Urteil des BVerwG vom 23.08.2005

Verordnung, Prämie, Ersetzung, Reserve

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 C 12.05
OVG 20 A 2983/02
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. August 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k , Dr. D e t t e , L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
ohne mündliche Verhandlung beschlossen:
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1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. Dem Europäischen Gerichtshof werden folgende Fragen zur
Auslegung von Art. 4a dritter Anstrich Buchstabe (ii) VO (EWG)
Nr. 805/68 in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2066/92
vorgelegt:
a) Ist eine trächtige Färse nur dann eine Mutterkuh im Sinne
des Abschnitts 1 der Verordnung, wenn sie eine Mutterkuh er-
setzt, für die ein Prämienantrag gestellt wurde?
b) Ist eine trächtige Färse auch dann eine Mutterkuh im Sinne
des Abschnitts 1 der Verordnung, wenn sie im vorangegange-
nen Wirtschaftsjahr eine Mutterkuh, für die ein Prämienantrag
gestellt worden ist, ersetzt hat und als prämienfähig anerkannt
worden ist?
c) Wird eine trächtige Färse, für die ein Prämienantrag gestellt
wurde, jedenfalls dann prämienfähig, wenn sie noch vor dem
Ablauf der Antragsfrist abkalbt?
3. Ferner werden dem Europäischen Gerichtshof folgende Fra-
gen zur Auslegung von Art. 33 Abs. 2 und 4 VO (EWG)
Nr. 3886/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2311/96
vorgelegt:
a) Hat ein Erzeuger Prämienansprüche in einem Wirtschaftsjahr
auch dann nicht genutzt, wenn er die Prämie zwar beantragt
hat, der Antrag jedoch abgelehnt wurde, weil die betreffenden
Tiere nicht prämienfähig waren?
Gilt dies auch dann, wenn kein Anhaltspunkt für eine miss-
bräuchliche Antragstellung gegeben ist?
Wäre dies mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit vereinbar?
b) Ist Art. 33 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3886/92 dahin auszulegen,
dass in Fällen wie dem vorliegenden Prämienansprüche erhal-
ten bleiben, weil ein (ordnungsgemäß begründeter) Ausnahme-
fall vorliegt?
c) Sind Prämienansprüche, die einem Erzeuger auf der Grund-
lage von Art. 33 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 entzogen wur-
den, weil er im Wirtschaftsjahr 1998 seine Prämienansprüche
zwar zu mehr als 70 %, aber zu weniger als 90 % genutzt hat,
nach Ablauf der zweijährigen Sperrfrist bevorzugt an diesen Er-
zeuger zu vergeben?
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G r ü n d e :
I.
Die Beteiligten streiten um Mutterkuhprämien.
Der Kläger beantragte am 20. April 1998 unter Hinweis auf seine individuelle Höchst-
grenze von 65,3 Prämienansprüchen die Mutterkuhprämie für insgesamt 64 Mutter-
kühe im Wirtschaftsjahr 1998. Bei 17 Tieren gab er das Datum der ersten Abkalbung
nicht an, bestimmte sie aber als Ersatztiere für Mutterkühe. Es handelte sich um
trächtige Färsen. 10 von ihnen hatte der Kläger bereits im vorangegangenen Hal-
tungszeitraum 1997 als Ersatz für Mutterkühe bestimmt, die am 21. Oktober 1997
aus seinem Bestand ausgeschieden waren; die 7 anderen sollten Mutterkühe erset-
zen, die zwischen dem 21. Januar und dem 17. April 1998 aus dem Bestand ausge-
schieden waren. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kalbten 13 der
Färsen noch vor dem Ende der Antragsfrist am 15. Mai 1998 ab.
Am 24. März 1999 zahlte der Beklagte Prämienvorschüsse für 47 Tiere in Höhe von
13 277,50 DM an den Kläger aus.
Mit Zuteilungsbescheid vom 3. Mai 1999 setzte der Beklagte die individuelle Höchst-
grenze für Prämienansprüche mit Wirkung ab dem 10. Juni 1998 auf 47 herab. Der
Kläger habe im Jahr 1998 weniger als 90 % seiner Prämienansprüche genutzt, wes-
halb der ungenutzte Anteil zugunsten der staatlichen Reserve freizusetzen sei. Die
17 trächtigen Färsen könnten nicht anerkannt werden; trächtige Färsen könnten nur
anerkannt werden, wenn sie Mutterkühe nach Antragstellung während des 6-mona-
tigen Haltungszeitraums ersetzten. Den klägerischen Widerspruch wies der Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 1999 zurück.
Mit weiterem Bescheid vom 23. August 2001 lehnte er den Prämienantrag für 1998
ab und forderte den gezahlten Vorschuss zuzüglich Zinsen in Höhe von 3 % über
dem jeweiligen Basiszinssatz zurück. Die Differenz zwischen der Zahl der beantrag-
ten (64) und der prämienfähigen Tiere (47) liege über 20 %. Sie gehe auf fahrlässig
falsche Angaben des Klägers zurück, weshalb überhaupt keine Prämie gewährt wer-
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den könne. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Wider-
spruchsbescheid vom 11. Januar 2002 zurück.
Der Kläger hat jeweils rechtzeitig Klage erhoben. Er begehrt die Aufhebung des Zu-
teilungsbescheides sowie die Verpflichtung des Beklagten, ihm eine Mutterkuhprämie
für 1998 für 64 Tiere zuzüglich 0,5 % Zinsen pro Monat seit Klageerhebung zu ge-
währen.
Das Verwaltungsgericht Münster hat den Beklagten mit Urteil vom 5. Juni 2002 zur
Bewilligung einer Mutterkuhprämie für 1998 in Höhe von 8 757,84 DM verpflichtet
und den angefochtenen Rückforderungsbescheid in dieser Höhe aufgehoben, die
Klage im übrigen aber abgewiesen. Dem Kläger stehe eine Prämie nur für 47 Tiere
zu, denn seine Herde habe im Zeitpunkt der Antragstellung nur 47 Mutterkühe ge-
zählt. Die trächtigen Färsen seien nicht prämienfähig. Der Prämienanspruch sei al-
lerdings nicht auf Null, sondern lediglich um zweimal 17,04 % zu kürzen. Insofern
komme nicht das Sanktionsrecht des Jahres 1998, sondern rückwirkend das dem
Kläger günstigere Sanktionsrecht von 2001 zur Anwendung, nach dem zu einer Kür-
zung nur schuldhaft falsche Angaben im Antrag führten. Den Kläger treffe aber hin-
sichtlich der Färsen, die bereits im Vorjahreshaltungszeitraum zulässigerweise eine
Mutterkuh ersetzt hatten, keine Schuld; nach der Formulierung der Belehrungen und
der Gestaltung der Antragsformulare habe er vielmehr davon ausgehen können,
dass eine derartige Färse ihren Status als Mutterkuhersatz auch im Folgejahr behal-
te. Das treffe auf 9 Färsen zu, so dass eine schuldhaft falsche Antragstellung nur
hinsichtlich der 8 übrigen Färsen vorliege. Bezogen auf 47 prämienfähige Tiere ent-
spreche dies einem Anteil von 17,04 %, was zu einer Kürzung des Prämienan-
spruchs um 34,08 % auf 8 757,84 DM führe. Dies sei nicht unverhältnismäßig und
auch mit dem gemeinschaftsrechtlichen Subsidiaritätsprinzip vereinbar. Rückzahlung
der erhaltenen Vorauszahlung nebst Zinsen schulde der Kläger daher nur in Höhe
von 4 519,66 DM. In überschießender Höhe sei der Rückforderungsbescheid daher
aufzuheben. Der Zuteilungsbescheid hingegen sei rechtmäßig. Der Beklagte habe
die individuelle Höchstgrenze für Prämienansprüche mit Recht auf 47 Tiere herab-
gesetzt. Werde die Höchstgrenze in einem Prämienjahr nicht zu mindestens 90 %
genutzt, so müsse die Behörde den nicht genutzten Anteil zur nationalen Reserve
einziehen. Nutzen lasse sich die Höchstgrenze nur mit der Haltung prämienfähiger
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Tiere. 1998 habe der Kläger aber nur 47 prämienfähige Tiere gehalten. Auf Ver-
schulden komme es nicht an, ein Ermessen habe die Behörde nicht.
Die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen mit Urteil vom 29. April 2004 zurückgewiesen. Das Verwaltungsgericht
habe richtig erkannt, dass nur die 47 Kühe, nicht aber die 17 trächtigen Färsen prä-
mienfähig gewesen seien. Das gelte auch für die 10 - nicht 9 - trächtigen Färsen, die
im vorangegangenen Wirtschaftsjahr 1997 als prämienfähig anerkannt worden seien;
jedes Wirtschaftsjahr sei nämlich für sich zu beurteilen. Entgegen der Auffassung
des Verwaltungsgerichts entfalle der Prämienanspruch aber vollständig, weil die Dif-
ferenz zwischen der Zahl der beantragten und der Zahl der prämienfähigen Tiere
mehr als 20 % betrage. Der Kläger könne sich für keines der 17 zu Unrecht bean-
tragten Tiere auf den Sanktionsausschluss des neuen EG-Sanktionsrechts berufen,
weil er sachlich unrichtige Angaben gemacht habe und - vor allem angesichts des
vom Beklagten ausgegebenen Merkblatts - nicht auf andere Weise belegen könne,
dass ihn keine Schuld treffe. Sei der Prämienanspruch für 1998 entfallen, so habe
der Beklagte den ausgezahlten Vorschuss mit Recht zurückverlangt. Schließlich ha-
be der Beklagte auch zu Recht die individuelle Höchstgrenze für den Kläger auf
47 Prämienansprüche festgelegt. Die Kürzung habe erfolgen müssen, weil der Kläger
im Jahr 1998 nur 47 und damit weniger als 90 % seiner bisherigen Höchstgrenze
genutzt habe. Das Nutzen des Anspruchs setze voraus, dass neben einer formge-
rechten Antragstellung die beantragten Tiere auch prämienfähig seien. Die bloße
Antragstellung könne nicht genügen, weil andernfalls der marktregulierende Zweck
der Kontingentierung vereitelt werde. Der Einzug des ungenutzten Teilkontingents
zur staatlichen Reserve stelle keine Sanktion, sondern eine verschuldensunabhängi-
ge Folge dar und sei auch nicht unverhältnismäßig, da der Kläger sein Kontingent bei
zweckmäßigem Verhalten hätte ausschöpfen können.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers.
Er trägt im Wesentlichen vor: Nach dem Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift seien
neben Mutterkühen auch trächtige Färsen prämienfähig, die eine Mutterkuh erset-
zen. Die damit angesprochene Ersetzung müsse sich auf eine Mutterkuh aus dem
Bestand des Züchters beziehen, die die Herde verlassen habe. Zum Zeitpunkt der
Ersetzung besage die Vorschrift hingegen nichts. Die Auffassung des Berufungsge-
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richts zwinge den Züchter dazu, den geplanten Verkauf von Mutterkühen zu ver-
schieben, bis eine trächtige Färse abgekalbt habe, selbst wenn dies unwirtschaftlich
sei; lasse sich der Abgang der Mutterkuh nicht verschieben - etwa bei einer Not-
schlachtung -, so müsse der Züchter sogar herdenfremde Mutterkühe hinzukaufen,
um - nach dem Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts - nicht noch eine Kontin-
gentkürzung hinnehmen zu müssen. All dies liege nicht in der Absicht der EG-
Verordnung. Deren Zweck bestehe zwar durchaus in der Einkommenssicherung;
betrachtet werde die Herde des Züchters jedoch in ihrem kontinuierlichen Bestand
und nicht lediglich in unverbunden nebeneinander stehenden Sechsmonatszeiträu-
men. Prämienfähig seien mithin alle 17 trächtigen Färsen, weil sie abgegangene
Mutterkühe ersetzt hätten, jedenfalls aber diejenigen 10 Färsen, die bereits im Hal-
tungszeitraum 1997 Mutterkühe ersetzt hätten und vom Beklagten als prämienfähig
anerkannt worden seien. Sollte dem allem nicht zu folgen sein, so dürfe doch jeden-
falls die individuelle Höchstgrenze nicht herabgesetzt werden. Denn er habe sein
Kontingent auch 1998 vollständig "genutzt". Ein Ausnutzen könne nicht schon dann
geleugnet werden, wenn Fehler im Antrag oder spätere Fehler - etwa eine verzögerte
Ersetzung einer abgegangenen Mutterkuh - dazu führten, dass einzelne Tiere nicht
als prämienfähig anerkannt würden. Im vorliegenden Fall liege der Fehler allein darin,
dass der Prämienantrag zu früh, nämlich vor dem Abkalben der hochträchtigen
Färsen gestellt worden sei. 14 der 17 Färsen hätten noch innerhalb der Antragsfrist
abgekalbt und wären dann auch nach der Auffassung des Berufungsgerichts
prämienfähige Mutterkühe gewesen. Bei dieser Sachlage lasse sich nicht behaupten,
das individuelle Kontingent sei nicht genutzt worden. Schließlich sei die Kontingent-
kürzung unverhältnismäßig. Der Fehler der zu frühen Antragstellung werde schon
durch die Prämienkürzung sanktioniert; dann dürfe er aber nicht zusätzlich dadurch
bestraft werden, dass seine individuelle Höchstgrenze auf Dauer herabgesetzt wer-
de.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich nicht am Verfahren.
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II.
Die Entscheidung über die Revision hängt von der Auslegung von Vorschriften des
sekundären Gemeinschaftsrechts ab. Das Verfahren ist daher auszusetzen und dem
Europäischen Gerichtshof sind die aus dem Tenor ersichtlichen Fragen zur Vorab-
entscheidung vorzulegen (Art. 234 EG).
1. Mit Bescheid vom 23. August 2001, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom
11. Januar 2002, lehnte der Beklagte den Prämienanspruch des Klägers ab. Hierge-
gen richtet sich der eine Teil der vorliegenden Klage.
a) Ob dem Kläger der geltend gemachte Prämienanspruch zusteht, beurteilt sich
nach denjenigen Vorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts und des er-
gänzenden Bundesrechts, die sich für das in Rede stehende Wirtschaftsjahr 1998
Geltung beilegten, also nach der Verordnung (EWG) Nr. 805/68 des Rates vom
27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABl
Nr. L 148/24) in der Fassung der Änderungsverordnung (EWG) Nr. 2066/92 vom
30. Juni 1992 (ABl Nr. L 215/49), bis zum hier maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geän-
dert durch die Verordnung (EG) Nr. 2634/97 (ABl Nr. L 356/13), nach der Durchfüh-
rungsverordnung (EWG) Nr. 3886/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992
(ABl Nr. L 391/20), zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 2502/97 (ABl
Nr. L 345/21), sowie nach der Verordnung über die Gewährung von Prämien an Er-
zeuger von Rind- und Schaffleisch (Rinder- und Schafprämien-Verordnung) vom
7. Oktober 1987 (BGBl I S. 2266) in der Fassung der Bekanntmachung vom
20. September 1995 (BGBl I S. 1146), zuletzt geändert durch Verordnung vom
9. Dezember 1997 (BGBl I S. 2873).
Nach Art. 4d Abs. 1 VO (EWG) Nr. 805/68 erhalten Erzeuger, die in ihrem Betrieb
Mutterkühe halten, auf Antrag eine Prämie für die Erhaltung des Mutterkuhbestandes
(Mutterkuhprämie). Nach Art. 4d Abs. 5 VO (EWG) Nr. 805/68 wird die Prämie
Erzeugern gewährt, die während zwölf Monaten vom Tag des Prämienantrags an
weder Milch noch Milcherzeugnisse aus ihrem Betrieb abliefern und die während
mindestens sechs aufeinander folgenden Monaten vom Tag des Prämienantrags an
mindestens die in dem Antrag angemeldete Zahl von Mutterkühen halten. Art. 4a
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dritter Anstrich VO (EWG) Nr. 805/68 definiert als Mutterkuh (i) eine Kuh, die einer
Fleischrasse angehört oder aus der Kreuzung mit einer dieser Rassen hervorgegan-
gen ist und zu einem Bestand gehört, der zur Aufzucht von Kälbern für die Fleischer-
zeugung dient, und (ii) eine trächtige Färse, die dieselben Voraussetzungen erfüllt
und eine Mutterkuh ersetzt.
b) Der Kläger meldete in seinem Antrag 47 Kühe und 17 trächtige Färsen an. Die Kü-
he waren Mutterkühe im Sinne von Art. 4a dritter Anstrich Buchstabe (i) VO (EWG)
Nr. 805/68 und damit prämienfähig. Im Streit steht, ob auch die 17 Färsen als
Mutterkühe galten. Das setzt nach Art. 4a dritter Anstrich Buchstabe (ii) VO (EWG)
Nr. 805/68 voraus, dass sie (jeweils) eine Mutterkuh ersetzten. Hierzu bedarf der Klä-
rung, ob damit nur trächtige Färsen gemeint sind, die eine Mutterkuh ersetzen, für
die ein Prämienantrag gestellt wurde, oder ob ausreicht, dass sie nur überhaupt eine
Mutterkuh aus dem Bestand des Erzeugers ersetzen.
Die Frage lässt sich nach dem Wortlaut der Verordnung nicht beantworten. Art. 4a
dritter Anstrich Buchstabe (ii) VO (EWG) Nr. 805/68 sagt über den Zeitpunkt der Er-
setzung (auch vor oder nur nach der jeweiligen Antragstellung) oder über die Be-
zugsgröße der Ersetzung (alle Kühe der Herde oder nur beantragte Kühe) nichts aus.
Auch aus der Zweckbestimmung der Mutterkuhprämie lässt sich hierfür nichts
gewinnen. Die Regelung verfolgt das Ziel, die Einkommensverluste der Erzeuger
auszugleichen, die diese infolge der Senkung des Interventionspreises hinzunehmen
hatten (3. Erwägungsgrund zur Verordnung/EWG Nr. 2066/92). Daraus ergibt sich
für die hier in Rede stehende Frage nichts. Daneben bezweckt die Mutterkuhprämie,
auf den Erhalt des Mutterkuhbestandes hinzuwirken (vgl. Art. 4d Abs. 1 VO/EWG
Nr. 805/68). Auch hieraus lassen sich keine Anhaltspunkte zur Beantwortung dieser
Frage gewinnen. Sicherlich wird dieser Zweck vornehmlich dadurch erfüllt, dass die
Gewährung der Prämie daran geknüpft wird, dass die jeweils beantragte Zahl von
Mutterkühen während eines sechsmonatigen Zeitraums im Bestand des Erzeugers
gehalten wird. Ob aber die Prämie nur für Kühe oder auch für trächtige Färsen bean-
tragt werden darf, die zuvor aus dem Bestand ausgeschiedene Kühe ersetzt haben,
folgt daraus nicht.
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Für die Auffassung des Beklagten spricht allerdings die Verordnung (EWG)
Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391/36) mit Durch-
führungsbestimmungen zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem, die auf
der Grundlage von Art. 12 der Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 des Rates vom
27. Dezember 1992 (ABl Nr. L 355/1) ergangen ist und für den hier maßgeblichen
Zeitraum zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1648/95 vom 6. Juli 1995 (ABl
Nr. L 156/27) geändert worden ist. Gemäß Art. 10 Abs. 4 der Verordnung (EWG)
Nr. 3887/92 werden die im Betrieb vorhandenen Rinder nur berücksichtigt, wenn es
sich um die im Beihilfeantrag identifizierten Tiere handelt. Eine für die Prämie ange-
gebene Mutterkuh kann jedoch durch eine andere Mutterkuh ersetzt werden, sofern
dies innerhalb einer Frist von 20 Tagen geschieht, nachdem das Tier den Betrieb
verlassen hat, und diese Ersetzung spätestens am dritten Tag nach der Ersetzung im
besonderen Register eingetragen wird. Diese Vorschrift spricht dafür, dass das
Gemeinschaftsrecht unter "Ersetzung" nur die Ersetzung eines beantragten Tieres
durch ein nicht beantragtes Tier versteht, mithin eine Ersetzung nur nach der jeweili-
gen Antragstellung erfolgen kann. Die Besonderheit von Art. 4a dritter Anstrich Buch-
stabe (ii) VO (EWG) Nr. 805/68 besteht dann darin, dass eine Kuh nicht nur durch
eine andere Kuh, sondern auch durch eine trächtige Färse ersetzt werden kann. Eine
trächtige Färse kann aber nicht schon im Antrag aufgeführt werden, sondern ist nur
prämienfähig, wenn sie im Sinne von Art. 10 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/92, also
nach Antragstellung während des Haltungszeitraums, eine beantragte Kuh ersetzt.
Diese Auslegung wird durch die weitere Rechtsentwicklung bestätigt. Die Verordnung
(EWG) Nr. 805/68 wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2000 durch die Verordnung
(EG) Nr. 1254/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 über die gemeinsame Markt-
organisation für Rindfleisch (ABl Nr. L 160/21) ersetzt. Nach Art. 6 Abs. 2 VO (EG)
Nr. 1254/1999 wird die Mutterkuhprämie Erzeugern gewährt, die während mindes-
tens sechs aufeinander folgenden Monaten ab dem Tag der Beantragung der Prämie
eine Zahl Mutterkühe von mindestens 80 % und eine Zahl Färsen von höchstens
20 % der Anzahl Tiere halten, für die die Prämie beantragt wurde. Färsen sind hier-
nach nunmehr prinzipiell prämienfähig, unabhängig davon ob sie trächtig sind und
unabhängig davon, ob sie eine im Antrag angegebene Mutterkuh "ersetzen" (vgl.
Art. 3 Buchstabe g der Verordnung). Der Verordnungsgeber wollte damit das alte
Recht ausdrücklich inhaltlich ändern. Im 7. Erwägungsgrund zu der Verordnung heißt
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es, dass, um die Regelung für die Erzeuger flexibler zu gestalten, die Mutterkuhprä-
mie auf Färsen ausgeweitet werden sollte.
c) Der Kläger meint des weiteren, dass immerhin die 10 Tiere, die schon am 21. Ok-
tober 1997 als trächtige Färsen Kühe ersetzt hatten und deshalb im Wirtschaftsjahr
1997 prämienfähig gewesen waren, auch im Wirtschaftsjahr 1998 prämienfähig ge-
wesen seien, obwohl sie erst nach Antragstellung abgekalbt haben, also auch bei
Antragstellung für die Prämie 1998 noch trächtige Färsen waren. Das wirft die Frage
auf, ob der Vorgang der Ersetzung im Sinne von Art. 4a dritter Anstrich Buchstabe (ii)
VO (EWG) Nr. 805/68 sich auf denselben Prämienantrag beziehen muss oder sich
auch auf den vorangegangenen Prämienantrag beziehen kann.
Hier hilft Art. 10 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3887/92 nicht weiter. Aus dieser Vorschrift
ergibt sich zwar, dass sich der Begriff der Ersetzung auf den vorangegangenen Prä-
mienantrag bezieht und erlaubt, Tiere, die im Antrag nicht identifiziert waren, gleich-
wohl zu berücksichtigen, wenn sie nämlich an die Stelle von im Antrag identifizierten
Tieren treten. Die Vorschrift besagt aber nichts dazu, welche Tiere als Mutterkühe im
Antrag identifiziert werden dürfen. Sie verhält sich also nicht zu der Frage, ob trächti-
ge Färsen als Mutterkühe im Antrag identifiziert werden dürfen, wenn sie schon im
vorangegangenen Haltungszeitraum eine Kuh ersetzt haben und daher prämienfähig
waren.
Der Beklagte und die Vorinstanzen berufen sich auf den Wortlaut von Art. 4a dritter
Anstrich Buchstabe (ii) VO (EWG) Nr. 805/68. Diese Vorschrift definiert als Mutterkuh
(auch) eine trächtige Färse, die eine andere Mutterkuh "ersetzt". Die Wahl des
Präsens deutet nach ihrer Ansicht darauf hin, dass die Ersetzung in demselben Prä-
mienverfahren erfolgen muss, dass aber Ersetzungen aus dem vorangegangenen
Prämienverfahren unberücksichtigt bleiben. Andernfalls hätte es nahe gelegen zu
sagen: "die eine Mutterkuh ersetzt oder ersetzt hat". Das werde bestätigt durch das
Prinzip der Jährlichkeit, nach dem das gesamte Prämiensystem konstruiert sei; ein
jahresübergreifender Zusammenhang bestehe nicht.
Diese Auffassung führt allerdings zu praktischen Problemen. Angesichts des neun-
monatigen Tragezeitraums von Rindern ist nicht zu verkennen, dass trächtige Fär-
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sen, die erst gegen Ende eines Haltungszeitraums - also Anfang November - eine
Kuh ersetzt haben, vielfach erst nach Ablauf des nachfolgenden Antragszeitraums
am 15. Mai des Folgejahres abkalben werden. Das Anliegen des Klägers, dass ein-
mal prämienfähige Färsen auch im Folgejahr prämienfähig bleiben, ist verständlich;
denn andernfalls ist der Erzeuger gezwungen, Kühe hinzuzukaufen, um sein Kontin-
gent auszuschöpfen, obwohl er trächtige Färsen in seinem Bestand hat, die alsbald
selbst Kühe sein werden. Allenfalls könnte er die neu erworbenen Kühe nach An-
tragstellung sofort wieder verkaufen und durch seine trächtigen Färsen ersetzen. Ein
derartiges Verhalten ist wirtschaftlich nicht sinnvoll. Es fragt sich, ob diese missliche
Konsequenz durch eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts vermieden werden
kann, die gleichwohl mit dessen Sinn und Zweck in Übereinstimmung steht.
d) Schließlich meint der Kläger, jedenfalls die 13 Färsen seien als prämienfähig an-
zuerkennen, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts noch bis zum Ablauf
der Antragsfrist am 15. Mai 1998 abgekalbt haben. Es dürfe ihm nämlich nicht zum
Nachteil gereichen, dass er seinen Antrag früh, nämlich schon am 20. April 1998
gestellt hatte. Das wirft die Frage auf, ob eine trächtige Färse, für die ein Prä-
mienantrag gestellt wurde, jedenfalls dann prämienfähig wird, wenn sie noch vor dem
Ablauf der Antragsfrist abkalbt, oder ob der Erzeuger ein derartiges Tier noch in-
nerhalb der Antragsfrist "nachnominieren", also nunmehr als Mutterkuh deklarieren
muss.
2. Mit Zuteilungsbescheid vom 3. Mai 1999, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom
5. November 1999, setzte der Beklagte die individuelle Höchstgrenze für Prämienan-
sprüche des Klägers mit Wirkung ab dem 10. Juni 1998 von 65,3 auf 47 herab. Hier-
gegen richtet sich die vorliegende Klage mit ihrem weiteren Teil.
a) Gemäß Art. 4d VO (EWG) Nr. 805/68 des Rates gilt für den Prämienanspruch
jedes Erzeugers eine individuelle Höchstgrenze. Diese Höchstgrenze wird nach be-
stimmten Regeln in Orientierung an ein Bezugsjahr festgelegt. Nach Art. 4f VO
(EWG) Nr. 805/68 bildet jeder Mitgliedstaat eine einzelstaatliche Reserve, aus der
bestimmten Erzeugern Prämienansprüche eingeräumt werden können. Die Durch-
führungsbestimmungen finden sich in der Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 der Kom-
mission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391/20). Deren Art. 33 in der Fassung
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der Änderungsverordnung (EG) Nr. 2311/96 vom 2. Dezember 1996 (ABl
Nr. L 313/9) bestimmt:
(1) (...)
(2) Hat ein Erzeuger in jedem Jahr nicht mindestens 70 % seiner An-
sprüche genutzt, so wird der nicht genutzte Anteil der nationalen Re-
serve zugeführt, außer
- wenn der Erzeuger höchstens sieben Prämienansprüche besitzt (...);
- wenn sich der Erzeuger an einem von der Kommission anerkannten
Extensivierungsprogramm beteiligt;
- wenn sich der Erzeuger an einer von der Kommission anerkannten
Vorruhestandsregelung beteiligt (...) oder
- wenn ein ordnungsgemäß begründeter Ausnahmefall vorliegt.
(3) (...)
(4) Für die Jahre 1997 und 1998 wird die in Absatz 2 (...) genannte Zahl
von 70 % auf 90 % angehoben. In diesem Fall können die der nationa-
len Reserve zugeführten Ansprüche in den Jahren 1998 und 1999 nicht
wieder verteilt werden.
b) Der Beklagte und die Vorinstanzen halten die Voraussetzung des Art. 33 Abs. 2
und 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 für gegeben. Der Kläger habe im Jahr 1998 nicht min-
destens 90 % seiner Prämienansprüche genutzt. Dass er Prämien für 64 Tiere bean-
tragt habe, sei unerheblich. Es komme nicht auf die tatsächlich beantragten Tiere an,
sondern nur auf die zu Recht beantragten Tiere. Das seien aber nur 47 gewesen,
weil die ebenfalls beantragten 17 trächtigen Färsen nicht prämienfähig gewesen sei-
en. Das wirft die Frage auf, ob ein Erzeuger Prämienansprüche im Wirtschaftsjahr
1998 auch dann nicht im Sinne von Art. 33 Abs. 2 und 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 ge-
nutzt hat, wenn er die Prämie zwar beantragt hat, der Antrag jedoch abgelehnt wur-
de, weil die betreffenden Tiere - aus Gründen wie den vorliegenden - nicht prämien-
fähig waren.
Eine solche Auslegung entspricht nicht Sinn und Zweck der Vorschrift. Es soll ver-
hindert werden, dass Erzeuger, die ihren Betrieb verkleinern und deshalb ihre indivi-
duelle Höchstgrenze nicht mehr ausschöpfen, ihre bisherigen Prämienansprüche
horten; derart ungenutzte Prämiensprüche sollen vielmehr der einzelstaatlichen Re-
serve zugeführt werden, damit sie für andere Betriebe nutzbar gemacht werden kön-
nen. So liegt der Fall aber nicht. Der Kläger hat seinen Betrieb nicht verkleinert. Er
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hat seine Prämienansprüche auch nicht auf einen anderen Erzeuger übertragen oder
eine vergleichbare andere betriebsbezogene Disposition getroffen. Der Kläger wollte
und will vielmehr seine individuelle Höchstgrenze ausschöpfen. Dass ihm dies im
Wirtschaftsjahr 1998 - je nach der Antwort auf die Fragen zu 2. - nicht gelungen ist,
liegt nur daran, dass er sich über die Voraussetzungen für die Prämienberechtigung
trächtiger Färsen geirrt hat.
Die Rechtsauffassung des Beklagten und der Vorinstanzen läuft darauf hinaus, dass
ein Prämienanspruch nur dann im Sinne von Art. 33 VO (EWG) Nr. 3886/92 "genutzt"
wird, wenn die Nutzung erfolgreich ist und zur Zuerkennung der Prämie führt, dass
aber schon dann keine "Nutzung" vorliegt, wenn ein Prämienantrag aus irgend einem
Grunde keinen Erfolg hat, auch weil er etwa verspätet gestellt wurde oder an
Formfehlern leidet. In dieser Auslegung käme Art. 33 Abs. (2 und) 4 VO (EWG)
Nr. 3886/92 in der Wirkung einer zusätzlichen Sanktion für Unregelmäßigkeiten bei
der Antragstellung gleich. Es fragt sich, ob dies mit allgemeinen Grundsätzen des
europäischen Gemeinschaftsrechts vereinbar wäre. Das europäische Gemein-
schaftsrecht kennt ausweislich Art. 5 VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95 verschiedene
Arten verwaltungsrechtlicher Sanktionen. Dazu zählen neben dem vollständigen oder
teilweisen Entzug eines Vorteils auch dann, wenn der Wirtschaftsteilnehmer nur ei-
nen Teil dieses Vorteils rechtswidrig erlangt hat (Art. 5 Abs. 1 Buchstabe c), der Aus-
schluss von einem Vorteil oder Entzug eines Vorteils für einen Zeitraum, der nach
dem Zeitraum der Unregelmäßigkeit liegt (Buchstabe d), und der vorübergehende
Entzug einer Genehmigung oder einer Anerkennung, die für die Teilnahme an einem
gemeinschaftlichen Beihilfesystem erforderlich ist (e). Die Mutterkuhprämie kann nur
innerhalb der individuellen Höchstgrenze beansprucht werden. Die Herabsetzung der
individuellen Höchstgrenze kommt daher dem Entzug eines entsprechenden Teils
der Mutterkuhprämie für einen Zeitraum, der nach dem Zeitraum der Unregelmäßig-
keit liegt (Art. 5 Abs. 1 Buchstabe d VO/EG, Euratom Nr. 2988/95), oder dem Entzug
einer Genehmigung oder einer Anerkennung, die für die Teilnahme an dem System
der Mutterkuhprämie erforderlich ist (Buchstabe e), gleich. Die beiden genannten
Sanktionen wirken einschneidend. Sie sind nur deshalb verhältnismäßig, weil sie
niemals auf Dauer, sondern nur für einen vorübergehenden Zeitraum verhängt wer-
den. Die Herabsetzung der individuellen Höchstgrenze wirkt hingegen auf Dauer. Sie
schließt den Erzeuger insoweit für alle Zukunft von Prämienansprüchen aus. Das ist
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einwandfrei, sofern der Erzeuger insoweit an Prämienansprüchen kein Interesse
mehr hat, sei es weil er seinen Betrieb eingeschränkt oder aufgegeben hat, sei es
weil er ihn mitsamt der Prämienansprüche auf einen anderen Erzeuger übertragen
hat. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
Den vorstehenden Bedenken könnte durch eine Auslegung des Art. 33 Abs. 2 und 4
VO (EWG) Nr. 3886/92 dahin Rechnung getragen werden, dass ein Erzeuger seinen
individuellen Prämienanspruch schon dann "nutzt", wenn er ihn mit einem Prämien-
antrag geltend macht, unabhängig von dessen Erfolg. Allerdings wendet der Beklagte
ein, dann stünde derjenige, der von vornherein aussichtslose Prämienanträge stelle,
besser als derjenige, der wegen der Aussichtslosigkeit auf den Prämienantrag
verzichte. Das unterstellt jedoch, dass der Erzeuger seinen Mutterkuhbestand redu-
ziert hat, und vergleicht den missbräuchlich dennoch weiterhin gestellten Prämienan-
trag mit dem folgerichtig nicht mehr gestellten Prämienantrag. Die Auslegung einer
Rechtsnorm sollte sich jedoch am Regelfall und nicht am Missbrauchsfall orientieren.
Der Gefahr des Missbrauchs kann durch besondere Vorkehrungen begegnet werden,
die aber auch nur Missbrauchsfälle erfassen sollten.
c) Sollte der Auslegung des Beklagten und der Vorinstanzen zu folgen sein, so dass
es an einer "Nutzung" der Prämienansprüche auch in Fällen wie dem vorliegenden
fehlt, so schließt sich die Frage an, ob die nötige Verhältnismäßigkeit der Regelung
auf anderem Wege hergestellt werden kann. Dies führt zu der Erwägung, ob in Fällen
wie dem vorliegenden die individuellen Prämienansprüche ausnahmsweise erhalten
bleiben, weil im Sinne von Art. 33 Abs. 2 letzter Anstrich VO (EWG) Nr. 3886/92 ein
- unterstellt: ordnungsgemäß begründeter - Ausnahmefall vorliegt. Wie diese Vor-
schrift auszulegen ist, lässt sich der Verordnung und ihren Motiven nicht entnehmen.
d) Alternativ wäre zu erwägen, ob die gebotene Verhältnismäßigkeit dadurch herge-
stellt werden kann, dass der Entzug von Prämienansprüchen nicht auf Dauer wirkt,
sondern - wie bei einer Sanktion geboten - zeitlich begrenzt wird. Das führt zu der
Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Erzeuger, der Prämienansprüche
nach Art. 33 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3886/92, nicht aber nach Art. 33 Abs. 2 VO
(EWG) Nr. 3886/92 verloren hat, nach Ablauf der zweijährigen Sperrfirst die Wieder-
zuteilung dieser Prämienansprüche verlangen kann.
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Art. 33 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 3886/92 enthält die Grundregel. Hiernach werden vor-
behaltlich bestimmter Ausnahmen individuelle Prämienansprüche erst dann zur ein-
zelstaatlichen Reserve eingezogen, wenn der Erzeuger sie nicht in jedem Jahr zu
mindestens 70 % nutzt. Nach den Annahmen des Beklagten und der Vorinstanzen
hat der Kläger im Wirtschaftsjahr 1998 nur 47 Prämienansprüche genutzt, obwohl
ihm 65,3 Prämienansprüche zustanden. Damit hat der Kläger aber mehr als 70 %
seiner Prämienansprüche genutzt, so dass eine Kürzung nach Art. 33 Abs. 2 VO
(EWG) Nr. 3886/92 nicht in Betracht gekommen wäre.
Art. 33 Abs. 4 VO (EWG) Nr. 3886/92 hat die Nutzungsgrenze für die Jahre 1997 und
1998 auf 90 % angehoben und vorgeschrieben, dass derart eingezogene Prä-
mienansprüche in den Jahren 1998 und 1999 aus der einzelstaatlichen Reserve nicht
vergeben werden dürfen. Es handelt sich um eine Sondermaßnahme zur Bewälti-
gung der BSE-Krise. Sie beruht auf einer besonderen Ermächtigung in Art. 4f Abs. 4
VO (EWG) Nr. 805/68 des Rates, die durch die Änderungsverordnung (EG) Nr.
2222/96 des Rates vom 18. November 1996 (ABl Nr. L 296/50) eingefügt wurde und
ausweislich ihres 6. Erwägungsgrundes darauf zielte, einen Beitrag zur Produk-
tionssteuerung während der erwähnten Sonderlage zu leisten. Die Kommission hat
von dieser Sonderermächtigung mit Einfügung von Art. 33 Abs. 4 VO (EWG)
Nr. 3886/92 durch die Änderungsverordnung (EG) Nr. 2311/96 vom 2. Dezember
1996 (ABl Nr. L 313/9) Gebrauch gemacht. Ausweislich des 4. Erwägungsgrundes
zu dieser Verordnung sah sie einen Beitrag zur Produktionsbeschränkung darin, Prä-
mienansprüche, die von den Erzeugern in einem Jahr nicht geltend gemacht werden,
für zwei Jahre zu blockieren.
Das wirft aber die Frage auf, was mit den derart blockierten Prämienansprüchen
nach Ablauf der zweijährigen Sperrfrist zu geschehen hat. Namentlich stellt sich die
Frage, ob die blockierten Ansprüche bevorzugt an ihre bisherigen Inhaber zurückzu-
geben sind oder ob sie nach den allgemeinen Regeln an jegliche Interessenten aus-
gegeben werden können. Eine Vorrangstellung der bisherigen Inhaber dürfte durch
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geboten sein, der verlangt, von Sondermaß-
nahmen Betroffene nicht stärker zu belasten, als es die Sonderlage erfordert. Ohne
die Sondermaßnahme hätte der Kläger, wie gezeigt, seine Prämienansprüche unge-
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kürzt behalten. Das könnte es gebieten, ihm die Prämienansprüche, die ihm aufgrund
einer Sonderregelung zum Zwecke der vorübergehenden "Blockierung" entzogen
worden sind, nach dem Ende der Sonderlage wieder zurückzugeben.
Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Landwirtschaftsrecht
Fachpresse: ja
europäisches Gemeinschaftsrecht
Rechtsquellen:
VO (EWG) Nr. 805/68 Art. 4a
VO (EWG) Nr. 3886/92 Art. 33
VO (EWG) Nr. 3887/92 Art. 10
Stichwörter:
Mutterkuhprämie; Mutterkuh; Färse; trächtige Färse; individuelle Höchstgrenze; ein-
zelstaatliche Reserve; Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Leitsätze:
Dem Europäischen Gerichtshof wird die Frage vorgelegt, ob eine trächtige Färse nur
dann eine Mutterkuh im Sinne des Abschnitts 1 der Verordnung (EWG) Nr. 805/68
ist, wenn sie eine Mutterkuh ersetzt, für die in demselben Wirtschaftsjahr ein Prä-
mienantrag gestellt wurde.
Dem Europäischen Gerichtshof wird ferner die Frage vorgelegt, ob ein Erzeuger
Prämienansprüche in einem Wirtschaftsjahr auch dann mit der Folge ihres Einzugs
zur einzelstaatlichen Reserve nicht genutzt hat, wenn er die Prämie zwar beantragt
hat, der Antrag jedoch abgelehnt wurde, weil die betreffenden Tiere nicht prämienfä-
hig waren, und ob eine solche Auslegung mit dem gemeinschaftsrechtlichen Grund-
satz der Verhältnismäßigkeit vereinbar wäre.
Beschluss des 3. Senats vom 23. August 2005 - BVerwG 3 C 12.05
I. VG Münster vom 05.06.2002 - Az.: VG 9 K 383/02 -
II. OVG Münster vom 29.04.2004 - Az.: OVG 20 A 2983/02 -