Urteil des BVerwG vom 27.01.2011

Öffentliche Gesundheit, Mitgliedstaat, Arzneimittel, Unternehmer

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 11.10
OVG 13 A 306/08
Verkündet
am 27. Januar 2011
Harnisch
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Januar 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
Buchheister und Dr. Wysk
für Recht erkannt:
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 7. Oktober 2009 wird aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwie-
sen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin begehrt die Verlängerung der (fiktiven) Zulassung für das Arznei-
mittel „Systral Creme“ für die Anwendungsgebiete „Symptomatische lokale Be-
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handlung von Insektenstichen, Sonnenbrand und Kontakturtikaria“. Als arznei-
lich wirksamen Bestandteil ist in den Antragsunterlagen Chlorphenoxamin-
hydrochlorodium (15 mg auf 1 g Salbe) angegeben.
Mit Schreiben vom August 2002 rügte die Beklagte verschiedene Mängel des
Antrags. Die Verträglichkeit des Präparats sei ungeklärt; die Möglichkeit einer
zentralnervösen Wirkung sei nicht ausgeräumt. Die Wirksamkeit sei unzurei-
chend begründet. Die Beklagte gab der Klägerin Gelegenheit zur Mängelbesei-
tigung binnen zwölf Monaten.
Nach Stellungnahme der Klägerin zu den gerügten Mängeln lehnte die Beklagte
die Verlängerung der Zulassung mit Bescheid vom 23. Dezember 2004 ab, weil
die therapeutische Wirksamkeit weiterhin nicht nachgewiesen sei. Die an-
geführten Studien belegten nicht, dass der Einsatz des Mittels bessere Thera-
pieergebnisse erziele als die Cremegrundlage oder ein Placebo. Zudem sei
weiterhin nicht gesichert, dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Ge-
brauch unbedenklich sei.
Die Klägerin hat am 20. Januar 2005 Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur
Neubescheidung des Zulassungsantrags erhoben und die Begründung des
Versagungsbescheids angegriffen. Außerdem hat sie geltend gemacht, der Zu-
lassungsanspruch ergebe sich auch aus § 105 Abs. 4c AMG. Das Arzneimittel
sei in identischer Form und mit identischen Zulassungsunterlagen mit Bescheid
vom 19. August 2005 in Malta zugelassen worden. Sie habe deshalb im Okto-
ber 2007 bei der Beklagten einen Antrag nach § 105 Abs. 4c AMG gestellt. Die
Bezugnahme auf eine in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Zulassung sei
noch nach Ablauf einer Mängelbeseitigungsfrist im gerichtlichen Verfahren
möglich.
Die Klage ist vor dem Verwaltungsgericht und dem Berufungsgericht ohne Er-
folg geblieben. Das Berufungsgericht hat im Urteil vom 7. Oktober 2009 zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Nachzulassung stehe der Versa-
gungsgrund nac.Vent-
gegen. Die Klägerin habe die therapeutische Wirksamkeit nach dem jeweils
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gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse unzureichend begrün-
det und den Mangel nicht fristgemäß beseitigt. Die Bezugnahme auf eine aus-
ländische Zulassung sei nach Ablauf der Mängelbeseitigungsfrist ausgeschlos-
sen. Das ergebe sich aus Wortlaut und Systematik des Gesetzes. Daraus kön-
ne geschlossen werden, dassnur eine Möglichkeit der
Mängelbeseitigung eröffne, aber kein selbständiges Anerkennungsverfahren
auslöse. Dafür spreche zudem der Vergleich mit der für die Erstzulassung gel-
tenden Vorschrift des die ein vom Erstzulassungsverfahren abge-
koppeltes Verwaltungsverfahren regele. Die Präklusion diene der Verfahrens-
beschleunigung. Die pharmazeutischen Unternehmer seien gehalten, von An-
fang an entscheidungsreife Anträge einzureichen. Daher werde einheitlich für
Zulassung und Nachzulassung die Möglichkeit ausgeschlossen, durch das
Nachreichen von Unterlagen einen Antrag erst im Rechtsmittelverfahren zulas-
sungsreif zu machen. Angesichts dieser Zielsetzung spreche nichts dafür, dass
der Gesetzgeber mitdie Möglichkeit habe schaffen wollen,
das Nachzulassungsverfahren durch eine spätere Bezugnahme auf eine aus-
ländische Zulassung weiter zu verzögern. Dabei sei unerheblich, ob durch die
nach Ablauf der Mängelbeseitigungsfrist erfolgte Bezugnahme auf
tatsächlich eine Verzögerung eintrete. Dieses Verständnis der
Präklusionsvorschrift sei verfassungsgemäß und verletze die pharmazeutischen
Unternehmer nicht in ihren Grundrechten aus Art. 19 Abs. 4, Art. 12 Abs. 1 oder
Art. 14 Abs. 1 GG. Der Zweck der Verfahrensbeschleunigung überwiege die
Nachteile für die Unternehmer. Ihnen sei zuzumuten, nötigenfalls einen Antrag
auf Erstzulassung nach § 25b AMG zu stellen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, mit der
Berufung auf die in Malta erfolgte Zulassung nicht nach § 105 Abs. 5 Satz 2 und
3 AMG ausgeschlossen zu sein. Die Berufung auf die Zulassung des Arz-
neimittels in einem anderen Mitgliedstaat sei entgegen der Ansicht des Beru-
fungsgerichts nicht als Beseitigung von zuvor gerügten inhaltlichen Mängeln zu
verstehen. Die inhaltliche Prüfung habe in einem solchen Fall bereits in dem
anderen Mitgliedstaat stattgefunden. Die Beklagte sei deshalb auf die Prüfung
beschränkt, ob das Arzneimittel eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar-
stelle. Dafür bestünden indes keine Anhaltspunkte. Ebenso wie ein pharmazeu-
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tischer Unternehmer noch im Klageverfahren darlegen könne, dass die vorge-
legten Unterlagen die beanspruchte Wirksamkeit begründeten, könne er sich
auf eine identische Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat berufen. Die mit
der Präklusionsvorschrift bezweckte Beschleunigung des Nachzulassungsver-
fahrens und die Absicht des Gesetzgebers, die pharmazeutischen Unternehmer
zur Vorlage entscheidungsreifer Anträge anzuhalten, stehe einer Berücksichti-
gung der anderweitigen Zulassung nicht entgegen. Vielmehr begründe gerade
der Verweis auf ein neues (Erst-)Zulassungsverfahren eine unnötige Verfah-
rensverlängerung. Sollte die Präklusionsvorschrift des § 105 Abs. 5 AMG auch
für die Berufung auf eine Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat gelten,
stellte sie einen unverhältnismäßigen Eingriff in die durch Art. 19 Abs. 4 GG
geschützte Garantie eines effektiven Rechtsschutzes dar.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen.
II
Das angegriffene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) mit der Fol-
ge einer Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur anderweiti-
gen Verhandlung und Entscheidung (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
1. Das Berufungsgericht ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise
davon ausgegangen, dass die Klägerin ihr Begehren nicht auf § 105 Abs. 4f
AMG stützen kann. Danach ist eine (fiktive) Zulassung auf Antrag um fünf Jahre
zu verlängern, wenn kein Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG vorliegt. Die
Beklagte hat einen Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG ange-
nommen, weil die therapeutische Wirksamkeit auch durch die im Mängelbesei-
tigungsverfahren nachgereichten Unterlagen nach dem gesicherten Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse unzureichend begründet worden sei. Das Be-
rufungsgericht hat dies unter Auseinandersetzung mit den von der Klägerin
eingereichten Unterlagen bestätigt. Eine Verletzung von Bundesrecht ist inso-
weit nicht zu erkennen und wird von der Klägerin mit der Revision auch nicht
geltend gemacht.
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2. Das Berufungsgericht hat aber zu Unrecht ungeprüft gelassen, ob die Kläge-
rin einen Anspruch auf Zulassung nach § 105 Abs. 4c AMG hat. Nach dieser
Vorschrift ist die Verlängerung der Zulassung eines Arzneimittels, das bereits in
einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen ist, zu ertei-
len, wenn sich das Arzneimittel in dem anderen Mitgliedstaat im Verkehr befin-
det, der Antragsteller alle in § 22 Abs. 6 AMG vorgesehenen Angaben macht
und die danach erforderlichen Kopien beifügt und schriftlich erklärt, dass die
eingereichten Unterlagen nach § 104 Abs. 4 und 4a AMG mit den Zulassungs-
unterlagen übereinstimmen, auf denen die Zulassung in dem anderen Mitglied-
staat beruht, es sei denn, dass die Verlängerung der Zulassung des Arzneimit-
tels eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen kann.
Die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Klägerin die Berufung auf die
Zulassung des Arzneimittels in Malta nach Ablauf der Mängelbeseitigungsfrist
und dem Erlass des Versagungsbescheids wegen § 105 Abs. 5 Satz 3 AMG
verwehrt sei, ist unzutreffend. Die erstmalige Berufung auf die Zulassung des
Arzneimittels in einem anderen Mitgliedstaat ist auch noch nach Ablauf einer
Mängelbeseitigungsfrist möglich, solange das Nachzulassungsverfahren nicht
bestandskräftig abgeschlossen ist.
Nach § 105 Abs. 5 Satz 1 bis 3 AMG hat der Antragsteller bei Beanstandungen
innerhalb einer angemessenen Frist, jedoch höchstens innerhalb von zwölf
Monaten nach Mitteilung der Beanstandungen, den Mängeln abzuhelfen; die
Mängelbeseitigung ist in einem Schriftsatz darzulegen. Wird den Mängeln nicht
innerhalb dieser Frist abgeholfen, so ist die Zulassung zu versagen. Nach einer
Entscheidung über die Versagung der Zulassung ist das Einreichen von Unter-
lagen zur Mängelbeseitigung ausgeschlossen.
a) Nach Wortlaut und Systematik beschränkt diese Präklusionsvorschrift nur die
Verteidigung gegen zuvor gerügte Mängel. Die Zulassungsbehörde ist ver-
pflichtet, Zulassungsanträge daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen An-
forderungen an den Antrag und die einzureichenden Unterlagen erfüllt sind.
Ergeben sich Beanstandungen, setzt die Behörde nach § 105 Abs. 5 Satz 1
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AMG eine Frist zu deren Beseitigung oder begnügt sich in geeigneten Fällen
damit, die Zulassung des Arzneimittels mit Auflagen zur Mängelbehebung zu
verbinden (§ 105 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Abs. 6 AMG). Die ordnungsgemäße Frist-
setzung zur Mängelbeseitigung schließt nachträgliche Versuche, die Mängel zu
beheben, aus. Präkludiert ist auf diese Weise aber nur das Einreichen von Un-
terlagen „zur Mängelbeseitigung“ (vgl. § 105 Abs. 5 Satz 3 AMG), nicht hin-
gegen die Möglichkeit, den Antrag auf Verlängerung der Zulassung zusätzlich
oder alternativ auf § 105 Abs. 4c AMG zu stützen.
Die Bezugnahme auf die Zulassung des Arzneimittels in einem anderen Mit-
gliedstaat ist nicht der Versuch einer Beseitigung von zuvor gerügten Mängeln
eines auf § 105 Abs. 4f AMG gestützten Zulassungsantrags, sondern die Gel-
tendmachung eines anderen (weiteren) Zulassungsgrundes. § 105 Abs. 4c
AMG bildet eine Grundlage für die Nachzulassung eines Arzneimittels, die den
Anspruch unter anderen Voraussetzungen gewährt als § 105 Abs. 4f AMG.
Zwar trifft es zu, dass Absatz 4c im systematischen Zusammenhang des Nach-
zulassungsverfahrens steht und sich anschließt an die gesetzlichen Anforde-
rungen in Absatz 4, 4a und 4b der Vorschrift über die in diesem Verfahren ge-
forderten Angaben und Unterlagen. Bei § 105 Abs. 4c AMG belegen aber nicht
die (bemängelten) Angaben und Unterlagen nach § 105 Abs. 4 bis 4b AMG den
Zulassungsanspruch, sondern der Umstand, dass das Arzneimittel bereits in
einem anderen Mitgliedstaat zugelassen worden ist. Anstelle einer eigenen
Prüfung soll die Zulassungsbehörde das bereits vorliegende positive Ergebnis
der Prüfung in dem anderen Mitgliedstaat der eigenen Entscheidung zugrunde
legen. In der Bezugnahme auf eine solche Zulassung liegt weder begrifflich
noch systematisch der Versuch einer Beseitigung von Mängeln, die auf die ma-
teriellen Versagungsgründe nach § 25 Abs. 2 AMG Bezug nehmen.
Dem steht nicht entgegen, dass sich die Präklusionsvorschrift des § 105 Abs. 5
AMG nach der gesetzlichen Systematik auch auf § 105 Abs. 4c AMG erstreckt.
Soweit die Bezugnahme auf eine ausländische Zulassung des Arzneimittels im
Sinne des § 105 Abs. 4c AMG ihrerseits Mängel aufweist, etwa weil nicht alle
erforderlichen Unterlagen beigebracht oder die notwendigen Erklärungen nicht
abgegeben worden sind, kann die Zulassungsbehörde auch auf einen solchen
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Mangel mit einer Beanstandung und Fristsetzung nach § 105 Abs. 5 Satz 1
AMG reagieren und nach Fristablauf eingereichte Dokumente unberücksichtigt
lassen. Daraus folgt aber nicht, dass ein aus anderen Gründen geführtes Män-
gelbeseitigungsverfahren den Anspruch aus § 105 Abs. 4c AMG präkludiert.
Der Vergleich mit § 25b AMG, der für die Erstzulassung ein gesondertes Ver-
fahren der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen vorsieht, führt nicht
weiter. Der Gesetzgeber hat für die Nachzulassung darauf verzichtet, verschie-
dene Verfahren vorzusehen; vielmehr hat er die Berufung auf die Zulassung in
einem anderen Mitgliedstaat nur als eine (weitere) Möglichkeit zur Begründung
der nach § 105 Abs. 3 AMG gestellten Verlängerungsanträge ausgestaltet. Das
spricht indes nicht für, sondern gegen die Ansicht des Berufungsgerichts. Ge-
rade weil kein „eigenständiges“ Verfahren vorgesehen ist, kann ein Antrag auf
Verlängerung der Zulassung mit einer ausländischen Zulassung im Sinne des
§ 105 Abs. 4c AMG begründet werden, solange die durch § 105 Abs. 1 AMG
begründete Zulassungsfiktion als Anknüpfungspunkt für die beantragte Verlän-
gerung besteht, also regelmäßig bis zum bestandskräftigen Abschluss des
Nachzulassungsverfahrens.
b) Der Zweck der Vorschriften gebietet kein anderes Verständnis. Richtig ist
zwar, dass der Gesetzgeber mit dem Zehnten Gesetz zur Änderung des Arz-
neimittelgesetzes vom 4. Juli 2000 (BGBl I S. 1002), durch das unter anderem
Absatz 4c in die Vorschrift des § 105 AMG eingefügt wurde, ausdrücklich eine
Beschleunigung der Nachzulassungsverfahren erreichen wollte (vgl. BTDrucks
14/2292 S. 9). Das rechtfertigt aber nicht die Annahme, dass mit Ablauf einer
(aus anderen Gründen gesetzten) Mängelbeseitigungsfrist auch die Berufung
auf eine Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat ausgeschlossen sein soll.
Ein solches Verständnis verbietet sich schon deshalb, weil Präklusionsvor-
schriften mit Blick auf ihren Ausnahmecharakter und ihre rechtsbeschränkende
Wirkung grundsätzlich eng auszulegen sind, um eine eindeutige Vorhersehbar-
keit für die Betroffenen zu gewährleisten. Eine über Wortlaut und Systematik
hinausgehende Ausdehnung des Anwendungsbereichs unter Berufung auf
einen allgemeinen Gesetzeszweck geriete mit diesen rechtsstaatlichen Grund-
sätzen in Konflikt.
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Zudem legt der Gesetzeszweck der Verfahrensbeschleunigung eine solche
Ausdehnung des Anwendungsbereichs von § 105 Abs. 5 Satz 3 AMG gerade
nicht nahe. Der Gesetzgeber hat sich eine Beschleunigung des Nachzulas-
sungsverfahrens insbesondere durch die Setzung von Fristen versprochen. So
hat er die pharmazeutischen Unternehmer in dem ebenfalls mit dem Zehnten
Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes in § 105 AMG neu eingefügten
Absatz 4a verpflichtet, die dort genannten Unterlagen bis zu einem bestimmten
Zeitpunkt einzureichen; andernfalls erlosch die Zulassung. Das fügt sich in die
Regelungsmethode des Nachzulassungsverfahrens, dem Antragsteller für be-
stimmte Verfahrensschritte Ausschlussfristen vorzuschreiben, so etwa für die
erste Anzeige nach § 105 Abs. 2, den anschließenden Antrag auf Verlängerung
der Zulassung nach § 105 Abs. 3 und die Vorlage von Unterlagen nach § 105
Abs. 4 Satz 2 AMG. Hätte der Gesetzgeber die Berufung auf die Zulassung des
Arzneimittels in einem anderen Mitgliedstaat gleichermaßen zeitlich beschrän-
ken wollen, hätte es nahe gelegen, eine entsprechende Frist in Absatz 4c auf-
zunehmen. Das ist jedoch nicht geschehen. Vielmehr sollte die Möglichkeit, sich
im Nachzulassungsverfahren unter besonders vereinfachten Voraussetzungen
auf die Zulassung des Arzneimittels in einem anderen Mitgliedstaat zu berufen,
ihrerseits zu einer weiteren Beschleunigung der Nachzulassung beitragen, weil
auf diese Weise zeitraubende inhaltliche Prüfungen erspart bleiben. Dazu heißt
es in der amtlichen Begründung (BTDrucks 14/2292 S. 9):
„Zur Beschleunigung der Nachzulassung wird durch die Rege-
lung in Absatz 4c teilweise über die EU-Regelungen über die ge-
genseitige Anerkennung hinaus vorgesehen, die Nachzulassung
auf der Grundlage eines bereits nach EU-Recht in einem ande-
ren Mitgliedstaat zugelassenen gleichen Arzneimittel des An-
tragstellers oder eines verbundenen Unternehmens oder Lizenz-
nehmers zu erteilen. Damit soll das Prinzip der Zulassungsan-
erkennung auch für die Nachzulassung genutzt werden. Wegen
der Besonderheiten der Nachzulassung, bei der es sich häufig
um solche Arzneimittel handelt, die auch in anderen Mitglied-
staaten vor längerer Zeit erstmalig (nach)zugelassen worden
sind, wäre es nicht zweckmäßig, das reguläre Verfahren der ge-
genseitigen Anerkennung (§ 25 Abs. 5a bis 5c) anzuwenden;
dies gilt insbesondere für den Beurteilungsbericht, der nicht für
alle einschlägigen Fälle der Nachzulassung von den Behörden
der anderen Mitgliedstaaten angefordert werden kann.“
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Gegenüber dem Gesetzentwurf sind die Voraussetzungen für eine Nachzulas-
sung unter Berufung auf die Zulassung des Arzneimittels in einem anderen Mit-
gliedstaat im parlamentarischen Verfahren sogar noch weiter reduziert worden
(vgl. dazu BTDrucks 14/3320 S. 15). Der Gesetzgeber hatte deshalb keinen
Anlass, die neu geschaffene Zulassungsgrundlage sogleich wieder durch Aus-
schlussfristen zu beschränken. Vielmehr war ihm daran gelegen, solchen Alt-
medikamenten, die bereits eine Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat vor-
weisen können, unter gegenüber dem regulären Anerkennungsverfahren (nach
den in der vorstehenden Begründung genannten § 25 Abs. 5a bis 5c AMG in
der Fassung des 7. AMG-Änderungsgesetzes vom 25. Februar 1998, BGBl I
S. 374; jetzt § 25b AMG) reduzierten Voraussetzungen eine Nachzulassung zu
ermöglichen.
Daraus folgt zugleich, dass die Klägerin entgegen der Ansicht des Berufungs-
gerichts nicht auf das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung nach § 25b
Abs. 2 AMG i.V.m. Art. 27 ff. der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemein-
schaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl Nr. L 311 S. 67), zuletzt geändert
durch Richtlinie 2009/120/EG der Kommission vom 14. September 2009
(ABl Nr. L 242 S. 3), als gleichwertige Alternative verwiesen werden kann. Die
insoweit geltenden Voraussetzungen, zu denen unter anderem die Vorlage ei-
nes Beurteilungsberichts des Referenzstaates zählt, und der gesamte Mecha-
nismus, insbesondere im Falle von Meinungsverschiedenheiten unter den Zu-
lassungsbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten (vgl. dazu Art. 29 ff. der
Humanarzneimittel-Richtlinie), ermöglichen die Erlangung einer Zulassung nicht
auf eine ähnlich einfache Weise. Die Verlängerung einer fiktiven Zulassung
unter Berufung auf die Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat kann deshalb
mit dem gemeinschaftsrechtlich geprägten Verfahren der gegenseitigen An-
erkennung nicht gleichgesetzt werden. Die Klägerin darauf zu verweisen, hätte
obendrein zur Konsequenz, dass die fiktive Zulassung erlöschen und das Arz-
neimittel bis zu einer (erneuten) Erstzulassung nicht vertrieben werden dürfte.
Diese Folge erscheint in ihrer Tragweite unangemessen im Verhältnis zu dem
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Aufwand, den die Prüfung der Voraussetzungen des § 105 Abs. 4c AMG verur-
sacht.
3. Das Berufungsgericht wird deshalb zu prüfen haben, ob die Klägerin die Vo-
raussetzungen des § 105 Abs. 4c AMG durch die im Klageverfahren einge-
reichten oder ggf. noch einzureichenden Unterlagen erfüllt, wobei für den Aus-
schlussgrund einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit kein anderer Maßstab
gilt als für die Annahme einer schwerwiegenden Gefahr im Sinne von § 25b
Abs. 2 AMG und Art. 29 Abs. 1 der Humanarzneimittel-Richtlinie.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Buchheister
RiBVerwG Dr. Wysk ist
wegen Erkrankung verhindert
zu unterschreiben.
Kley
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Arzneimittelrecht
Fachpresse: nein
Rechtsquellen:
Humanarzneimittel-Richtlinie
Art. 28, 29
AMG
§§ 25b, 105 Abs. 4c und Abs. 5 Satz 1 bis 3
Stichworte:
Altarzneimittel; Verlängerung der fiktiven Zulassung; Nachzulassung; Präklu-
sion; Mängelbeseitigung; Ablauf der Mängelbeseitigungsfrist; Berufung auf die
Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat.
Leitsatz:
Der pharmazeutische Unternehmer kann sich auch noch nach Ablauf einer
Mängelbeseitigungsfrist auf die Zulassung des Arzneimittels in einem anderen
Mitgliedstaat (§ 105 Abs. 4c AMG) berufen, solange das Nachzulassungsver-
fahren nicht bestandskräftig abgeschlossen ist.
Urteil des 3. Senats vom 27. Januar 2011 - BVerwG 3 C 11.10
I. VG Köln vom 04.12.2007 - Az.: VG 7 K 583/05 -
II. OVG Münster vom 07.10.2009 - Az.: OVG 13 A 306/08 -