Urteil des BVerwG vom 16.03.2006

Verordnung, Reserve, Begriff, Nachahmung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
Verkündet
BVerwG 3 C 16.05
am 16. März 2006
OVG 7 A 10692/04
Schmidt
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 16. März 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette, Liebler und
Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Europäischen Gerichtshof werden die folgenden
Fragen zur Auslegung der Verordnung (EG)
Nr. 1493/1999 und der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 in
der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1215/2005 zur Vor-
abentscheidung vorgelegt:
1. Sind Art. 47 Abs. 2 Buchstaben b und c in Verbindung
mit Abschnitt B Nr. 1 Buchstabe b fünfter Gedankenstrich,
Nr. 3 des Anhangs VII der Verordnung (EG)
Nr. 1493/1999 und Art. 23 der Verordnung (EG)
Nr. 753/2002 dahin auszulegen, dass eine Angabe, die
sich auf ein Verfahren der Erzeugung, Bereitung und Rei-
fung bzw. auf die Qualität des Weins bezieht, nur als ge-
regelte fakultative Angabe gemäß Abschnitt B Nr. 1 Buch-
stabe b fünfter Gedankenstrich des Anhangs VII der Ver-
ordnung (EG) Nr. 1493/1999 unter den dort und in Art. 23
der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 vorgesehenen Vo-
raussetzungen und nicht als andere Angabe gemäß Ab-
schnitt B Nr. 3 des Anhangs VII der Verordnung (EG)
Nr. 1493/1999 zulässig ist?
2. Ist Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG)
Nr. 753/2002 dahin auszulegen, dass eine widerrechtliche
Nachahmung oder Anspielung nur dann vorliegt, wenn sie
in derselben Sprache des geschützten traditionellen Beg-
riffs erfolgt?
3. Ist Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002
dahin auszulegen, dass die in Anhang III aufgeführten
traditionellen Begriffe nur in Ansehung von Weinen ge-
schützt sind, die aus demselben Erzeugermitgliedstaat
stammen wie der geschützte traditionelle Begriff?
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G r ü n d e :
I
Der Kläger ist Inhaber eines Weinguts in der Pfalz, das mit der Firmenbezeich-
nung „Consulat des Weins“ im Handelsregister eingetragen ist.
Bei einer Überprüfung im November 2002 wurde festgestellt, dass der Kläger
acht Weine herstellte, die er wie folgt etikettierte: Die Hauptetiketten trugen in
der oberen Hälfte in großen Blockbuchstaben die Firmenbezeichnung „Consulat
des Weins“ und darunter in etwas kleinerem Format die Angabe „Grande
Réserve“ für zwei Weine der gehobenen, „Réserve“ für vier Weine der mittleren
und „Terroir“ bzw. „Terroir Palatinat“ für zwei Weine der niedrigeren Preisklas-
se. Auf den Rücketiketten aller Weine wollte der Kläger u.a. die Qualitätsstufe
der Weine („Qualitätswein“), das Anbaugebiet („Pfalz“) sowie die jeweilige amt-
liche Prüf- und Abfüller-Nummer angeben.
Mit Bescheid der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) Trier vom
19. Dezember 2002 untersagte der Beklagte dem Kläger, Weine mit der Anga-
be „Consulat des Weins - Réserve“ bzw. „Réserve“ und „Consulat des Weins -
Grande Réserve“ bzw. „Grande Réserve“ zu bezeichnen und in den Verkehr zu
bringen. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen, die Verwendung der bean-
standeten Angaben sei irreführend und deshalb unzulässig. Mit seinem Wider-
spruch erklärte sich der Kläger bereit, gegebenenfalls auf die Verwendung der
französischen Begriffe „Réserve“ und „Grande Réserve“ zugunsten der deut-
schen Bezeichnungen „Reserve“ und „Privat-Reserve“ zu verzichten. Der Be-
klagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2003 zu-
rück. Mit weiterem Schreiben vom 21. Mai 2003 erklärte er, dass er auch die
Bezeichnung „Privat-Reserve“ für unzulässig halte.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung der Untersagungsverfügung
sowie die Feststellung, dass die Verwendung der Bezeichnung „Reserve“ und
„Privat-Reserve“ in Verbindung mit der Bezeichnung „Consulat des Weins“ und
in Alleinstellung zulässig ist.
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Das Verwaltungsgericht Neustadt a.d.W. hat die Klage mit Urteil vom 29. Janu-
ar 2004 abgewiesen. Die umstrittenen Weinbezeichnungen seien unzulässig.
Sie ähnelten auch in französischer oder deutscher Schreibung geschützten
spanischen, italienischen und portugiesischen Bezeichnungen so sehr, dass
von einer verbotenen Nachahmung gesprochen werden müsse. Hinzu komme
ein Verstoß gegen das Irreführungsverbot.
Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat die Berufung des Klägers mit
Urteil vom 21. September 2004 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es aus-
geführt: Das Weinbezeichnungsrecht behalte die traditionellen spanischen bzw.
portugiesischen, italienischen und französischen Begriffe „Reserva/Gran Re-
serva“ bzw. „Riserva/Gran Riserva“ oder „Réserve/Grande Réserve“ den spani-
schen, portugiesischen, italienischen und griechischen Weinen vor, mit denen
sie verbunden seien, und schütze sie gegen widerrechtliche Aneignung, Nach-
ahmung oder Anspielung. Die vom Kläger verwendeten oder beabsichtigten
Bezeichnungen stellten bei Alleinstellung eine derartige Nachahmung, bei Ver-
wendung zusammen mit der Firmenbezeichnung „Consulat des Weins“ jeden-
falls eine Anspielung dar. Hierfür bedürfe es keiner Wortidentität; unzulässig
seien auch ähnliche Begriffe, selbst solche in anderer, hier der deutschen
Sprache. Dass die Bezeichnungen des Klägers zwischenzeitlich als Marken
eingetragen seien, ändere nichts; auch Marken mit traditionellen Bezeichnun-
gen dürften nur verwendet werden, wenn der Wein die traditionelle Bezeich-
nung führen dürfe. Erweise sich die Klage schon hiernach als unbegründet, so
könne dahinstehen, ob die umstrittenen Bezeichnungen auch deshalb unzuläs-
sig seien, weil sie geeignet seien, den Verbraucher irrezuführen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klä-
gers. Er trägt vor, das geltende Weinbezeichnungsrecht schütze die traditionel-
len Begriffe „Reserva/Gran Reserva“ bzw. „Riserva/Gran Riserva“ nur in der je-
weiligen - spanischen, portugiesischen bzw. italienischen - Landessprache,
nicht jedoch in einer anderen Sprache. Dasselbe gelte für die entsprechende
griechische Bezeichnung, die nur in Griechisch (und in kyrillischer Schrift), nicht
jedoch in Französisch geschützt sei. Die Verwendung vergleichbarer Bezeich-
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nungen für Weine aus einem anderen Mitgliedstaat stelle daher weder eine
Nachahmung noch eine Anspielung dar. Die Marke „Consulat des Weins -
Réserve/Grande Réserve“ wäre vom Europäischen Markenamt auch nicht ein-
getragen worden, wenn sie unzulässig wäre; denn die bezeichnungsrechtliche
Zulässigkeit werde vom Markenamt selbständig geprüft. Selbst wenn die spani-
schen, portugiesischen, italienischen und griechischen Bezeichnungen nicht nur
gegen Nachahmung oder Anspielung in der jeweiligen Landessprache ge-
schützt seien, so sei die Nachahmung oder Anspielung doch nur unzulässig,
wenn sie auch irreführend sei. Die Gefahr einer Irreführung habe das Beru-
fungsgericht jedoch nicht festgestellt; sie bestehe auch nicht. Er - der Kläger -
erwecke nicht den Anschein, dass der jeweils geschützte Begriff auch für seine
Weine gelte, schon weil diese unzweifelhaft aus Deutschland stammten. Die
Verwendung französischer Bezeichnungen solle seinen Weinen lediglich einen
„edlen“ Anstrich verleihen, was vom Verbraucher nicht missverstanden werde.
Dass auch die Weinaufsichtsbehörden keine Irreführung befürchteten, werde
durch den Umstand belegt, dass zahlreiche Weine aus Drittstaaten (Bulgarien,
Argentinien, Chile, USA, Südafrika, Australien) mit vergleichbaren Bezeichnun-
gen ohne Beanstandung in der Europäischen Gemeinschaft auf dem Markt an-
geboten würden.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Ergänzend führt er aus, dass
die Bezeichnung „Reserve“ in Deutschland nicht als traditioneller Begriff aner-
kannt sei und deshalb allenfalls als „andere Angabe, die für den Verbraucher
nützlich sein könne“, angesehen werden könne. Eine derartige „andere Anga-
be“ sei aber unzulässig, wenn ihre Verwendung zu einer Erosion definierter und
geschützter traditioneller Begriffe führe.
Die Vertreterin des Bundesinteresses hält das angefochtene Urteil für richtig.
II
Die Entscheidung über die Revision setzt die Auslegung von Bestimmungen
des sekundären Gemeinschaftsrechts voraus. Da dies nicht zweifelsfrei möglich
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ist, muss eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 234
EG eingeholt werden. Hierzu ist der Rechtsstreit auszusetzen.
1. Das Berufungsgericht hat in der angefochtenen Untersagungsverfügung ei-
nen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gesehen und angenommen, dass die
Begründetheit der Anfechtungsklage sich deshalb nach dem im Zeitpunkt seiner
Entscheidung geltenden Recht beurteile. Auch die Feststellungsklage hat es
nach aktuell geltendem Recht geprüft. Das lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
Der Senat hat auch die Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens
einzubeziehen. Im Revisionsverfahren ist die Rechtslage maßgebend, die die
Tatsacheninstanz zugrundezulegen hätte, wenn sie zu dieser Zeit entschiede
(Urteil vom 16. Januar 1986 - BVerwG 3 C 66.84 - BVerwGE 72, 339 <340> =
Buchholz 451.11 Saatgutrecht Nr. 6 <20>; vgl. auch Urteil vom 3. November
1994 - BVerwG 3 C 30.93 - Buchholz 418.15 Rettungswesen Nr. 2 <16>).
Maßgebend sind damit die Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates vom
17. Mai 1999 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein (ABl EG
Nr. L 179 S. 1), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2165/2005 des
Rates vom 20. Dezember 2005 (ABl EG Nr. L 345 S. 1), und die Verordnung
(EG) Nr. 753/2002 der Kommission vom 29. April 2002 mit Durchführungsbe-
stimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates hinsichtlich der
Beschreibung, der Bezeichnung, der Aufmachung und des Schutzes bestimm-
ter Weinbauerzeugnisse (ABl EG Nr. L 118 S. 1), zuletzt mit Wirkung vom
1. September 2005 geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1512/2005 der
Kommission vom 15. September 2005 (ABl EG Nr. L 241 S. 15).
2. Das Berufungsgericht ist - unausgesprochen - davon ausgegangen, dass die
Verwendung der Bezeichnungen „Réserve/Grande Réserve“ bzw. „Reser-
ve/Privat-Reserve“ für einen deutschen Wein in Deutschland zulässig wäre,
sofern damit keine geschützten Fremdbezeichnungen verletzt werden und der
Verbraucher nicht irregeführt wird. Es spricht vieles dafür, dass diese Prämisse
zutrifft. Allerdings stellt sich schon hierzu eine Frage zur Auslegung des europä-
ischen Gemeinschaftsrechts, die dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen ist.
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Art. 47 Abs. 1, Abs. 2 Buchstaben a bis c in Verbindung mit Anhang VII Ab-
schnitt A und B der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 unterscheidet bei der Be-
zeichnung von Wein zwischen obligatorischen und fakultativen Angaben und
hinsichtlich der letzteren zwischen fakultativen Angaben, die unter bestimmten
Voraussetzungen verwendet werden können (sog. geregelte fakultative Anga-
ben), und sonstigen Angaben, die für die Verbraucher nützlich sein können
(sog. andere Angaben).
a) Die im Streit stehenden Bezeichnungen zählen nicht zu den obligatorischen
Angaben. Namentlich handelt es sich nicht um traditionelle spezifische Begriffe
im Sinne von Abschnitt A Nr. 2 Buchstabe c letzter Gedankenstrich des An-
hangs VII.
b) Es handelt sich auch nicht um fakultative Angaben, die nur unter bestimmten
vom Erzeugermitgliedstaat geregelten Voraussetzungen verwendet werden
dürfen.
Zwar kommt in Betracht, in den Bezeichnungen „Réserve/Grande Réserve“
bzw. „Reserve/Privat-Reserve“ jeweils sog. ergänzende traditionelle Begriffe zu
sehen. Mit ihnen soll auf eine besondere Qualität des Weins hingewiesen wer-
den, sei es aufgrund besonderer Lagerung des Weins, sei es weil der Winzer
die Erträge je Hektar Anbaufläche begrenzt. Begriffe, die sich auf ein Verfahren
der Erzeugung, Bereitung und Reifung bzw. auf die Qualität des Weins bezie-
hen, erfasst das Weinbezeichnungsrecht als sog. ergänzende traditionelle Beg-
riffe. Das ergibt sich aus Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002. Dement-
sprechend sind die entsprechenden Bezeichnungen für spanische, griechische,
italienische, portugiesische und neuerdings österreichische Weine im Anhang III
zur Verordnung (EG) Nr. 753/2002 jeweils als ergänzende traditionelle Begriffe
aufgeführt.
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Ergänzende traditionelle Begriffe dürfen jedoch nur verwendet werden, wenn
sie in den Rechtsvorschriften des jeweiligen Erzeugermitgliedstaats definiert
sind. Das ergibt sich schon aus Abschnitt B Nr. 1 Buchstabe b fünfter Gedan-
kenstrich des Anhangs VII zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 und ausdrück-
lich aus Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002. Deutschland hat eine Wein-
bezeichnung „Reserve“ oder „Privat-Reserve“ in seinen Rechtsvorschriften nicht
definiert.
c) Die in Rede stehenden Bezeichnungen wären daher nur als andere Angaben
im Sinne von Abschnitt B Nr. 3 des Anhangs VII zur Verordnung (EG)
Nr. 1493/1999 zulässig. Diese anderen Angaben unterliegen nicht der Regelung
durch die Mitgliedstaaten, wie sich schon aus Art. 47 Abs. 2 Buchstabe c dieser
Verordnung, insbesondere aber daraus ergibt, dass Abschnitt B Nr. 4 des An-
hangs VII sich nicht auf Nr. 3 bezieht.
Es fragt sich aber, ob eine Angabe über die durch Lagerung erzielte Reife oder
über eine durch limitierte Erzeugung erzielte Qualität des Weins eine derartige
andere Angabe sein kann. Es ist nämlich nicht zweifelsfrei, ob Art. 23 der Ver-
ordnung (EG) Nr. 753/2002 derartige Angaben nur im Wege ergänzender tradi-
tioneller Begriffe, also nur dann zulässt, wenn der jeweilige Mitgliedstaat die
Angabe als ergänzenden traditionellen Begriff definiert hat; mit anderen Worten:
ob Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 für die dort angesprochenen
Sachverhalte (Verfahren der Erzeugung, Bereitung und Reifung; Qualität, Farbe
oder Art des Weins; Ort oder historisches Ereignis im Zusammenhang mit der
Geschichte des Weins) eine Sperrwirkung gegenüber anderen Angaben im
Sinne von Abschnitt B Nr. 3 des Anhangs VII zur Verordnung (EG)
Nr. 1493/1999 entfaltet. Daher ist dem Europäischen Gerichtshof die Frage
vorzulegen, ob Art. 47 Abs. 2 Buchstaben b und c in Verbindung mit Abschnitt B
Nr. 1 Buchstabe b fünfter Gedankenstrich, Nr. 3 des Anhangs VII der Verord-
nung (EG) Nr. 1493/1999 und Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 dahin
auszulegen sind, dass eine Angabe, die sich auf ein Verfahren der Erzeugung,
Bereitung und Reifung bzw. auf die Qualität des Weins bezieht, nur als geregel-
te fakultative Angabe gemäß Abschnitt B Nr. 1 Buchstabe b fünfter
Gedankenstrich des Anhangs VII der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 unter den
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dort und in Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 vorgesehenen Vo-
raussetzungen und nicht als andere Angabe gemäß Abschnitt B Nr. 3 des An-
hangs VII der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 zulässig ist.
Die Frage ist nach Auffassung des Senats zu verneinen. Eine derartige Sperr-
wirkung des Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 liefe der Zielsetzung des
neuen Bezeichnungsrechts, die Verwendung fakultativer Angaben außerhalb
des geregelten Bereichs möglichst zu gestatten, zuwider. Aus diesem Grunde
wird in der Literatur die vergleichbare Frage, ob Abschnitt B Nr. 1 Buchstabe b
vierter Gedankenstrich des Anhangs VII zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999
hinsichtlich fakultativer Angaben über die Art der Gewinnung oder das
Verfahren für die Herstellung des Erzeugnisses eine Sperrwirkung gegenüber
den zulässigen anderen Angaben nach Abschnitt B Nr. 3 des Anhangs VII zur
Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 entfaltet, wenn der Mitgliedstaat eine Regelung
nach Art. 22 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 nicht getroffen hat, verneint
(Boch, in: Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, C 400, Stand November 2003,
Rn. 4d vor § 22 WeinG).
Auf der Grundlage dieser Auffassung erweist sich die Prämisse des Berufungs-
urteils als zutreffend: Die Bezeichnung „Reserve“ usw. stellt eine andere Anga-
be im Sinne von Art. 47 Abs. 2 Buchstabe c, Anhang VII Abschnitt B Nr. 3 der
Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 dar und ist als solche zulässig, sofern sie nicht
geschützte Bezeichnungen verletzt oder irreführend ist.
3. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, weil der
Kläger mit der Verwendung der Begriffe „Réserve/Grande Réserve“ bzw. „Re-
serve/Privat-Reserve“ geschützte Weinbezeichnungen verletze. Es hat sich
hierfür auf Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 gestützt. Hiernach
sind die in Anhang III dieser Verordnung aufgeführten traditionellen Begriffe - zu
denen gemäß Art. 24 Abs. 1 auch die ergänzenden traditionellen Begriffe
gemäß Art. 23 gehören - den Weinen vorbehalten, mit denen sie verbunden
sind, und gegen widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung ge-
schützt. Auch und vor allem die Auslegung dieser Vorschriften ist nicht zweifels-
frei und bedarf daher einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs.
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a) Anhang III der Verordnung führt seit seiner ursprünglichen Fassung für Spa-
nien „Reserva“ und „Gran Reserva“, für Griechenland „Epilogi e Epilegmenos
(Réserve)“ und „Palaioudeis Epilegmenos (Vieille Réserve)“, für Italien „Riserva“
und für Portugal „Reserva“ und „Super reserva“ und in der Fassung der Än-
derungsverordnung (EG) Nr. 1512/2005 außerdem für Griechenland „Eidika
Epilegmenos (Grand réserve)“, für Portugal zusätzlich „Reserva velha (oder
grande reserva)“ und für Österreich „Reserve“ als ergänzende traditionelle Beg-
riffe auf.
Nach Art. 24 Abs. 4 UAbs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 gilt der Schutz
eines traditionellen Begriffs nur für die Sprache bzw. Sprachen, in der/denen er
in Anhang III aufgeführt ist. Anhang III nennt demzufolge bei den für die Mit-
gliedstaaten Spanien, Griechenland, Italien, Portugal und nunmehr Österreich
angeführten ergänzenden traditionellen Begriffe ausdrücklich die jeweilige Lan-
dessprache Spanisch, Griechisch, Italienisch, Portugiesisch und nunmehr
Deutsch. Die französischen Begriffe „Réserve“ bzw. „Grande Réserve“ sind
demnach nicht geschützt. Daran ändert es nichts, dass die geschützten grie-
chischen Begriffe zugleich in Französisch angegeben sind. Nach Abschnitt D
Nr. 1 des Anhangs VII zur Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 sind die ergänzen-
den traditionellen Begriffe nur in einer der Amtssprachen des Mitgliedstaats, in
dessen Hoheitsgebiet die Herstellung erfolgt ist, anzugeben; jedoch ist bei Er-
zeugnissen mit Ursprung in Griechenland eine Wiederholung in einer oder
mehreren anderen Amtssprachen zulässig. Das soll ersichtlich Wettbewerbs-
nachteile ausgleichen, die wegen der geringen Verbreitung der griechischen
Sprache und Schrift andernfalls bestünden. Es führt nicht dazu, dass die Wie-
derholung des geschützten griechischen Begriffs in einer anderen Amtssprache
als solche geschützt wäre.
b) Der Kläger meint, die Verwendung eines geschützten traditionellen Begriffs
übersetzt in eine andere Sprache könne von vornherein keine Nachahmung
oder Anspielung im Sinne von Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG)
Nr. 753/2002 darstellen. Hierzu beruft er sich auf eine Stellungnahme der
Europäischen Kommission (DG Agri, Dir.C.3., vom 30. August 2005), derzufol-
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ge der Begriff „Reserve“ in französischer oder englischer Sprache verwendet
werden dürfe. Dem Europäischen Gerichtshof ist daher die weitere Frage vor-
zulegen, ob Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 da-
hin auszulegen ist, dass eine widerrechtliche Nachahmung oder Anspielung nur
dann vorliegt, wenn sie in der Sprache des geschützten traditionellen Begriffs
erfolgt.
Der Senat neigt dazu, diese Frage zu verneinen. Art. 24 Abs. 2 Buchstabe a der
Verordnung (EG) Nr. 753/2002 schützt gegen widerrechtliche Aneignung,
Nachahmung oder Anspielung. Es handelt sich um drei verschiedene Verbots-
tatbestände. Lediglich die Aneignung betrifft die wortidentische Verwendung
des geschützten Begriffs, während die Nachahmung wortähnliche und die An-
spielung wortverschiedene, aber sinnähnliche Begriffe meinen dürfte. Dabei
lässt sich aus dem Begriff der Nachahmung nicht schließen, dass nur wortähn-
liche Begriffe in derselben Sprache vom Verbot erfasst sein sollen; die Ähnlich-
keit kann gerade in der Verwendung des entsprechenden, ähnlichen Wortes
einer anderen Amtssprache aus derselben (hier: romanischen) Sprachfamilie
liegen. Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) schließt ersichtlich an Art. 4 Abs. 1
der Verordnung (EG) Nr. 881/98 der Kommission vom 24. April 1998 mit Durch-
führungsbestimmungen zum Schutz ergänzender traditioneller Begriffe für be-
stimmte Arten von Qualitätsweinen bestimmter Anbaugebiete (ABl EG Nr. L 124
S. 22) an. Dort war sogar die Übersetzung als Form der unzulässigen
Nachahmung ausdrücklich genannt. Die Vertreterin des Bundesinteresses teilt
mit, dass mit der Streichung nicht die Absicht einer sachlichen Änderung ver-
bunden gewesen sei. Dann aber ist es als verbotene Nachahmung des ge-
schützten spanischen Begriffs „Reserva“ anzusehen, wenn ein anderer spani-
scher Wein mit dem französischen Begriff „Réserve“ bezeichnet wird. Ob der
nachahmende Begriff als solcher - ebenfalls - geschützt ist, ist hierfür unerheb-
lich. Vergleichbares gilt dann für den Verbotstatbestand der Anspielung: Auch
hierfür ist nicht Voraussetzung, dass die Anspielung in der Sprache des ge-
schützten Begriffs erfolgt.
c) Es fragt sich aber, ob der Schutz des Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG)
Nr. 753/2002 auch gegenüber Weinen aus anderen Mitgliedstaaten besteht. Die
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Europäische Kommission scheint in ihrer bereits erwähnten Stellungnahme vom
30. August 2005 dieser Ansicht zu sein; denn sie meint, dem Kläger sei die
Verwendung der deutschen Bezeichnung „Reserve“ verwehrt, weil diese
deutschsprachige Bezeichnung einigen österreichischen Weinen vorbehalten
sei. Darum ist dem Europäischen Gerichtshof die weitere Frage vorzulegen, ob
Art. 24 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 dahin auszulegen ist, dass die
in Anhang III aufgeführten traditionellen Begriffe nur in Ansehung von Weinen
geschützt sind, die aus demselben Erzeugermitgliedstaat stammen wie der
geschützte traditionelle Begriff, oder auch in Ansehung von Weinen aus ande-
ren Mitgliedstaaten.
Für eine weite Auslegung spricht die Erwägung, den Bezeichnungsschutz mög-
lichst auszudehnen, um zu seiner besseren Wirksamkeit beizutragen. Allerdings
ist zu bedenken, dass das Gemeinschaftsrecht dieses Ziel durch zwei
Instrumente verfolgt, nämlich durch das Nachahmungsverbot des Art. 24 Abs. 2
Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 und durch das allgemeine Irre-
führungsverbot nach Art. 48 der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 und Art. 6
Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002. Auch wenn beide Instrumente ver-
wandt sind und auch im Text des Gemeinschaftsrechts - etwa in Art. 24 Abs. 2
Buchstabe a einerseits, Buchstaben b und c der Verordnung (EG) Nr. 753/2002
andererseits - dicht nebeneinander stehen, so sind sie doch nicht identisch,
sondern ergänzen sich im Wege des Zusammenwirkens. Allein das Ziel, den
Bezeichnungsschutz möglichst wirksam werden zu lassen, nötigt daher noch
nicht dazu, das Nachahmungsverbot als solches ausdehnend auszulegen.
Es sprechen aber vor allem zwei Gründe dafür, dass der Schutz des Art. 24
Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 nur gegenüber Weinen besteht, die
aus demselben Mitgliedstaat kommen wie der geschützte traditionelle Begriff.
Dafür spricht - zum einen - bereits die Definition des „traditionellen Begriffs“
selbst. Zum Wesen des traditionellen Begriffs gehört sein Bezug zur Weinbau-
tradition des jeweiligen Mitgliedstaats. Das gilt in besonderem Maße für die er-
gänzenden traditionellen Begriffe gemäß Art. 23 der Verordnung (EG)
Nr. 753/2002. Nach dieser Vorschrift ist „ergänzender traditioneller Begriff“ ein
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in den Erzeugermitgliedstaaten herkömmlicherweise verwendeter Begriff, der in
den Rechtsvorschriften des Erzeugermitgliedstaats über die Bezeichnung und
Aufmachung von Qualitätsweinen b.A. in seinem jeweiligen Hoheitsgebiet defi-
niert ist. Bei den ergänzenden traditionellen Begriffen handelt es sich mithin um
Begriffe, die sich in der Weinbautradition des jeweiligen Mitgliedstaats heraus-
gebildet haben und in dessen Rechtsvorschriften definiert (und damit bestimm-
ten Weinen vorbehalten) sind. Das aber kann sich nur auf Weine beziehen, die
in dem jeweiligen Mitgliedstaat hergestellt werden. Weine aus anderen Mit-
gliedstaaten stehen schon nicht in der Weinbautradition des Mitgliedstaats; für
sie fehlt dem Mitgliedstaat zudem die Regelungs- und Definitionsbefugnis.
Durch die Aufnahme in den Anhang III zur Verordnung (EG) Nr. 753/2002 wird
der traditionelle Begriff unter Schutz gestellt. Damit wird sein Inhalt jedoch nicht
verändert. Er bleibt vielmehr eine Bezeichnung, die sich in der Weinbautradition
des jeweiligen Herkunftsmitgliedstaats herausgebildet hat und sich auf dessen
Weine bezieht. Über den Weinbau in einem anderen Mitgliedstaat trifft der ge-
schützte Begriff keine Aussage.
Die Gegenauffassung würde - zum zweiten - zu einer Erstarrung der fakultati-
ven Weinbezeichnungen führen und widerspräche zudem der Regelungsauto-
nomie der Mitgliedstaaten für ihren jeweiligen Bereich. Durch die Anerkennung
eines traditionellen Begriffs aus einem Mitgliedstaat würde dann nämlich die
Herausbildung eines vergleichbaren Begriffs in einem anderen Mitgliedstaat und
dessen Befugnis, diesen vergleichbaren Begriff für seinen Hoheitsbereich zu
definieren, blockiert. Vor allem könnte der vergleichbare Begriff des anderen
Mitgliedstaats nicht mehr ebenfalls gemeinschaftsrechtlich unter Schutz gestellt
werden. Hierfür ist gemäß Art. 24 Abs. 5 der Verordnung nämlich nicht nur er-
forderlich, dass der Begriff (a) als solcher spezifisch und in den Rechtsvor-
schriften des Mitgliedstaats genau definiert ist und (b) hinreichende Unter-
scheidbarkeit gewährleistet und/oder innerhalb des Gemeinschaftsmarktes gut
bekannt ist, sondern auch, dass er (c) traditionellerweise während mindestens
zehn Jahren im betreffenden Mitgliedstaat verwendet worden ist und (d) für ei-
nen oder gegebenenfalls für mehrere Weine oder Weinkategorien der Gemein-
schaft verwendet wird. Eine tatsächliche zehnjährige Verwendung könnte je-
doch nicht erfolgen, wenn die Unterschutzstellung einer vergleichbaren Be-
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zeichnung aus einem anderen Mitgliedstaat Sperrwirkung entfaltete. Auf der
Grundlage dieser Auffassung hätte etwa die Bezeichnung „Reserve“ für öster-
reichische Weine im Jahre 2005 nicht mehr unter Schutz gestellt werden dür-
fen, da ihre Verwendung seit der Unterschutzstellung der entsprechenden spa-
nischen, portugiesischen, italienischen und griechischen Begriffe gegen das
Nachahmungsverbot verstoßen hätte. Und auch wenn das Nachahmungsverbot
auf dieselbe Sprache beschränkt würde (vgl. oben 3 b), könnte sich doch nach
der Unterschutzstellung der deutschsprachigen Bezeichnung für Österreich
eine entsprechende - ebenfalls deutschsprachige - Bezeichnung für
Deutschland oder für Italien (Südtirol) nicht mehr herausbilden. Das wäre ins-
besondere in den Fällen problematisch, in denen sich in benachbarten Mit-
gliedstaaten mit derselben Landessprache vergleichbare Bezeichnungen paral-
lel entwickeln. In derartigen Fällen darf es nicht von dem Zufall abhängen, wes-
sen Bezeichnung zuerst unter gemeinschaftsrechtlichen Schutz gestellt wird.
Mit der hier vertretenen Auslegung verliert die gemeinschaftsrechtliche Unter-
schutzstellung nicht ihren Sinn. Solange der traditionelle Begriff nicht gemein-
schaftsrechtlich geschützt ist, unterliegt seine Verwendung dem jeweiligen nati-
onalen Recht. Der jeweilige Mitgliedstaat kann derartige Begriffe definieren und
für seinen Bereich unter Schutz stellen (vgl. Abschnitt B Ziff. 4 des Anhangs VII
zur Verordnung Nr. 1493/1999 sowie Art. 24 Abs. 7 Buchstabe c zur Ver-
ordnung Nr. 753/2002). Die gemeinschaftsrechtliche Unterschutzstellung
bewirkt, dass der traditionelle Begriff auch in allen anderen Mitgliedstaaten den
Weinen aus dem Herkunftsstaat vorbehalten ist, mit denen er verbunden ist
(vgl. den Wortlaut von Art. 24 Abs. 2 der Verordnung), und für andere Weine
aus diesem Herkunftsstaat nicht verwendet werden darf. Ein spanischer Wein,
der nach den Kriterien des spanischen Rechts die Bezeichnung „Reserva“ nicht
verdient, darf deshalb auch in Deutschland oder Frankreich nicht mit dieser Be-
zeichnung in den Verkehr gebracht werden, selbst wenn das deutsche oder
französische Recht diese oder eine entsprechende Bezeichnung nicht schützt.
Allerdings ist nicht zu verkennen, dass das Nachahmungsverbot durch eine
solche Auslegung eingeschränkt wird. Außerhalb seines Anwendungsbereichs
hängt die Zulässigkeit einer fakultativen Weinbezeichnung dann davon ab, ob
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sie mit dem Irreführungsverbot vereinbar ist. Gerade diese Konsequenz ent-
spräche aber der Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers, das Weinbezeich-
nungsrecht zu liberalisieren.
d) Auf der Grundlage der einschränkenden Auslegung des Nachahmungsver-
bots wäre die Revision des Klägers erfolgreich. Entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts kann dann nämlich in der Verwendung der Bezeichnungen
„Réserve“ oder „Grande Réserve“ für einen deutschen Wein keine Nachah-
mung der geschützten entsprechenden Begriffe der spanischen, griechischen,
italienischen und/oder portugiesischen Sprache gesehen werden; denn der
gemeinschaftsrechtliche Schutz dieser entsprechenden Begriffe besteht nur in
Ansehung von spanischen, griechischen, italienischen oder portugiesischen
Weinen. Aus demselben Grunde stellt die Verwendung der - deutschen - Be-
zeichnungen „Reserve“ oder „Privat-Reserve“ keine Anspielung auf diese ge-
meinschaftsrechtlich geschützten Begriffe dar.
Die vom Kläger verwendeten oder beabsichtigten Bezeichnungen verletzen
auch nicht den seit dem 1. September 2005 bestehenden Schutz des ergän-
zenden traditionellen Begriffs „Reserve“ für Österreich. Denn dieser Schutz be-
steht nur in Ansehung von Weinen, die in Österreich hergestellt wurden. Damit
kann in der Verwendung der französischen Bezeichnung „Réserve“ für einen
deutschen Wein auch keine Nachahmung dieses traditionellen österreichischen
Begriffs gesehen werden. Nichts anderes gilt aber für die Verwendung der
deutschen Bezeichnung „Reserve“ für einen deutschen Wein. Zwar ist der ös-
terreichische Begriff in der deutschen Sprache geschützt, so dass nicht lediglich
eine Nachahmung (oder Anspielung), sondern sogar eine widerrechtliche An-
eignung in Betracht kommt. Trotz der Wort- und Sprachidentität liegt aber keine
Aneignung des geschützten Begriffs vor, wenn der Schutz nur in Ansehung von
Weinen aus Österreich besteht, nicht aber von Weinen aus Deutschland.
4. Die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist
zur Entscheidung über die Revision des Klägers erforderlich. Auf sie kann nicht
deshalb verzichtet werden, weil die Revision des Klägers schon aus einem an-
deren Grunde Erfolg haben müsste.
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a) Der Kläger meint, dass die Bezeichnungen „Consulat des Weins - (Grande)
Réserve“ schon deshalb nicht unzulässig sein könnten, weil sie vom Europäi-
schen Markenamt als geschützte Marken eingetragen wurden. Dem ist das Be-
rufungsgericht zu Recht nicht gefolgt. Gemäß Art. 24 Abs. 3 der Verordnung
(EG) Nr. 753/2002 dürfen Marken, die die in Anhang III aufgeführten traditionel-
len Begriffe enthalten, zur Bezeichnung eines Weins in der Etikettierung nur
verwendet werden, wenn der Wein diesen traditionellen Begriff führen darf. Der
Markenschutz verleiht also kein über Art. 24 Abs. 2 der Verordnung hinausrei-
chendes Bezeichnungsrecht. Dahingehende Zweifel, die nach dem vorherigen
Recht bestanden (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 1999 - I ZR 86/97, Lorch
Premium - GRUR 2000, 727 = ZLR 2000, 591; EuGH, Urteil vom 24. Oktober
2002 - Rs. C-81/01, Borie Manoux - Slg. I-9259, 9281), sind damit ausgeräumt
worden. Anderes gilt gemäß Art. 24 Abs. 3 UAbs. 2 der Verordnung nur für
Marken, die vor ihrer Veröffentlichung rechtmäßig in gutem Glauben in der
Gemeinschaft eingetragen wurden und die seit der Eintragung tatsächlich recht-
mäßig in gutem Glauben verwendet wurden. Nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Hiergegen bringt die
Revision durchgreifende Verfahrensrügen nicht vor.
b) Aus prozessrechtlichen Gründen ist es dem Senat nicht möglich, über die
Revision des Klägers auf der Grundlage des anderen von der Behörde ange-
führten Untersagungsgrundes zu entscheiden.
Wie erwähnt, wäre die Verwendung der französischen Bezeichnung „Réser-
ve/Grande Réserve“ oder der deutschen Bezeichnung „Reserve/Privat-
Reserve“ für die Weine des Klägers - unabhängig davon, ob sie eine unzulässi-
ge Nachahmung geschützter Weinbezeichnungen darstellt - auch dann verbo-
ten, wenn sie im Sinne von Art. 48 der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 und
Art. 6 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 753/2002 geeignet ist, den Verbraucher
irrezuführen. Eine derartige Irreführung kommt einerseits als Täuschung über
die Herkunft des Weins in Betracht; das ist insbesondere bei der Verwendung
der französischen Bezeichnung zu bedenken, die in den Augen des Verbrau-
chers die irrige Annahme wecken könnte, der Wein des Klägers stamme aus
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Frankreich. Zum anderen kann eine Täuschung über die Qualität des Weins
vorliegen; es liegt - in Anlehnung an die geschützten Bezeichnungen für portu-
giesische, spanische, italienische, griechische und österreichische Weine - na-
he, dass der Verbraucher mit der Bezeichnung „Reserve“ eine durch Lagerung
erzielte besondere Reife des Weins verbindet, und es könnte sein, dass der
Wein des Klägers diese Qualität tatsächlich nicht aufweist.
Das Berufungsgericht hat indes offen gelassen, ob eine Irreführung vorliegt.
Dem Senat ist eine Entscheidung über diese Fragen verwehrt. Hierzu bedarf es
noch tatsächlicher Feststellungen, die das Berufungsgericht bislang nicht ge-
troffen hat und die der Senat als Revisionsgericht nicht treffen kann. Der Senat
ist im gegenwärtigen Verfahrensstadium auch gehindert, das Berufungsurteil
aufzuheben und die Sache zur Nachholung dieser tatsächlichen Feststellungen
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Hierzu müsste feststehen, dass
das Berufungsurteil mit Bundesrecht oder europäischem Gemeinschaftsrecht
unvereinbar ist (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dazu bedarf es aber vorab der Klä-
rung der erwähnten Fragen zur Auslegung des europäischen Gemeinschafts-
rechts.
Kley
van Schewick
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Weinrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
VO (EG) Nr. 1493/1999 Art. 47
VO (EG) Nr. 753/2002 Art. 23
VO (EG) Nr. 753/2002 Art. 24
Stichworte:
Wein; Weinbezeichnung; geregelte fakultative Angabe; ergänzender traditionel-
ler Begriff; Irreführung; Nachahmung; Nachahmungsverbot; „Reserve“; „Privat-
Reserve“.
Leitsatz:
Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage zur Vorabentscheidung vorge-
legt, ob eine Angabe, die sich auf ein Verfahren der Erzeugung, Bereitung und
Reifung oder auf die Qualität des Weins bezieht, nur als geregelte Angabe zu-
lässig ist.
Der Europäische Gerichtshof wird ferner gefragt, ob eine widerrechtliche Nach-
ahmung einer geschützten Weinbezeichnung nur dann vorliegt, wenn sie in der
Sprache des geschützten Begriffs erfolgt.
Der Europäische Gerichtshof wird schließlich gefragt, ob die vom Gemein-
schaftsrecht geschützten traditionellen Begriffe nur in Ansehung von Weinen
geschützt sind, die aus demselben Erzeugermitgliedstaat stammen wie der ge-
schützte traditionelle Begriff.
Beschluss des 3. Senats vom 16. März 2006 - BVerwG 3 C 16.05
I. VG Neustadt a.d.W. vom 29.01.2004 - Az.: VG 2 K 1628/03.NW -
II. OVG Koblenz vom 21.09.2004 - Az.: OVG 7 A 10692/04 -