Urteil des BVerwG vom 18.03.2004

Arzneimittel, Überwachung, In Verkehr Bringen, Verfügung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 17.03
OVG 13 A 483/01
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. März 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k , Dr. D e t t e , L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 2003 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entschei-
dung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens
bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I.
Die Beteiligten streiten über die Frage, inwieweit Ärzte, die Arzneimittel nach eigenen
Angaben ausschließlich zur Anwendung an eigenen Patienten herstellen, der Über-
wachung nach dem Arzneimittelgesetz unterliegen.
Der klagende Arzt betreibt gemeinsam mit einem Kollegen - dem Kläger des Verfah-
rens BVerwG 3 C 16.03 - in der Rechtsform einer BGB-Gesellschaft in Köln eine on-
kologisch-hämatologische Gemeinschaftspraxis. Die für die Behandlung ihrer Patien-
ten benötigten Zytostatika stellten sie jedenfalls bis zum Erlass der hier streitigen
Ordnungsverfügung in ihrem gemeinsamen Labor mit Hilfe ihrer Angestellten aus
Original-Fertigarzneimitteln verschiedener pharmazeutischer Unternehmen her, um
sie anschließend ihren Patienten zu verabreichen. Nach Feststellungen des Staatli-
chen Amtes für Arbeitsschutz Köln vom 17. Oktober 1997 handelte es sich um etwa
200 Zytostatika-Zubereitungen im Monat.
Das Verlangen der Amtsapothekerin des Beklagten, eine Praxisbesichtigung zuzu-
lassen, um die Einhaltung der erforderlichen Qualitätsstandards bei der Herstellung
der Zytostatika zu prüfen, lehnte der Kläger ab. Daraufhin erließ der Beklagte am
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26. Januar 1998 an den Kläger und am 2. Februar 1998 an seinen Kollegen gleich
lautende Ordnungsverfügungen, durch die ihnen unter gleichzeitiger Anordnung der
sofortigen Vollziehung aufgegeben wurde, die Maßnahmen nach § 64 Abs. 4 und
§ 65 des Arzneimittelgesetzes (AMG) zu dulden und die in der Überwachung tätigen
Personen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen, insbesondere ihnen auf
Verlangen Räume der Arzneimittellagerung und -herstellung in der Praxis zu be-
zeichnen, Räume, Behälter und Behältnisse zu öffnen, Auskünfte zu erteilen, Ent-
nahmen von Proben zu ermöglichen, Unterlagen über die Herstellung der Arzneimit-
tel, die klinische Prüfung und den Erwerb der Arzneimittel vorzulegen und die Anfer-
tigung von Abschriften/Ablichtungen dieser Unterlagen zu dulden. Die Verfügung war
gestützt auf § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG, §§ 1, 14 OBG NW i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 3 der
Verordnung über die Zuständigkeiten im Arzneimittelwesen in Nordrhein-Westfalen.
Begründet war sie damit, der Kläger unterläge der arzneimittelrechtlichen Überwa-
chung nach den §§ 64 ff. AMG. Die Zubereitung der Zytostatika stelle eine Herstel-
lung von Arzneimitteln im Sinne dieser Vorschriften dar. Selbst wenn es zutreffe,
dass der Kläger Präparate nur an eigene Patienten verabreiche und nicht an Dritte
weitergebe, sei die Herstellung überwachungspflichtig. Nur die Verabreichung durch
den Arzt unterliege nicht der arzneimittelrechtlichen Kontrolle. Ziel der Maßnahme sei
es, sich von der Einhaltung der erforderlichen Qualitätsstandards bei der Herstellung
von Zytostatika-Zubereitungen zu überzeugen. Nach einem Gespräch mit dem
Kläger bestünden zumindest Zweifel an der ordnungsgemäßen Ausführung der Her-
stellung. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung war damit begründet, dass bei
einer nicht qualitätsgesicherten bzw. fehlerhaften Herstellung Gesundheitsgefahren
für die Bevölkerung drohten. Den gegen diese Verfügung gerichteten Widerspruch
wies die Bezirksregierung Köln durch Bescheid vom 15. Juni 1998 zurück. Der Be-
scheid war wiederum damit begründet, dass in Bezug auf praktizierende Ärzte ledig-
lich das Anwenden des Arzneimittels selbst von den Vorschriften des Arzneimittelge-
setzes nicht erfasst werde; das Anwenden umfasse die kurze Zeit des Applizierens
eines Arzneimittels (Injizieren, Infundieren, Überlassen zum Verbrauch), nicht jedoch
eine zeitlich davor liegende Zubereitung.
Während des anschließenden Klageverfahrens hat der Beklagte aufgrund der sofor-
tigen Vollziehbarkeit der Ordnungsverfügung am 9. September 1998 eine Praxisbe-
sichtigung durchgeführt. In einem Schreiben vom 15. Oktober 1998 bemängelte er,
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dass bei der Herstellung der Zytostatika in verschiedenen Punkten der Leitfaden ei-
ner guten Herstellungspraxis für pharmazeutische Produkte (GMP-Richtlinie) als an-
erkannte pharmazeutische Regeln nicht beachtet würde.
Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Bescheid durch Urteil vom 8. No-
vember 2000 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Bescheid könne
nicht auf § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG gestützt werden. Es lägen keine Verstöße gegen
das Arzneimittelgesetz vor. Zwar habe der Kläger durch Einbringen von Trockensub-
stanzen, die als Fertigarzneimittel erhältlich seien, in eine Infusionslösung ge-
brauchsfertige Arzneimittel hergestellt. Der Kläger habe diese Arzneimittel aber le-
diglich zur Anwendung bei jeweils eigenen Patienten hergestellt. In einem solchen
Fall sei das Arzneimittelgesetz nicht anwendbar. Das Arzneimittel werde nämlich
nicht in den Verkehr gebracht. Der Kläger unterliege daher nicht den Duldungs- und
Mitwirkungspflichten des § 64 Abs. 4 und § 65 des AMG, deren Konkretisierung und
Durchsetzung die angefochtenen Ordnungsverfügungen dienen sollten. Auf der
Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 2000 (1 BvR
420/97 - BVerfGE 102, 26) seien die genannten Bestimmungen verfassungskonform
einschränkend auszulegen. Der Bund sei nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG nicht befugt,
die Herstellung solcher Arzneimittel zu regeln, die ein Arzt zur Anwendung bei eige-
nen Patienten herstelle. Daher könne sich die arzneimittelrechtliche Überwachung
nach §§ 64 ff. AMG nicht auf solche Vorgänge erstrecken. Entgegen den Mutma-
ßungen des Beklagten sei derzeit nicht feststellbar, dass der Kläger die selbst her-
gestellten Arzneimittel über die Anwendung bei seinen eigenen Patienten hinaus an
Dritte abgebe, mithin die Zytostatika in den Verkehr bringe.
Die angegriffenen Ordnungsverfügungen könnten auch nicht auf § 14 Abs. 1 OBG
NW gestützt werden. Zum Zeitpunkt des Erlasses der ordnungsbehördlichen Maß-
nahmen habe es keine Erkenntnisse für das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die
öffentliche Sicherheit im Zusammenhang mit der Herstellung der Zytostatika in der
Praxis des Klägers gegeben. Soweit der Beklagte sich auf damals bestehende
ernsthafte Zweifel an der Einhaltung der Qualitätsstandards berufe, folge daraus we-
gen Fehlens nachvollziehbarer konkreter Anhaltspunkte nicht einmal der Verdacht
einer Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Patienten. Auf einen derartigen
Verdacht sei die Ordnungsverfügung auch nicht gestützt. Die bei der Besichtigung
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am 9. September 1998 festgestellten Mängel könnten das Fehlen einer Gefahr bei
Erlass der Ordnungsverfügung nicht heilen.
Darüber hinaus könne das Ordnungsbehördengesetz nicht Grundlage für die in der
Ordnungsverfügung vorgesehenen nicht anlassbezogenen Maßnahmen der Regel-
überwachung der Arztpraxis sein. Eine dem § 64 Abs. 4 AMG vergleichbare Rege-
lung enthalte das Ordnungsbehördengesetz nicht.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche
Urteil durch Beschluss vom 24. Januar 2003 geändert und die Klage abgewiesen.
Dazu hat es ausgeführt: Zwar sei die den angefochtenen Bescheiden zugrunde lie-
gende Auffassung des Beklagten unrichtig, dass bei einer Herstellung von Arzneimit-
teln durch den Arzt zur Anwendung bei seinen Patienten die Herstellung nach dem
Arzneimittelgesetz zu überwachen sei und nur die Anwendung von der Überwachung
nicht erfasst werde. Das ergebe sich aus § 4 a Satz 1 Nr. 3 AMG i.d.F. des Elften
Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 21. August 2002 (BGBl I
S. 3348), mit dem dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Februar 2000
(1 BvR 420/97 - BVerfGE 102, 26) Rechnung getragen worden sei. Die Verfügung
finde ihre ermessensgerechte Rechtfertigung aber durch die später vom Beklagten
nachgeschobenen Gründe. Der Beklagte sei befugt zu ermitteln, ob der Kläger die
von ihm hergestellten Arzneimittel wirklich nur an seine eigenen Patienten verabrei-
che, insbesondere ob die ärztlich verantwortete Herstellung der Arzneimittel und das
ärztlich verantwortete Applizieren bei den Patienten auseinander fielen. Ermächti-
gungsgrundlage für Eingriffe, die die aufgeworfenen Fragen klären sollen, seien die
§§ 64 bis 66 AMG. Das ergebe ihre Auslegung. Die Vorschriften seien auf eine um-
fassende und, wie § 64 Abs. 3 AMG zeige, anlasslose und lückenlose Kontrolle aus-
gerichtet, dass u.a. die Vorschriften über den Verkehr mit Arzneimitteln beachtet
würden. Nachschaubefugnisse dienten grundsätzlich vorrangig der Einhaltung ge-
setzlicher Vorschriften, d.h. Überwachungszwecken, ohne an besondere Anlässe
oder Verdachtsmomente gebunden zu sein; sie seien typische Gefahrenverhütungs-
bzw. Gefahrenvorsorgeinstrumente, die gerade nicht das Vorliegen einer konkreten
Gefahr - deren Fehlen hier von dem Kläger zu Recht betont werde - voraussetze.
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Maßgeblich sei, dass die Anwendbarkeit des Arzneimittelgesetzes in Frage stehe
und für diese Feststellung die für das Arzneimittelrecht zuständige Überwachungs-
behörde von ihrer Eignung her und kraft Sachzusammenhangs zuständig sein sollte.
Die der Behörde erlaubte Aufklärungsarbeit sei davon zu unterscheiden, ob sie zur
Erleichterung dieser Aufklärung bestimmte Nachweise verlangen könne wie das Füh-
ren von Büchern und ob insbesondere die von ihr ursprünglich herangezogene GMP-
Richtlinie anzuwenden sei. Dem Arzt sei es zumutbar, Aufklärungsmaßnahmen der
Überwachungsbehörde zu dulden und zu unterstützen. Eine gezielte Suche könne
ergeben, dass die hergestellten Arzneimittel - vielleicht unter Mitwirkung der Patien-
ten - an andere Ärzte abgegeben würden.
Die während des Verwaltungsrechtsstreits nachgeschobenen Gründe seien berück-
sichtigungsfähig. Es handele sich um eine Ergänzung der Ermessensgründe nach
§ 114 Satz 2 VwGO. Der Regelungsausspruch der Ordnungsverfügung werde nicht
verändert, sondern lediglich die Begründung modifiziert.
Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung
zugelassene Revision des Klägers. Er rügt eine fehlerhafte Auslegung der §§ 64 ff.
AMG. Die angefochtene Ordnungsverfügung enthalte die Anordnung der kontinuier-
lichen Regelüberwachung gemäß den §§ 64 ff. AMG. Diese Vorschriften seien aber
auf den Kläger und seinen Praxiskollegen nicht anwendbar, da sie ausschließlich
Arzneimittel herstellten, die sie anschließend bei ihren jeweils eigenen Patienten an-
wendeten. Selbst wenn dies tatsächlich anders wäre und der eine Kläger Zytostatika
einsetze, die der andere hergestellt habe, läge eine Abgabe an Dritte und damit ein
In-Verkehr-Bringen nicht vor. Tatsächlich komme dies jedoch nicht vor und sei prak-
tisch auch sinnlos. Die bloße Vermutung, dass die hergestellten Zytostatika an Dritte
abgegeben würden, rechtfertige nicht die Unterstellung unter die Überwachungsvor-
schriften der §§ 64 ff. AMG. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass schon die
bloße Möglichkeit einer Weitergabe an Dritte das Überwachungsinstrumentarium der
genannten Vorschriften verfügbar mache, ohne dass auch nur das Vorliegen konkre-
ter Verdachtsmomente gefordert werde, führe zu einer uferlosen Ausdehnung der
Vorschriften. Letztlich lasse sich das Berufungsgericht von Zweckmäßigkeitserwä-
gungen leiten, statt sich am Gesetz zu orientieren.
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Der Beklagte hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Auf § 4 a Satz 1 Nr. 3
AMG könne sich der Kläger nicht berufen, weil überhaupt nicht feststehe, ob von
dem Kläger hergestellte Zytostatika ausschließlich bei seinen eigenen Patienten
angewandt würden. Bei der Praxisbesichtigung seien keine Unterlagen vorgelegt
worden, die das Gegenteil bewiesen hätten.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren. Er hält den ange-
fochtenen Beschluss ebenfalls für zutreffend. Weder das Bundesverfassungsgericht
noch der Gesetzgeber hätten die Effektivität der arzneimittelrechtlichen Überwa-
chung einschränken wollen. Eine Überwachung müsse auch dann möglich sein,
wenn der Verdacht bestehe, dass Arzneimittel, die dem Anwendungsbereich des
AMG unterlägen, mit dem Ziel des In-Verkehr-Bringens hergestellt würden. Dies sei
im Interesse der Arzneimittelsicherheit, der nach § 1 AMG im größtmöglichen Maße
Rechnung zu tragen sei, geboten.
II.
Die Revision ist begründet. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, die angefoch-
tene Verfügung sei rechtmäßig, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Sie ist
mit § 64 Abs. 1 i.V.m. § 4 a Satz 1 Nr. 3 AMG nicht zu vereinbaren. Da die vom Be-
rufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen eine abschließende Beurtei-
lung der Verfügung nicht zulassen, ist sein Beschluss aufzuheben und die Sache zur
anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzu-
verweisen.
1. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken. Insbesondere steht
außer Streit, dass sich die angefochtene Ordnungsverfügung durch die Durchführung
der Betriebsbesichtigung im September 1998 nicht erledigt hat. Durch den Bescheid
ist dem Kläger die Duldung einer andauernden Betriebsüberwachung nach Maßgabe
der §§ 64 ff. AMG aufgegeben worden. Dieser Verwaltungsakt belastet den Kläger
nach wie vor.
2. Der Beschluss des Berufungsgerichts sieht die Rechtsgrundlage für die Ord-
nungsverfügung in den §§ 64 bis 66 AMG. Dies erscheint bedenklich. Nach § 64
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Abs. 1 Satz 1 AMG unterliegen Betriebe und Einrichtungen, in denen Arzneimittel
hergestellt, geprüft, gelagert, verpackt oder in den Verkehr gebracht werden oder in
denen sonst mit ihnen Handel getrieben wird, insoweit der Überwachung durch die
zuständige Behörde. Dasselbe gilt nach § 64 Abs. 1 Satz 3 AMG für Personen, die
diese Tätigkeiten berufsmäßig ausüben oder Arzneimittel nicht ausschließlich für den
Eigenbedarf mit sich führen sowie für Personen oder Personenvereinigungen, die
Arzneimittel für andere sammeln. In den nachfolgenden Vorschriften bis § 66 AMG
werden die zur Überwachung gehörenden Aufgaben und Befugnisse der zuständigen
Behörde sowie die Duldungs- und Mitwirkungspflichten des Betroffenen im Einzelnen
festgelegt. Diese Bestimmungen enthalten jedoch keine Aussage darüber, welche
Mittel der Behörde zur Verfügung stehen, wenn der Betroffene die Überwachung
verweigert. Diese Regelung findet sich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend
erkannt hat und auch die angefochtenen Bescheide zugrunde legen, in § 69 Abs. 1
Satz 1 AMG. Danach treffen die zuständigen Behörden die zur Beseitigung festge-
stellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnun-
gen, sofern sich diese Verstöße - das ist sinngemäß zu ergänzen - gegen das Arz-
neimittelgesetz oder aufgrund des Arzneimittelgesetzes erlassene Verordnungen
richten (vgl. Urteil vom 2. Dezember 1993 - BVerwG 3 C 42.91 - BVerwGE 94, 341,
344). Diese Regelung begründet nach der Rechtsprechung des Senats eine generel-
le Ermächtigung zur Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln (vgl. Urteile vom
19. Oktober 1989 - BVerwG 3 C 35.87 - Buchholz 418.32 Nr. 20 und vom 2. Dezem-
ber 1993 - BVerwG 3 C 42.91 - a.a.O.). Die Norm gibt der zuständigen Behörde die
Möglichkeit, die Einhaltung der arzneimittelrechtlichen Bestimmungen durch Ord-
nungsverfügungen sicherzustellen. Voraussetzung ist aber das Vorliegen eines Ver-
stoßes gegen eine dieser Bestimmungen, der beispielsweise in der Verweigerung
einer von der Behörde zu Recht angesetzten Regelüberwachung nach §§ 64 ff. AMG
bestehen kann.
3. § 69 Abs. 1 AMG scheidet allerdings von vornherein als Ermächtigungsgrundlage
aus, wenn die Tätigkeit des Klägers vom Arzneimittelgesetz nicht erfasst wird. In die-
sem Fall kann seine Tätigkeit keinen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz beinhal-
ten.
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Die Nichtanwendbarkeit des Arzneimittelgesetzes beurteilt sich nach § 4 a Satz 1
Nr. 3 AMG, der die Ausnahme vom Anwendungsbereich des Gesetzes festlegt. Die
Bestimmung ist durch das Elfte Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom
21. August 2002 (BGBl I S. 3348) in das Arzneimittelgesetz eingefügt worden. Sie ist
zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der vor ihrem Erlass ergangenen angefochtenen
Verfügung schon deshalb heranzuziehen, weil es sich um einen Dauerverwaltungs-
akt handelt, dessen Rechtmäßigkeit sich nach der Rechtslage im Zeitpunkt der ge-
richtlichen Entscheidung bemisst. Unabhängig davon ergibt sich die dort geregelte
Einschränkung des Anwendungsbereichs des Arzneimittelgesetzes auch aus dem
Grundgesetz. Wie das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 16. Februar 2000
(1 BvR 420/97 - BVerfGE 102, 26) festgestellt hat, ist der Bund nach Art. 74 Abs. 1
Nr. 19 GG nicht befugt, die Herstellung solcher Arzneimittel zu regeln, die der Arzt
zur Anwendung bei eigenen Patienten herstellt. § 4 a Satz 1 Nr. 3 AMG dient ledig-
lich der Umsetzung dieser Entscheidung. Schon vor der Einfügung der Vorschrift
ergab sich danach die Notwendigkeit einer entsprechenden verfassungskonformen
Auslegung der Vorschriften des Arzneimittelgesetzes.
Nach § 4 a Satz 1 Nr. 3 AMG findet das Arzneimittelgesetz keine Anwendung auf
Arzneimittel, die ein Arzt, Tierarzt oder eine andere Person, die zur Ausübung der
Heilkunde befugt ist, bei Mensch oder Tier anwendet, soweit die Arzneimittel aus-
schließlich zu diesem Zweck unter der unmittelbaren fachlichen Verantwortung des
anwendenden Arztes, Tierarztes oder der anwendenden Person, die zur Ausübung
der Heilkunde befugt ist, hergestellt worden sind. Das Gesetz erfasst hiernach die
Herstellung solcher Arzneimittel nicht, die ein Arzt zur Anwendung bei seinen eige-
nen Patienten selbst herstellt bzw. durch ihm unterstelltes Personal herstellen lässt.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass der Kläger jedenfalls bis zum Erlass der
angefochtenen Verfügung Arzneimittel hergestellt hat, indem er aus verschiedenen
Fertig-Arzneimitteln in seinem Labor Zytostatika zubereitet hat. Dazu, ob er diese
Zytostatika zur Anwendung bei seinen eigenen Patienten hergestellt hat, hat das Be-
rufungsgericht keine Feststellungen getroffen. Es hält für möglich, dass die in der
Praxis hergestellten Zytostatika den Patienten zur Anwendung durch andere Ärzte
mitgegeben worden sind. Konkrete Anhaltspunkte, dass es sich tatsächlich so ver-
halten haben könnte, benennt das Gericht nicht. Es hat auch keinerlei Schritte un-
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ternommen, das Vorliegen dieser Voraussetzungen in irgendeiner Form aufzuklären.
Der angefochtene Beschluss bietet hiernach keine tatsächliche Grundlage für die
Beantwortung der Frage, ob die streitige Arzneimittelherstellung in den Geltungsbe-
reich des Arzneimittelgesetzes fällt oder nicht.
4. Das Berufungsgericht rechtfertigt das Fehlen jeder Feststellung zur Frage der
ausschließlichen Anwendung der vom Kläger hergestellten Zytostatika bei den eige-
nen Patienten mit den Regelungen der §§ 64 bis 66 AMG. Es meint, die dort vorge-
sehenen Überwachungsmaßnahmen könnten auch zu dem Zweck angeordnet wer-
den, festzustellen, ob überhaupt eine Arzneimittelherstellung vorliege und ob diese
zum Zwecke des In-Verkehr-Bringens erfolge. Dies greift die Revision zu Recht mit
der Begründung an, die in den §§ 64 bis 66 AMG geregelte anlasslose Regelüber-
wachung setze tatbestandlich die Herstellung von Arzneimitteln zum Zwecke des In-
Verkehr-Bringens voraus und könne nicht - noch dazu ohne jeden konkreten Ver-
dacht - angeordnet werden, um das Vorliegen dieser tatbestandlichen Vorausset-
zungen aufzuklären.
Es ist daran zu erinnern, dass die Ermächtigungsgrundlage für die angefochtenen
Verfügungen in § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG zu finden ist und dass diese Bestimmung
einen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz voraussetzt. Die Weigerung des Klä-
gers, sich der arzneimittelrechtlichen Überwachung nach §§ 64 bis 66 AMG zu un-
terwerfen, muss also einen Verstoß gegen diese Bestimmungen darstellen.
§ 64 Abs. 1 Satz 1 AMG unterwirft nur solche Betriebe und Einrichtungen der Über-
wachung durch die zuständige Behörde, in denen Arzneimittel hergestellt, geprüft,
gelagert, verpackt oder in den Verkehr gebracht werden oder in denen sonst mit ih-
nen Handel getrieben wird. Nach dem Wortlaut des Gesetzes ist völlig zweifelsfrei,
dass nur bei Vorliegen dieser Voraussetzungen die nachfolgend im Einzelnen be-
schriebenen Überwachungsmaßnahmen stattzufinden haben. Das schließt es aus,
die Überwachungsmittel der §§ 64 bis 66 AMG einzusetzen, um überhaupt festzu-
stellen, ob die Voraussetzungen einer arzneimittelrechtlichen Überwachung vorlie-
gen. Das gilt für das Merkmal der Arzneimittelherstellung als solche ebenso wie für
die Absicht des In-Verkehr-Bringens bzw. die in § 4 a Satz 1 Nr. 3 AMG vorausge-
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setzte Absicht zur ausschließlichen Anwendung des Arzneimittels durch den herstel-
lenden Arzt an eigenen Patienten.
Die Auffassung, dass die Überwachung nach den §§ 64 bis 66 AMG auch angeord-
net werden könne, um aufzuklären, ob ein überwachungspflichtiges Verhalten vorlie-
ge, widerspricht überdies dem Charakter der in den genannten Bestimmungen vor-
gesehenen Überwachungsmaßnahmen. Diese sehen eine regelmäßige kontinuierli-
che Kontrolle der überwachungspflichtigen Betriebe mit umfangreichen und teilweise
erheblich belastenden Zugriffsbefugnissen der Behörde vor. So hat die Behörde bei-
spielsweise nach § 64 Abs. 3 Satz 2 AMG in der Regel alle zwei Jahre Besichtigun-
gen vorzunehmen und Arzneimittelproben amtlich untersuchen zu lassen. Ihr sind
Betretungsrechte, das Recht zur Probenentnahme, Einsichtsrechte und ähnliches
eingeräumt. Eine solche kontinuierliche und intensive Überwachung macht aber kei-
nen Sinn, wenn fraglich ist, ob überhaupt eine überwachungspflichtige Tätigkeit aus-
geübt wird. Besteht der Verdacht, dass in einem nicht nach § 67 AMG angezeigten
Betrieb Arzneimittel hergestellt werden, so bedarf es einer einmaligen Aufklärung
dieses Verdachts. Die kontinuierliche Regelüberwachung ist dafür weder notwendig
noch geeignet.
Dies belegt auch der Inhalt der vorliegend angefochtenen Ordnungsverfügung. In
weiten Teilen hat sie mit dem ihr nun vom Berufungsgericht zugesprochenen Zweck,
die Abgabe der hergestellten Zytostatika an andere zu klären, nichts zu tun. Das gilt
beispielsweise für die Verpflichtung, Probenentnahmen zu dulden und Behältnisse zu
öffnen. Insbesondere die dauerhafte Anordnung der Überwachung ist durch diesen
Zweck nicht gedeckt.
Die Auffassung des Berufungsgerichts kann nicht mit der vom Vertreter des Bundes-
interesses geteilten Befürchtung begründet werden, anderenfalls sei die Arzneimit-
telsicherheit in Gefahr. Wie jede andere Behörde hat auch die für die Arzneimittel-
überwachung zuständige Behörde ausreichende Möglichkeiten, die für ihr Eingreifen
relevanten Sachverhalte zu klären. Hierzu gehört gegebenenfalls die Möglichkeit,
nach Ordnungsrecht bei Vorliegen eines Gefahrenverdachts einzuschreiten. Eine
vorbeugende Überwachung der Art, wie sie die §§ 64 bis 66 AMG vorsehen, kann
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aber nicht schon dann Platz greifen, wenn überhaupt nicht feststeht, ob arzneimittel-
rechtlich relevante Tätigkeiten stattfinden.
Hiernach verstößt die Auffassung des Berufungsgerichts, Überwachungsmaßnah-
men nach den §§ 64 bis 66 AMG könnten angeordnet werden, um festzustellen, ob
eine überwachungspflichtige Tätigkeit vorliege und das Arzneimittelgesetz überhaupt
eingreife, gegen Bundesrecht.
5. Der angefochtene Beschluss erweist sich nicht aus anderen Gründen als zutref-
fend. Zwar ist in den angefochtenen Bescheiden auch § 14 OBG als Rechtsgrundla-
ge angegeben. Die Störung der öffentlichen Sicherheit wird aber nur darin gesehen,
dass der Kläger sich der Regelüberwachung nach dem Arzneimittelgesetz verwei-
gert. Dies trägt nach dem Vorstehenden nicht. Eine sonstige konkrete Gefahr, die ein
Einschreiten nach § 14 OBG rechtfertigen könnte, liegt nach der ausdrücklichen
Feststellung des Berufungsgerichts nicht vor.
6. Das Berufungsgericht hat, wie ausgeführt, keine Feststellungen zu der Frage ge-
troffen, ob eine Weitergabe der vom Kläger hergestellten Zytostatika an andere vor-
liegt und ob damit der Anwendungsausschluss des § 4 a Satz 1 Nr. 3 AMG Platz
greift oder nicht. Ohne eine solche Feststellung besteht jedoch keine Möglichkeit, zu
einer abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits zu gelangen. Der Beklagte hat
eine auf § 69 AMG i.V.m. §§ 64 bis 66 AMG gestützte Ordnungsverfügung erlassen.
Die Rechtmäßigkeit dieser Verfügung hängt davon ab, ob der Kläger Zytostatika
ausschließlich für die Anwendung an eigenen Patienten herstellt. Trifft dies zu, so ist
das Arzneimittelgesetz nicht anwendbar. Trifft es nicht zu, so sind die Eingriffsvor-
aussetzungen gegeben und die angefochtenen Bescheide haben Bestand.
In diesem Rahmen hat, wie die Revision zu Recht geltend macht, die Frage der Zu-
lässigkeit des Nachschiebens von Gründen keine Bedeutung. Die Weitergabe der
vom Kläger hergestellten Arzneimittel an andere ist eine zwingende Rechtmäßig-
keitsvoraussetzung für die angefochtenen Bescheide. Das Vorliegen dieser Voraus-
setzung hat das Gericht zu klären unabhängig davon, ob der Beklagte bei Erlass der
angefochtenen Bescheide ihre Relevanz kannte oder nicht.
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Ebenso unbeachtlich ist der Einwand des Klägers, es liege nicht einmal ein ernsthaf-
ter Verdacht für die Annahme der Abgabe an andere vor. Das Berufungsgericht hält
eine solche Abgabe immerhin für möglich. Sie ist auch nicht offenkundig ausge-
schlossen. Unter diesen Umständen ist die Sache an das Berufungsgericht zurück-
zugeben zur Aufklärung der hier streitigen Frage. Dem steht nicht entgegen, dass
der Beklagte handfeste Anhaltspunkte für eine Weitergabe der Zytostatika an Dritte
nicht vorgelegt hat, doch kann das Berufungsgericht dem beim Umfang seiner Auf-
klärungsbemühungen nach § 86 VwGO durchaus Rechnung tragen.
Im Hinblick auf die Einlassung des Beklagten, die Nichtweitergabe sei von dem Klä-
ger nicht bewiesen worden, ist darauf hinzuweisen, dass im Falle der Nichterweis-
lichkeit die Beweislast für das Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen und mithin
auch für die Anwendbarkeit des Arzneimittelgesetzes beim Beklagten liegt.
Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 10 225,84 €
festgesetzt.
Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Dette
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Gesundheitsverwaltungsrecht - Arzneimittelrecht -
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
GG
Art. 74 Abs. 1 Nr. 19
AMG § 4 a Satz 1 Nr. 3, §§ 64, 65, 66, 69
Stichworte:
Arzneimittelüberwachung; Herstellung von Arzneimitteln durch den Arzt zur Anwen-
dung an eigenen Patienten; Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes.
Leitsatz:
Die arzneimittelrechtliche Regelüberwachung nach §§ 64 ff. AMG kann nicht ange-
ordnet werden zur Klärung der Fragen, ob überhaupt eine Arzneimittelherstellung
vorliegt und ob diese ggf. deshalb nicht in den Anwendungsbereich des Arzneimittel-
gesetzes fällt, weil sie durch einen Arzt zur ausschließlichen Anwendung bei eigenen
Patienten erfolgt (wie Urteil vom 18. März 2004 - BVerwG 3 C 16.03 -).
Urteil des 3. Senats vom 18. März 2004 - BVerwG 3 C 17.03
I. VG Köln
vom 08.11.2000 - Az.: VG 24 K 5820/98 -
II. OVG Münster vom 24.01.2003 - Az.: OVG 13 A 483/01 -