Urteil des BVerwG vom 27.01.2011
Verordnung, Kontrolle vor Ort, Europäisches Gemeinschaftsrecht, Rückforderung
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 12.10
OVG 10 LC 148/09
Verkündet
am 27. Januar 2011
Bech
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
Buchheister und Dr. Wysk
für Recht erkannt:
Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsge-
richts vom 19. Januar 2010 wird geändert. Die Berufung
der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
Stade vom 1. September 2009 wird im vollen Umfang zu-
rückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und des Re-
visionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Rindersonderprämien,
die er für das Jahr 1995 erhalten hatte.
Nach seiner Beteiligungserklärung vom 21. Juli 1995 beantragte der Kläger am
20. Dezember 1995 und am 28. Dezember 1995 die Gewährung von Sonder-
prämien für männliche Rinder, darunter für insgesamt zehn Rinder der zweiten
Altersklasse. Als Anlage legte er eine Kopie seines Bestandsverzeichnisses für
1993 bis 1995 vor. Mit Bescheid vom 8. Juli 1996 gewährte ihm das Amt für
Agrarstruktur Sonderprämien in Höhe von 8 898,96 DM (entspricht 4 549,97 €),
lehnte aber eine Prämie für die im Antrag vom 28. Dezember 1995 aufgeführten
neun zugekauften Rinder der zweiten Altersklasse ab, wegen acht Tieren, weil
der erforderliche Altersnachweis nicht geführt sei, und wegen des neunten
Tieres sanktionshalber. Die bewilligte Prämie war bereits am 1. Juli 1996 aus-
gezahlt worden. Der Kläger legte Widerspruch ein, dem das Amt für Agrarstruk-
tur mit Bescheiden vom 6. und 7. August 1997 teilweise abhalf; der Kläger habe
das Alter von sieben zugekauften Tieren durch Vorlage von Bestandsver-
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zeichnissen des Verkäufers oder der Zukaufbelege nachgewiesen, doch seien
die Prämien im Wege der Sanktion anteilig zu kürzen, weshalb lediglich eine
weitere Prämienzahlung in Höhe von 1 506,72 DM (entspricht 770,37 €) ge-
währt werden könne.
Mit Schreiben vom 4. Juli 2006 hörte die Beklagte den Kläger zu ihrer Absicht
an, den noch offenen Widerspruch zurückzuweisen und die gewährten Prämien
teilweise zurückzufordern. Der Kläger nahm daraufhin seinen Widerspruch zu-
rück. Mit Bescheid vom 15. August 2006 hob die Beklagte den Bescheid vom
8. Juli 1996 teilweise und die Bescheide vom 6. und 7. August 1997 vollständig
auf und forderte Sonderprämie in Höhe von 1 278,66 € (= 2 500,84 DM) zurück.
Der Kläger habe das Bestandsverzeichnis nicht ordnungsgemäß, insbesondere
nicht zeitnah und nicht chronologisch erstellt, weshalb der für die Sonderprämie
der zweiten Altersklasse erforderliche Altersnachweis nicht geführt sei. Zwei
Antragstiere seien im Bestandsverzeichnis überhaupt nicht aufgeführt, weshalb
für sie auch keine Sonderprämie für die erste Altersklasse gewährt werden kön-
ne. Hinsichtlich des Antrags vom 20. Dezember 1995 sei nur ein Tier betroffen,
weshalb hier keine zusätzliche Sanktion auszusprechen sei. Hinsichtlich des
Antrags vom 28. Dezember 1995 seien aber neun von dreizehn Tieren betrof-
fen, weshalb auch die dem Grunde nach zu gewährende Prämie für die erste
Altersklasse um 15,38 % zu kürzen sei.
Mit seiner gegen die Rücknahme und Rückforderung gerichteten Klage hat der
Kläger eingewendet, vor 1997 habe es keine gemeinschaftsrechtlichen Vor-
schriften über die Führung des Bestandsverzeichnisses gegeben. Sofern ihm
deshalb überhaupt Fehler unterlaufen seien, berührten sie den Prämienan-
spruch nur dann zur Gänze, wenn sie bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb
von 24 Monaten festgestellt worden seien. Die Behörden hätten Einwände aber
vor 2006 durchweg nicht erhoben, weshalb er auch im guten Glauben gehan-
delt habe. Schließlich seien Rückforderungsansprüche verjährt.
Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Rücknahme- und Rückforde-
rungsbescheid mit Urteil vom 1. September 2009 aufgehoben. Zwar lägen die
Rücknahmevoraussetzungen vor, weil der Kläger das Bestandsregister nicht
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ordnungsgemäß geführt und deshalb das Alter der Antragstiere nicht nachge-
wiesen habe. Er könne sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Der
Rückforderungsanspruch der Beklagten sei aber verjährt. Insofern sei die Ver-
ordnung (EG, EURATOM) Nr. 2988/95 anzuwenden, deren äußerste achtjähri-
ge Verjährungsfrist verstrichen sei.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom
19. Januar 2010 das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich der Rücknahme der
Bewilligungsbescheide und der Rückforderung eines Teilbetrages von 770,37 €
geändert; insoweit hat es die Klage abgewiesen. Wegen der restlichen 508,29 €
hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die
Rücknahme der Bescheide über die Gewährung von Rindersonderprämie für
1995 für Tiere der zweiten Altersklasse sei rechtmäßig. Rindersonderprämie
hätte insoweit nicht gewährt werden dürfen; denn der Kläger habe das
vorgeschriebene Bestandsregister nicht ordnungsgemäß geführt. Darin müss-
ten alle im Betrieb gehaltenen männlichen Tiere mit einer fortlaufenden
Nummer, ihrer Ohrmarke, dem Geburtsdatum, dem Tag des Zugangs bei Zu-
kauf mit Name und Anschrift des Erzeugers, der Art der Nutzung (Bulle oder
Ochse), dem Tag des Abgangs beim Verkauf mit Name und Anschrift des Käu-
fers sowie sonstigen Bemerkungen aufgeführt werden. Das Bestandsregister
diene nicht nur der Identifizierung und Registrierung der männlichen Rinder im
Betrieb, sondern auch dem Nachweis, dass die Tiere das für die Gewährung
der Rindersonderprämie der zweiten Altersklasse erforderliche Mindestalter von
23 Monaten erreicht hätten und mindestens vier Monate seit dem 20. Lebens-
monat auf dem Betrieb gehalten worden seien. Auf ergänzende Informations-
quellen könne nur zurückgegriffen werden, wenn das Bestandsregister zwar
vollständig sei, aber Zweifel bestünden, dass es fortlaufend zeitnah geführt
worden sei. Diese Rechtslage habe seit 1992 bestanden; darauf sei der Kläger
durch Merkblätter hingewiesen worden. Die Rücknahmebefugnis der Beklagten
sei als solche auch nicht verjährt. Der Verjährung unterliege allerdings der
Rückforderungsanspruch. Insoweit gelte nach der Verordnung (EG)
Nr. 2419/2001 jedoch eine zehnjährige Verjährungsfrist, die durch die Anhörung
zur beabsichtigten Rückforderung im Juli 2006 unterbrochen worden sei. Des-
halb habe die Klage in Ansehung des bereits am 1. Juli 1996 ausgezahlten
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Teilbetrages von 508,29 € Erfolg, müsse aber wegen der erst 1997 gezahlten
weiteren 770,37 € abgewiesen werden.
Zur Begründung seiner Revision trägt der Kläger vor: Entgegen der Ansicht des
Berufungsgerichts seien Fehler bei der Führung des Bestandsregisters nach
ihrer jeweiligen Schwere zu ahnden und könnten keineswegs durchweg den
vollständigen Prämienverlust zur Folge haben. Diese Ansicht habe das Beru-
fungsgericht erst 2004 entwickelt; es stehe damit allein. Auch bei den Vor-Ort-
Kontrollen der Behörde habe insbesondere etwa die richtige Chronologie der
Eintragungen zu keinem Zeitpunkt eine Rolle gespielt. Richtig sei, dass bei ei-
nem Prämienantrag das Bestandsregister vorgelegt werden müsse und dass
die Antragstiere darin mit den prämienrelevanten Angaben aufgeführt sein
müssten; zur Behebung von Zweifeln etwa am Alter von Antragstieren dürfe auf
andere Nachweise zurückgegriffen werden. Anderweitige Fehler des Bestands-
registers - namentlich bei Nichtantragstieren - führten nur dann zu Prämienkür-
zungen, wenn sie bei mindestens zwei Kontrollen innerhalb von 24 Monaten
festgestellt würden. Nach diesen Maßstäben hätten die Voraussetzungen für
die Gewährung von Rindersonderprämien für die zweite Altersklasse hier vor-
gelegen, weshalb die Bewilligungsbescheide nicht hätten zurückgenommen
werden dürfen. Jedenfalls aber seien Rückforderungsansprüche verjährt.
Die Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.
II
Die Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hat die Beklagte für berechtigt
erachtet, die Bewilligung von Sonderprämie für männliche Rinder der zweiten
Altersklasse für 1995 zurückzunehmen und die gezahlten Beträge zurück-
zufordern, weil die Bewilligungsbescheide insoweit rechtswidrig gewesen seien;
die Voraussetzungen für die Gewährung dieser Sonderprämie hätten nicht vor-
gelegen. Zu diesen Voraussetzungen zählt es die Vorlage eines zeitnah und
chronologisch geführten, inhaltlich vollständigen und richtigen Bestandsver-
zeichnisses. Das verletzt Bundes- und europäisches Gemeinschaftsrecht.
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1. Allerdings war der Kläger verpflichtet, ein Bestandsregister zu führen.
a) Diese Pflicht war im Jahre 1995 im europäischen Recht lediglich durch eine
Richtlinie vorgesehen. Nachdem der Rat im Jahr 1990 aus tierseuchenrechtli-
chen Gründen die Kennzeichnung und Registrierung von Tieren für den inner-
gemeinschaftlichen Handel und 1991 für die Einfuhr von Tieren aus Drittländern
durch Richtlinien vorgeschrieben hatte, erließ er am 27. November 1992 die
allgemeine Richtlinie 92/102/EWG über Mindestanforderungen für die
Kennzeichnung und Registrierung von Tieren (ABl Nr. L 355 S. 32). Geregelt
war neben einem von der zuständigen Behörde zu führenden Betriebsver-
zeichnis (Art. 3) und der Kennzeichnung jedes Rindes durch eine Ohrmarke mit
einem alphanumerischen Code (Art. 5 Abs. 2) auch ein von jedem Tierhalter zu
führendes Bestandsregister (Art. 4). In Ansehung von Rindern wurde das
Richtlinienrecht erst mit Wirkung vom 1. Juli 1997 durch gemeinschaftliches
Verordnungsrecht, nämlich durch die Verordnung (EG) Nr. 820/97 des Rates
vom 21. April 1997 zur Einführung eines Systems zur Kennzeichnung und Re-
gistrierung von Rindern (ABl Nr. L 117 S. 1) ersetzt.
Die Richtlinie 92/102/EWG wurde freilich nicht mehr nur zu tierseuchenrechtli-
chen Zwecken, sondern auch zu Zwecken bestimmter gemeinschaftlicher Bei-
hilferegelungen erlassen (vgl. deren dritten Erwägungsgrund). Dementspre-
chend bestimmte Art. 5 der am selben Tage erlassenen sektorenübergreifen-
den Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 des Rates vom 27. November 1992 zur
Einführung eines integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems für bestimmte
gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl Nr. L 355 S. 1), dass das System zur
Kennzeichnung und Registrierung von Tieren, die für die Gewährung einer
Beihilfe - auch etwa einer Sonderprämie - berücksichtigt werden, gemäß den
einschlägigen Artikeln dieser Richtlinie einzurichten ist. Die grundlegende Sek-
torenverordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die ge-
meinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABl Nr. L 148 S. 24), die für 1995
in der Fassung der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 2066/92 des Rates vom
30. Juni 1992 (ABl Nr. L 215 S. 49) galt, erwähnt das Bestandsregister zwar nur
in Art. 4g Abs. 4 und damit im Zusammenhang mit der Begrenzung der Son-
derprämie durch einen Besatzdichtefaktor. Jedoch knüpft Art. 14 der Verord-
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nung (EWG) Nr. 3886/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl
Nr. L 391 S. 20), die für das Kalenderjahr 1995 in der Fassung der Verordnung
(EG) Nr. 3269/94 der Kommission vom 21. Dezember 1994 (ABl Nr. L 339
S. 46) galt und die Durchführungsbestimmungen für die Sonderprämie für
männliche Rinder enthält, generell an die Pflicht zur Führung eines Bestands-
registers an; nur für den Fall, dass ein Mitgliedstaat die Richtlinie 92/102/EWG
noch nicht umgesetzt hat, sieht Art. 59 der Verordnung Übergangsbestimmun-
gen vor.
b) Die Richtlinie 92/102/EWG wurde in Deutschland - teilweise schon vorzeitig -
im Kontext der Viehverkehrsverordnung (VVVO), nämlich durch die Erste Ver-
ordnung zur Änderung der Viehverkehrsverordnung vom 19. Dezember 1986
(BGBl I S. 2651) umgesetzt. Weitere Regelungen wurden später in die Rinder-
und Schafprämien-Verordnung (RSVO) vom 5. Februar 1993 (BGBl I S. 200)
aufgenommen, die zu Beginn des Kalenderjahres 1995 bis zum 27. Oktober
1995 in der Fassung der Vierten Änderungsverordnung vom 17. Dezember
1994 (BGBl I S. 3846) galt. Die Gesamtregelung wurde dann durch die Ände-
rungsverordnung vom 19. April 1995 (BGBl I S. 528) neu auf die Viehverkehrs-
verordnung und die Rinder- und Schafprämien-Verordnung aufgeteilt.
Dass ein Bestandsregister geführt werden muss, ergab sich bis zu der Ände-
rungsverordnung aus § 5 Abs. 4 RSVO und hernach aus § 5 Abs. 1 RSVO
i.V.m. § 24c VVVO. Seinen Mindestinhalt legte § 5 RSVO fest. Hiernach musste
das Bestandsregister für jedes männliche Rind die Ohrmarkennummer (bzw.
Ersatzohrmarkennummer), das Geburtsdatum, die Angabe, ob es kastriert ist,
sowie bei Bestandsveränderungen das Zukauf- oder Abgabedatum und den
Verkäufer oder Abnehmer verzeichnen. Seit dem 28. Oktober 1995 musste der
Verkäufer oder Abnehmer nicht nur mit dem Namen, sondern auch mit der An-
schrift bezeichnet werden.
Dass das Bestandsregister chronologisch geführt werden müsse, ist - entgegen
der Ansicht des Berufungsgerichts - nicht vorgeschrieben. Allerdings schreibt
Art. 14 der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 vor, dass jedes im Betrieb gehalte-
ne männliche Rind mit seiner Identifizierungsnummer spätestens am dritten Tag
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nach seinem Eintreffen im Betrieb in das Bestandsregister eingetragen werden
muss; wird dies beachtet, so ergibt sich hieraus eine gewisse Chronologie der
Eintragungen. Das „Eintreffen im Betrieb“ erfasst jedenfalls einen Zugang durch
Zukauf. Bei Zugängen durch Geburt im Betrieb hingegen dürfte die
Dreitagesregel kaum einzuhalten sein; denn eine Eintragung ist erst möglich,
nachdem die Behörde eine Identifizierungsnummer zugeteilt hat. Dabei ist zu
bedenken, dass der Betriebsinhaber das in seinem Betrieb geborene Tier ge-
mäß § 4 RSVO, § 19b VVVO regelmäßig binnen dreißig Tagen mit einer Ohr-
marke kennzeichnen muss. Art. 14 der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 ist des-
halb wohl dahin zu verstehen, dass im Betrieb geborene Tiere binnen drei Ta-
gen nach Zuteilung einer Identifizierungsnummer in das Bestandsregister ein-
getragen werden müssen.
2. Fehler und Versäumnisse bei der Führung des Bestandsregisters führten im
Antragsjahr 1995 nach dem europäischen Gemeinschaftsrecht nicht zum voll-
ständigen Prämienverlust.
a) Welche Rechtsfolgen Fehler und Versäumnisse bei der Führung des Be-
standsregisters nach sich ziehen, regelt die Verordnung (EWG) Nr. 3887/92
der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391 S. 36), die für das An-
tragsjahr 1995 in der Fassung der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 1648/95
der Kommission vom 6. Juli 1995 (ABl Nr. L 156 S. 27) galt. Diese Verordnung
sieht lediglich bestimmte Prämienkürzungen vor, wenn bei antragsunabhängi-
gen Vor-Ort-Kontrollen festgestellt wurde, dass nicht alle Tiere, die im Betrieb
gehalten wurden, im Bestandsverzeichnis mit ihrer Kennzeichnung aufgeführt
waren.
Nach Art. 6 Abs. 6 der Verordnung erstreckt sich eine behördliche Kontrolle vor
Ort (Betriebskontrolle) bei einem Betrieb, dessen Inhaber auch Sonderprämie
für männliche Rinder gewährt wird, unter anderem darauf, ob alle im Betrieb
vorhandenen männlichen Rinder mit einem Alter von über 30 Tagen ordnungs-
gemäß identifiziert - also mit einer Ohrmarke versehen - und im Bestandsregis-
ter geführt sind. Diese Kontrolle steht nicht in zeitlichem oder sachlichem Zu-
sammenhang mit einem bestimmten Prämienantrag; das Bestandsregister wird
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nicht nur mit Blick auf Antragstiere, sondern mit Blick auf alle Tiere kontrolliert,
die für eine Prämie in Betracht kommen. Verstöße führen dementsprechend
auch nicht bei einem einzelnen Prämienantrag zu Sanktionen, sondern bei den
Prämien, die in dem betreffenden Kalenderjahr insgesamt beansprucht werden.
In diesem Sinne prämienschädlich sind aber nicht sämtliche Fehler und Ver-
säumnisse; prämienschädlich ist nur, wenn einzelne Tiere überhaupt nicht im
Bestandsregister aufgeführt waren. Ferner führen nicht alle hiernach potentiell
prämienschädlichen Fehler sogleich zum vollständigen Prämienverlust; viel-
mehr sieht das Gemeinschaftsrecht ein System abgestufter Sanktionen vor. So
bestimmte Art. 10 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 in ihrer ursprüng-
lichen Fassung, dass, wenn bei einer Kontrolle festgestellt wurde, dass die Zahl
der im Betrieb vorhandenen und für eine Prämienbeantragung in Betracht
kommenden Tiere nicht der Zahl der im Bestandsregister geführten Tiere ent-
spricht, der Gesamtbetrag der Sonderprämien, die dem Betriebsinhaber für das
betreffende Kalenderjahr zu gewähren sind, außer im Falle höherer Gewalt
entsprechend gekürzt wird; nur bei erheblichen Abweichungen und bei wieder-
holter Abweichung bei zwei Kontrollen in demselben Kalenderjahr wird für die-
ses Kalenderjahr keinerlei Prämie gewährt. Art. 10 Abs. 4 der Verordnung in der
Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 1678/98 vom 29. Juli 1998 (ABl
Nr. L 212 S. 23) und Art. 10c der Verordnung in der Fassung der Ände-
rungsverordnung (EG) Nr. 2801/1999 (ABl Nr. L 340 S. 29) modifizieren diese
Bestimmung, ergänzen insbesondere die „Fehler“ des Bestandsregisters um
„Versäumnisse“ bei seiner Führung, ohne jedoch am Grundsatz etwas zu än-
dern. Dies gilt ungeachtet der Frage, ob für das Kalenderjahr 1995 anstelle der
ursprünglichen Fassung in Anwendung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung
(EG, EURATOM) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den
Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl
Nr. L 312 S. 1) eine der späteren Fassungen als günstigere Sanktionsregelung
rückwirkend anzuwenden ist (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 14. Dezember
2004 - 10 LC 67/02 - AUR 2005, 157).
b) Daneben können Fehler im Bestandsregister, die einzelne Tiere betreffen,
den Prämienanspruch für diese Tiere ausschließen sowie ggf. Anlass für weite-
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re Prämienkürzungen bieten, wenn sie nämlich verhindern, dass diese Tiere im
Sinne des Art. 10 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 als prä-
mienberechtigt „festgestellt“ werden können.
Das Gemeinschaftsrecht sah dies für das Kalenderjahr 1995 indes noch nicht
vor. Erst seit der Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 durch die Ver-
ordnung (EG) Nr. 1678/98, die nur für Prämienanträge für das Jahr 1999 gilt,
ordnet Art. 10 Abs. 5 Unterabs. 1 Buchstabe b an, dass ein Rind nur dann als
festgestellt gilt, wenn es ordnungsgemäß im Bestandsregister geführt ist (vgl.
auch EuGH, Urteil vom 24. Mai 2007 - Rs. C-45/05, Maatschap Schonewille-
Prins - Slg. I-4025 , wo ebenfalls ein Registrierungsfehler den
Beihilfeanspruch gerade für das betroffene Tier ausschloss). Dasselbe be-
stimmt Art. 10d Unterabs. 1 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 in
der ab dem Jahr 2000 geltenden Fassung der Änderungsverordnung (EG)
Nr. 2801/1999. Für die Jahre vor 1999 fehlt eine vergleichbare Bestimmung;
Art. 10 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 in der 1995 anzuwendenden Fas-
sung setzt für die Prämienfähigkeit eines Tieres in formeller Hinsicht lediglich
voraus, dass es im Beihilfeantrag identifiziert wurde (Abs. 4 Unterabs. 1), knüpft
die „Feststellung“ der Prämienfähigkeit aber an keine darüber hinausgehenden
formellen Voraussetzungen.
Für die Jahre vor 1999 verbleibt es damit bei den Rechtsfolgen des bereits er-
wähnten Art. 10 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92, dass prämien-
schädlich nur sein kann, wenn im Bestandsregister nicht alle Tiere des Betrie-
bes verzeichnet sind, und wenn dies bei einer (oder bei mehreren) Vor-Ort-
Kontrollen festgestellt wird. Dass dies die einzige Rechtsfolge war, wird auch
dadurch bestätigt, dass Art. 10 Abs. 3 nicht zwischen Antragstieren und Nicht-
antragstieren unterscheidet. Erst die erwähnten Änderungsverordnungen haben
diese Unterscheidung eingeführt; nunmehr sind nicht ordnungsgemäße
Eintragungen von Antragstieren unmittelbar prämienschädlich (Art. 10 Abs. 2
und 5 der Verordnung i.d.F. der Änderungsverordnung Nr. 1678/98),
während der Anwendungsbereich der Nachfolgeregelung zu Art. 10 Abs. 3 - of-
fenbar um Doppelsanktionen zu vermeiden - auf Nichtantragstiere beschränkt
wurde (vgl. Art. 10 Abs. 4 der Verordnung i.d.F. der Änderungsverordnung
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Rindern ...“).
3. Dass eine Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Führung des Be-
standsregisters allein eine Versagung der Sonderprämien für männliche Rinder
rechtfertigt, ergibt sich auch nicht aus dem nationalen Recht.
a) § 3 Abs. 1, § 5 und § 13 RSVO regeln die Anforderungen für den Prämien-
antrag und die Schlachtbescheinigung, teilweise in Wiederholung, teilweise in
Ergänzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben. Nach § 5 Abs. 5 RSVO - seit
28. Oktober 1995 nach § 5 Abs. 4 RSVO - muss der Erzeuger mit jedem Antrag
auf Sonderprämie auch eine Abschrift oder Kopie des aktuellen Bestandsregis-
ters vorlegen. Dies stellt ersichtlich eine bloße Ordnungsvorschrift dar. Ihr
Zweck ist es, der Behörde die Prüfung zu erleichtern, ob die „beantragten Tiere“
die Prämienvoraussetzungen erfüllen, also als prämienberechtigt „festgestellt“
werden können; ferner dient es ggf. der Berechnung des Besatzdichtefaktors.
Die zuständige Behörde ist bei der Antragsprüfung nicht an die eigenen Anga-
ben des Erzeugers im Beihilfeantrag gebunden, sondern gehalten, die Richtig-
keit dieser Angaben von Amts wegen zu überprüfen (vgl. § 24 VwVfG). Dabei
ist sie in der Wahl ihrer Erkenntnisquellen frei, kann also neben dem Bestands-
register auch etwa auf das Zuchtbuch oder bei zugekauften Rindern auf den
Kaufvertrag und das Bestandsregister des Verkäufers zurückgreifen. Auch die
eigene Versicherung des Antragstellers kommt in Betracht. Aus Art. 59 Buch-
stabe b der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 lässt sich lediglich entnehmen,
dass sie sich zur Frage des Alters eines Tieres nicht allein auf die eigenen An-
gaben des Erzeugers verlassen darf; lässt sich dieses nicht belegen, so ist der
Altersnachweis nicht geführt.
Aus § 5 Abs. 5 RSVO a.F., § 5 Abs. 4 RSVO n.F. ist aber immerhin zu schlie-
ßen, dass dem Bestandsregister besondere Bedeutung zukommt. Dabei hat die
Behörde durchaus zu berücksichtigen, ob das Bestandsregister zeitnah geführt
wurde und ob es vollständig ist. Bei gegebenem Anlass hat sie auch zu prüfen,
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ob es inhaltlich richtig ist. Je nachdem kommt einer Eintragung in das
Bestandsregister nur eine geringe oder gar keine Beweiskraft zu.
b) Das nationale Recht sieht aber nirgends vor, dass die Vorlage eines aktuel-
len Bestandsregisters - vollends eines einwandfrei geführten und inhaltlich voll-
ständigen und richtigen Registers - in dem Sinne (formelle) Prämienvorausset-
zung wäre, dass ein Prämienantrag andernfalls ohne Weiteres, d.h. also ohne
Sachprüfung abgelehnt werden könnte.
Zu einer derart weitreichenden Sanktionierung der Pflicht zur Führung des Be-
standsregisters wäre Deutschland auch gar nicht berechtigt (vgl. auch EuGH,
Urteil vom 24. Mai 2007, a.a.O. ). Art. 55 der Verordnung (EWG)
Nr. 3886/92 ermächtigt die Mitgliedstaaten zwar zum Erlass von geeigneten
Vorschriften, um die ordnungsgemäße Durchführung dieser Verordnung zu ge-
währleisten. Sie sind mithin zur Konkretisierung ermächtigt, nicht jedoch zur
Veränderung. Die Bestimmung, dass der Erfolg eines jeden Prämienantrags
generell von der Vorlage eines in jedweder Hinsicht einwandfreien Bestandsre-
gisters abhängen soll, stellte aber eine - und zwar erhebliche - Verschärfung
der formellen Prämienvoraussetzungen dar. Das Gemeinschaftsrecht selbst
sieht das nicht vor; es enthält auch keinen Ansatzpunkt, der in diese Richtung
weist. Vielmehr knüpft es an Fehler des Bestandsregisters - wie gezeigt - ganz
andere, und zwar abgestufte Rechtsfolgen.
Daraus ergibt sich zugleich, dass das Gemeinschaftsrecht die vom Berufungs-
gericht vertretene einschneidende Rechtsfolge umgekehrt auch nicht gebietet.
Vielmehr genügt die dargestellte nationale Rechtslage ersichtlich auch der all-
gemeinen Anforderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, dass die Um-
setzung des gemeinschaftsrechtlichen Integrierten Verwaltungs- und Kontroll-
systems durch das nationale Recht die finanziellen Interessen der Gemein-
schaft effektiv zu wahren geeignet sein muss, um Unregelmäßigkeiten vorzu-
beugen und diese zu ahnden (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2010 - Rs. C-
375/08, Pontini u.a. - juris ).
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4. Nach allem durfte die Behörde die Prämienanträge für das Kalenderjahr 1995
nicht allein deshalb ablehnen, weil der Kläger sein Bestandsregister nicht
ordnungsgemäß geführt hatte. Das führt zur Rechtswidrigkeit des angefochte-
nen Rücknahme- und Rückforderungsbescheides, ohne dass noch zu prüfen
wäre, ob dem Prämienanspruch andere Gründe entgegenstehen könnten. Die
Beklagte hatte in den zurückgenommenen Bewilligungsbescheiden die Prä-
mienvoraussetzungen insofern geprüft und bejaht. Hiervon ist sie in ihrem
Rücknahmebescheid nur aus Gründen abgerückt, die keinen Bestand haben
können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
RiBVerwG Buchheister
Dr. Wysk
ist wegen Urlaubs an der
Unterschrift gehindert
Kley
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Sachgebiet:
BVerwGE
nein
Landwirtschaftsrecht
Fachpresse
ja
Rechtsquellen:
RL 92/102/EWG
VO (EWG) Nr. 3886/92 Art. 14
VO (EWG) Nr. 3887/92 Art. 6 Abs. 6, Art. 10, 10c, 10d
RSVO § 5
VVVO § 24c
Stichworte:
Landwirtschaft; landwirtschaftliche Beihilfe; Rückforderung von Beihilfen; Ge-
meinsame Marktorganisation für Rindfleisch; Sonderprämie für männliche Rin-
der; Altersnachweis; Bestandsregister; Integriertes Verwaltungs- und Kontroll-
system; integriertes System; InVeKoS; Rückforderung; Sanktion
Leitsatz:
Fehler und Versäumnisse bei der Führung des Bestandsregisters führten als
solche im Antragsjahr 1995 nicht zum Verlust von Prämienansprüchen für
männliche Rinder.
Urteil des 3. Senats vom 27. Januar 2011 - BVerwG 3 C 12.10
I. VG Stade
vom 01.09.2009 - Az.: VG 6 A 2171/06 -
II. OVG Lüneburg vom 19.01.2010 - Az.: OVG 10 LC 148/09 -