Urteil des BVerwG vom 02.10.2007

Verordnung, Beendigung, Reserve, Europäische Kommission

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 11.07
OVG 10 LC 102/03
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Oktober 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette,
Liebler und Prof. Dr. Rennert
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Nieder-
sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. März 2005
aufgehoben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsge-
richt zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung - die auch die den Beteiligten
beim Europäischen Gerichtshof entstandenen Kosten ein-
schließt - bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
I
Der Kläger führt einen Milcherzeugungsbetrieb. Sein Rechtsvorgänger hatte
von dem Beigeladenen im Jahr 1974 unbefristet eine Fläche von 4,1862 ha hin-
zugepachtet, die er zur Milcherzeugung nutzte. Im Jahr 2000 schlossen der
Kläger und der Beigeladene einen Pachtaufhebungsvertrag zum 1. Januar
2001. Auf dessen Antrag hin bescheinigte die Landwirtschaftskammer
Hannover - die Rechtsvorgängerin der Beklagten - dem Beigeladenen mit Be-
scheid vom 14. Februar 2001, geändert am 27. April 2001, den Übergang einer
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Referenzmenge von 9 315 kg auf ihn; zugleich verfügte sie, dass eine weitere
Referenzmenge von 4 588 kg zugunsten der Landesreserve eingezogen werde,
weil der Beigeladene selbst keine Milch erzeuge.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe die Fläche 1974
ohne Referenzmenge zugepachtet. Der Beigeladene habe ihm bei der Aufhe-
bung des Pachtvertrages versichert, die Fläche falle auch wieder ohne Refe-
renzmenge zurück. Er sehe sich getäuscht und fechte den Aufhebungsvertrag
an. Die Landwirtschaftskammer Hannover wies den Widerspruch mit Bescheid
vom 6. Juli 2001 zurück. Die Beteiligten hätten bei dem Abschluss des Pacht-
aufhebungsvertrages keine Absprache über den Verbleib der Referenzmenge
getroffen. Auch Pächterschutz komme nicht in Betracht, da der Pachtvertrag
einvernehmlich beendet worden sei.
Auf die Klage hin hat das Verwaltungsgericht Stade die Bescheide aufgehoben.
Mit Urteil vom 16. März 2005 hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht
die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausge-
führt: Bei der Beendigung eines Pachtverhältnisses über eine Milcherzeugungs-
fläche falle eine entsprechende Referenzmenge nur dann an den Verpächter
zurück, wenn dieser selbst Milcherzeuger sei oder die Fläche unverzüglich wie-
der an einen Milcherzeuger übertrage. Damit solle verhindert werden, dass Re-
ferenzmengen nicht zur Vermarktung von Milch, sondern dazu verwendet wür-
den, unter Ausnutzung ihres Marktwertes rein finanzielle Vorteile aus ihnen zu
ziehen. An diesen Grundsätzen sei auch angesichts der Neuregelung des Zu-
satzabgabenrechts zum 1. April 2000 festzuhalten, nach der eine Übertragung
von Referenzmengen - abgesehen von Ausnahmen - nur noch flächenunge-
bunden im Wege des Verkaufs über die Verkaufsstelle zulässig sei. Mithin sei
die strittige Referenzmenge nicht auf den Beigeladenen übergegangen. Die
angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig. Dadurch werde der Kläger auch
in eigenen Rechten verletzt, ohne dass entschieden zu werden brauche, ob die
strittige Referenzmenge - durch einen weiteren Bescheid - zugunsten der staat-
lichen Reserve eingezogen werden könne oder müsse.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Be-
klagten. Sie macht geltend, der Rechtsstreit betreffe Übergangsrecht, nämlich
die Regeln, nach denen Altpachtverhältnisse unter dem seit 1. April 2000 gel-
tenden neuen Zusatzabgabenrecht zu behandeln seien. Das Übergangsrecht
sehe für den Fall der Beendigung von Altpachtverträgen den Übergang der Re-
ferenzmenge auf den Verpächter und für den Fall, dass dieser die Referenz-
menge nicht für die eigene Milcherzeugung benötige, einen Abzug in Höhe von
33 vom Hundert zugunsten der staatlichen Reserve vor. Das zeige, dass die
Verordnung einen Übergang auch für den Fall voraussetze, dass der Verpäch-
ter die Referenzmenge nicht für die eigene Milcherzeugung benötige, also kein
Milcherzeuger sei. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nehme dieser
Regelung einen Teil ihres Anwendungsbereichs.
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Beigeladene teilt die Rechtsansicht der Beklagten. Er stellt keinen Antrag.
Der Vertreter des Bundesinteresses unterstützt die Revision.
Mit Beschluss vom 18. Mai 2006 - BVerwG 3 C 32.05 - (Buchholz 451.514 ZAV
Nr. 3 = AUR 2006, 366 = RdL 2006, 246) hat der Senat das Verfahren ausge-
setzt und dem Europäischen Gerichtshof eine Frage zur Auslegung von Art. 7
Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992
in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1256/1999 zur Vorabentscheidung
vorgelegt. Mit Urteil vom 7. Juni 2007 - Rs. C-278/06 - hat der Europäische Ge-
richtshof entschieden, dass Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 in
der durch die Verordnung (EG) Nr. 1256/1999 geänderten Fassung dahin aus-
zulegen ist, dass bei der Beendigung landwirtschaftlicher Pachtverhältnisse
über einen Milcherzeugungsbetrieb daran gebundene Referenzmengen an den
Verpächter zurückfallen können, soweit dieser nicht Erzeuger ist oder zu wer-
den beabsichtigt und sie in kürzester Frist über eine staatliche Verkaufsstelle an
einen Dritten überträgt, der diese Eigenschaft besitzt.
Die Beteiligten haben auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet.
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II
Die Revision ist begründet. Das Urteil beruht auf einer Verletzung von Bundes-
recht. Da es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf, ist die Sache an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
1. Zur Entscheidung des Rechtsstreits sind diejenigen Rechtsvorschriften he-
ranzuziehen, die sich für den Zeitpunkt des umstrittenen Referenzmengen-
übergangs, also für den 1. Januar 2001 Geltung beilegten; denn der Übergang
wird nicht durch die angefochtene Bescheinigung bewirkt, sondern erfolgt un-
abhängig von ihr (stRspr; vgl. Urteile vom 18. Dezember 2003 - BVerwG 3 C
48.02 - und vom 16. März 2005 - BVerwG 3 C 18.04 - Buchholz 451.512
Nr. 138 und 140 , jeweils m.w.N.). Anzuwenden sind damit die
Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die
Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (ABl EG Nr. L 405 S. 1) in der
Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 1256/1999 des Rates vom 17. Mai
1999 (ABl EG Nr. L 160 S. 73) und die Verordnung zur Durchführung der Zu-
satzabgabenregelung (Zusatzabgabenverordnung) vom 12. Januar 2000
(BGBl I S. 27) - ZAV -.
2. Die angefochtenen Bescheide haben einen zweifachen Gegenstand. Sie
bescheinigen zum einen dem Beigeladenen, welche Referenzmenge auf ihn
übergegangen ist; das stützt sich auf § 17 Abs. 1 Nr. 1 ZAV. Der bescheinigte
Rechtserwerb des Beigeladenen beruht teils auf Gesetz, teils auf Verwaltungs-
akt: Der Übergang der Referenzmenge vom Kläger (Pächter) auf den Beigela-
denen (Verpächter) erfolgt unmittelbar kraft Gesetzes, während der Drittelabzug
zugunsten der staatlichen Reserve durch Verwaltungsakt verfügt werden muss.
Dieser Unterschied besteht, obwohl beide Mal § 12 Abs. 2 bis 4 ZAV
einschlägig ist; diese Vorschrift bewirkt zum einen den gesetzlichen Referenz-
mengenübergang und bietet zum anderen und zugleich die Ermächtigungs-
grundlage für den Drittelabzug zugunsten der staatlichen Reserve. Damit verfü-
gen die angefochtenen Bescheide zum anderen den Dritteleinzug zugunsten
der staatlichen Reserve nach § 12 Abs. 2 und 4 ZAV.
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Die Klage richtet sich sowohl gegen den Drittelabzug als auch gegen die Be-
scheinigung. Sie ist in beiden Punkten zulässig; denn der Kläger ist durch bei-
des beschwert. Allerdings bedarf der Drittelabzug nur insoweit der Überprüfung,
als die Beschwer des Klägers reicht. Er hat nach § 12 Abs. 2 Satz 1 ZAV den
Übergang der Referenzmenge vom Kläger auf den Beigeladenen zur Voraus-
setzung. Hat der Übergang nicht stattgefunden, so ist die Klage nicht nur hin-
sichtlich der Bescheinigung begründet, sondern führt auch zur Aufhebung des
Drittelabzugs. Hat der bescheinigte Übergang hingegen stattgefunden, so ist
die Klage auch insoweit abzuweisen, als sie sich gegen den Drittelabzug richtet;
durch mögliche weitere Fehler beim Drittelabzug (vgl. Urteil vom 16. September
2004 - BVerwG 3 C 35.03 - BVerwGE 121, 382 ff.) wäre der Kläger dann nicht
beschwert.
3. Der bescheinigte Referenzmengenübergang findet seine Grundlage in § 12
Abs. 2 Satz 1 ZAV. Diese Vorschrift ist - entgegen der Ansicht des Berufungs-
gerichts - nicht einschränkend dahin auszulegen, dass Anlieferungs-Referenz-
mengen bei Auslaufen von Altpachtverträgen nur dann an den Verpächter zu-
rückfallen, wenn dieser selbst Milcherzeuger ist oder zu werden beabsichtigt.
Sie gilt vielmehr auch dann, wenn der Verpächter die Referenzmenge in kür-
zester Frist über die staatliche Verkaufsstelle an einen Erzeuger überträgt.
a) Das nationale Recht macht den Übergang der Referenzmenge bei der Be-
endigung von Altpachtverträgen nicht davon abhängig, dass der Verpächter
selbst Milcherzeuger ist oder alsbald wird.
Der Wortlaut der Vorschrift gibt für diese Einschränkung nichts her. Nach § 12
Abs. 2 Satz 1 ZAV gehen, soweit Altpachtverträge mit Ablauf des 31. März
2000 oder später beendet werden, die entsprechenden Anlieferungs-Referenz-
mengen nach § 7 Abs. 1 bis 2a, 4 Satz 1 bis 3, Abs. 5 und 6 der Milch-Garan-
tiemengen-Verordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. März
1994 (BGBl I S. 586), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 25. März
1996 (BGBl I S. 535), - MGV - auf den Verpächter mit der Maßgabe über, dass
33 vom Hundert der zurückgewährten Anlieferungs-Referenzmengen zuguns-
ten der Reserve des Landes, in dem der Betriebssitz des Pächters liegt, einge-
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zogen werden. Die Bestimmung sieht mithin den Übergang „auf den Verpäch-
ter“, ohne jede Einschränkung vor. Auch die in Bezug genommenen Vorschrif-
ten der Milch-Garantiemengen-Verordnung knüpfen den Übergang nicht an die
einschränkende Voraussetzung, dass der Verpächter selbst Milch erzeugt.
Dass § 12 Abs. 2 Satz 1 ZAV auch diejenigen Fälle erfassen will, in denen der
Verpächter nicht selbst Milch erzeugt, zeigt § 12 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ZAV. Hier-
nach unterbleibt der in § 12 Abs. 2 Satz 1 ZAV vorgesehene Abzug zugunsten
der staatlichen Reserve, wenn der Verpächter die Anlieferungs-Referenzmenge
für die eigene Milcherzeugung benötigt. Die Zusatzabgabenverordnung geht
also davon aus, dass der Verpächter die Referenzmenge in jedem Falle erlangt;
wenn er selbst Milch erzeugt, erlangt er sie ungeschmälert, wenn er selbst aber
keine Milch erzeugt, wird sie ihm um ein Drittel gekürzt.
b) Europäisches Gemeinschaftsrecht lässt eine derartige nationale Regelung
zu, sofern der Verpächter, wenn er nicht selbst Erzeuger ist oder zu werden
beabsichtigt, die Referenzmenge in kürzester Frist über die staatliche Ver-
kaufsstelle an einen Dritten überträgt, der diese Eigenschaft besitzt.
Nach Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 werden bei Beendigung
landwirtschaftlicher Pachtverhältnisse, abgesehen von hier nicht vorliegenden
Ausnahmen, die verfügbaren Referenzmengen der betreffenden Betriebe nach
den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bestimmungen unter Berücksichti-
gung der berechtigten Interessen der Beteiligten ganz oder teilweise „auf die
Erzeuger übertragen, die sie übernehmen“. Die Vorschrift ist anwendbar. Na-
mentlich stand sie bis zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 zum
1. Januar 2004 durch Art. 25 der Nachfolge-Verordnung (EG) Nr. 1788/2003
des Rates vom 29. September 2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milch-
sektor (ABl L Nr. 270 S. 123) nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten. Zwar
ermächtigte Art. 8a Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 in der
Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1256/1999 die Mitgliedstaaten, die Bestim-
mungen über die (flächengebundene) Übertragung von Referenzmengen nach
Art. 7 Abs. 1 nicht anzuwenden; hiervon hat Deutschland mit der Zusatzabga-
benverordnung Gebrauch gemacht. Die Ermächtigung bezog sich jedoch nicht
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auf Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92, so dass sich die Rechts-
folgen der Beendigung eines noch unter der Geltung von Art. 7 Abs. 1 einge-
gangenen landwirtschaftlichen Pachtverhältnisses unverändert nach den bishe-
rigen Vorschriften richten.
Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 setzt nach Wortlaut, Sinn und
Zweck voraus, dass die Referenzmenge von einem Milcherzeuger übernom-
men wird (stRspr; vgl. EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2006 - Rs. C-275/05,
Kibler - Slg. I-10569 m.w.N.). Das ist der Fall, wenn der Verpächter
selbst Erzeuger ist oder zu werden beabsichtigt. Das europäische Gemein-
schaftsrecht steht aber auch einer nationalen Regelung nicht entgegen, derzu-
folge die Referenzmenge bei Beendigung des Pachtverhältnisses auch dann
auf den Verpächter übergeht, wenn dieser nicht selbst Erzeuger ist oder zu
werden beabsichtigt, sofern er sie seinerseits in kürzester Frist an einen Erzeu-
ger überträgt. In derartigen Fällen erscheint der Erwerb des Verpächters als
Durchgangserwerb. Das gilt sowohl für den Fall einer flächengebundenen Wei-
terverpachtung an einen Erzeuger, wie dies die alte Rechtslage der Milch-
Garantiemengen-Verordnung (MGV) vom 25. Mai 1984 in der Fassung der Be-
kanntmachung vom 21. März 1994 (BGBl I S. 586) als Regelfall vorsah (EuGH,
Urteil vom 20. Juni 2002 - Rs. C-401/99, Thomsen - Slg. I-5775, 5791), als auch
für den Fall eines flächenlosen Verkaufs über eine staatliche Verkaufsstelle, wie
es nunmehr die Milchabgabenverordnung vorsieht. Dementsprechend hat der
Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 7. Juni 2007 - Rs. C-278/06 - auf die
Vorlage des Senats entschieden, Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr.
3950/92 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1256/1999 sei dahin
auszulegen, dass bei Beendigung landwirtschaftlicher Pachtverhältnisse über
einen Milcherzeugungsbetrieb daran gebundene Referenzmengen an den Ver-
pächter zurückfallen können, auch wenn dieser nicht Erzeuger ist oder zu
werden beabsichtigt, sofern er sie in kürzester Frist über eine staatliche
Verkaufsstelle an einen Dritten überträgt, der diese Eigenschaft besitzt. Der
Beendigung eines Pachtverhältnisses über einen ganzen Milcher-
zeugungsbetrieb ist die Beendigung eines Pachtverhältnisses über bestimmte
Betriebsflächen gleichzuerachten (vgl. ebd. ).
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Wie die „kürzeste Frist“ zu bemessen ist, hängt von den jeweils gegebenen
rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen ab (vgl. Senat, Urteil vom
16. September 2004 - BVerwG 3 C 30.03 - Buchholz 421.512 MGVO Nr. 139).
Unter der Geltung des neuen Rechts ist eine Übertragung an einen Erzeuger
nur durch Verkauf über die staatliche Verkaufsstelle zu festgesetzten Terminen
möglich. Die Weiterübertragung an einen Erzeuger erfolgt daher „in kürzester
Frist“, wenn der Verpächter die Referenzmenge zum nächsten hierfür vorgese-
henen Zeitpunkt der staatlichen Verkaufsstelle andient, damit diese sie binnen
kürzester Frist an einen Erzeuger verkaufen kann (EuGH, Urteil vom 7. Juni
2007 a.a.O. ; vgl. schon Europäische Kommission, AUR 2003, S. 78).
Dementsprechend hat der Verordnungsgeber § 12 Abs. 2 ZAV durch die Zweite
Änderungsverordnung vom 14. Januar 2004 (BGBl I S. 89) dahin ergänzt, dass
eine unverzügliche Übertragung dann anzunehmen ist, wenn der Verpächter,
der nicht selbst Erzeuger ist oder wird, beim nächstfolgenden Übertragungs-
termin für die gesamte Referenzmenge ein Angebot bei der Verkaufsstelle ein-
reicht und bei diesem oder dem darauf folgenden Übertragungstermin zum Zu-
ge kommt.
Der nächstfolgende Übertragungstermin steht für den Beigeladenen noch be-
vor, da sein Rechtserwerb infolge der vorliegenden Klage noch nicht bestands-
kräftig feststeht.
4. Gegen den in § 12 Abs. 2 Satz 1 ZAV angeordneten Referenzmengenüber-
gang bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
a) Der Senat hat in seinem Urteil vom 16. September 2004 - BVerwG 3 C
35.03 - Bedenken geäußert, ob die Zusatzabgabenverordnung von der durch
Art. 8a Buchstaben b und e der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 in der Fassung
der Verordnung (EG) Nr. 1256/1999 eröffneten Möglichkeit, das bisherige flä-
chengebundene Übertragungssystem durch ein völlig anders geartetes System
der nur flächenlosen Übertragung von Referenzmengen über eine Milchbörse
zu ersetzen, ohne eine grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers
Gebrauch machen durfte (BVerwGE 121, 382 <387 ff.>). Er hat diese Frage
jedoch offen gelassen, da die beschriebenen verfassungsrechtlichen Bedenken
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nur die Einführung des neuen Übertragungssystems, nicht jedoch auch diejeni-
gen Vorschriften - wie § 12 ZAV - betreffen, welche Regelungen im Gefolge des
bisherigen Übertragungssystems für eine Übergangszeit aufrechterhalten (ebd.
<390>). Auch der vorliegende Rechtsstreit nötigt nicht zu einer abschließenden
Entscheidung der Frage. Wiederum ist nur die Übergangsvorschrift des § 12
ZAV betroffen, die als zeitlich begrenzte Fortführung des alten Übertragungs-
systems in § 8 Abs. 1 Satz 1 MOG noch eine zureichende gesetzliche Grundla-
ge findet.
b) Die Referenzmenge - und damit deren Verwertbarkeit im Verkaufswege -
dem Verpächter zuzuordnen, verletzt den Pächter nicht in seinen Grundrechten.
Der Gleichheitssatz ist nicht verletzt. Zwar ordnet § 12 Abs. 2 Satz 1 ZAV den
Referenzmengenübergang ohne Rücksicht auf den Umstand an, ob der Ver-
pächter selbst Milch erzeugt oder nicht. Diese Gleichbehandlung unterschiedli-
cher Sachverhalte berührt den abgebenden Pächter jedoch nicht in seiner
Rechtssphäre. Der Pächter hat kein rechtlich geschütztes Interesse daran, die
Referenzmenge nur an einen Milcherzeuger zu verlieren. Ohne Erfolg beruft
sich die Revision insofern auf das Urteil des Senats vom 18. Dezember 2003
- BVerwG 3 C 48.02 - (Buchholz 451.512 MGVO Nr. 138). Dort hatte der Senat
für den Verbleib der Referenzmenge beim bisherigen Pächter allein deshalb
erkannt, weil das damalige Recht den Übergang auf den Verpächter nicht er-
laubte und für einen Einzug zur staatlichen Reserve die Rechtsgrundlage fehlte.
Die Aussage, dass die Referenzmenge dem bisherigen Pächter auch ge-
rechterweise gebühre, hat der Senat nicht getroffen.
Auch das Eigentumsgrundrecht des bisherigen Pächters ist nicht verletzt. Zwar
wird durch den Verlust der Referenzmenge sein als Eigentum geschütztes
Recht an seinem Milcherzeugungsbetrieb beeinträchtigt (vgl. zuletzt Senat, Ur-
teil vom 16. September 2004 - BVerwG 3 C 35.03 - BVerwGE 121, 382 <391>);
dabei ist gleichgültig, ob der Verlust zugunsten der staatlichen Reserve oder
zugunsten eines Dritten angeordnet wird. Die Anordnung ist aber zulässig, weil
sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Der Verordnungsgeber
musste - in dem vom Gemeinschaftsrecht gezogenen Rahmen - die berechtig-
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ten Interessen des Pächters und des Verpächters einer Milcherzeugungsfläche
zu einem gerechten Ausgleich bringen. Für Pachtverträge, die nach Einführung
der Milchabgabenregelung im Jahre 1983 geschlossen wurden, durfte er in
Rechnung stellen, dass die Referenzmenge dem Pächter zusammen mit der
Fläche nur auf Zeit überlassen war und nach dem Ende des Pachtverhältnisses
wieder dem Verpächter zustand. Dasselbe gilt im Grundsatz für Pachtverträge,
die bereits zuvor geschlossen worden waren. Allerdings gebot der Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit insofern Vorkehrungen zum Schutz der berechtigten
Belange des Pächters, der die Referenzmenge durch eigene Investitionen er-
dient hat. Ob dem durch Ausgleichszahlungen des Verpächters oder aber durch
eine Aufteilung der Referenzmenge zwischen Pächter und Verpächter
Rechnung getragen wurde, oblag der Entscheidung des Verordnungsgebers.
Durch den sog. Pächterschutz nach § 7 Abs. 4 MGV, der auch im Rahmen von
§ 12 Abs. 2 ZAV noch Anwendung findet, wurde den Anforderungen von Art. 14
GG in jedem Falle genügt (stRspr; vgl. Urteile vom 30. November 1989
- BVerwG 3 C 47.88 - BVerwGE 84, 140 <145 ff.> und vom 15. November 1990
- BVerwG 3 C 42.88 - BVerwGE 87, 94 <99 ff.>).
5. Für eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits bedarf es noch tat-
sächlicher Feststellungen. Der vom Beklagten bescheinigte Übergang der um-
strittenen Referenzmenge auf den Beigeladenen setzt die Beendigung des zwi-
schen diesem und dem Kläger bestehenden Pachtverhältnisses voraus. Der
Beklagte hat als Beendigungsgrund - nur - den Pachtaufhebungsvertrag (ohne
Datum, wirksam zum 1. Januar 2001) angesehen. Der Kläger hat jedoch gel-
tend gemacht, er habe seine diesbezügliche Vertragserklärung wegen Irrtums
angefochten (vgl. Widerspruchsbegründung vom 22. Mai 2001). Die Vorinstan-
zen haben diesen - aktenkundigen - Umstand nicht gewürdigt, weil es von
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ihrem rechtlichen Standpunkt aus hierauf nicht ankam. Das wird nachzuholen
sein. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Kley
van Schewick
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf
1 390,30 € festgesetzt.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Rennert
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Landwirtschaftsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 Art. 7
ZAV
§ 12 Abs. 2 Satz 1, § 17 Abs. 1
Stichworte:
Marktorganisationen; Marktordnung; Milch; Zusatzabgabenverordnung; Erzeu-
ger; Milchquote; Milchreferenzmenge; Referenzmenge für Milch; Anlieferungs-
referenzmenge; landwirtschaftliches Pachtverhältnis; flächengebundene Über-
tragung von Milchquoten; flächenlose Übertragung von Milchquoten; Milchbör-
se; staatliche Verkaufsstelle; kürzeste Frist; Vorabentscheidung.
Leitsatz:
Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 in der Fassung der Verord-
nung (EG) Nr. 1256/1999 steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, der-
zufolge eine Milchreferenzmenge bei Beendigung des Pachtverhältnisses auch
dann auf den Verpächter übergeht, wenn dieser nicht selbst Erzeuger ist oder
zu werden beabsichtigt, sofern er sie seinerseits in kürzester Frist an einen Er-
zeuger überträgt. Das gilt sowohl für den Fall einer flächengebundenen Weiter-
verpachtung an einen Erzeuger als auch für den Fall eines flächenlosen Ver-
kaufs über eine staatliche Verkaufsstelle.
Urteil des 3. Senats vom 2. Oktober 2007 - BVerwG 3 C 11.07
I. VG Stade vom 18.06.2003 - Az.: VG 6 A 1053/01 -
II. OVG Lüneburg vom 16.03.2005 - Az.: OVG 10 LC 102/03 -