Urteil des BVerwG vom 26.04.2012

Amtliche Überwachung, Verwaltungskosten, Schlachttier, Europäische Kommission

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 20.11
VGH 4 B 10.2800
Verkündet
am 26. April 2012
Harnisch
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 26. April 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Dr. Langer, Buchheister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayeri-
schen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. März 2011 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten über Gebühren für amtliche Schlachttier- und Fleisch-
untersuchungen.
Die Klägerin ist ein Schlachtunternehmen mit Sitz im Landkreis Würzburg. Das
Landratsamt Würzburg zog sie mit den angefochtenen Bescheiden zu Gebüh-
ren für Fleischhygieneuntersuchungen im Zeitraum September 2008 bis Januar
2010 (ohne die Monate April und Juni 2009) in Gesamthöhe von 366 000,10 €
heran. Die Gebühren berücksichtigten die Personal- und Sachkosten des Land-
ratsamts für die Kontrollen einschließlich anteiliger allgemeiner Verwaltungskos-
ten.
Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Gebührenbescheide wider-
sprächen den Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 882/2004. Bei der Kalkulation
und Zusammensetzung der Gebühr dürften nur Löhne und Gehälter der für die
Kontrollen eingesetzten amtlichen Tierärzte und Fachassistenten sowie Kosten
für dieses Personal angesetzt werden. Hingegen seien allgemeine Verwal-
tungskosten nach Anhang VI der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 bei der Be-
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messung der Gebühren nicht anrechnungsfähig. Zudem hat die Klägerin gerügt,
der Landkreis beschäftige mehr amtliche Tierärzte als notwendig. Insgesamt
würden für die amtlichen Untersuchungen in ihrem Betrieb vier Tierärzte einge-
setzt, was in keinem Verhältnis zu der anfallenden Schlachtmenge stehe und
vermeidbare Zusatzkosten verursache. Nicht nachvollziehbar sei auch, dass an
einigen Schlachttagen zwei Tierärzte gleichzeitig in ihrem Betrieb im Einsatz
seien.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 1. März 2010 abgewiesen.
Die Gebührenbescheide fänden ihre Rechtsgrundlage in Art. 1, Art. 2 und Art. 5
Abs. 1 des bayerischen Kostengesetzes i.V.m. Tarif-Nr. 7.IX.11 des Kostenver-
zeichnisses. Die Gebührensätze stünden in Einklang mit den Vorgaben der
Verordnung (EG) Nr. 882/2004. Die Berücksichtigung allgemeiner Verwaltungs-
kosten in der Gebührenkalkulation sei nicht zu beanstanden. Zum Personal im
Sinne von Anhang VI der Verordnung zähle auch das im Zusammenhang mit
den amtlichen Kontrollen eingesetzte Verwaltungspersonal. Daher könnten die
hierfür anfallenden Löhne und Gehälter sowie sonstigen Kosten bei der Gebüh-
renberechnung angesetzt werden. Demzufolge habe der Beklagte auch Kosten
für Leistungen von Querschnittsämtern wie der Personal- oder der Kassenstelle
ansetzen dürfen. Die Querschnittsämter erledigten die mit der Beschäftigung
des Untersuchungspersonals verbundenen gebührentechnischen, arbeitsver-
traglichen und vergütungstechnischen Arbeiten, ohne die die Gebührenerhe-
bung nicht durchgeführt und das Kontrollpersonal für seine eigentlichen Aufga-
ben nicht entlastet werden könnte. Ebenso wenig unterliege die Zahl der im Be-
trieb der Klägerin eingesetzten amtlichen Tierärzte rechtlichen Bedenken. Der
Beklagte habe schlüssig dargelegt, dass sie für die anfallenden Kontrollaufga-
ben erforderlich seien.
Die Berufung der Klägerin hat der Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom
30. März 2011 zurückgewiesen. Bei der Gebührenkalkulation dürfe auch ein
Anteil für Verwaltungskosten einschließlich der Kosten des Verwaltungsperso-
nals in Querschnittsämtern berücksichtigt werden. Die Verordnung (EG)
Nr. 882/2004 verfolge das Ziel, effektive amtliche Kontrollen sicherzustellen und
die dafür anfallenden Kosten durch Erhebung kostendeckender Gebühren auf
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die Betriebe umzulegen. Es sei daher nicht ernsthaft zweifelhaft, dass Kontroll-
personal im Sinne von Anhang VI der Verordnung nicht nur die unmittelbar mit
der Schlachttier- und Fleischuntersuchung befassten Veterinäre und Fachassis-
tenten umfasse, sondern auch solche Behördenmitarbeiter einbeziehe, die die
Untersuchungen verwaltungsmäßig erfassten und umsetzten. Der gegenüber
der Richtlinie 85/73/EWG veränderte Normwortlaut stehe nicht entgegen, weil
damit keine inhaltliche Änderung bezweckt gewesen sei. Es sei auch nicht zu
beanstanden, dass im Betrieb der Klägerin insgesamt zunächst vier, später drei
amtliche Tierärzte für die Kontrollen eingesetzt worden seien. Der Beklagte ha-
be die Erforderlichkeit der von ihm beschäftigten Veterinäre unter Verweis auf
die Einplanung von Vertretungsfällen (Urlaub, Erkrankung, Fortbildung) nach-
vollziehbar dargelegt. Ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 5 Buchst. b der Verord-
nung (EG) Nr. 854/2004 liege nicht vor. Unerheblich sei, dass gelegentlich zwei
Tierärzte gleichzeitig im Schlachtbetrieb der Klägerin tätig gewesen seien. Es
handele sich um einige wenige Überschneidungen, die sachlich gerechtfertigt
seien und zeitlich nicht ins Gewicht fielen. Schließlich sei auch Art. 17 der Eu-
ropäischen Grundrechtecharta nicht verletzt. Das Ziel einer effektiven Überwa-
chung der Lebensmittelsicherheit rechtfertige die tatsächlichen und finanziellen
Belastungen, die aus den amtlichen Untersuchungen für die Schlachtunterneh-
men resultierten. Für eine Unverhältnismäßigkeit der streitigen Gebührenforde-
rung sei nichts ersichtlich.
Mit der Revision wiederholt und vertieft die Klägerin ihren bisherigen Vortrag.
Entscheidend für die Auslegung von Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI der Ver-
ordnung (EG) Nr. 882/2004 sei, dass Sozialabgaben und Verwaltungskosten
nicht mehr als Ausgaben benannt würden, die bei der Gebührenberechnung in
Ansatz zu bringen seien. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass der Verord-
nungsgeber einen risikobezogenen Ansatz verfolge. Häufigkeit und Umfang der
amtlichen Kontrollen seien der Bewertung des Risikos anzupassen, das von
dem jeweiligen Betrieb für die Lebensmittelsicherheit ausgehe. Damit solle ein
Anreiz für die Unternehmen gesetzt werden, sich risikominimierend zu verhal-
ten. Dem widerspreche der Ansatz von allgemeinen Verwaltungskosten in der
Gebührenkalkulation; denn diese Kosten fielen ungeachtet des jeweiligen Be-
triebsrisikos an. Das angegriffene Urteil verletze zudem das unionsrechtliche
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Verhältnismäßigkeitsgebot. Die berufungsgerichtliche Auslegung von Art. 5
Abs. 5 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 werde Art. 16 und Art. 17
Grundrechtecharta nicht gerecht.
Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt nicht
gegen Bundes- oder Unionsrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
1. Nach der für den Senat bindenden Auslegung des Landesrechts durch das
Berufungsgericht (§ 137 Abs. 1 VwGO; § 560 ZPO i.V.m. § 173 VwGO) beru-
hen die angefochtenen Gebührenbescheide auf Art. 1, Art. 2, Art. 5 Abs. 1 des
bayerischen Kostengesetzes (KG) vom 20. Februar 1998 (GVBl S. 43) und § 1
der Verordnung über den Erlass des Kostenverzeichnisses zum Kostengesetz
(Kostenverzeichnis - KVz) vom 12. Oktober 2001 (GVBl S. 766) i.V.m. Tarif-
Nr. 7.IX.11 KVz, jeweils in den bei Bescheiderlass gültigen Fassungen.
Nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 KG erheben die Behörden des Staates für Tätigkei-
ten, die sie in Ausübung hoheitlicher Gewalt vornehmen (Amtshandlungen),
Kosten (Gebühren und Auslagen) nach den Vorschriften des ersten Abschnitts
des Gesetzes. Zur Zahlung der Kosten ist verpflichtet, wer die Amtshandlung
veranlasst, im Übrigen diejenige Person, in deren Interesse die Amtshandlung
vorgenommen wird (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 KG). Art. 5 Abs. 1 KG bestimmt, dass
das Staatsministerium der Finanzen im Benehmen mit den in der Vorschrift ge-
nannten weiteren Stellen das Kostenverzeichnis als Rechtsverordnung erlässt.
Darin sind Gebühren durch feste Sätze (Festgebühren), nach dem Wert des
Gegenstandes der Amtshandlung (Wertgebühren), nach dem durch die Amts-
handlung verursachten Zeitaufwand (Zeitgebühren) oder innerhalb eines Rah-
mens (Rahmengebühren) festzusetzen. Nach Art. 5 Abs. 5 KG sind die Gebüh-
ren und Auslagen für den Fall, dass ein Rechtsakt der Europäischen Gemein-
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schaft Vorgaben für die Bemessung von Gebühren und Auslagen enthält, nach
Maßgabe dieser Vorschriften festzulegen.
Die Tarifstelle 5 der Tarif-Nr. 7.IX.11 KVz nennt als gebührenpflichtigen Tatbe-
stand „Verordnung (EG) Nr. 854/2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften
für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Er-
zeugnissen tierischen Ursprungs und Art. 31 Verordnung (EG) Nr. 882/2004“,
darunter 5.6 „Frischfleischuntersuchung nach Art. 5 Verordnung (EG)
Nr. 854/2004 (Schlachttier- und/oder Fleischuntersuchung, Überprüfung der
Information zur Lebensmittelkette, Wohlbefinden der Tiere, Entfernung, Ge-
trennthalten und ggf. Kennzeichnung von spezifiziertem Risikomaterial und
sonstigen tierischen Nebenprodukten sowie Probenahmen und Laboruntersu-
chungen) einschließlich Genusstauglichkeitskennzeichnung“. Die Unterziffern
der Tarifstelle 5.6 führen die verschiedenen Kategorien von Schlachttieren an.
Das Kostenverzeichnis legt für jede dieser Tarifpositionen einen Gebührenrah-
men je Tier fest. Auf dieser Grundlage hat das Landratsamt Würzburg die Ge-
bührensätze für Schlachttier- und Fleischuntersuchungen im Gebiet des Land-
kreises Würzburg festgesetzt, darunter die hier einschlägigen „Gebühren für
Großbetriebe“ zu den Tarifpositionen 5.6.1. ff. für den Gültigkeitszeitraum
1. September bis 31. Dezember 2008 und für den Zeitraum ab 1. Januar 2009.
Der Verwaltungsgerichtshof hat keine Fehler bei der Kalkulation der Kosten und
Bemessung der Gebührensätze festgestellt. Insbesondere hat er angenommen,
dass die Gebührensätze die tatsächlich entstehenden Kosten berücksichtigen
und keine Kostenüberdeckung vorliegt. Er hat des Weiteren festgestellt, dass
die Anzahl der im Betrieb der Klägerin insgesamt eingesetzten amtlichen Tier-
ärzte - unter Berücksichtigung eines „personellen Puffers für Vertretungsfälle“ -
erforderlich ist, um die Durchführung der vorgeschriebenen Schlachttier- und
Fleischuntersuchungen sicherstellen zu können. Schließlich ist er davon aus-
gegangen, dass die Höhe der Gebührenforderung für die Klägerin zumutbar
gewesen ist und sie nicht unverhältnismäßig in ihrer unternehmerischen Freiheit
beschränkt hat. Diese Feststellungen sind für den Senat bindend, weil die Klä-
gerin dagegen keine begründeten Verfahrensrügen erhoben hat (§ 137 Abs. 2
VwGO).
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2. Ausgehend hiervon ist eine Verletzung von Bundesrecht nicht ersichtlich.
Namentlich stehen der Gebührenheranziehung Art. 12 Abs. 1 GG oder Art. 2
Abs. 1 GG (vgl. Urteil vom 13. September 2006 - BVerwG 6 C 10.06 - Buchholz
451.61 KWG Nr. 20 ) nicht entgegen. Sowohl die amtlichen
Schlachttier- und Fleischhygienekontrollen als auch die daran anknüpfende
Gebührenpflicht beruhen auf sachgerechten und vernünftigen Erwägungen des
Gemeinwohls. Auch genügen die landesrechtlichen Gebührenvorschriften dem
Gesetzesvorbehalt und dem Bestimmtheitsgebot. Art. 1 und Art. 5 KG als Er-
mächtigungsnorm für die Gebührenerhebung und den Erlass des Kostenver-
zeichnisses bestimmen, für welche Maßnahmen und nach welchem Maßstab
durch Rechtsverordnung Gebühren festzulegen sind. Art. 6 Abs. 2 KG macht
weitere Vorgaben für die Ermittlung der Gebühr innerhalb eines Rahmens. Tat-
bestand und Höhe der Gebühr sind in Tarifstelle 5.6 KVz hinreichend genau
bezeichnet. Nicht zu beanstanden ist, dass das Kostenverzeichnis lediglich ei-
nen Gebührenrahmen vorsieht und die Festsetzung der konkreten Gebühren-
sätze den Verwaltungen in den kreisfreien Städten und Kreisen obliegt (Urteil
vom 20. Dezember 2007 - BVerwG 3 C 50.06 - Buchholz 418.5 Fleischbeschau
Nr. 27 m.w.N.). Schließlich wahrt die Gebührenerhebung die vom
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gezogenen Grenzen.
3. Die angegriffenen Gebühren sind auch mit Unionsrecht vereinbar.
a) Die streitigen Gebührenbescheide betreffen nach dem 31. Dezember 2007
durchgeführte amtliche Schlachttier- und Fleischuntersuchungen. Maßgeblich
ist hiernach die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004 über amtli-
che Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermit-
telrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl
Nr. L 165 S. 1, ber. ABl Nr. L 191 S. 1) in der Fassung der Verordnungen (EG)
Nr. 737/2008 vom 28. Juli 2008 (ABl Nr. L 201 S. 29), Nr. 1029/2008 vom
20. Oktober 2008 (ABl Nr. L 278 S. 6) und Nr. 596/2009 vom 18. Juni 2009 (ABl
Nr. L 188 S. 14). Die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 ersetzt die Richtlinie
85/73/EWG vom 29. Januar 1985 über die Finanzierung der veterinär- und hy-
gienerechtlichen Kontrollen nach den Richtlinien 89/662/EWG, 90/425/EWG,
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90/675/EWG und 91/496/EWG (ABl Nr. L 32 S. 14, zuletzt geändert durch die
Richtlinie 97/79/EG vom 18. Dezember 1997, ABl Nr. L 24 S. 31), die mit Wir-
kung vom 1. Januar 2008 aufgehoben wurde (Art. 61 Abs. 1 Satz 2 der Verord-
nung (EG) Nr. 882/2004).
aa) Nach dem allgemeinen Grundsatz in Art. 26 der Verordnung (EG)
Nr. 882/2004 sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass angemessene finanzielle
Mittel für die amtlichen Kontrollen verfügbar sind, und zwar aus beliebigen Mit-
teln, die sie für angemessen halten, einschließlich einer allgemeinen Besteue-
rung oder der Einführung von Gebühren oder Kostenbeiträgen, damit die erfor-
derlichen personellen und sonstigen Mittel bereitgestellt werden können. Ge-
mäß Art. 27 Abs. 1 steht es den Mitgliedstaaten frei, Gebühren oder Kostenbei-
träge zur Deckung der Kosten zu erheben, die durch die amtlichen Kontrollen
entstehen. Allerdings sorgen die Mitgliedstaaten (u.a.) bezüglich der in
Anhang IV Abschnitt A genannten Tätigkeiten dafür, dass eine Gebühr erhoben
wird (Art. 27 Abs. 2; obligatorische Gebührenerhebung). Zu diesen Tätigkeiten
gehören amtliche Schlachttier- und Fleischhygieneuntersuchungen (vgl. Art. 1,
Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004; Anhang IV Abschnitt B Kap. I
und II). Das ergibt sich aus der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 vom 29. April
2004 mit besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von
zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs
(ABl Nr. L 139 S. 206) in der Fassung der Verordnungen (EG) Nr. 1791/2006
vom 20. November 2006 (ABl L Nr. 363 S. 1), Nr. 1021/2008 vom 17. Oktober
2008 (ABl Nr. L 277 S. 15) und Nr. 219/2009 vom 11. März 2009 (ABl Nr. L 87
S. 109). Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 trifft nähere Vorgaben für die
amtliche Überwachung von Frischfleisch und regelt insbesondere die Anforde-
rungen an die Durchführung von Schlachttier- und Fleischuntersuchungen.
Zwar verweist Art. 27 Abs. 2 i.V.m. Anhang IV Abschnitt A Nr. 1 der Verordnung
(EG) Nr. 882/2004 auf „Tätigkeiten, die unter die Richtlinien 89/662/EWG,
90/425/EWG, 93/119/EG und 96/23/EG fallen und für die die Mitgliedstaaten
derzeit Gebühren gemäß der Richtlinie 85/73/EWG erheben“. Jedoch ist
Anhang IV Abschnitt A Nr. 1 nach dem Inkrafttreten der Verordnung (EG)
Nr. 854/2004 und der Aufhebung der Richtlinie 85/73/EWG dahin auszulegen,
dass auf die in der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 vorgesehenen Inspektionen
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und Kontrollen Bezug genommen wird. Das wird bestätigt durch Art. 1 Abs. 1a
der Verordnung (EG) Nr. 854/2004, wonach die Verordnung zusätzlich zu der
Verordnung (EG) Nr. 882/2004 gilt. Allerdings beschränkt sich die Gebührener-
hebungspflicht nach Art. 27 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 auf sol-
che von der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 erfassten Kontrolltätigkeiten, die
zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 bereits auf-
grund der Art. 1, 2 und 3 der Richtlinie 85/73/EWG gebührenpflichtig waren (vgl.
Europäische Kommission, Stellungnahme vom 7. März 2008 zur Auslegung der
Art. 26 bis 29 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 über amtliche Kontrollen
- SANCO/A2/RMt/an D(2008) 120217 -, Vorbemerkungen). Das trifft auf die hier
in Rede stehenden amtlichen Kontrollen zu.
bb) Art. 27 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 bestimmt, dass die ge-
mäß Art. 27 Abs. 1 oder 2 zum Zwecke von amtlichen Kontrollen erhobenen
Gebühren nicht höher sein dürfen als die von den zuständigen Behörden getra-
genen Kosten in Bezug auf die Ausgaben gemäß Anhang VI (Buchst. a) und
dass sie auf der Grundlage der von den zuständigen Behörden während eines
bestimmten Zeitraums getragenen Kosten als Pauschale festgesetzt werden
können oder gegebenenfalls den in Anhang IV Abschnitt B bzw. Anhang V
Abschnitt B festgelegten (Mindest-)Beträgen entsprechen (Buchst. b). Die nach
Anhang VI „Bei der Berechnung der Gebühren zu berücksichtigende Kriterien“
sind: 1. Löhne und Gehälter des für die amtlichen Kontrollen eingesetzten Per-
sonals, 2. Kosten für das für die amtlichen Kontrollen eingesetzte Personal, ein-
schließlich der Kosten für Anlagen, Hilfsmittel, Ausrüstung und Schulung sowie
der Reise- und Nebenkosten und 3. Kosten für Probenahme und Laboruntersu-
chung. Art. 27 Abs. 5 Buchst. a sieht vor, dass die Mitgliedstaaten bei der Fest-
setzung der Gebühr die Art des betroffenen Unternehmens und die entspre-
chenden Risikofaktoren berücksichtigen. Art. 27 Abs. 10 verbietet den Mitglied-
staaten, neben den nach Art. 27 Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 erhobenen Gebühren
sonstige Gebühren für die Durchführung der Verordnung zu erheben; ausge-
nommen sind nur Kosten aufgrund zusätzlicher amtlicher Kontrollen im Sinne
von Art. 28 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004.
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b) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die den ange-
fochtenen Gebührenbescheiden zugrunde liegenden Gebührensätze mit Art. 27
Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vereinbar sind. Bei den in die Gebüh-
renkalkulation des Beklagten eingeflossenen Sozialabgaben und allgemeinen
Verwaltungskosten handelt es sich um berücksichtigungsfähige Kosten im Sin-
ne von Art. 27 Abs. 4 i.V.m. Anhang VI der Verordnung. Die Vorschriften über
die Gebührenerhebung zur Finanzierung amtlicher Schlachttier- und Fleischun-
tersuchungen in Art. 26, Art. 27 Abs. 2, Abs. 4 der Verordnung (EG)
Nr. 882/2004 stehen in Kontinuität mit der Vorgängerregelung der Richtlinie
85/73/EWG. Die Vorgaben für die Berechnung der Gebühren nach Anhang VI
der Verordnung knüpfen an Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie an und führen dessen
Regelungsgehalt fort.
aa) Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 85/73/EWG wurden die von den Mitglied-
staaten für veterinär- und hygienerechtliche Kontrollen zu erhebenden Gemein-
schaftsgebühren in der Weise festgelegt, dass sie außer den Löhnen und So-
zialabgaben der Untersuchungsstelle auch die Verwaltungskosten deckten, die
durch die Durchführung der Untersuchungen und Kontrollen entstanden; hinzu-
gerechnet werden konnten noch die Kosten der Fortbildung des Untersu-
chungspersonals. Die hierzu verabschiedete Protokollerklärung des Agrarrates
und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 24. Januar 1989
zur Entscheidung des Rates vom 15. Juni 1988 (Bundesanzeiger Nr. 37/1989,
S. 901) stellte klar, dass die nach Art. 5 Abs. 1 zu deckenden Kosten neben den
Kosten für das Untersuchungspersonal auch die Kosten für Verwaltungsperso-
nal erfassten (vgl. unter Abschnitt II vor Nr. 1 und Abschnitt I Kap. C). Des Wei-
teren erhellen in der Protokollerklärung benannte Kostenpositionen wie „Auf-
sicht, Personalplanung und -einsatz, Organisation, Schriftverkehr und anderes,
Leitungstätigkeiten“ (Abschnitt I Kap. A Nr. 6), „Geräte und Ausstattungsgegen-
stände der Verwaltung (z.B. Büromöbel, Schreibmaschinen)“ (Abschnitt I
Kap. C Nr. 2) oder „Vermischte Verwaltungsausgaben“ (Abschnitt I Kap. C
Nr. 11), dass auch allgemeine Verwaltungskosten (Verwaltungsgemeinkosten)
bei der Gebührenkalkulation ansatzfähig waren. In Einklang damit ist die Recht-
sprechung davon ausgegangen, dass der Kostenbegriff im Sinne von Art. 5
Abs. 1 der Richtlinie 85/73/EWG auch anteilige Verwaltungskosten für Leistun-
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gen so genannter Querschnittsämter (z.B. Personalstelle, Rechtsamt, Kassen-
stelle) einbezog (vgl. OVG Münster, Urteil vom 26. März 2009 - 17 A 3510/03 -
juris Rn. 59 f.; VGH Mannheim, Urteil vom 10. Februar 2011 - 2 S 2251/10 -
DÖV 2011, 737 = juris Rn. 41).
bb) Der Umfang der anrechenbaren Kostenbestandteile hat durch die Nachfol-
geregelung in Art. 27 Abs. 2, Abs. 4 i.V.m. Anhang VI der Verordnung (EG)
Nr. 882/2004 keine Veränderung erfahren. Die Verordnung enthält keinen An-
haltspunkt, dass sie mit der bisherigen Berechnungspraxis bricht und die bei
der Gebührenbemessung ansetzungsfähigen Kostenpositionen gegenüber der
bisherigen Rechtslage beschränkt werden sollen.
In Fortführung der Ziele der Richtlinie 85/73/EWG bezweckt der Verordnungs-
geber mit den Vorschriften über die Finanzierung amtlicher Fleischhygienekon-
trollen, dass in den Mitgliedstaaten für die Durchführung der Kontrollen ausrei-
chende Finanzmittel bereitstehen. Daher sollen die zuständigen Behörden der
Mitgliedstaaten Gebühren erheben können, um die Kosten zu decken, die durch
die Kontrolltätigkeiten entstehen (Erwägungsgrund 32; Art. 26, Art. 27 Abs. 1
und 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004). Den Mitgliedstaaten soll ein wirksa-
mes Instrument zur Finanzierung der Überwachungsaufgaben an die Hand ge-
geben werden, damit die anforderungsgemäße Durchführung der amtlichen
Kontrollen nicht durch fehlendes Personal oder unzureichende Sachmittel in
Frage gestellt ist. Das verlangt, bei der Gebührenbemessung sämtliche Kosten
zu berücksichtigen, die bei der zuständigen Behörde im Zusammenhang mit
den amtlichen Kontrollen anfallen. Nur bei einer vollständigen Kostendeckung
ist gewährleistet, dass über die Gebührenerhebung ausreichende Finanzmittel
aufgebracht werden, damit die erforderlichen personellen und sachlichen Res-
sourcen bereitgestellt werden können, um eine effiziente und wirksame Wahr-
nehmung der Kontrollaufgaben sicherzustellen. Hierbei kann es für die Anre-
chenbarkeit von Kostenpositionen keinen Unterschied machen, ob die verwal-
tungsmäßigen Tätigkeiten, die neben der Inspektion und Untersuchung der
Schlachttiere und des Frischfleisches anfallen, von dem Untersuchungsperso-
nal selbst wahrgenommen werden oder aber auf Verwaltungspersonal übertra-
gen und gegebenenfalls auch als Querschnittsaufgaben zentralisiert werden.
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Vielmehr können alle mit den Überwachungsaufgaben im Zusammenhang ste-
henden Kosten auf den Gebührenschuldner umgelegt werden, unabhängig da-
von wie die zuständige Behörde organisiert und das nationale Verwaltungsver-
fahren ausgestaltet ist.
Der Einwand der Klägerin, der Anrechenbarkeit von allgemeinen Verwaltungs-
kosten stehe der risikobezogene Ansatz im europäischen Lebensmittelrecht
entgegen, geht fehl. Richtig ist, dass nach Art. 27 Abs. 5 Buchst. a der Verord-
nung (EG) Nr. 882/2004 bei der Festsetzung der Gebühren die Art des Unter-
nehmens und die entsprechenden Risikofaktoren zu berücksichtigen sind. Das
steht im Zusammenhang mit Art. 4 Abs. 9 der Verordnung (EG) Nr. 854/2004,
wonach Art und Umfang der amtlichen Überwachung eines Betriebs von den
Ergebnissen der Risikobewertung abhängen. Hierzu hat die zuständige Behör-
de regelmäßig Folgendes zu bewerten: die Risiken für die Gesundheit der Be-
völkerung und gegebenenfalls für die Tiergesundheit (Buchst. a), im Falle von
Schlachthöfen die Aspekte des Wohlbefindens der Tiere (Buchst. b), Art und
Umfang der durchgeführten Prozesse (Buchst. c) und das bisherige Verhalten
des Lebensmittelunternehmers hinsichtlich der Einhaltung des Lebensmittel-
rechts (Buchst. d). Eine vergleichbare Regelung findet sich als allgemeine Ver-
pflichtung für die Organisation amtlicher Kontrollen in Art. 3 Abs. 1 der Verord-
nung (EG) Nr. 882/2004. Des Weiteren bestimmt Art. 5 Abs. 5 Buchst. b der
Verordnung (EG) Nr. 854/2004, dass bei der Veranschlagung des Bedarfs an
amtlichem Personal für die Schlachtlinie der einzelnen Schlachthöfe ein risiko-
bezogener Ansatz zu verfolgen ist (Satz 1). Die Zahl der amtlichen Mitarbeiter
muss von der zuständigen Behörde festgelegt und ausreichend sein, so dass
alle Anforderungen der Verordnung erfüllt werden können (Satz 2). Nach Art. 5
Abs. 5 Buchst. a sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass sie über genügend amt-
liches Personal verfügen, damit die amtliche Überwachung in der in Anhang I
Abschnitt III Kap. II festgelegten Häufigkeit erfolgen kann. Hiernach ist die von
der Behörde zu treffende Risikobewertung ausschlaggebend dafür, in welcher
Häufigkeit und mit welchem Umfang amtliche Kontrollen durchzuführen sind.
Die Annahme eines höheren Risikos bedingt einen erhöhten behördlichen Per-
sonalaufwand, weil eine intensivere Kontrolltätigkeit geboten ist; umgekehrt
führt die Annahme eines geringeren Risikos zu einem entsprechend niedrigeren
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Personalaufwand. Daraus lässt sich aber nichts für die Rechtsauffassung der
Klägerin gewinnen, allgemeine Verwaltungskosten seien bei der Gebührenbe-
messung nicht zu berücksichtigen. Rechtfertigt die Risikobewertung eine Redu-
zierung der amtlichen Kontrollen in einem Betrieb, fallen für die nicht durchge-
führten Untersuchungen insgesamt keine Gebühren an; die Frage der Differen-
zierung zwischen Kosten, die auf das Untersuchungspersonal entfallen, und
Verwaltungskosten stellt sich nicht.
cc) Aus dem Wortlaut der Regelung in Anhang VI der Verordnung (EG)
Nr. 882/2004 ergibt sich nichts Abweichendes. Den textlichen Änderungen im
Vergleich zu der bisherigen Formulierung in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie
85/73/EWG lässt sich nicht entnehmen, dass der Umfang der anrechenbaren
Verwaltungskosten gegenüber der früheren Rechtslage beschränkt werden soll.
Sozialabgaben und allgemeine Verwaltungskosten dürfen bei der Gebühren-
bemessung berücksichtigt werden, weil es sich um Kosten handelt, die im Sin-
ne von Art. 27 Abs. 1 der Verordnung „durch die amtlichen Kontrollen entste-
hen“ und die im Sinne von Anhang VI als „Kosten für das für die amtlichen Kon-
trollen eingesetzte Personal“ zu qualifizieren sind. Der Begriff des für die amtli-
chen Kontrollen eingesetzten Personals rechtfertigt entgegen dem Revisions-
vorbringen ohne Weiteres, darunter nicht nur das Untersuchungspersonal
- amtliche Tierärzte und Fachassistenten (vgl. Art. 2 Abs. 1 Buchst. f und h,
Art. 5, Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 854/2004) - zu verstehen, sondern
auch Verwaltungspersonal, das in die Abwicklung der Überwachungsaufgaben
eingebunden ist und Leistungen erbringt, die der amtlichen Kontrolle zuzurech-
nen sind. Nichts anderes gilt für die englische Sprachfassung („staff involved in
the official controls") und die französische Fassung („personnel chargé des con-
trôles officiels").
Das entspricht auch der Auffassung der Europäischen Kommission in ihrer Stel-
lungnahme vom 7. März 2008 zur Auslegung der Art. 26 bis 29 der Verordnung
(EG) Nr. 882/2004. Darin heißt es, dass sich der Begriff des für die amtlichen
Kontrollen eingesetzten Personals nicht unbedingt auf Personen beschränke,
die bei den Kontrollen persönlich anwesend seien (a.a.O., Antwort zu Frage 8,
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S. 5). Die von der Kommission bejahte Anrechenbarkeit von Verwaltungsperso-
nalkosten wird nicht dadurch relativiert, dass sie in ihrer Stellungnahme an-
schließend zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von „Verwaltungskosten“
ausführt, nach der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 komme es darauf an, ob die
den Verwaltungskosten zurechenbaren Kostenpositionen von den in Anhang VI
aufgeführten Kriterien gedeckt seien (a.a.O., Antwort zu Frage 9, S. 5). Die
Antwort der Kommission bezieht sich auf den Befund, dass in Anhang VI der
Begriff der Verwaltungskosten als solcher nicht genannt wird. Ungeachtet des-
sen umfasst der dortige Kostenbegriff auch Kostenbestandteile, die sich dem
Bereich der Verwaltungskosten zuordnen lassen, wie die Aufzählung unter Nr. 2
(„einschließlich der Kosten für Anlagen, Hilfsmittel, Ausrüstung und Schulung
sowie der Reise- und Nebenkosten“) zeigt. Die Antwort der Kommission bringt
daher nicht mehr zum Ausdruck, als dass die Anrechenbarkeit von „Verwal-
tungskosten“ davon abhängt, wie der Begriff „des für die amtlichen Kontrollen
eingesetzten Personals“ zu verstehen ist. Wird davon, wie gezeigt, auch Ver-
waltungspersonal erfasst, ergibt sich aus Anhang VI Nr. 1 und 2 der Verord-
nung zugleich, dass die für die Tätigkeit dieses Personals anfallenden Kosten in
die Gebührenberechnung einfließen dürfen.
Dieses Normverständnis wird außerdem durch Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EG)
Nr. 882/2004 bestätigt. Amtliche Kontrolle im Sinne der Verordnung meint da-
nach jede Form der Kontrolle, die von der zuständigen Behörde oder der Ge-
meinschaft zur Verifizierung der Einhaltung des Futtermittel- und Lebensmittel-
rechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz durchge-
führt wird. Zur Durchführung der amtlichen Schlachttier- und Fleischhygiene-
kontrollen im Sinne von Art. 27 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 und
Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 gehören aber neben den Inspektions-
und Untersuchungsaufgaben der amtlichen Tierärzte und Fachassistenten auch
deren verwaltungsmäßige Erfassung und Abwicklung einschließlich der Gebüh-
renerhebung.
c) Ebenso wenig lassen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Erforder-
lichkeit der von dem Beklagten eingesetzten amtlichen Tierärzte eine Verlet-
zung von Unionsrecht erkennen.
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Nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 tragen die zu-
ständigen Behörden der Mitgliedstaaten Sorge dafür, dass sie über ausreichen-
des und entsprechend qualifiziertes und erfahrenes Personal verfügen oder
Zugang dazu haben, damit die amtlichen Kontrollen und Kontrollaufgaben effi-
zient und wirksam durchgeführt werden können. Art. 5 Abs. 5 der Verordnung
(EG) Nr. 854/2004 spezifiziert diese Verpflichtung, wie dargestellt, für den Be-
reich der amtlichen Überwachung von Frischfleisch. Die Zahl der amtlichen Mit-
arbeiter muss ausreichend sein, um die vorgeschriebenen Kontrollen anforde-
rungsgemäß durchführen zu können. Anhang I Abschnitt III Kap. II Nr. 1
Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 854/2004 konkretisiert, dass in Schlachthö-
fen während der gesamten Dauer der Schlachttier- und der Fleischuntersu-
chung mindestens ein amtlicher Tierarzt anwesend sein muss; eine Ausnahme
ist nur unter den in Anhang I Abschnitt III Kap. II Nr. 2 geregelten Vorausset-
zungen möglich. Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen die unions-
rechtlichen Vorgaben angenommen, dass die Zahl der beim Beklagten beschäf-
tigten und im Betrieb der Klägerin insgesamt eingesetzten amtlichen Tierärzte
erforderlich sei, um die Überwachungsaufgaben in der vorgeschriebenen Form
erfüllen zu können. Die Feststellung ist, wie bereits ausgeführt, für den Senat
bindend.
d) Das Berufungsurteil verstößt auch nicht gegen Art. 16 und Art. 17 der Charta
der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh).
Nach Art. 6 Abs. 1 des Vertrags über die Europäische Union i.d.F. des Vertrags
von Lissabon (EUV) erkennt die Union die Rechte, Freiheiten und Grundsätze
an, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegt
sind; die Charta und die Verträge sind rechtlich gleichrangig. Art. 16 GRCh be-
stimmt, dass die unternehmerische Freiheit nach dem Unionsrecht und den ein-
zelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt wird. Art. 17
Abs. 1 Satz 1 GRCh schützt das Recht jeder Person, ihr rechtmäßig erworbe-
nes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben.
Nach Satz 3 kann die Nutzung des Eigentums gesetzlich geregelt werden, so-
weit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist. Diese Rechte binden
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nach Art. 51 GRCh die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union
sowie die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts. Nach Maß-
gabe von Art. 52 Abs. 1 GRCh sind Einschränkungen der in der Charta an-
erkannten Rechte gerechtfertigt, wenn sie gesetzlich vorgesehen und erforder-
lich sind und wenn sie dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den
Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich
entsprechen. Schließlich müssen die Einschränkungen verhältnismäßig sein.
Offenbleiben kann, ob der Schutzbereich des unionsrechtlichen Eigentums-
rechts hier überhaupt berührt ist. Jedenfalls ist eine etwaige in der Gebührener-
hebung liegende Beschränkung dieses Rechts nach Art. 17 Abs. 1 Satz 3,
Art. 52 Abs. 1 GRCh gerechtfertigt. Die angefochtenen Gebührenbescheide
stehen, wie gezeigt, mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Verordnungen
(EG) Nr. 882/2004 und Nr. 854/2004 in Einklang und dienen dem Gemeinwohl.
Damit liegt auch kein unzulässiger Eingriff in die nach Art. 16 GRCh geschützte
unternehmerische Freiheit der Klägerin vor.
4. Zur Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach
Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) besteht kein Anlass. Die von der Revision aufgeworfenen Fragen be-
gründen keine Vorlagepflicht. Die Anrechenbarkeit von Sozialabgaben und
Verwaltungskosten (einschließlich Verwaltungspersonalkosten und allgemeiner
Verwaltungskosten) bei der Bemessung von Gebühren für amtliche Schlacht-
tier- und Fleischuntersuchungen nach Art. 27 Abs. 2, Abs. 4 i.V.m. Anhang VI
der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 (Vorlagefrage 1) ist - wie gezeigt - nicht
zweifelhaft. Auslegungszweifel ergeben sich auch nicht in Bezug auf die zweite
Frage zur Berücksichtigung von Art. 16 und Art. 17 GRCh bei der Auslegung
von Art. 5 Abs. 5 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 854/2004. Aus Art. 6 EUV
i.V.m. Art. 51, Art. 52 GRCh ergibt sich eindeutig, dass Art. 16 und Art. 17
GRCh bei der Anwendung von sekundärem Unionsrecht zu beachten sind, also
soweit ihr Schutzbereich betroffen ist, bei der Auslegung der Verordnung (EG)
Nr. 854/2004 zu berücksichtigen sind. Die dritte Vorlagefrage lässt sich ohne
Weiteres bejahen. Aus den Verordnungen (EG) Nr. 882/2004 und Nr. 854/2004
i.V.m. dem unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgebot ergibt sich, dass Häu-
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figkeit und Umfang der amtlichen Kontrollen einschließlich der Zahl des einge-
setzten Personals nicht über das Maß hinausgehen dürfen, das für die anforde-
rungsgemäße Durchführung der Kontrollaufgaben erforderlich ist. Im Einklang
damit hat das Berufungsgericht für das Revisionsgericht bindend festgestellt,
dass der von der Klägerin beanstandete Einsatz des Untersuchungspersonals
dem Umfang nach erforderlich war. Schließlich zeigt auch der Einwand der Klä-
gerin, allein dem Europäischen Gerichtshof komme ein Verwerfungsmonopol
für sekundäres Unionsrecht zu, eine Vorlagepflicht nicht auf. Hier geht es nicht
um die Verwerfung von Rechtsakten der Unionsorgane wegen Verstoßes ge-
gen primäres Unionsrecht, sondern um die Auslegung von Normen des sekun-
dären Gemeinschaftsrechts.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Dr. Langer
Buchheister
Dr. Kuhlmann
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Lebensmittelrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
Verordnung (EG) Nr. 882/2004
Art. 26, Art. 27, Anhang VI
Verordnung (EG) Nr. 854/2004
Art. 5
Richtlinie 85/73/EWG
Art. 5 Abs. 1
GRCh
Art. 16, Art. 17
KG BY
Art. 1, Art. 2, Art. 5
KVz BY
Nr. 7.IX.11
Stichworte:
Schlachttier- und Fleischuntersuchung; Fleischhygienegebühr; Bemessung von
Gebühren; Gebührenkalkulation; amtliche Kontrolle; amtliche Überwachung;
Finanzierung amtlicher Kontrollen; Anzahl der bei der amtlichen Kontrolle ein-
gesetzten Tierärzte; Kosten; Kostendeckung; Personalkosten; Verwaltungskos-
ten; allgemeine Verwaltungskosten; Sozialabgaben; Untersuchungspersonal;
Verwaltungspersonal; Verwaltungsgemeinkosten; Querschnittsämter; Quer-
schnittsaufgaben.
Leitsatz:
Bei der Berechnung von Gebühren für amtliche Schlachttier- und Fleischunter-
suchungen nach Art. 27 Abs. 2, Abs. 4 i.V.m. Anhang VI der Verordnung (EG)
Nr. 882/2004 sind allgemeine Verwaltungskosten anrechenbar, die im Zusam-
menhang mit der amtlichen Überwachung anfallen.
Urteil des 3. Senats vom 26. April 2012 - BVerwG 3 C 20.11
I. VG Würzburg vom 01.03.2010 - Az.: VG W 7 K 09.120 -
II. VGH München vom 30.03.2011 - Az.: VGH 4 B 10.2800 -