Urteil des BVerwG vom 28.04.2010

Rückforderung, Gegenleistung, Abtretung, Rechtsnachfolger

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 11.09
VG 7 K 3480/07.F (3)
Verkündet
am 28. April 2010
Jesert
Hauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. April 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert,
Buchheister und Dr. Wysk
für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main
vom 28. Januar 2009 wird geändert.
Der Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 30. Ja-
nuar 2007 und der Beschluss der Beschwerdestelle für
den Lastenausgleich beim Regierungspräsidium Darm-
stadt vom 19. September 2007 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
G r ü n d e :
I
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Hauptentschädigung, die
er für die Wegnahme von Anteilsrechten an einer bergrechtlichen Gewerkschaft
erhalten hatte.
Er war Eigentümer eines Rittergutes und großer Liegenschaften in Brandenburg
und Berlin sowie Inhaber von 100 Anteilsrechten - sog. Kuxen - an einem
Braunkohlewerk (heute Sachsen-Anhalt). In der Zeit bis 1947 wurde er auf be-
satzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage enteignet. Die
Wegnahmeschäden wurden mit Gesamtbescheid vom 15. Dezember 1986
nach dem Beweissicherungs- und Feststellungsgesetz festgestellt, auf dieser
Grundlage wurde in weiteren Bescheiden - unter anderem für die Kuxe - Haupt-
entschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz zuerkannt.
Versuche des Klägers, seine Vermögenswerte nach 1990 zurückzuerhalten,
blieben erfolglos. Daraufhin beantragte er Leistungen nach dem Ausgleichs-
leistungsgesetz, trat diese Ansprüche jedoch mit notarieller Erklärung vom
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10. Februar 2003 gegen Zahlung eines Entgelts an die Status Vermögensver-
waltung GmbH ab. Die Gesellschaft nahm den Antrag des Klägers auf Aus-
gleichsleistungen hinsichtlich der Anteilsrechte zurück, das Verfahren wurde
insoweit eingestellt.
Mit Leistungsbescheid vom 30. Januar 2007 forderte der Beklagte vom Kläger
die für die Anteilsrechte gewährte Hauptentschädigung in Höhe von 1 352,05 €
zurück. Der Schaden sei durch das für die Abtretung gezahlte Entgelt vollstän-
dig ausgeglichen. Die Beschwerde des Klägers wies die Beschwerdestelle für
den Lastenausgleich beim Regierungspräsidium Darmstadt mit Beschluss vom
19. September 2007 zurück.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Schaden an den An-
teilsrechten sei mit der Zahlung durch die Gesellschaft ausgeglichen worden.
Nach der maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise komme es nicht
darauf an, wer den Schadensausgleich bewirke. Liege wie hier Objektidentität
vor, seien daher auch Geldleistungen privater Dritter an Lastenausgleichsemp-
fänger zu berücksichtigen, was auch die Regelung in § 21a des Feststellungs-
gesetzes (FG) belege. Die Inanspruchnahme des Klägers stimme mit dem
Rückforderungsrundschreiben des Bundesausgleichsamtes überein; denn für
eine Inanspruchnahme der Gesellschaft fehle es, weil sie keine Schadensaus-
gleichsleistungen erhalten habe, an einer Rechtsgrundlage.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Standpunkt weiter, nur staatliche
Leistungen mit der Zweckbindung, einen auf staatlichem Unrecht beruhenden
Schaden wiedergutzumachen, könnten einen Schadensausgleich bewirken. Die
Zahlung im Rahmen des privatrechtlichen Abtretungsvertrages, den er mit der
Status Vermögensverwaltung GmbH geschlossen habe, sei die Gegenleistung
für den Übergang ungewisser öffentlicher Ausgleichsansprüche gewesen. Die
Regelung in § 21a FG könne nicht im Sinne des Verwaltungsgerichts herange-
zogen werden, weil sie nur Leistungen Privater als Schadensersatz betreffe.
Das Rückforderungsrundschreiben des Bundesausgleichsamtes sei rechtswid-
rig, wenn es private Leistungen für berücksichtigungsfähig halte. Zudem setze
es in Tz. 4.2.7.2 voraus, dass sich die Gegenleistung eindeutig auf den Ge-
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genstand der Schadensfeststellung beziehen müsse, was sich hier nicht fest-
stellen lasse. Schließlich richte sich die Rückforderung auch gegen den fal-
schen Adressaten. Im Rückforderungsrundschreiben sei für den Fall der Abtre-
tung von Ausgleichsansprüchen nach 1994 eine Rückforderung zur Verrech-
nung gegen den Zessionar, hier also die Status Vermögensverwaltung GmbH,
vorgesehen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
II
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht, so-
weit es annimmt, der Schaden an den Anteilsrechten des Klägers sei im Zuge
der Abtretung der Ausgleichsansprüche ausgeglichen worden.
Nach § 349 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 342 Abs. 3 LAG sind zuviel gewährte Aus-
gleichsleistungen zurückzufordern, wenn nach dem 31. Dezember 1989 ein
Schaden, für den Lastenausgleich gewährt worden ist, ganz oder teilweise aus-
geglichen wird. Ein Schadensausgleich ist hier nicht eingetreten.
1. Allerdings ist nicht zweifelhaft, dass auch Geldzahlungen privater Dritter ei-
nen im Lastenausgleich berücksichtigten Schaden ausgleichen können. Eine
Beschränkung auf staatliche Leistungen enthält das Lastenausgleichsrecht
nicht. Zwar knüpft § 349 LAG im Regelfall an Schadensausgleichsleistungen
nach dem Vermögensgesetz oder dem Entschädigungs- und Ausgleichsleis-
tungsgesetz und insofern an staatliche Maßnahmen an (vgl. BTDrucks 12/2170
S. 11 zu Nr. 2 <§ 342 Abs. 3>). Gleichwohl kommt es nicht darauf an, auf wel-
che Art und Weise ein Schaden ausgeglichen wird. Das folgt aus dem § 349
Abs. 1 Satz 1 LAG zugrunde liegenden Zweck der Rückforderung, eine Dop-
pelentschädigung zu Lasten der öffentlichen Hand zu vermeiden. Maßgebend
ist allein, dass die gewährte Hauptentschädigung wegen der nachträglichen
Beseitigung des Schadens ihre Berechtigung verloren hat (BTDrucks 12/2170
S. 11 zu Nr. 3 <§ 349>). Werden einem Empfänger von Hauptentschädigung für
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den geschädigten Vermögenswert nachträglich Leistungen gewährt, so kommt
es in dessen Person unabhängig davon zu einer Doppelentschädigung, von
wem die Leistungen stammen. Damit entfällt der Rechtsgrund für einen
Lastenausgleich. Es besteht kein Anlass, jemandem Leistungen zu belassen,
die vom Staat als Ausgleich für einen inzwischen anderweitig ausgeglichenen
und damit letztlich nicht mehr existenten Vermögensverlust erbracht worden
sind. Die Rückforderung ist die Rückabwicklung einer Vermögensverschiebung,
die sich im Nachhinein als nicht mehr gerechtfertigt erweist (vgl. Beschluss vom
6. September 2004 - BVerwG 3 B 20.04 - juris Rn. 9). Auch § 21a Abs. 1 Satz 1
Nr. 3 und 4 des Feststellungsgesetzes, das gemäß § 373 Satz 1 LAG in Ver-
fahren nach dem Lastenausgleichsgesetz weiter anwendbar ist, nimmt aus-
drücklich Fälle in den Blick, in denen ein Schaden durch Leistungen privater
Dritter ausgeglichen worden ist.
2. Jedoch ist nicht jede Zahlung eines privaten Dritten, die einen Zusammen-
hang mit einem geschädigten Vermögenswert aufweist, ohne Weiteres auch als
Schadensausgleichsleistung im Sinne des § 349 Abs. 1, Abs. 3 LAG anzu-
sehen. Eine Schadensausgleichsleistung liegt nur vor, wenn die Leistung gera-
de zur Wiedergutmachung des Schadens erbracht wurde. Hierin unterscheiden
sich private Leistungen nicht von öffentlichen. Entsprechendes gilt für die Zu-
wendung von Surrogaten wie etwa einer Versicherungsleistung (vgl. Urteile vom
18. Juni 2008 - BVerwG 3 C 30.07 - Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 16 = ZOV
2008, 214, vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 C 40.06 - Buchholz 427.3 § 349
LAG Nr. 12 und vom 18. Mai 2006 - BVerwG 3 C 29.05 - Buchholz 428 § 11
VermG Nr. 4).
Der Wiedergutmachungscharakter einer Leistung setzt damit voraus, dass dem
Empfänger entweder der entzogene Vermögensgegenstand oder ein an seine
Stelle tretendes Surrogat ohne weitere Voraussetzung, namentlich ohne Ge-
genleistung zugewendet wird. Auch Versicherungsleistungen werden, obschon
sie auf Vertrag beruhen, zur Wiedergutmachung des Schadens und nicht im
Austausch mit einer weiteren, auf sie bezogenen Gegenleistung erbracht. Ent-
geltliche Austauschverhältnisse besitzen daher regelmäßig keinen Wiedergut-
machungscharakter. Die dabei vereinbarte Rückübertragung des entzogenen
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Vermögensgegenstandes oder die Zuwendung des Surrogats wird nicht „we-
gen“ des Schadens, d.h. zum Zwecke der Wiedergutmachung gewährt, sondern
als Gegenleistung für eine andere Leistung. Es bewirkt deshalb keinen
Schadensausgleich, wenn der Geschädigte den entzogenen Vermögensge-
genstand freihändig „zurück“-kauft. Ebenso wenig führt es zu einem Scha-
densausgleich, wenn er den Anspruch auf Rückgabe des entzogenen Vermö-
gensgegenstandes an einen Dritten verkauft und in Erfüllung des Kaufvertrages
an den Dritten abtritt; dessen Gegenleistung erhält er nicht zum Zwecke des
Schadensausgleichs, sondern als Kaufpreis.
Zu einem Schadensausgleich kommt es daher erst, wenn der Käufer und Ab-
tretungsempfänger den abgetretenen Anspruch realisiert. Das liegt auch § 349
Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 LAG zugrunde. Dort ist der Fall bedacht, dass der Emp-
fänger von Lastenausgleich den Anspruch auf eine (weitere) Schadensaus-
gleichsleistung an einen Dritten abgetreten hat (vgl. Urteil vom 28. Februar
2007 a.a.O. Rn. 14). Die Rückforderung richtet sich auch in diesem Fall gegen
ihn und nicht gegen den Dritten, der infolge der Abtretung insofern sein Einzel-
rechtsnachfolger geworden ist; sie setzt aber voraus, dass der Rechtsnachfol-
ger die Schadensausgleichsleistung tatsächlich erlangt hat. Besteht die Scha-
densausgleichsleistung in einem Anspruch nach dem Entschädigungs- oder
nach dem Ausgleichsleistungsgesetz, so erlaubt § 2 Abs. 1 Satz 2 AusglLeistG
i.V.m. § 8 Abs. 1 EntschG die Verrechnung gegenüber dem Abtretungsemp-
fänger; die Rückforderung gegenüber dem Empfänger von Lastenausgleich ent-
fällt insoweit (§ 349 Abs. 1 Satz 3 LAG; so zutreffend auch Tz. 10.3.4.2 des
Rückforderungsrundschreibens des Bundesausgleichsamtes i.d.F. vom 29. Au-
gust 2003). Auch hier aber liegt die Schadensausgleichsleistung erst in der Ver-
rechnung und ggf. in einer zusätzlichen Entschädigungszahlung.
In Fällen eines Forderungsverkaufs wie im vorliegenden Fall entsteht die Rück-
zahlungspflicht nach allem erst, wenn dem Rechtsnachfolger die abgetretene
Ausgleichsleistung gewährt wird (vgl. Urteil vom 18. Juni 2008 a.a.O. Rn. 14).
Dazu ist es im Fall des Klägers nicht gekommen; die Gründe, welche die Zes-
sionarin bewogen haben, von der Realisierung der Ansprüche Abstand zu neh-
men, sind ohne Bedeutung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Buchheister
Dr. Wysk
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Lastenausgleichsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
LAG
§ 349 Abs. 1, Abs. 3 Satz 5, Abs. 5 Satz 1
FG
§ 21a Abs. 1
EntschG
§ 8 Abs. 1
Stichworte:
Abtretung; Ausgleichsansprüche; Ausgleichsleistung; Begriff des Schadens-
ausgleichs; Einzelrechtsnachfolger; Factoringvertrag; Forderungsverkauf; Ge-
genleistung; Kuxe; Realisierung einer Ausgleichsleistung; Rechtsnachfolge;
Rechtsnachfolger; Rückzahlungspflicht; Schadensausgleich; Surrogate; Wie-
dergutmachungscharakter; Zahlungen privater Dritter; Zession; Zessionar.
Leitsatz:
Die Zahlung eines privaten Dritten an den Empfänger von Lastenausgleich ist
nur dann eine Schadensausgleichsleistung im Sinne von § 349 Abs. 1 i.V.m.
§ 342 Abs. 3 LAG, wenn sie zur Wiedergutmachung des Schadens erfolgt.
Urteil des 3. Senats vom 28. April 2010 - BVerwG 3 C 11.09
I. VG Frankfurt am Main vom 28.01.2009 - Az.: VG 7 K 3480/07.F (3) -