Urteil des BVerwG vom 25.07.2007

Landwirtschaftlicher Betrieb, Restitution, Unternehmen, Rückgabe

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 3 C 19.06
am 25. Juli 2007
VG 27 A 47.03
Bech
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juli 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette,
Liebler und Prof. Dr. Rennert
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwal-
tungsgerichts Berlin vom 20. Oktober 2005 wird zurück-
gewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Zuordnung von unternehmensbezogenen Ver-
bindlichkeiten nach einer Restitution von Grundstücken eines ehemaligen Land-
wirtschaftsbetriebs.
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Die Klägerin war bis Kriegsende Eigentümerin des sog. Stadtguts L., das sie
jedenfalls seit Ende des 19. Jahrhunderts regelmäßig verpachtet hatte. Aus-
weislich des angefochtenen Bescheides betrug die Gesamtfläche 120,9132 ha.
Dieses Gut wurde nach dem Krieg zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt
in Volkseigentum überführt und in die Rechtsträgerschaft des Volkseigenen
Guts (VEG) St. gegeben. Das VEG bewirtschaftete daneben weitere Flächen in
St., R., St. und V., insgesamt (bis 1990) 663,9505 ha. Auf den Flächen des
vormaligen Stadtguts L. wurden 1950 Wohngebäude errichtet; 1970 kamen
Anlagen für eine Schweinemast hinzu.
Das VEG St. wurde nach dem 1. Juli 1990 als Treuhandunternehmen von der
Agrarproduktions GmbH Gut St. fortgeführt. Nach dem Jahresabschlussbericht
1992 lief die Schweineproduktion im Betriebsteil W.-L. 1991 aus; der Be-
triebsteil wird als „stillgelegt“ bezeichnet. Nach einem von der Klägerin vorge-
legten Wertermittlungsgutachten wurde die Schweinemast bereits 1989/90 auf-
gegeben.
Mit bestandskräftigem Sammelbescheid vom 17. Mai 1993 wurden der Klägerin
auf ihren Antrag hin 13 Grundstücke mit der Bezeichnung „Liegenschaften (oh-
ne LPG-Gebäude)“ gemäß Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV zugeordnet,
darunter 12 Grundstücke, die das ehemalige Stadtgut L. ausmachten. Die Zu-
ordnung umfasste „dem Grunde nach“ zugehörige Forderungen und Verbind-
lichkeiten sowie Rechte und Pflichten aus Schuldverhältnissen, hierbei insbe-
sondere die Übernahme laufender Wirtschafts- und Nutzungsverhältnisse sowie
die Übernahme etwa beschäftigter Arbeitnehmer.
Mit einem weiteren - hier angefochtenen - Bescheid vom 21. März 2003 stellte
die Beklagte fest, dass im Zuge der „Restitution des früheren Stadtgutes“ unter
anderem folgende Verbindlichkeiten der Gut St. GmbH auf die Klägerin über-
gegangen seien:
1. 248 660,69 € aus einem Vor-Wende-Kredit der vorma-
ligen Bank für Landwirtschaft und Nahrungswirtschaft der
DDR an das VEG - vor dem Verwaltungsgericht be-
schränkt auf die der Höhe nach noch festzustellenden Mit-
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tel zur Errichtung einer Gülleanlage des Schweinemastbe-
triebes -,
2. 16 535,66 € aus Abfindungszahlungen an ausgeschie-
dene Arbeitnehmer sowie
3. 114 902,40 € aus einem Nach-Wende-Kredit (2. Hälfte
1990) der Alleingesellschafterin (THA) an die GmbH. Die-
ser Kredit wurde der Klägerin nach Flächen anteilig be-
lastet; dabei lag der Anteilsberechnung die Gesamtfläche
des Guts im Jahr 1992 zugrunde.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es
ausgeführt, das der Klägerin entzogene Stadtgut L. sei ein landwirtschaftliches
Unternehmen gewesen. Dass das Gut seinerzeit von Pächtern bewirtschaftet
worden sei, sei unschädlich. Darum seien der Klägerin durch den Bescheid vom
17. Mai 1993 auch nicht lediglich Grundstücke, vielmehr sei ein Unternehmen
restituiert worden. Dem stehe nicht entgegen, dass der Schweinemastbetrieb
zuvor bereits eingestellt worden sei (§ 4 Abs. 1 Satz 2 VermG). In derartigen
Fällen erfolge die Unternehmensrestitution durch Rückgabe der noch
vorhandenen Unternehmensbestandteile nach § 6 Abs. 6a VermG. Dieser
Restitutionsanspruch sei gemäß § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG belastet mit der
Pflicht zur Zahlung eines Betrages in Höhe der im Bescheid näher beschriebe-
nen Verbindlichkeiten. Der Grundmittelkredit (1.) betreffe die Gülleanlage und
damit Zubehör der klägerischen Grundstücke. Die Abfindungszahlungen (2.)
seien an sieben Arbeitnehmer gezahlt worden, die infolge der Einstellung der
Schweinemast entlassen worden seien. Das Liquiditätsdarlehen (3.) sei zwar an
das Gut St. als Ganzes vergeben worden; gleichwohl hafte die Klägerin ent-
sprechend ihrem Flächenanteil.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Revision im Wesentlichen vor, hinsicht-
lich der Zuordnung von Verbindlichkeiten seien § 11 Abs. 2 VZOG und die §§ 3,
4 und 6 Abs. 6a VermG rechtsfehlerhaft angewendet worden. Unter Berück-
sichtigung der Besonderheiten des Vermögenszuordnungsgesetzes und vom
Sinn und Zweck der vermögensrechtlichen Regelungen sei zunächst zu beach-
ten, was überhaupt Gegenstand der Rückübertragung durch den Zuordnungs-
bescheid vom 17. Mai 1993 gewesen sei. Selbst wenn es sich bei dem Stadtgut
L. im Zeitpunkt der Enteignung um ein Unternehmen gehandelt haben sollte, sei
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es jedenfalls von § 11 Abs. 2 Satz 1 VZOG bei Erlass des Zuordnungsbe-
scheides am 17. Mai 1993 nicht mehr vorhanden gewesen. Außerdem verken-
ne das Verwaltungsgericht, dass bei ausgeschlossener Rückgabe des Unter-
nehmens nach § 4 Abs. 1 Satz 2 VermG der Berechtigte gemäß § 6a Satz 1
VermG die Rückgabe derjenigen Vermögensgegenstände verlangen könne, die
sich im Zeitpunkt der Schädigung in seinem Eigentum befunden hätten oder an
deren Stelle getreten seien. Da sich im Zeitpunkt der Schädigung allein die Ge-
bäude und Freiflächen des Stadtguts L. im Eigentum der Revisionsführerin be-
funden hätten und diese nach Stilllegung des Betriebsteiles noch vorhanden
gewesen seien, seien allein diese Vermögensgegenstände zurückübertragen
worden. Ausweislich des § 11 Abs. 2 Satz 2 VZOG finde ein Ausgleich von
Verbesserungen und Verschlechterungen unbeschadet des Satzes 3 nicht statt.
Diese Regelungen gingen als Besonderheiten des Vermögenszuord-
nungsrechts den Regelungen des Vermögensgesetzes, insbesondere § 6
Abs. 6a Satz 2 VermG vor. Davon abgesehen hätten gemäß § 6 Abs. 6a Satz 2
letzter Halbsatz VermG die Verbindlichkeiten außer Betracht zu bleiben, die am
29. März 1991 unmittelbar oder mittelbar dem Bund, Ländern oder Gemeinden
oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts zugestanden
hätten. Das treffe für sämtliche hier geltend gemachten Forderungen zu.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen.
Die Beigeladene verteidigt das angefochtene Urteil. Sie trägt im Wesentlichen
vor: Auch bei Restitution eines stillgelegten Unternehmens sei die Übertragung
anteiliger betriebsbezogener Verbindlichkeiten möglich. § 1a Abs. 1 Satz 1
VZOG definiere parallel zur Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 1 VermG auch Un-
ternehmen als zurückzugebenden Vermögenswert. § 6 Abs. 6a VermG bestäti-
ge den Grundsatz, dass sich der Inhalt des Restitutionsanspruches selbst nicht
ändere, wenn Gegenstand der Restitution die Reste eines Unternehmens sei-
en. Bei einer Anwendung des § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG seien jedoch die Be-
sonderheiten der öffentlichen Restitution zu beachten. Einem öffentlich-
rechtlichen Restitutionsgläubiger könnten die Begünstigungen, die § 6 Abs. 6a
Satz 2 Teilsatz 5 VermG für private Restitutionsgläubiger enthalte, nicht zugute
kommen.
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II
Die Revision ist nicht begründet, da das angefochtene Urteil nicht auf einer Ver-
letzung von Bundesrecht beruht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die auf § 6 Abs. 6a
Satz 2 VermG gestützte Zuordnung der Verbindlichkeiten aus Grundmittelkredi-
ten, Abfindungszahlungen und Liquiditätsdarlehen an die Klägerin nicht zu be-
anstanden ist. Da der Klägerin mit dem bestandskräftigen Restitutionsbescheid
vom 17. Mai 1993 nicht einzelne Grundstücke, sondern Reste eines landwirt-
schaftlichen Unternehmens restituiert wurden, sind damit zugleich nicht nur die
grundstücksbezogenen, sondern auch unternehmensbezogene Verbindlichkei-
ten auf sie übergegangen.
1. Ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts
wurde der Klägerin mit dem „Stadtgut L.“ ein landwirtschaftlicher Betrieb und
damit ein Unternehmen im Sinne des § 1a Abs. 1 Satz 1 VZOG entzogen.
Der Begriff des Unternehmens im Vermögenszuordnungsrecht (§ 1a Abs. 1
Satz 1 VZOG) stimmt mit demjenigen des Vermögensrechts (§ 2 Abs. 2 Satz 2,
§ 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 VermG, § 1 URüV) überein. Nach § 1 Abs. 2 URüV
liegt ein Unternehmen in diesem Sinne auch vor, wenn es nach Art oder Um-
fang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb nicht er-
forderte und etwa den Betrieb der Land- und Forstwirtschaft zum Gegenstand
hatte. Damit sollen gerade Landwirtschaftsbetriebe erfasst werden, die als
Volkseigene Güter (VEG) fortgeführt wurden (BRDrucks 283/91 S. 25).
Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass das „Stadtgut
L.“ bis zu seiner Eingliederung in das VEG St. ein landwirtschaftlicher Betrieb
und damit ein Unternehmen war. Es hat ferner angenommen, dass die Ge-
meinde Weißensee Inhaberin des Unternehmens war, ungeachtet des Um-
stands, dass sie das Stadtgut regelmäßig verpachtet hatte und nur an den
Pachteinnahmen interessiert war. Das wird von der Revision nicht (mehr) an-
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gegriffen und ist rechtlich nicht zu beanstanden. Eine Gemeinde kann auch
dann Eigentümerin eines Unternehmens - also einer auf einen Erwerbszweck
ausgerichteten und hierfür gewidmeten Sachgesamtheit - sein, wenn sie es als
Ganzes verpachtet (vgl. VG Berlin, Urteil vom 16. Mai 1997 - VG 31 A 199.95 -
und hierzu BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 1997 - BVerwG 3 B 212.97 -).
Das Verwaltungsgericht hat schließlich - ohne dass insoweit Verfahrensrügen
erhoben worden sind und damit für den Senat bindend - festgestellt, dass der
Gemeinde dieses Unternehmen als solches entzogen wurde und nicht nur die
Grundflächen.
2. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht die Restitu-
tion, an die der umstrittene Übergang der Verbindlichkeiten anknüpft, als Un-
ternehmensrestitution entsprechend § 6 Abs. 6a VermG angesehen hat; denn
die rechtlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 6a Satz 1 Halbs. 1 VermG für
einen solchen Fall der Unternehmensrestitution waren - wiederum ausgehend
von den Feststellungen des Verwaltungsgerichts - erfüllt.
Die Rückübertragung des landwirtschaftlichen Guts L. war nach § 4 Abs. 1
Satz 2 VermG ausgeschlossen, weil es stillgelegt war und die tatsächlichen
Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs fehlten.
Zwar hat das Verwaltungsgericht den genauen Zeitpunkt der Stilllegung nicht
ermittelt, sondern nur darauf verwiesen, dass die Schweinemast zwischen 1989
und 1991 aufgegeben worden ist. Es verweist jedoch insoweit auf den Jahres-
abschlussbericht 1992 der Agrarproduktions GmbH Gut St. und das Wertgut-
achten des Sachverständigen H., denen sich entnehmen lässt, dass der Be-
triebsteil W.-L. insgesamt stillgelegt worden war, die Gebäude ungenutzt leer
standen sowie verschlissen und daher völlig wertlos waren. In diesen Feststel-
lungen findet die auch von der Revision nicht in Zweifel gezogene Einschätzung
des Verwaltungsgerichts, dass eine Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs
nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung nicht in Betracht kam, eine hin-
reichende Grundlage.
Das Unternehmen war im Zeitpunkt der Stilllegung - gleichgültig von welchem
Zeitpunkt man insoweit ausgeht - auch dem entzogenen Unternehmen ver-
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gleichbar, so dass auch in dieser Hinsicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 6a
Satz 1 Halbs. 1 VermG vorlagen. Das Stadtgut diente der Landwirtschaft; dabei
ist es auch nach seiner Eingliederung in das VEG St. geblieben. Die Aufnahme
der Schweinemast im Jahre 1970 stellt unter Berücksichtigung des technischen
Fortschritts und der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung allenfalls eine
unwesentliche Änderung des Produkt- oder Leistungsangebots dar (vgl. § 2
Abs. 1 Satz 2 URüV).
3. Ist das Verwaltungsgericht somit rechtsfehlerfrei von einer Unternehmens-
resterestitution ausgegangen, war die Zuordnung der umstrittenen Verbindlich-
keiten an die Klägerin rechtmäßig.
a) Gegenstand der öffentlichen Restitution nach Art. 21 Abs. 3 bzw. Art. 22
Abs. 1 Satz 7 i.V.m. Art. 21 Abs. 3 EV ist der entzogene Vermögenswert, wie er
steht und liegt. Nach Art. 11 Abs. 2 Satz 1 VZOG werden Vermögenswerte in
dem Zustand zurückübertragen, in dem sie sich im Zeitpunkt des Zuordnungs-
bescheides befinden. Unter „Zustand“ versteht das Gesetz in erster Linie den
rechtlichen Zustand (BTDrucks 12/5553 S. 171). Das schließt alle Verbindlich-
keiten und Berechtigungen ein, die konkret auf den Vermögensgegenstand be-
zogen sind. § 1a Abs. 1 Satz 2 VZOG stellt hierbei klar, dass dies nicht nur
dingliche Lasten und Berechtigungen umfasst, sondern auch Rechte und
Pflichten aus Schuldverhältnissen, soweit sie Gegenstand der Zuteilung nach
Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7 EV sind (Urteil vom 8. Juli 1994 - BVerwG
7 C 36.93 - BVerwGE 96, 231 <233 f.>; Beschluss vom 8. Juni 2007 - BVerwG
3 B 107.06 -).
§ 11 Abs. 2 Satz 2 VZOG lässt sich nicht entnehmen, dass der Übergang von
Verbindlichkeiten ausgeschlossen ist. Diese Vorschrift hat den tatsächlichen
Zustand des Vermögensgegenstands im Blick (BTDrucks 12/5553 S. 171) und
ordnet an, dass ein Ausgleich für Verbesserungen und Verschlechterungen, die
der Verfügungsberechtigte in der Vergangenheit vorgenommen hat, zwischen
dem Berechtigten und dem Verfügungsberechtigten grundsätzlich nicht stattfin-
det. Das lässt den Grundsatz, demzufolge der Vermögenswert zurückzuüber-
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tragen ist, wie er steht und liegt, also einschließlich der zugehörigen Verbind-
lichkeiten, unberührt (Urteil vom 8. Juli 1994 a.a.O. S. 238).
b) Wurde dem Berechtigten ein Grundstück entzogen und wird dieses zurück-
übertragen, hat der Berechtigte demgemäß die grundstücksbezogenen Ver-
bindlichkeiten zu übernehmen, allerdings auch nur diese. Selbst wenn das
Grundstück nach seiner Entziehung in ein Unternehmen einbezogen worden
sein sollte, haftet es nicht für betriebliche Verbindlichkeiten, die keinen konkre-
ten Bezug zu dem restituierten Vermögenswert aufweisen (Urteil vom 8. Juli
1994 a.a.O. S. 237).
Anders verhält es sich, wenn - wie hier - ein Unternehmen entzogen und Be-
triebsgrundstücke als Unternehmensreste zurückgegeben wurden. Eine Unter-
nehmensrückgabe umfasst stets alle Aktiva und Passiva des Unternehmens
(vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 URüV), also auch alle Unternehmensverbindlich-
keiten, für die das Unternehmensvermögen haftet. An dieser Haftung ändert
sich nichts, wenn statt des nicht rückgabefähigen Unternehmens nur dessen
Reste restituiert werden. Auch diese Reste haften den Gläubigern des Unter-
nehmens nach § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG für die Unternehmensschulden, weil
es sich nach wie vor um einen Fall der Unternehmensrückgabe handelt (vgl.
BTDrucks 13/7275 S. 47; Urteil vom 17. Dezember 1993 - BVerwG 7 C 5.93 -
Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 4, sowie - grundlegend - Urteil vom 13. Februar
1997 - BVerwG 7 C 54.96 - BVerwGE 104, 92; Urteil vom 27. April 2006
- BVerwG 7 C 12.05 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 67 m.w.N.; BGH, Urteil vom
4. März 2005 - V ZR 162/04 - ZOV 2005, 163). Dass diese vermögensrechtli-
chen Regeln im Vermögenszuordnungsrecht gleichermaßen Anwendung fin-
den, sofern die Besonderheiten des Vermögenszuordnungsrechts nicht zu Ab-
weichungen zwingen, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts geklärt (Urteil vom 6. April 1995 - BVerwG 7 C 11.94 - BVerwGE 98, 154,
<157 ff.>).
c) Da der in § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG zum Ausdruck kommende Gedanke des
Gläubigerschutzes ohne Weiteres auf das Vermögenszuordnungsrecht über-
tragbar ist, sind der Klägerin zu Recht nicht nur die den restituierten Grundstü-
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cken direkt zurechenbaren Verbindlichkeiten, sondern auch die darauf entfal-
lenden anteiligen Unternehmensschulden zugeordnet worden. Zwar trägt § 6
Abs. 6a Satz 2 VermG dem Gläubigerinteresse in der Weise Rechnung, dass
die Unternehmensreste nur gegen Zahlung eines Betrages in Höhe dieser Ver-
bindlichkeiten zurückgegeben werden dürfen. In dieser Form lässt sich der
Gläubigerschutz aber im Vermögenszuordnungsrecht nicht verwirklichen; denn
die Zuordnungsbehörde entscheidet nicht über das Bestehen der Verbindlich-
keiten. Eine Rückgabe Zug-um-Zug gegen die in § 6 Abs. 6a Satz 2 VermG
vorgesehene Ablösezahlung verbietet sich deshalb. Zudem geht es bei der Ver-
mögenszuordnung grundsätzlich um die Verteilung des bisherigen volkseigenen
Vermögens auf die verschiedenen Verwaltungsträger im gegliederten
Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland; dem Gläubigerschutz ist daher
schon mit der Bestimmung des neuen Schuldners genügt. Deshalb ist § 6
Abs. 6a Satz 2 VermG im Bereich der Vermögenszuordnung im Regelfall in der
Weise Rechnung zu tragen, dass die Zuordnungsbehörde dem Rückgabebe-
rechtigten gleichzeitig mit dem restituierten Vermögensgegenstand auch die
zugehörigen Verbindlichkeiten zuordnet.
d) Die Klägerin beruft sich auch zu Unrecht darauf, dass nach § 6 Abs. 6a
Satz 2 Teilsatz 5 VermG Verbindlichkeiten, die am 29. März 1991 - dem Tag
des Inkrafttretens des Privatisierungshemmnisbeseitigungsgesetzes - unmittel-
bar oder mittelbar dem Bund, Ländern oder Gemeinden oder einer anderen
juristischen Person des öffentlichen Rechts zustanden, außer Betracht bleiben.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Gläubiger der Verbindlichkeiten über-
haupt diese Voraussetzungen erfüllten, was die Beigeladene bestreitet; denn
die Regelung des § 6 Abs. 6a Satz 2 Teilsatz 5 VermG ist von ihrer Zielrichtung
her auf die private Restitution zugeschnitten und daher ohnehin nicht im Ver-
mögenszuordnungsrecht anwendbar. Der Vorschrift liegt die Wertung des Ge-
setzgebers zugrunde, dass das Befriedigungsinteresse dieser Gläubiger hinter
dem Restitutionsinteresse des Berechtigten zurückstehen müsse (BTDrucks
12/103 S. 30). In diese Wertung fließt ein, dass die private Restitution in aller
Regel der Wiedergutmachung staatlichen Unrechts dient (vgl. § 1 VermG) und
dass dies nicht durch Ansprüche des Staates selbst geschmälert werden solle.
Diese Wertung findet in der öffentlichen Restitution keine Entsprechung. Zwar
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liegt auch der öffentlichen Restitution eine Entziehung von Vermögenswerten
zugrunde, die von den betroffenen Körperschaften durchaus als Unrecht ange-
sehen werden konnte. Die öffentliche Restitution soll aber nicht vorrangig der
Abrechnung mit der Vergangenheit dienen, sondern eine Grundlage für die Zu-
kunft schaffen (Urteil vom 8. Juli 1994 a.a.O. S. 233). Ein Abgehen von der Re-
gel, dass die öffentliche Restitution auch die dem Vermögenswert zugehörigen
Verbindlichkeiten umfasst, lässt sich daher nicht rechtfertigen.
e) Auch die quotale Zuordnung der Verbindlichkeit aus einem Nach-Wende-
Kredit ist nicht zu beanstanden. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Unterneh-
men zum Zeitpunkt der Kreditgewährung bereits stillgelegt war, da maßgeben-
der Zeitpunkt für die zu übernehmenden Schulden auch bei der Unternehmens-
resterestitution nicht der Zeitpunkt der Stilllegung, sondern der Zeitpunkt der
Rückgabe ist (vgl. Urteil vom 27. April 2006 a.a.O.). Zwar sind gemäß § 6
Abs. 6a Satz 2 Teilsatz 4 VermG für die quotale Zurechnung die Verhältnisse
zum Zeitpunkt der Stilllegung dieses Betriebsteils maßgeblich, den das Verwal-
tungsgericht nicht genau festgestellt hat. Dadurch wird die Klägerin jedoch nicht
in ihren Rechten verletzt. Da der angegriffene Bescheid der Anteilsberechnung
die Verhältnisse Ende 1992 und damit eine Gesamtfläche des Guts von
778,6834 ha zugrunde legt, geht er von Voraussetzungen aus, die günstiger für
die Klägerin sind, als sie zuvor gegeben waren; denn im Jahre 1990 betrug die
Gesamtfläche des Guts noch 663,9505 ha, so dass ihr Anteil daran deutlich
höher ausfiele.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Kos-
ten der Beigeladenen sind der Klägerin aufzuerlegen, da die Beigeladene einen
eigenen Antrag gestellt und sich damit dem Kostenrisiko einer für sie ungünsti-
gen Entscheidung ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Kley
van Schewick
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Vermögenszuordnung
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
EV
Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7
VZOG
§ 1a Abs. 1; § 11 Abs. 2
VermG
§ 6 Abs. 6a
Stichworte:
Vermögenszuordnung; öffentliche Restitution; Rückübertragung; Vermögens-
zuordnung; Unternehmensrestitution; Unternehmensresterestitution; Zuordnung
von Verbindlichkeiten; Verbindlichkeiten öffentlich-rechtlicher Gläubiger; quotale
Zurechnung.
Leitsatz:
§ 6 Abs. 6a Satz 2 VermG ist im Bereich der Vermögenszuordnung im Regelfall
in der Weise Rechnung zu tragen, dass die Zuordnungsbehörde dem Rückga-
beberechtigten gleichzeitig mit dem restituierten Vermögensgegenstand auch
die zugehörigen Verbindlichkeiten zuordnet.
§ 6 Abs. 6a Satz 2 Teilsatz 5 VermG ist im Vermögenszuordnungsrecht nicht
anwendbar.
Urteil des 3. Senats vom 25. Juli 2007 - BVerwG 3 C 19.06
I. VG Berlin vom 20.10.2005 - Az.: VG 27 A 47/03 -