahrzeuges begangen wurde, ergibt, dass der Täter zum Führen von Kraft-
fahrzeugen ungeeignet ist (vgl. § 69 Abs. 1 StGB). Letzteres war hier der Fall.
4. Zu Unrecht meint die Klägerin, die Entziehung der Fahrerlaubnis im Jahre 1995 kön-
ne wegen der inzwischen verstrichenen Zeit nicht mehr als Rechtfertigung für eine Gut-
achtenanforderung herangezogen werden. Sie übersieht, dass der Gesetzgeber selbst
Fristen festgelegt hat, nach deren Ablauf Taten der hier in Rede stehenden Art einem
Verwertungsverbot unterliegen. Die insoweit maßgebliche Frist ist hier noch nicht abge-
laufen.
Allerdings darf dem Betroffenen nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG eine Tat für die Beurtei-
lung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr vorgehalten werden,
wenn die Eintragung der gerichtlichen Entscheidung im Verkehrszentralregister getilgt
ist. Die Regelung beinhaltet ein Verwertungsverbot für diejenigen Fälle, in denen - wie
im vorliegenden Fall - eine im Verkehrszentralregister getilgte gerichtliche Entscheidung
noch im Bundeszentralregister eingetragen ist (vgl. Begründung des Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung des StVG und anderer Gesetze vom 8. November 1996, Einzelbe-
gründung zu § 29 Abs. 8 StVG, BRDrucks 821/96, S. 79). Nach § 29 Abs. 8 Satz 3
StVG dürfen hiervon abweichend Entscheidungen der Gerichte nach §§ 69 bis 69 b
StGB für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen verwertet wer-
den (vgl. § 28 Abs. 2 Nr. 2 StVG). Um eine solche Prüfung geht es hier jedoch nicht. Im
Verfahren der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ist nicht die Berechtigung, sondern die
Eignung der Klägerin zum Führen von Kraftfahrzeugen (vgl. § 28 Abs. 2 Nr. 1 StVG) zu
prüfen. Das in § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG konstituierte Verwertungsverbot wäre daher an
sich einschlägig.
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Besonderheiten gelten im vorliegenden Fall jedoch deshalb, weil § 29 Abs. 8 StVG mit
dem Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom
24. April 1998 (BGBl I S. 747) am 1. Januar 1999 zu einem Zeitpunkt in Kraft getreten
ist, als die mit Strafbefehl vom 18. August 1995 getroffenen Entscheidungen bereits im
Verkehrszentralregister eingetragen waren. § 65 Abs. 9 StVG enthält eine spezielle
Übergangsregelung für Entscheidungen, die bereits vor dem In-Kraft-Treten der gesetz-
lichen Neuregelung in das Verkehrszentralregister eingetragen worden waren. Der
1. Halbsatz der Vorschrift verweist für vor dem 1. Januar 1999 eingetragene Entschei-
dungen hinsichtlich der Tilgungsbestimmungen auf die bis zum 31. Dezember 1998 gel-
tende Rechtslage. Danach galt eine fünfjährige Tilgungsfrist für in das Verkehrszentral-
register einzutragende Geldstrafen und Freiheitsstrafen von nicht mehr als drei Monaten
(vgl. § 13 a Abs. 2 Nr. 2 Buchst. 1 StVZO a.F.). Die Verurteilung der Klägerin mit Straf-
befehl vom 18. August 1995 war daher unter Anwendung der alten Tilgungsbestimmun-
gen mit Ablauf des 18. August 2000 im Verkehrszentralregister zu tilgen. Die Über-
gangsvorschrift des § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG n.F. verweist jedoch auch hinsichtlich der
Verwertbarkeit auf die alte Rechtslage: Nach dem 2. Halbsatz dieser Vorschrift dürfen
die vor dem 1. Januar 1999 im Verkehrszentralregister eingetragenen Entscheidungen
grundsätzlich nach § 52 Abs. 2 BZRG in der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden
Fassung verwertet werden. Diese Vorschrift lautete wie folgt: "Abweichend von § 51
Abs. 1 darf eine frühere Tat ferner in einem Verfahren berücksichtigt werden, das die
Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat, wenn die Verurtei-
lung wegen dieser Tat in das Verkehrszentralregister einzutragen war". Hiernach konn-
ten Eintragungen im Verkehrszentralregister trotz Tilgungsreife in einem Verfahren
- ohne zeitliche Begrenzung - berücksichtigt werden, das die Erteilung oder Entziehung
einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hatte - so genannte ewige Verwertung - (vgl.
BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 3 C 14.01 - Buchholz 442.10 § 65 StVG
Nr. 1, S. 4; Götz/Tolzmann, BZRG, 4. Aufl. 2000, § 52 Rn. 16.).
Der in § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG enthaltene Verweis auf die Geltung der Ver-
wertungsvorschriften nach altem Recht ist jedoch beschränkt auf eine Verwertbarkeit bis
längstens "zu dem Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist entspricht". Der Inhalt
dieser Regelung erschließt sich bei Betrachtung von Sinn und Zweck der Norm sowie
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der Entstehungsgeschichte. § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG wurde eingefügt durch
das Gesetz zur Änderung des StVG und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschrif-
ten vom 19. März 2001 (BGBl I S. 386). Mit dem Gesetz zur Änderung des Straßenver-
kehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 24. April 1998 waren die Tilgungsfristen für
alkohol- und drogenbedingte Verkehrsstraftaten einheitlich auf zehn Jahre festgesetzt
und damit die frühere als nicht sachgerecht empfundene Differenzierung nach dem
Strafmaß (fünf Jahre Tilgungsfrist bei Ahndung durch Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis
drei Monate, sonst zehn Jahre) aufgegeben worden.
In der neu eingeführten Übergangsregelung für nach altem Recht im Verkehrszentralre-
gister eingetragene Entscheidungen hat der Gesetzgeber die Fortgeltung der alten
- häufig fünfjährigen - Tilgungsfristen bestimmt, jedoch übersehen, dass nach der alten
Rechtslage eine Verwertung über die Tilgungsreife hinaus nach § 52 Abs. 2 BZRG a.F.
möglich war und somit die vom Übergangsrecht erfassten Antragsteller unbeabsichtigt
privilegiert wurden (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 3 C 14.01 -
Buchholz 442.10 § 65 StVG Nr. 1). Diese Lücke sollte dadurch geschlossen werden,
dass für die bis Ende 1998 im Verkehrszentralregister eingetragenen Straftaten nicht nur
die alten Tilgungsfristen, sondern auch die alte Verwertungsvorschrift des § 52 Abs. 2
BZRG a.F. weiter anzuwenden waren, allerdings bis maximal zu dem Tag, der einer
zehnjährigen Frist entspricht. Mit der Befristung auf zehn Jahre sollte ein Gleichstand
mit der ab 1. Januar 1999 geltenden Neuregelung hergestellt werden, die generell eine
Tilgungsfrist und damit auch eine Verwertbarkeit von zehn Jahren vorsieht (vgl.
BTDrucks 14/4304 S. 14). Es sollte eine Gleichbehandlung von den unter die Über-
gangsregelung fallenden "Altfällen" mit den unter das neue Recht fallenden Sachverhal-
ten hergestellt werden, für die nach § 29 Abs. 1 StVG n.F. in der Regel eine Tilgungsfrist
von zehn Jahren gilt. Für diese "Neufälle", d.h. Eintragungen ab dem 1. Januar 1999,
beginnt der Lauf der zehnjährigen Tilgungsfrist gemäß § 29 Abs. 5 StVG - und damit
abweichend von der alten Rechtslage - bei Versagung oder Entziehung der Fahrerlaub-
nis wegen mangelnder Eignung erst mit der Erteilung oder Neuerteilung der
Fahrerlaubnis, spätestens jedoch fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung.
Wäre im Falle der Klägerin die Entziehung der Fahrerlaubnis durch strafgerichtliche
Verurteilung erst nach dem 31. Dezember 1998 in das Verkehrszentralregister eingetra-
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gen worden, hätte die Tilgungsfrist von zehn Jahren, da eine zwischenzeitliche Neuer-
teilung nicht in Rede steht, erst fünf Jahre nach der Unterzeichnung des Strafbefehls,
also mit Ablauf des 18. August 2000 zu laufen begonnen. Die zehnjährige Tilgungsfrist
würde unter Geltung des neuen Rechts daher erst am 18. August 2010 ablaufen. Nichts
anderes kann auf Grund der Übergangsbestimmung gemäß § 65 Abs. 9 Satz 1 Halb-
satz 2 StVG gelten, wenn mit der auf zehn Jahre befristeten Weitergeltung der "alten"
Verwertungsvorschrift des § 52 Abs. 2 BZRG der Gleichstand mit der ab 1. Januar 1999
geltenden Neuregelung hergestellt werden soll. Hierfür spricht auch der Wortlaut der
Übergangsbestimmung, denn dort heißt es, dass die vor dem 1. Januar 1999 eingetra-
genen Entscheidungen längstens bis zu dem Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist
"entspricht", verwertet werden dürften. Was einer zehnjährigen Tilgungsfrist "entspricht",
ergibt sich aber aus § 29 StVG n.F. einschließlich der Regelung über den Beginn der
Tilgungsfrist in § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG (OVG Saarland, Urteil vom 24. Mai 2004 - 1 R
25/03 - DAR 2004, 546 f., Kalus in: Drogen und Straßenverkehr, § 2 Rn. 59 und 60).
Gegen die Anwendung der Übergangsregelung des § 65 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 StVG
bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Rück-
wirkungsverbots. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt eine
unechte Rückwirkung vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlosse-
ne Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die
betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (BVerfG, Urteil vom 23. November
1999 - 1 BvF 1/94 - BVerfGE 101, 239 <263>). Derartige Gesetze sind grundsätzlich
zulässig. Durch das Gesetz zur Änderung des StVG und anderer straßenverkehrsrecht-
licher Vorschriften vom 19. März 2001 wurde ausdrücklich geregelt, dass eine Verwert-
barkeit von Eintragungen im Verkehrszentralregister über den Zeitpunkt der Tilgungsrei-
fe hinaus, begrenzt auf den Tag, der einer zehnjährigen Tilgungsfrist entspricht, zulässig
ist. Die Neuregelung trat am 27. März 2001 in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt war zwar
hinsichtlich der Verurteilung der Klägerin vom 18. August 1995 nach den alten Til-
gungsvorschriften bereits Tilgungsreife eingetreten. Unabhängig davon, ob man an-
nimmt, dass § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG in der seit dem 1. Januar 1999 bis zum 26. März
2001 geltenden Fassung dahin auszulegen war, dass die dort genannten Eintragungen
auch nach Eintritt der Tilgungsreife verwertet werden durften (vgl. VG Regensburg, Ur-
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teil vom 15. März 2000 - RO 9 K 99.00696 - NZV 2000, 223 <224>), liegt ein Fall unech-
ter Rückwirkung vor. Denn selbst wenn nach der am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen
Fassung von § 65 Abs. 9 Satz 1 StVG ein Verwertungsverbot für nach altem Recht til-
gungsreife Eintragungen im Verkehrszentralregister eingetreten sein sollte, so würde
sich die Wiedereinführung der Verwertbarkeit auf einen gegenwärtigen, noch nicht ab-
geschlossenen Sachverhalt beziehen. Relevant wird die Verwertbarkeit im vorliegenden
Fall nur im Zusammenhang mit dem im August 2002 und damit nach den Rechtsände-
rungen gestellten Antrag der Klägerin auf Wiedererteilung der Fahrerlaubnis.
Selbst wenn man annehmen wollte, die Wiedereinführung der Verwertbarkeit einer ge-
tilgten Eintragung begründe eine echte Rückwirkung, bestünden keine verfassungs-
rechtlichen Bedenken (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 29. Juli 2003 - 10 S 2316/02 -
DAR 2003, 577 <578>; offen gelassen: BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2001 - BVerwG 3 C
14.01 - Buchholz 442.10 § 65 StVG Nr. 1). Die echte Rückwirkung ist u.a. dann aus-
nahmsweise zulässig, wenn die Rechtslage "unklar und verworren" ist (vgl. BVerfG, Be-
schluss vom 25. Mai 1993 - 1 BvR 345/83 - BVerfGE 88, 366 <404>). Dies war hier der
Fall. Wie dargestellt, führte die am 1. Januar 1999 in Kraft getretene Regelung bei einer
am Wortlaut orientierten Auslegung dazu, dass bezüglich einer kleinen Gruppe von Be-
troffenen die kurzen Tilgungsfristen nach altem Recht und zugleich das unmittelbar mit
der Tilgung eintretende Verwertungsverbot nach neuem Recht anwendbar waren. Damit
wären diese Personen besser gestellt gewesen, als wenn entweder altes oder neues
Recht auf ihren Fall angewendet worden wäre. Diese Ungereimtheit hatte der Gesetz-
geber übersehen und durfte sie mit der Neuregelung bereinigen. Im Übrigen ist der Ge-
setzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verfassungsrecht-
lich nicht gehindert, eine ursprünglich eingetretene Unverwertbarkeit bestimmter Arten
von getilgten oder tilgungsreifen Straftaten nachträglich wieder zu beseitigen, wenn er
später erkennt, dass der Schutz eines höherwertigen Rechtsgutes wie der Verkehrssi-
cherheit durch die ursprüngliche Gesetzesfassung nicht oder nicht genügend gewähr-
leistet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1976 - BVerwG VII C 69.74 -
BVerwGE 52, 1 <3> = VRS 52, 393 <395>). Der Gesetzgeber durfte im vorliegenden
Fall davon ausgehen, dass bei der Unverwertbarkeit von drogen- und alkoholbedingten
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Straftaten nach bereits fünf Jahren den Belangen der Verkehrssicherheit nicht ausrei-
chend Rechnung getragen würde.
Die hiernach gesetzlich festgelegten Fristen können nicht unter Hinweis auf den Ver-
hältnismäßigkeitsgrundsatz beiseite geschoben oder relativiert werden. Angesichts der
großen Gefahren, die die Teilnahme am Straßenverkehr unter dem Einfluss harter Dro-
gen für die Allgemeinheit mit sich bringt, ist es nicht zu beanstanden, wenn der Gesetz-
geber eine relativ lange Zeit ansetzt, bevor ein Verwertungsverbot greift. Eine bereits
manifest gewordene Drogenauffälligkeit im Straßenverkehr begründet eine große Rück-
fallgefahr. Die Einschätzung des Gesetzgebers, dass zum Schutz der Sicherheit des
Straßenverkehrs diesem Risiko im Rahmen des Möglichen vor Neuerteilung einer Fahr-
erlaubnis für längere Zeit durch die Anforderung eines medizinisch-psychologischen
Gutachtens begegnet werden muss, erscheint sachgerecht und trägt dem Verhältnis-
mäßigkeitsgrundsatz Rechnung.
5. Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens war auch nicht des-
halb unverhältnismäßig, weil die Frage eines andauernden Drogenkonsums der Klägerin
durch ein ihre Persönlichkeitsrechte weniger beeinträchtigendes ärztliches Gutachten
hätte geklärt werden können. § 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV sieht bei Vorliegen seiner tat-
bestandlichen Voraussetzungen zwingend die Einholung eines medizinisch-psychologi-
schen Gutachtens vor. Nach dem normativen System von § 14 FeV ist im Falle eines
Antrages auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach vorangegangener Entziehung aus
Gründen des Absatz 1 nicht nur ein ärztliches Gutachten, sondern ein medizinisch-
psychologisches Gutachten vorzulegen. Der Grund liegt darin, dass die Feststellung der
Abhängigkeit bzw. der Einnahme von Betäubungsmitteln eine ärztliche Fragestellung ist
(Absatz 1), während bei der nach Absatz 2 zur beurteilenden Frage, ob eine Abhängig-
keit nicht mehr besteht oder - bei beendeter Drogeneinnahme - mit einem Rückfall zu
rechnen ist, für die positive Beurteilung entscheidend ist, ob ein stabiler Einstellungs-
wandel erfolgt ist. Hierzu ist auch eine psychologische Bewertung erforderlich (vgl. Be-
gründung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 7. Mai 1998, BRDrucks 443/98, S. 263).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Dette
Liebler Prof. Dr. Rennert
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 4 000 € festge-
setzt.
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Dette
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Verkehrsrecht
Fachpresse:
ja
Rechtsquellen:
StVG § 2
FeV §§ 11, 14, 20
Stichworte:
Neuerteilung der Fahrerlaubnis; Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Drogendelikt; me-
dizinisch-psychologisches Gutachten; Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen.
Leitsatz:
Ist die Fahrerlaubnis wegen eines Drogendelikts im Zusammenhang mit dem Straßen-
verkehr entzogen worden, so ist bei Neuerteilung der Fahrerlaubnis die Anordnung der
Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 FeV
nicht mehr zulässig, wenn die Tat wegen Zeitablaufs einem Verwertungsverbot unter-
liegt.
Urteil des 3. Senats vom 9. Juni 2005 - BVerwG 3 C 21.04
I. VG Sigmaringen vom 26.06.2003 - Az.: VG 3 K 2573/02 -
II. VGH Mannheim vom 18.05.2004 - Az.: VGH 10 S 2796/03 -