Urteil des BVerwG vom 30.06.2011

Kontingentierung, Dienstleistungsfreiheit, Warenverkehrsfreiheit, Republik

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 18.10
VG 1 A 114.08
Verkündet
am 30. Juni 2011
Bärhold
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Buchheister, Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Klägerinnen gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. Februar 2010 werden
zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Revisionsverfah-
rens je zur Hälfte.
G r ü n d e :
I
Die Klägerinnen wenden sich gegen die Kontingentierung von Einzelfahrtge-
nehmigungen für den Güterkraftverkehr zwischen der Türkei und Deutschland.
Die Klägerin zu 2 ist ein in der Türkei ansässiger Hersteller von Fahrzeugteilen.
Sie unterhält eigene in der Türkei zugelassene Lastkraftwagen mit Fahrern, die
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die dort hergestellten Teile zur Montage in das in Deutschland gelegene Werk
der Klägerin zu 1 - einer Tochtergesellschaft der Klägerin zu 2 - transportieren,
solange das Kontingent an Einzelfahrtgenehmigungen für Fahrten aus der Tür-
kei nach Deutschland nicht erschöpft ist. Die Klägerin zu 2 benötigt dafür jedes
Jahr mehr Fahrten, als ihr durch dieses Kontingent ermöglicht werden. Deshalb
bringt sie schon im Juli und August jedes Jahres mehr Fahrzeugteile in das
Werk der Klägerin zu 1 als aktuell nötig, damit dort in den Monaten November
und Dezember die Montage nicht zum Erliegen kommt. Für die Lagerung dieser
Teile entstehen der Klägerin zu 1 Mehrkosten. Auch muss die Klägerin zu 2
nach der Erschöpfung des Kontingents, das für in der Türkei zugelassene
Fahrzeuge zur Verfügung steht, Transportunternehmen in Bulgarien oder
Deutschland mit der Abholung der Komponenten in der Türkei beauftragen; das
führt zu einer Erhöhung der Transportkosten.
Das Kontingent für die Einzelfahrtgenehmigungen wird seit dem Jahr 1977 jähr-
lich auf der Grundlage des Abkommens zwischen der Regierung der Bundes-
republik Deutschland und der Regierung der Republik Türkei über den grenz-
überschreitenden Personen- und Güterverkehr auf der Straße vom
8. September 1977 (BGBl II S. 1173) - im Folgenden: bilaterales Abkommen -
von einer deutsch-türkischen Gemischten Kommission festgesetzt. Für das
Jahr 2007 belief sich das Kontingent auf 151 500 Einzelfahrtgenehmigungen; in
den Folgejahren wurde es kontinuierlich erhöht auf 170 000 Einzelfahrtgeneh-
migungen für das Jahr 2011.
Die Festsetzung der Kontingente durch die Gemischte Kommission ersetzt die
Kontingentierung des Güterkraftverkehrs mit in der Türkei zugelassenen Last-
kraftwagen, die die Beklagte seit dem Jahr 1976 wieder aufgenommen hat,
nachdem sie die Kontingentierung zuvor zunächst bis 1970 und danach auf
unbestimmte Zeit ausgesetzt hatte. Bis zum 1. Januar 1993 war auch der Gü-
terkraftverkehr zwischen den EG-Mitgliedstaaten kontingentiert.
Die Klage, mit der die Klägerinnen die Feststellung begehrt haben, dass die
Nichterteilung weiterer Einzelfahrtgenehmigungen an sie nach Erschöpfung des
jährlich festgesetzten Kontingents rechtswidrig sei, hat das Verwaltungsgericht
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abgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt: Die Klage sei zulässig. Die Ent-
scheidung des Bundesministeriums für Verkehr über die Zahl der Einzelfahrt-
genehmigungen für den Güterkraftverkehr türkischer Unternehmen nach
Deutschland unterliege der deutschen Gerichtsbarkeit. Für die von den Kläge-
rinnen erhobene Feststellungsklage bestehe auch das erforderliche Rechts-
schutzbedürfnis. Die Klage sei aber unbegründet. Die Kontingentierung der
Einzelfahrtgenehmigungen verstoße nicht gegen die Bestimmungen des Zu-
satzprotokolls zum Assoziierungsabkommen über die Dienstleistungsfreiheit im
Verkehrsbereich. Der Assoziationsrat habe noch keine Beschlüsse über deren
Ausdehnung im Verhältnis zur Türkei getroffen; das sei aber die Voraussetzung
dafür, dass sich türkische Unternehmen auf die Dienstleistungsfreiheit berufen
könnten. Die unmittelbar anwendbare Stillhalteklausel
satzprotokolls werde durch die Kontingentierung ebenfalls nicht verletzt. Sie
verbiete zwar die Einführung neuer Maßnahmen, die türkische Staatsangehöri-
ge verglichen mit der Situation beim Inkrafttreten des Zusatzprotokolls schlech-
ter stellten. Die Reichweite der Stillhalteklausel werde aber durch Art. 59 des
Zusatzprotokolls begrenzt, wonach der Türkei keine günstigere Behandlung
gewährt werden dürfe als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander
einräumten. Zwar seien zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls
am 1. Januar 1973 die Einzelfahrtgenehmigungen für LKW-Transporte aus der
Türkei nach Deutschland mengenmäßig nicht beschränkt gewesen, doch hätte
das deutsche Recht jederzeit die Einführung einer Kontingentierung erlaubt. Es
könne dahinstehen, ob schon das die Annahme trage, die anschließende Ein-
führung von Kontingenten auf bilateraler Grundlage sei keine neue Beschrän-
kung für türkische Transporteure. Denn jedenfalls hätten sie bei einer Berufung
auf die Stillhalteklausel eine bessere Rechtsstellung erlangt, als sie den EG-
Mitgliedstaaten bei Inkrafttreten des deutsch-türkischen Abkommens im Jahr
1977 eingeräumt gewesen sei. Im innergemeinschaftlichen Güterkraftverkehr
seien die mengenmäßigen Beschränkungen nämlich erst zum 1. Januar 1993
aufgehoben worden. Insofern komme es allein darauf an, ob es zwischen
Deutschland und den damaligen Mitgliedstaaten eine Kontingentierung gege-
ben habe, nicht aber auf die Höhe der Kontingente und darauf, inwieweit sie
dem tatsächlichen Bedarf an Genehmigungen entsprochen hätten. Die Rege-
lung im bilateralen Abkommen sei auch mit der Aufhebung der innergemein-
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schaftlichen Kontingentierungen im Jahr 1993 nicht europarechtswidrig gewor-
den. Die Stillhalteklausel in Art. 41 des Zusatzprotokolls begründe eine reine
Unterlassungspflicht und verpflichte nicht dazu, eine gegenüber dem Assoziati-
onspartner rechtmäßig eingeführte Beschränkung wieder aufzuheben, sobald
die Integration des Binnenmarktes im Bereich des Güterkraftverkehrs weiter
vorangeschritten sei. Schließlich werde durch die Kontingentierung der Einzel-
fahrtgenehmigungen für die Fahrten aus der Türkei nach Deutschland auch die
Warenverkehrsfreiheit
ziationsrates über die Durchführung der Endphase der Zollunion nicht verletzt.
Zwar seien danach mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maß-
nahmen gleicher Wirkung zwischen den Vertragsparteien verboten; auch führe
die Kontingentierung zu einer mittelbaren Beschränkung der Warenverkehrs-
freiheit. Das sei aber eine notwendige Folge der zulässigen Beschränkung der
Dienstleistungsfreiheit der Transporteure und deshalb gerechtfertigt.
Zur Begründung ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision
machen die Klägerinnen
welche Kontingente in den Jahren vor dem 1. Januar 1993 zwischen den EWG-
Mitgliedstaaten vereinbart gewesen seien und inwieweit diese Kontingente dem
tatsächlichen Bedarf an Genehmigungen entsprochen hätten. Tatsächlich habe
es sich nämlich um bloße „Papierkontingente“ gehandelt, die keine reale Ein-
schränkung bewirkt hätten. Deshalb treffe die Annahme des Verwaltungsge-
richts nicht zu, die Aussetzung der Kontingentierung zwischen Deutschland und
der Türkei habe deren Besserstellung gegenüber den EG-Mitgliedstaaten be-
deutet. Die mit dem bilateralen Abkommen von 1977 eingeführte Kontingentie-
rung der Einzelfahrtgenehmigungen verstoße gegen die Stillhalteklausel in
Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen, nachdem
die gesetzlich vorgesehene Kontingentierung vorher nicht angewandt worden
sei. Abzustellen sei dabei auf die jährlichen Festsetzungen in der Gemischten
Kommission. Jedenfalls sei eine eventuelle Besserstellung der Türkei durch die
Beseitigung der Kontingentierungen zwischen den EG-Mitgliedstaaten spätes-
tens mit dem 1. Januar 1993 entfallen. Die Kontingentierung im Verhältnis zur
Türkei führe damit zu einer unzulässigen Beschränkung des Dienstleistungs-
verkehrs. Vor allem aber sei sie als Maßnahme gleicher Wirkung mit der in
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Art. 4 und 5 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/95 garantierten Warenver-
kehrsfreiheit unvereinbar, die nach dem Eintritt in die Endphase der Zollunion
mit der Türkei uneingeschränkt gelte und gegenüber der Dienstleistungsfreiheit
vorrangig sei.
Die Beklagte tritt den Revisionen entgegen.
II
Die Revisionen der Klägerinnen sind unbegründet. Die Entscheidung des Ver-
waltungsgerichts verstößt nicht gegen revisibles Bundes- oder Europarecht
(§ 137 Abs.1 Nr. 1 VwGO).
Die Erlaubnispflichtigkeit der von der Klägerin zu 2 durchgeführten Transporte
ergibt sich aus § 3 Abs. 1 des Güterkraftverkehrsgesetzes - GüKG - vom
22. Juni 1998 (BGBl I S. 1485), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom
31. Juli 2010 (BGBl I S. 1057). Danach ist der gewerbliche Güterkraftverkehr
- also die geschäftsmäßige oder entgeltliche Beförderung von Gütern mit Kraft-
fahrzeugen, die einschließlich Anhängern ein höheres zulässiges Gesamtge-
wicht als 3,5 Tonnen haben (vgl. § 1 Abs. 1 GüKG) - erlaubnispflichtig, soweit
sich nicht aus dem unmittelbar geltenden europäischen Gemeinschaftsrecht
etwas anderes ergibt. Das ist hier nicht der Fall. Die Klägerin zu 2 verfügt nach
den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts über keine der in § 6
GüKG genannten Berechtigungen, die einen Unternehmer, der seinen Sitz
nicht im Inland hat, für den grenzüberschreitenden Güterverkehr von der Er-
laubnispflicht nach § 3 befreien. Nach § 1 Abs. 2 GüKG genehmigungsfreier
Werkverkehr liegt schon deshalb nicht vor, weil die Klägerin zu 2 bei den Fahr-
ten auch Transportgut Dritter mitnimmt.
Das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei ge-
schlossene bilaterale Abkommen bestätigt die Erlaubnispflichtigkeit der hier in
Rede stehenden Transporte; nach dessen Art. 6 Abs. 1 bedürfen Kraftfahrzeu-
ge, die in einem der beiden Staaten zugelassen sind, für Beförderungen zwi-
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schen den beiden Staaten oder durch den anderen Staat einer Genehmigung
dieses Staates. Die Genehmigungen nach Art. 6 werden gemäß Art. 9
1. Spiegelstrich dieses Abkommens an türkische Unternehmer für in der Repu-
blik Türkei zugelassene Kraftfahrzeuge durch den Bundesminister für Verkehr
der Bundesrepublik Deutschland erteilt und von dem Ministerium für Verkehr
der Republik Türkei ausgegeben. Aus Art. 6 Abs. 2 dieses Abkommens ergibt
sich, dass Einzelfahrtgenehmigungen für einen Güterkraftverkehr, wie ihn die
Klägerin zu 2 beabsichtigt, nur in begrenzter Zahl zur Verfügung stehen. Da-
nach vereinbaren die zuständigen Behörden in der Gemischten Kommission
auf der Grundlage der Gegenseitigkeit ein Kontingent der Fahrtgenehmigun-
gen, das jeder Vertragspartei in gleicher Höhe zur Verfügung steht.
Die Beklagte wird durch Europarecht nicht daran gehindert, sich auf diese
Höchstzahlen zu berufen und darüber hinausgehende Einzelfahrtgenehmigun-
gen zu verweigern. Die Klägerinnen machen zu Unrecht geltend, dass die Kon-
tingentierung der Einzelfahrtgenehmigungen einen Verstoß gegen die Dienst-
leistungsfreiheit begründet (1.) oder jedenfalls die Stillhalteklausel nach Art. 41
Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen verletzt (2.). Die
Warenverkehrsfreiheit, die die Klägerinnen heranziehen, ist nicht Überprü-
fungsmaßstab (3.). All das ergibt sich bereits mit der erforderlichen Eindeutig-
keit („acte clair“) aus der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Ge-
richtshofs, so dass es keiner Vorlage nach Art. 267 AEUV bedarf (4.).
1. Die Klägerinnen können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Kon-
tingentierung der Einzelfahrtgenehmigungen für den Güterkraftverkehr zwi-
schen der Türkei und Deutschland sie in ihrer Dienstleistungsfreiheit verletzt.
In Art. 14 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Euro-
päischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei vom 12. September
1963 (ABl L 217 vom 29. Dezember 1964 S. 3687) - im Folgenden: Assoziie-
rungsabkommen - vereinbaren die Vertragsparteien, sich von den Art. 55, 56
und 58 bis 65 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen,
um untereinander die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs auf-
zuheben. Art. 41 Abs. 2 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen,
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das am 23. November 1970 unterzeichnet und durch die Verordnung (EWG)
Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 geschlossen, bestätigt und
gebilligt wurde (ABl L 293 vom 29. Dezember 1972 S. 4), sieht - soweit hier von
Belang - vor, dass der Assoziationsrat nach den Grundsätzen des Art. 14 des
Assoziierungsabkommens die Zeitenfolge und die Einzelheiten festsetzt, nach
denen die Vertragsparteien die Beschränkungen des freien Dienstleistungsver-
kehrs untereinander schrittweise beseitigen. Gemäß Art. 42 des Zusatzproto-
kolls dehnt der Assoziationsrat die Bestimmungen des Vertrages zur Gründung
der Gemeinschaft, die den Verkehr betreffen, entsprechend den von ihm vor
allem unter Berücksichtigung der geographischen Lage der Türkei festgelegten
Einzelheiten auf die Türkei aus; er kann unter den gleichen Bedingungen die
Akte, welche die Gemeinschaft zur Durchführung dieser Bestimmungen für den
Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr erlassen hat, auf die Türkei
ausdehnen. Diese Regelungen setzen demnach für eine Erstreckung der
Dienstleistungsfreiheit auf die Türkei Umsetzungsakte voraus - sei es durch
den Assoziationsrat, sei es durch die Vertragsparteien selbst -, so dass ihnen
insoweit keine unmittelbare Wirksamkeit zuerkannt werden kann (vgl. EuGH,
Urteile vom 11. Mai 2000 - Rs. C-37/98, Savas - Slg. I-2927, Rn. 45 und vom
19. Februar 2009 - Rs. 228/06, Soysal und Savatli - Slg. I-1031 = NVwZ 2009,
139 Rn. 16). Entsprechende Beschlüsse des Assoziationsrats sind bisher nicht
ergangen (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Oktober 2003 - Rs. C-317/01 und
C-369/01, Abatay u.a. - InfAuslR 2004, 32 Rn. 95 ff. und vom 19. Februar 2009
a.a.O. Rn. 16).
2. Der von den Klägerinnen geltend gemachte Verstoß gegen die Stillhalteklau-
sel in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG-
Türkei liegt nicht vor.
Nach dieser Regelung werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen
Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsver-
kehrs einführen. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist ge-
klärt, dass diese Vorschrift in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung hat, so
dass sich türkische Staatsangehörige - und entsprechende juristische Perso-
nen - , auf die sie anwendbar ist, vor den nationalen Gerichten auf die durch
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Art. 41 Abs. 1 verliehenen Rechte berufen können, um die Anwendung entge-
genstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts auszuschließen. Diese
Bestimmung „enthält nämlich eine klare, präzise und nicht an Bedingungen ge-
knüpfte, eindeutige Stillhalteklausel, die eine Verpflichtung der Vertragsparteien
begründet, die rechtlich eine reine Unterlassungspflicht ist“ (so u.a. EuGH,
Urteile vom 20. September 2007 - Rs. C-16/05, Tum und Dari - Slg. I-7415 =
NVwZ 2008, 61 Rn. 46 und vom 19. Februar 2009 a.a.O. Rn. 45, m.w.N.). Der
Europäische Gerichtshof sieht in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls keine ma-
teriellrechtliche Regelung, die selbst ein Recht auf Dienstleistungsfreiheit ver-
schafft, sondern eine verfahrensrechtliche Vorschrift, die in zeitlicher Hinsicht
festlegt, nach welchen mitgliedstaatlichen Regelungen die Situation eines Prä-
tendenten zu beurteilen ist, der in dem betreffenden Mitgliedstaat Dienstleis-
tungen erbringen will (EuGH, Urteil vom 20. September 2007 a.a.O. Rn. 55).
Die Stillhalteklausel des Art. 41 Abs. 1 verwehrt es einem Mitgliedstaat, neue
Maßnahmen zu erlassen, die zum Zweck oder zur Folge haben, dass die
Erbringung von Dienstleistungen in diesem Mitgliedstaat strengeren Vorausset-
zungen als denjenigen unterworfen wird, die zu dem Zeitpunkt galten, als dort
das Zusatzprotokoll in Kraft trat (EuGH, Urteil vom 20. September 2007 a.a.O.
Rn. 49 und 53 zur Niederlassungsfreiheit und Urteil vom 19. Februar 2009
a.a.O. Rn. 47 zur Dienstleistungsfreiheit). Dass der Europäische Gerichtshof
inzwischen zur vergleichbaren Stillhalteklausel in Art. 13 des Beschlusses
Nr. 1/80 des Assoziationsrats entschieden hat, dass mit Blick auf das Ziel der
Stillhalteklauseln nicht nur der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls
maßgeblich sein könne, sondern es auch auf für türkische Staatsangehörige
nach diesem Zeitpunkt gewährte Erleichterungen ankomme (Urteil vom 9. De-
zember 2010 - Rs. C-300/09 und C-301/09, Toprak und Oguz - NVwZ 2011,
349 Rn. 51 ff.), ändert für den vorliegenden Fall nichts; die hier in Rede ste-
hende Erleichterung, die Aussetzung der Kontingentierung, galt bereits zum
Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls. Nach der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs obliegt den für die Auslegung des nationalen
Rechts allein zuständigen nationalen Gerichten festzustellen, ob die auf den
Betroffenen angewandte nationale Regelung seine Situation im Verhältnis zu
den Vorschriften erschwert, die für ihn bislang in diesem Mitgliedstaat galten
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(EuGH, Urteile vom 11. Mai 2000 a.a.O. Rn. 70 und vom 9. Dezember 2010
a.a.O. Rn. 61).
Ausgehend davon hat die Wiedereinführung der Kontingentierung zwar eine
Verschlechterung der Situation für türkische Transporteure zur Folge gehabt;
ein Verstoß gegen die Stillhalteklausel ist damit dennoch nicht verbunden, weil
sie - wie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ebenfalls ge-
klärt ist - ihrerseits durch das Besserstellungsverbot nach Art. 59 des Zusatz-
protokolls beschränkt wird.
Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsab-
kommen in der Bundesrepublik Deutschland am 1. Januar 1973 (BGBl II 1972
S. 385) waren die Einzelfahrtgenehmigungen für Transporte mit in der Türkei
zugelassenen Lastkraftwagen nach Deutschland keiner Kontingentierung un-
terworfen. Allerdings war dieser Verkehr auch bereits zum damaligen Zeitpunkt
gemäß § 8 Abs. 1 GüKG in der seinerzeit maßgeblichen Fassung sowie gemäß
§ 1 und § 2 Abs. 2 der Verordnung über den grenzüberschreitenden Güter-
kraftverkehr ausländischer Unternehmer vom 19. Dezember 1968 (BGBl I
S. 1364) genehmigungspflichtig; die Genehmigung war nach § 10 Abs. 3 GüKG
a.F. zu versagen, wenn sie mit dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhal-
tung eines geordneten Güterfernverkehrs unvereinbar war. Auch wenn das
- wie die Beklagte geltend macht - eine Kontingentierung der Genehmigungen
im Verhältnis zur Türkei jederzeit ermöglicht hätte, besteht doch ein rechtser-
heblicher Unterschied zwischen der bloßen Möglichkeit einer Kontingentierung
und deren tatsächlicher Einführung. Eine Kontingentierung für Fahrten mit in
der Türkei zugelassenen Kraftfahrzeugen nach Deutschland ist durch die deut-
sche Seite erst am 15. Januar 1976 wieder eingeführt worden; im Anschluss
daran wurden Kontingente durch die Gemischte Kommission auf der Grundlage
des bilateralen Abkommens vom 8. September 1997 festgesetzt. Darin, dass
sich die Bedingungen für türkische Transporteure nachträglich verschlechtert
haben, läge - wäre Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls isoliert zu betrachten -
ein Verstoß gegen die Stillhalteklausel.
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Zu berücksichtigen ist jedoch die Beschränkung, die diese Klausel durch das
Besserstellungsverbot in
EuGH, Urteile vom 17. September 2009 a.a.O. Rn. 67 ff. und vom 19. Februar
2009 a.a.O. Rn. 61). Nach dieser Regelung darf in den von diesem Protokoll
erfassten Bereichen der Türkei keine günstigere Behandlung gewährt werden
als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander auf Grund des Vertra-
ges zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Der Güterkraftverkehr zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland zu den anderen EWG-Mitgliedstaaten
war jedoch sowohl bei Inkrafttreten des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsab-
kommen am 1. Januar 1973 als auch in der Zeit danach bis zum 1. Januar
1993, dem Zeitpunkt der Einführung von Gemeinschaftslizenzen nach Art. 3
der Verordnung (EWG) Nr. 881/92 des Rates vom 26. März 1992 über den Zu-
gang zum Güterkraftverkehrsmarkt in der Gemeinschaft für Beförderungen aus
oder nach einem Mitgliedstaat oder durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten
(ABl L 95 vom 9. April 1992 S. 1), kontingentiert. Infolgedessen waren die türki-
schen Transportunternehmen in diesem Zeitraum hinsichtlich solcher Ver-
kehrsdienstleistungen bessergestellt als entsprechende Unternehmen aus den
Mitgliedstaaten. Das wurde erst mit der (Wieder-)Einführung von Kontingenten
für den Güterkraftverkehr aus der Türkei korrigiert; erst damit wurde ein Gleich-
klang mit der im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten bestehenden Rechts-
lage hergestellt. Deshalb können die Klägerinnen daraus, dass sich im Ergeb-
nis die Rechtsstellung türkischer Transporteure verschlechtert hat, nichts ge-
winnen. Sie können sich auf ihre vorangegangene Besserstellung nicht beru-
fen, weil diese gegenüber den Mitgliedstaaten nicht im Einklang mit den euro-
parechtlichen Vorgaben für das Assoziationsverhältnis stand. Dementspre-
chend hat der Europäische Gerichtshof in der Stillhalteklausel - im damaligen
Fall derjenigen in Art. 13 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 - keinen
Hinderungsgrund dafür gesehen, dass ein Mitgliedstaat gegenüber türkischen
Staatsangehörigen eine Gebührenpflicht einführt, die zum Zeitpunkt des Inkraft-
tretens des Zusatzprotokolls noch nicht bestand, wenn entsprechende Amts-
handlungen für Gemeinschaftsangehörige bereits gebührenpflichtig waren und
damit gegen das Verbot einer Besserstellung gegenüber den Gemeinschafts-
angehörigen verstoßen wurde (vgl. Urteil vom 17. September 2009 a.a.O.
Rn. 67 ff.).
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Mit ihrer Rüge, das Verwaltungsgericht habe nicht geprüft, ob es sich bei der
Kontingentierung zwischen den EWG-Mitgliedstaaten um eine tatsächliche Be-
schränkung des Güterkraftverkehrs oder um bloße „Papierkontingente“ gehan-
delt habe, bleiben die Klägerinnen ohne Erfolg. Wäre darin eine bloße Verfah-
rensrüge zu sehen, ergäbe sich das schon daraus, dass eine Sprungrevision
gemäß § 134 Abs. 4 VwGO nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden
kann (vgl. Urteil vom 10. Oktober 2002 - BVerwG 6 C 8.01 - BVerwGE 117, 93
<110 f.>). Doch steht hinter diesem Einwand der Klägerinnen auch die mate-
riellrechtliche Rüge, dass das Verwaltungsgericht bei der Anwendung von
Art. 59 des Zusatzprotokolls von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab
ausgegangen ist. Dieser Einwand ist jedoch unbegründet. Auch der Europäi-
sche Gerichtshof stellt in seiner Rechtsprechung auf die Regelungen als solche
und das sich daraus ergebende Integrationsniveau ab (vgl. u.a. Urteil vom
17. September 2009 a.a.O. Rn. 67). Dementsprechend kommt es hier auf die
Festlegung einer Kontingentierung von Einzelfahrtgenehmigungen im bilatera-
len Abkommen selbst an und nicht auf die in Vollzug dieser Grundentscheidung
jährlich von der Gemischten Kommission konkret festgesetzten Höchstzahlen.
Ebenso wenig folgt ein Verstoß gegen Art. 41 Abs. 1 i.V.m. Art. 59 des Zusatz-
protokolls daraus, dass die Kontingentierung für den Güterfernverkehr zwi-
schen den EU-Mitgliedstaaten zum 1. Januar 1993 entfallen ist. Die Bundesre-
publik Deutschland wird durch Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls nicht dazu
verpflichtet, im gleichen Maße im Verhältnis zur Türkei noch bestehende Be-
schränkungen bei der Erbringung von Verkehrsdienstleistungen zu beseitigen.
Wie bereits oben dargelegt, nimmt der Europäische Gerichtshof in ständiger
Rechtsprechung an, dass es sich bei der Stillhalteklausel des Art. 41 Abs. 1 um
eine reine Unterlassungspflicht handelt (vgl. u.a. Urteile vom 11. Mai 2000
a.a.O. Rn. 46 f.; vom 20. September 2007 a.a.O. Rn. 46 und vom 19. Februar
2009 a.a.O. Rn. 45).
3. Schließlich können die Klägerinnen gegen die Kontingentierung der Einzel-
fahrtgenehmigungen nicht mit Erfolg anführen, dass damit die Warenverkehrs-
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freiheit zwischen der Türkei und der Bundesrepublik Deutschland in unzulässi-
ger Weise beschränkt werde.
Nach Art. 5 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/95 sind mengenmäßige Ein-
fuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den
Vertragsparteien verboten. Die Heranführung der Türkei an die Gemeinschaft
im Rahmen der Assoziierung ist somit in Bezug auf die Warenverkehrsfreiheit
erheblich weiter vorangeschritten als hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit.
Das ist zugleich der Hintergrund für den Einwand der Klägerinnen, die Kontin-
gentierung der Einzelfahrtgenehmigungen stelle eine Maßnahme gleicher Wir-
kung in Bezug auf den freien Warenverkehr zwischen der Türkei und der Bun-
desrepublik Deutschland dar und sei daher unzulässig. Dieser Einwand geht
aber deshalb fehl, weil die Warenverkehrsfreiheit nicht Maßstab für die Über-
prüfung der Unionsrechtskonformität der streitigen Kontingentierung von Einzel-
fahrtgenehmigungen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäi-
schen Gerichtshofs ist, wenn eine nationale Maßnahme neben dem freien
Dienstleistungsverkehr noch eine weitere der Grundfreiheiten beschränkt, diese
Maßnahme grundsätzlich nur im Hinblick auf eine dieser Grundfreiheiten zu
überprüfen, wenn im konkreten Fall eine der beiden Freiheiten im Vergleich zu
der anderen völlig zweitrangig ist und dieser zugeordnet werden kann
(vgl. EuGH, Urteil vom 22. Januar 2002 - Rs. C-390/99, Canal Satélite Digital
SL - Slg. I-607 = DVBl 2002, 459 Rn. 31 f. m.w.N.). Diese Voraussetzungen
sind hier im Verhältnis der vorrangig betroffenen Dienstleistungsfreiheit zur al-
lenfalls mittelbar und am Rande berührten Warenverkehrsfreiheit erfüllt. Zwar
setzt die Freiheit des Warenverkehrs naturgemäß immer auch den Transport
der Waren voraus. Doch begrenzt die hier streitige Kontingentierung der Einzel-
fahrtgenehmigungen nur die von den Klägerinnen angestrebte Erbringung von
Transportdienstleistungen gerade durch die in der Türkei zugelassenen Last-
kraftwagen der Klägerin zu 2. Dagegen bleibt die Einfuhr der von der Klägerin
zu 2 in der Türkei hergestellten Fahrzeugteile nach Deutschland und damit der
entsprechende Warenverkehr bei einer Inanspruchnahme deutscher Trans-
portunternehmer oder von Transportunternehmen aus anderen Mitgliedstaaten
ohne Weiteres möglich. Aus der Warenverkehrsfreiheit ergibt sich indes nur ein
Anspruch darauf, dass der Warenaustausch als solcher nicht begrenzt wird,
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nicht aber darauf, dass die Transporte in einer bestimmten Art und Weise
durchgeführt werden können.
Diese Bewertung des Verhältnisses der Dienstleistungs- und der Warenver-
kehrsfreiheit deckt sich mit der Einordnung, die das Bundesverfassungsgericht
bei einer vergleichbaren Sachlage vorgenommen hat. Dort ging es um die Ge-
nehmigungspflichtigkeit des Güterfernverkehrs nach § 8 GüKG a.F.; nach die-
ser Regelung ist Güterfernverkehr im Sinne des § 3, also jede Beförderung von
Gütern mit einem Kraftfahrzeug über die Grenzen der Nahzone hinaus oder
außerhalb dieser Grenzen, genehmigungspflichtig. Das Bundesverfassungsge-
richt hat den Einwand, diese Genehmigungspflicht verstoße gegen die Waren-
verkehrsfreiheit, mit der Feststellung zurückgewiesen, die Genehmigungspflicht
stelle offensichtlich keine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung oder Maßnah-
me gleicher Wirkung im Sinne von Art. 30 EWG-Vertrag (heute Art. 34 AEUV)
dar. Es sei weder erkennbar, dass die Einfuhr von Waren verboten oder nach
Menge, Wert oder Zeitraum begrenzt würde, noch dass es sich um eine Maß-
nahme gleicher Wirkung handle (Beschluss vom 16. November
1990 - 2 BvR 1356/88 - LRE 26, 12).
Aus dem von den Klägerinnen herangezogenen Urteil des Europäischen Ge-
richtshofs vom 15. November 2005 - Rs. C-320/03, Kommission ./. Republik
Österreich - (Slg. I-9871 = DVBl 2006, 103) ergibt sich nichts anderes. Dort hat-
te der Europäische Gerichtshof eine Behinderung des freien Warenverkehrs
und insbesondere der freien Warendurchfuhr darin gesehen, dass der Landes-
hauptmann von Tirol ein Fahrverbot für bestimmte Güter befördernde Last-
kraftwagen auf einem Teilstück der Inntalautobahn verhängt hatte und damit
auf einem Straßenabschnitt von überragender Bedeutung, der einer der wich-
tigsten terrestrischen Verbindungswege zwischen Süddeutschland und Nordita-
lien ist. Der Umstand, dass es möglicherweise Ausweichstrecken oder andere
Verkehrsträger gebe, auf denen sich die betreffenden Güter befördern ließen,
sei nicht geeignet, das Bestehen einer Behinderung auszuschließen (a.a.O.
Rn. 67). Daraus lässt sich indes für den vorliegenden Fall nichts im Sinne der
Klägerinnen gewinnen. Denn im Fall der vorübergehenden Sperrung einer we-
sentlichen Transitstrecke steht die Beeinträchtigung der Warenverkehrs- und
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nicht die der Dienstleistungsfreiheit im Vordergrund, so dass sich der Europäi-
sche Gerichtshof unter Anwendung seiner „Schwerpunkt-Rechtsprechung“ fol-
gerichtig auf die Prüfung beschränkt hat, ob der Eingriff in die Warenverkehrs-
freiheit gerechtfertigt war. Dementsprechend beziehen sich auch seine Ausfüh-
rungen, auf die sich die Klägerinnen berufen, auf die Warenverkehrs- und nicht
auf die Dienstleistungsfreiheit.
Auch der Umstand, dass nach der Präambel und Art. 1 des Assoziationsrats-
beschlusses Nr. 1/95 die Zollunion mit der Türkei in ihre Endphase eingetreten
ist, führt nicht dazu, dass die damit hergestellte Warenverkehrsfreiheit als die
alles beherrschende Grundfreiheit anzusehen wäre, an der - wie die Klägerin-
nen meinen - auch die im Bereich der Dienstleistungsfreiheit zu gewährende
Freiheit von Beschränkungen auszurichten sei. Für diese Annahme findet sich
im genannten Assoziationsratsbeschluss keine rechtliche Grundlage. Vielmehr
lassen Wortlaut und Systematik des Assoziierungsabkommens (vgl. Art. 2
Abs. 2 in Bezug auf die Herstellung der Zollunion einerseits und Art. 14 in Be-
zug auf die Dienstleistungsfreiheit andererseits) und des Zusatzprotokolls ein-
deutig erkennen, dass es sich dabei um zwei unterschiedliche Regelungsberei-
che handelt, die sich nach dem Verständnis der Vertragsparteien unterschied-
lich entwickeln können, soweit es um die Beseitigung von Beschränkungen im
Verhältnis zur Türkei geht. Ebenso wenig führt die Herstellung der Warenver-
kehrsfreiheit im Verhältnis zur Türkei dazu, dass das Besserstellungsverbot in
Art. 59 des Zusatzprotokolls seine beschränkende Wirkung in Bezug auf die
Stillhalteklausel verliert. Das belegt das bereits in anderem Zusammenhang
genannte Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-228/06,
Soysal und Savatli, das einen zeitlich nach dem Inkrafttreten des Zusatzproto-
kolls und damit in der Endphase der Zollunion liegenden Sachverhalt betraf und
in dem der Europäische Gerichtshof gleichwohl auf das Besserstellungsverbot
abgestellt hat (a.a.O. Rn. 61).
4. Einer Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267
AEUV bedarf es nicht.
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Der von den Klägerinnen angenommene weitere Klärungsbedarf hinsichtlich
der Art. 41, 42 und 59 des Zusatzprotokolls sowie in Bezug auf die Art. 4, 5, 7
und 8 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/95 besteht nicht. Die von ihnen
aufgeworfenen Fragen sind in der Rechtsprechung des Europäischen Ge-
richtshofs bereits geklärt, soweit es um das Verhältnis von Art. 41 und 59 des
Zusatzprotokolls geht (vgl. insbesondere Urteile vom 19. Februar 2009 a.a.O.
Rn. 61 und vom 17. September 2009 a.a.O. Rn. 67 ff., jeweils m.w.N.). Was
schließlich die Frage angeht, welche von zwei zeitlich nachfolgenden mitglied-
staatlichen Regelungen für den Betroffenen die im Lichte einer Grundfreiheit
strengere Regelung („neue Beschränkung“) darstellt, so hat der Europäische
Gerichtshof diese Bewertung ausdrücklich den nationalen Gerichten zugewie-
sen. Die von den Klägerinnen angeführten Fragen sind nicht entscheidungser-
heblich, soweit sie von einem Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art. 4,
5, 7 und 8 des Assoziationsratsbeschlusses) ausgehen, die - wie gezeigt - im
vorliegenden Fall nicht Prüfungsmaßstab ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 i.V.m. § 159 Satz 1 VwGO,
§ 100 Abs. 1 ZPO.
Kley
Liebler
Buchheister
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
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Sachgebiet:
BVerwGE: ja
Verkehrswirtschaftsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
Abkommen zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der
Regierung der Republik Türkei über den
grenzüberschreitenden Personen-
und Güterverkehr vom 8. September 1977
Art. 6 und 9
Abkommen zur Gründung einer Assoziation
zwischen der Europäischen Wirtschafts-
gemeinschaft und der Republik Türkei
vom 12. September 1963
Art. 2 und 14
Zusatzprotokoll zum Assoziierungsabkommen
vom 23. November 1970
Art. 41, 42 und 59
Beschluss Nr. 1/95 des Assoziationsrates
EG-Türkei vom 22. Dezember 1995 über die
Durchführung der Endphase der Zollunion
Art. 4, 5, 7 und 8
GüKG
§ 3 Abs. 1 und § 6
Stichworte:
Güterkraftverkehr; LKW-Verkehr; Güterverkehr; Einzelfahrtgenehmigung; As-
soziierungsabkommen EWG-Türkei; Zusatzprotokoll zum Assoziierungsab-
kommen; Assoziationsrat; Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/95; Abkommen über
den grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr; Dienstleistungsfrei-
heit; Warenverkehrsfreiheit; Stillhalteklausel; Besserstellung; Besserstellungs-
verbot; Mitgliedstaat; Kontingentierung; Kontingent; Maßnahme gleicher Wir-
kung; Zollunion; Endphase; Gemischte Kommission; Republik Türkei; Vorab-
entscheidung; Europäischer Gerichtshof.
Leitsatz:
Die Kontingentierung von Einzelfahrtgenehmigungen auf der Grundlage des
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei geschlos-
senen Abkommens über den grenzüberschreitenden Personen- und Güterver-
kehr verstößt nicht gegen Europarecht.
Urteil des 3. Senats vom 30. Juni 2011 - BVerwG 3 C 18.10
I. VG Berlin vom 24.02.2010 - Az.: VG 1 A 114.08 -