Urteil des BVerwG vom 09.04.2014

Dosierung, Kommission, Arzneimittel, Beitrag

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 10.13
OVG 13 A 1637/10
OVG 13 A 1638/10
Verkündet
am 9. April 2014
Zweigler
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. April 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Dr. Wysk,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß
für Recht erkannt:
Die Revisionen gegen die Urteile des Oberverwaltungs-
gerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Juli
2012 werden zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin begehrt die (Neu)Zulassung zweier pflanzlicher Fertigarzneimittel
mit den Bezeichnungen „Enerjetic“ und „Bewell“ für die Anwendungsgebiete
„akute und chronische Entzündungen der Nasennebenhöhlen (Sinusitis)“. Es
handelt sich um Kombinationspräparate in Drageéform mit den identischen fünf
Bestandteilen Enzianwurzel, Eisenkraut, Gartensauerampferkraut, Holunderblü-
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ten und Schlüsselblumenblüten im Mischungsverhältnis 1:3:3:3:3. Fertigarznei-
mittel mit identischen arzneilich wirksamen Bestandteilen und Anwendungsge-
bieten sind im In- und Ausland zugelassen. Die Beklagte hat ein solches Arz-
neimittel unter der Bezeichnung „Sinupret® forte Drageés (überzogene Tablet-
ten)“ 1997 zugelassen. Grundlage war der Entwurf einer Kombinationsmono-
graphie der seinerzeit für Phytopharmaka zuständigen Kommission E vom
14. Dezember 1994. Die Kommission hatte sich ihrerseits auf Studien zu dem
Präparat „Sinupret Drageés“ gestützt, das mindestens seit 1978 im Verkehr ist.
Auf die Zulassungsanträge der Klägerin vom 31. März 2004 bemängelte das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die Kombinations-
begründung sei unzureichend, und präzisierte das mit Mängelschreiben vom
2. Mai 2005 dahin, dass sich aus den vorgelegten Unterlagen keine ausrei-
chende Begründung für den positiven Beitrag jedes arzneilich wirksamen Be-
standteils ergebe. Zur Abhilfe wurde eine Frist von sechs Monaten gesetzt. Mit
Mängelbeseitigungsschreiben vom 3. November 2005 legte die Klägerin über-
arbeitete Zulassungsunterlagen und Sachverständigengutachten vor.
Das BfArM lehnte die Zulassungen beider Arzneimittel mit Bescheiden vom
26. April 2006 ab: Die vorgelegten Daten zeigten zwar, dass sowohl die Einzel-
bestandteile als auch die Kombination plausible pharmakologische Eigenschaf-
ten hätten. Es fehlten aber Belege für die klinische Wirksamkeit der Einzelkom-
ponenten im beantragten Anwendungsgebiet. Offen bleibe auch die Frage, ob
die klinische Dosierung der Einzelbestandteile in der beantragten Darreichungs-
form richtig gewählt sei. Der Monographieentwurf der Kommission E vom
14. Dezember 1994 entspreche nicht mehr den Anforderungen der Rechtspre-
chung an eine Kombinationsbegründung. Die hiergegen gerichteten Widersprü-
che der Klägerin blieben erfolglos.
Das Verwaltungsgericht hat die Klagen auf Neubescheidung ihrer Zulassungs-
anträge mit Urteilen vom 15. Juni 2010 als unbegründet abgewiesen. Die Beru-
fungen der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteilen vom 5. Juli
2012 zurückgewiesen und bestätigt, dass einer Zulassung der Arzneimittel der
Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5a des Arzneimittelgesetzes
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(AMG) entgegenstehe. Die Klägerin habe keine ausreichende Kombinationsbe-
gründung vorgelegt. Aus den bis zum Ende des Mängelbeseitigungsverfahrens
eingereichten Unterlagen ergebe sich nicht, dass alle Bestandteile der Kombi-
nation zur positiven Beurteilung beitrügen. Es gebe keine Belege dafür, dass
die Bestandteile Enzianwurzel, Eisenkraut und Gartensauerampferkraut zur
therapeutischen Wirksamkeit des Präparats im Anwendungsbereich Sinusitis
einen Beitrag leisteten oder die Nebenwirkungen anderer Bestandteile vermin-
derten. Aus der nationalen Zulassung des Arzneimittels mit identischen arznei-
lich wirksamen Bestandteilen (hier: Sinupret forte) könne die Klägerin keinen
Anspruch auf Gleichbehandlung ableiten. Es bestehe auch keine Verpflichtung
der Beklagten, die Bewertung der österreichischen Zulassungsbehörde zu
übernehmen. Dafür sei das gesonderte Verfahren der gegenseitigen Anerken-
nung nach § 25b AMG vorgesehen. Der Vorteil der Kombination ergebe sich
ferner nicht aus einer belegten Wirksamkeit der Kombination bei wesentlich ge-
ringerer Dosierung der Einzeldrogen, da für einzelne der Wirkstoffe keine Do-
sierung als Monopräparat existiere. Auch aus europäischen Leitlinien folge
nicht, dass bei Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Präparats auf die Be-
gründung des Beitrags der Einzelbestandteile verzichtet werden könne. Auf den
Entwurf der Kommission E könne sich die Klägerin nicht berufen. Zwar werde
die Kombination mit der beantragten Mischung positiv beurteilt; allerdings sei
der Entwurf nicht im Bundesanzeiger veröffentlicht worden. Den Beweisantrag
der Klägerin, ein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, dass der Ent-
wurf der Kommission E noch dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis ent-
spreche, hat das Berufungsgericht mit der Begründung abgelehnt, eine solche
Überprüfung sei nach Ablauf der Mängelbeseitigungsfrist nicht mehr möglich.
Die Klägerin habe es zudem versäumt, die dem Entwurf zugrunde liegenden
wissenschaftlichen Erkenntnisse vorzulegen.
Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Revisionen macht die Klägerin
geltend, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die Zulassung von
Kombinationspräparaten verkannt, die bereits in ähnlicher Form zugelassen
und im Markt eingeführt seien und deren Wirksamkeit und Sicherheit außer
Frage stünden. Das Berufungsgericht habe den inmitten stehenden Versa-
gungsgrund nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5a AMG falsch ausgelegt, die Beweis-
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lastverteilung verkannt, den verfassungsrechtlichen Zulassungsanspruch ver-
kürzt sowie die Maßstäbe der Behördenbewertung aus dem Verfahren der
gegenseitigen Anerkennung gemäß § 25b AMG und die Leitlinien der europäi-
schen Arzneimittelbehörde EMA nicht beachtet. Das Berufungsgericht habe
ihren Beweisantrag verfahrensfehlerhaft abgelehnt, ein Sachverständigengut-
achten über Aussagewert und Aktualität des Monographieentwurfs der Kom-
mission E einzuholen, das zu einem wirkstoffidentischen Präparat erstellt wor-
den sei. Die Ansicht des Berufungsgerichts, sie sei mit diesem Vortrag präklu-
diert, verletze den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil der Beklagten zugestan-
den worden sei, völlig neue Belege vorzulegen. Seine weitere Annahme, die
Begründung eines Kombinationsarzneimittels, dessen Wirksamkeit und Sicher-
heit positiv feststehe, erfordere zwingend auch eine hinreichende Darlegung zur
klinischen Dosierung der Einzelbestandteile, weiche von der Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts ab. Danach erfordere die risikogestufte Bewer-
tung keine Dosierungsbegründungen zu den einzelnen Wirkstoffen.
II
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Revisionen der Klägerin sind
unbegründet. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht entschieden,
dass einer Zulassung der Kombinationsarzneimittel der Versagungsgrund des
§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5a AMG entgegensteht. Eine Verpflichtung der Beklag-
ten zur Neubescheidung der Zulassungsanträge (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO),
die im Streit um einzelne Versagungsgründe statthaft ist, kann die Klägerin da-
her nicht beanspruchen.
1. Nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5a AMG darf das BfArM als zuständige Bundes-
oberbehörde die Zulassung eines Arzneimittels, das mehr als einen Wirkstoff
enthält, versagen, wenn eine ausreichende Begründung fehlt, dass jeder Wirk-
stoff einen Beitrag zur positiven Beurteilung des Arzneimittels leistet, wobei die
Besonderheiten der jeweiligen Arzneimittel in einer risikogestuften Bewertung
zu berücksichtigen sind. Die Voraussetzungen dieses Versagungsgrundes sind
in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. Urteil vom
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16. Oktober 2008 - BVerwG 3 C 23.07 - Buchholz 418.32 AMG Nr. 53 Rn. 11 ff.
m.w.N.). Danach hat das Erfordernis der therapeutischen Wirksamkeit bei
einem Kombinationsarzneimittel für jeden arzneilich wirksamen Bestandteil
dasselbe Gewicht wie bei einem Monopräparat (Urteil vom 16. Oktober 2003
- BVerwG 3 C 3.03 - juris Rn. 38). Deshalb sind an den Beleg des positiven Bei-
trags jedes arzneilich wirksamen Bestandteils eines Kombinationsarzneimittels
keine geringeren Anforderungen zu stellen als an die Begründung der Wirk-
samkeit und Unbedenklichkeit des Präparats selbst (Urteil vom 16. Oktober
2003 - BVerwG 3 C 28.02 - NVwZ-RR 2004, 180 <181>; Beschluss vom 8. Ja-
nuar 2007 - BVerwG 3 B 16.06 - PharmR 2007, 159 <160>). Entsprechend hat
das Bundesverwaltungsgericht bei homöopathischen Kombinationsarzneimitteln
angenommen, dass der Gesetzgeber im Grundsatz keine qualitativ geringeren
Begründungsanforderungen vorgesehen hat (Urteil vom 16. Oktober 2008
a.a.O. Rn. 15). Diese Anforderungen gelten sinngemäß auch für pflanzliche
Kombinationspräparate (Phytopharmaka) im Sinne des § 4 Abs. 29 AMG (vgl.
BTDrucks 11/5373 S. 22 und S. 32; BTDrucks 11/6283 S. 9; BTDrucks 11/6575
S. 4).
Zur Begründung des positiven Beitrags der Wirkstoffe eines Kombinationsarz-
neimittels gehört der Beleg, dass jeder einzelne Wirkstoff entweder die Wirk-
samkeit des Präparats in der vorgegebenen Indikation fördert oder unerwünsch-
ten Effekten entgegenwirkt. Ausreichend dafür ist, dass der therapeutisch er-
wünschte Wirkungseintritt früher erreicht, verstärkt oder verlängert wird oder der
erstrebte Heilerfolg mit einer geringeren Menge des Arzneimittels erreicht wer-
den kann (Urteile vom 14. Oktober 1993 - BVerwG 3 C 21.91 - BVerwGE 94,
215 und vom 16. Oktober 2003 - BVerwG 3 C 28.02 - a.a.O. S. 180 unter Be-
zugnahme auf die Begründung zu § 22 Abs. 3a AMG in BTDrucks 10/5112
S. 17). Es ist ferner erforderlich, dass der Antragsteller mit den eingereichten
Unterlagen die Zweckmäßigkeit der gewählten Dosierung der einzelnen Wirk-
stoffe belegt. Insofern gilt nichts anderes als für das Gesamtpräparat, für das
nach § 24 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 3 AMG aus den eingereichten Unter-
lagen hervorgehen muss, ob die vorgesehene Dosierung zweckmäßig ist. Dies
aufgreifend verlangen auch die Arzneimittelprüfrichtlinien (§ 26 AMG) eine Be-
gründung für die Dosierung (vgl. Zweiter Abschnitt Nr. 5.2.4 der Allgemeinen
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Verwaltungsvorschrift zur Anwendung der Arzneimittelprüfrichtlinien vom
11. Oktober 2004, BAnz S. 22037). Übertragen auf Kombinationspräparate be-
deutet dies, dass die Dosierung für jeden einzelnen Wirkstoff zu begründen ist.
Erfüllt ein Wirkstoff die ihm zugedachte Aufgabe bei der Anwendung des Kom-
binationsarzneimittels gleichermaßen gut mit einer geringeren Dosis, ist die
Verabreichung einer höheren nicht gerechtfertigt; denn ebenso wie jeder in ein
Arzneimittel aufgenommene Wirkstoff tendenziell die Gefahr zusätzlicher un-
erwünschter Wirkungen erhöht, birgt auch die Zunahme der aufgenommenen
Wirkstoffmenge ein erhöhtes Risiko nachteiliger Effekte. Eine gesicherte Aus-
sage über die Qualität des Beitrags lässt sich daher erst treffen, wenn auch
über die zweckmäßige Dosierung des Wirkstoffs aussagekräftige Erkenntnisse
vorliegen (vgl. Urteil vom 19. November 2009 - BVerwG 3 C 10.09 - Buchholz
418.32 AMG Nr. 55 Rn. 17). Nicht nachvollziehbare Mengenverhältnisse der
arzneilich wirksamen Bestandteile eines Kombinationspräparats können folglich
die Versagung der Zulassung rechtfertigen (Urteil vom 16. Oktober 2003
- BVerwG 3 C 28.02 - a.a.O. S. 182).
2. Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen wie zuvor die Beklagte
rechtsfehlerfrei ausgegangen. Abstriche an der Kombinationsbegründung sind
nicht deshalb gerechtfertigt, weil Arzneimittel mit identischer Wirkstoffkombina-
tion bereits auf dem Markt etabliert („well used“) sind. Für den von der Klägerin
geforderten Verzicht auf die Begründung der Wirksamkeit und Dosierung der
Einzelwirkstoffe wegen der Zulassung identischer Präparate im In- und Ausland
bietet das Arzneimittelgesetz keinen Ansatz.
a) Die Zulassung eines Arzneimittels mit identischen Wirkstoffen im europäi-
schen Ausland eröffnet der Klägerin das Verfahren der gegenseitigen Anerken-
nung nach § 25b Abs. 2, 4 AMG. Die dort vorgesehenen unionsrechtlichen Er-
leichterungen für eine Zulassung kommen einem Antragsteller aber nur dann
zugute, wenn er den dafür vorgezeichneten Weg auch einschlägt, also die Zu-
lassung des in dem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Arzneimittels für das
Inland beantragt. Diesen Weg hat die Klägerin jedoch nicht beschritten. Eine
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weitergehende Wirkung des § 25b Abs. 2 AMG auf die Neuzulassung von Arz-
neimitteln im Inland besteht nicht.
b) Die Leitlinien der European Medicines Agency (EMA) zu fixen Arzneimittel-
kombinationen stützen die Ansicht der Klägerin ebenfalls nicht (vgl. insbesonde-
re Guideline on the Clinical Assessment of Fixed Combinations of Herbal Sub-
stances / Herbal Preparations vom 11. Januar 2006 und Guideline on Clinical
Development of Fixed Combination Medicinal Products vom 19. Februar 2009,
http://www.emea.europa.eu). Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Leitli-
nien auseinandergesetzt und eine rechtliche Bindungswirkung zutreffend ver-
neint. Auch wenn den Leitlinien, mit denen eine Präzisierung der Arzneimittel-
Richtlinie 2001/83/EG im Bereich der Kombinationspräparate angestrebt wird,
durchaus Hinweise für das Verständnis von § 22 Abs. 2, 3 und 3a und § 25
Abs. 2 Satz 1 Nr. 5a AMG zu entnehmen sind, ergeben diese nach den Fest-
stellungen des Berufungsgerichts aber doch nicht, dass die Anforderungen an
die Kombinationsbegründung im Arzneimittelzulassungsverfahren in der von
der Klägerin geforderten Weise abgesenkt sind. Auch die Leitlinien verlangen
vielmehr eine ausreichende Begründung der Beiträge der einzelnen Wirkstoffe
eines Kombinationspräparats. Der Vortrag der Klägerin im Revisionsverfahren
gibt keinen Anlass für ein abweichendes Verständnis.
c) Auch die Regelung in § 22 Abs. 3 AMG hilft der Klägerin nicht weiter. Zwar
gewährt diese Vorschrift für „altbekannte und bewährte“ Arzneimittel Erleichte-
rungen der Begründung; diese beziehen sich allerdings nur auf das dem Antrag
beizufügende Erkenntnismaterial, mit dem die therapeutische Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit des Arzneimittels oder der Wirkstoffkombination belegt wer-
den soll, nicht aber auf den anzulegenden Beurteilungsmaßstab (Urteil vom
14. Oktober 1993 - BVerwG 3 C 46.91 - PharmR 1994, 380 <384 f.>). Die Klä-
gerin wird durch § 22 Abs. 3 AMG daher nicht davon freigestellt zu begründen,
dass im dargelegten Sinne jeder Wirkstoff einen Beitrag zur positiven Beurtei-
lung des Arzneimittels leistet.
d) Weitere Vorschriften oder Grundsätze, aus denen sich die von der Klägerin
erstrebten Begründungserleichterungen ergeben könnten, sind weder von ihr
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aufgezeigt noch sonst ersichtlich. Der Fall, dass bekannte und bewährte, im In-
oder Ausland zugelassene Wirkstoffkombinationen mit dem Status eines „well
established use“ erneut zugelassen werden sollen, ist in den genannten Vor-
schriften abschließend berücksichtigt worden. Dabei misst das Gesetz der Arz-
neimittelsicherheit (§ 1, § 4 Abs. 34 AMG) durchweg einen höheren Stellenwert
zu als der Erleichterung der Zulassung. Es wird von dem Grundsatz beherrscht,
dass Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln stets anhand der je-
weils aktuellen Anforderungen beurteilt werden sollen. Das gilt auch für Fälle, in
denen wirkstoffgleiche Arzneimittel aufgrund früherer Zulassung auf dem Markt
sind. Ähnlich wie im Rahmen einer Nachzulassung (§ 31 Abs. 2 AMG) ist zu
überprüfen, ob die Neuzulassung nach den mit dem bisher zugelassenen Arz-
neimittel gemachten Erfahrungen und nach aktuellen Erkenntnissen und rechtli-
chen Maßstäben gerechtfertigt ist. Das schließt es - von besonders geregelten
Konstellationen abgesehen - aus, eine Zulassung allein auf der Grundlage einer
früheren Sach- oder Rechtslage zu erteilen.
Bestätigt wird dies in § 22 Abs. 3 Satz 1 AMG. Nr. 1 dieser Vorschrift regelt den
Fall eines Referenzarzneimittels, das mit dem zur Zulassung beantragten Prä-
parat wirkstoffgleich ist. Nicht anders als beim Zulassungsantrag nach § 22
Abs. 2 AMG muss das vom Antragsteller vorzulegende Erkenntnismaterial die
Wirkungen und Nebenwirkungen der bekannten Wirkstoffe dokumentieren, und
sind die therapeutische Wirksamkeit für das beanspruchte Anwendungsgebiet,
die Unbedenklichkeit und Verträglichkeit, die Zweckmäßigkeit der Dosierung
und die sonstigen Zulassungsvoraussetzungen zu belegen. Nr. 3 Halbs. 2 stellt
zudem klar, dass diese Anforderungen auch für Kombinationsarzneimittel gel-
ten, und aus Nr. 3 Halbs. 1 erschließt sich, dass für die bekannten Bestandteile
ebenfalls eine vollständige Dokumentation erforderlich ist (vgl. auch Kügel, in:
Kügel/Müller/Hofmann, Arzneimittelgesetz, Kommentar, 2012, § 25 Rn. 59 und
67 und Kloesel/Cyran, Arzneimittelgesetz, Kommentar, Bd. II, Stand: April 2013,
§ 22 Rn. 95).
3. Gemessen an diesen Vorgaben hat die Klägerin bis zum Ablauf der Mängel-
beseitigungsfrist keine ausreichende Begründung vorgelegt. Das ergibt sich aus
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den bindenden, weil von der Klägerin nicht durchgreifend infrage gestellten
Feststellungen des Berufungsgerichts (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO).
a) Das Berufungsgericht hat, in ausdrücklicher Billigung von Erwägungen des
Verwaltungsgerichts, festgestellt, dass sich den von der Klägerin vorgelegten
Unterlagen kein Beleg für die Wirksamkeit der Wirkstoffe Gartensauerampfer-
kraut, Eisenkraut und Enzianwurzel im Anwendungsgebiet „Sinusitis“ und für
deren zweckmäßige Dosierung entnehmen lassen. Danach gibt es für Garten-
sauerampferkraut keine bibliographischen Erkenntnisse, für Eisenkraut lediglich
eine negative Monographie aus dem Jahre 1990 und für Enzianwurzel Wirk-
samkeitsbelege für andere als die beantragten Anwendungsgebiete. Folgerich-
tig sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass sich auf einer solchen
Grundlage zu der angemessenen Dosierung dieser Einzelsubstanzen nichts
sagen lässt.
b) Das Berufungsgericht hat seine Feststellungen im Ergebnis auch auf eine
vollständige Erkenntnisbasis gestützt. Zwar hat es zu Unrecht angenommen,
dass der Monographieentwurf der Kommission E vom 14. Dezember 1994 aus
formalen Gründen nicht berücksichtigt werden kann. Der Entwurf genügt jedoch
seinerseits nicht den Begründungsanforderungen.
aa) In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass Aufbereitungsmonogra-
phien zum wissenschaftlichen Erkenntnismaterial zählen, mit dem die Wirksam-
keit und Unbedenklichkeit einer Arzneimittelkombination unterlegt werden kön-
nen (Urteile vom 16. Oktober 2008 - BVerwG 3 C 23.07 - Buchholz 418.32
AMG Nr. 53 Rn. 28 ff., vom 19. November 2009 - BVerwG 3 C 10.09 - Buchholz
418.32 AMG Nr. 55 Rn. 25 und vom 18. März 2010 - BVerwG 3 C 19.09 -
Buchholz 418.32 AMG Nr. 56 Rn. 20; speziell zu Dosierungsempfehlungen der
Kommissionen auch Urteil vom 18. Mai 2010 - BVerwG 3 C 25.09 - Buchholz
418.32 AMG Nr. 57 Rn. 21). Nach § 25 Abs. 7 AMG in der bis zum 16. August
1994 gültigen Fassung hatte die für die Zulassung von Arzneimitteln zuständige
Bundesoberbehörde das wissenschaftliche Erkenntnismaterial nach § 22 Abs. 3
AMG für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel durch Kommissionen aufbe-
reiten zu lassen und die Ergebnisse bekanntzumachen. Die Kommissionen
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wurden für bestimmte Anwendungsgebiete, Stoffgruppen und Therapierichtun-
gen gebildet. Die Kommission E war zuständig für die phytotherapeutische The-
rapierichtung und Stoffgruppe. Für fixe Arzneimittelkombinationen erarbeitete
sie Kriterien für die Bewertung, ob die einzelnen arzneilich wirksamen Bestand-
teile einen positiven Beitrag zur Beurteilung des Gesamtpräparates leisten (§ 22
Abs. 3a AMG) und ob die Kombinationspartner in einer für die Wirksamkeit an-
gemessenen Dosierung enthalten sind (Bundesgesundheitsblatt 3/89, S. 125;
abgedruckt in: Feiden, Arzneimittelprüfrichtlinien, 1.40). Die wissenschaftliche
Auswertung basierte vor allem auf Monographien der Einzelstoffe, im Übrigen
auf unterschiedlichen Quellen medizinischen Erfahrungsmaterials. Die von den
Aufbereitungskommissionen beschlossenen Monographien entsprachen im In-
formationsumfang der Fachinformation (§ 11a AMG). Ihre Endfassung wurde
vom Bundesgesundheitsamt im Bundesanzeiger bekanntgemacht (BTDrucks
11/4250 S. 3 f., S. 9 f.).
bb) Hiervon ausgehend spricht grundsätzlich nichts dagegen, auch einen Mo-
nographieentwurf als „anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial“ im Sinne
des § 22 Abs. 3 Satz 1 AMG zu verwerten. Voraussetzung dafür ist, dass er von
der Kommission bereits als veröffentlichungsreif autorisiert worden ist (vgl.
Sander, Arzneimittelrecht, Stand: Oktober 2012, § 105 S. 57). Davon sind die
Beteiligten im Zulassungsverfahren ausgegangen. Die Veröffentlichung ist nur
deshalb unterblieben, weil die bisherigen Aufbereitungskommissionen im Rah-
men der Nachzulassung neue Funktionen erhalten hatten (vgl. BTDrucks
12/7572 S. 5).
War der Monographieentwurf aber veröffentlichungsreif, musste er nicht be-
kannt gemacht worden sein, damit ein Antragsteller ihn zum Gegenstand der
Begründung eines so genannten bibliographischen Zulassungsantrags machen
durfte; denn dem Erfordernis nach § 25 Abs. 7 Satz 1 AMG a.F., die Ergebnisse
einer Aufbereitungsmonographie bekanntzumachen, kommt nicht die Bedeu-
tung einer Wirksamkeitsvoraussetzung zu. Aufbereitungsmonographien sind
sachverständige Äußerungen, die Gewicht nach Maßgabe ihres Inhalts bean-
spruchen und, anders als Normen, auch keine Bindung von Adressaten erzeu-
gen sollen. An veröffentlichte Monographien gebunden war, wie § 25 Abs. 7
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Satz 4 und 5 AMG a.F. erkennen lässt, allein die zuständige Bundesoberbehör-
de, welche bei Entscheidungen über Zulassungsanträge von den Ergebnissen
der von ihr bekanntgemachten Monographien nur mit einer ausdrücklichen Be-
gründung abweichen durfte. Diese Regelung zeigt, dass die Bekanntmachung
von Monographien allein die Funktion hatte, potenzielle Antragsteller über die
regelmäßig angewandte Entscheidungsgrundlage der Zulassungsbehörde zu
informieren und ihnen die Begründung von Zulassungsanträgen insoweit zu er-
leichtern.
cc) Der Monographieentwurf vom 14. Dezember 1994 ist aber aus inhaltlichen
Gründen nicht geeignet, die streitigen Zulassungsanträge hinreichend zu stüt-
zen. Notwendig dazu wäre, dass dem Entwurf ein aussagekräftiger Auswer-
tungsstand zugrunde liegt und er die nötigen Fachinformationen enthält. An
beidem fehlt es hier. Zwar beurteilt der Entwurf die beantragte Kombination in
der gewählten Dosierung im Anwendungsgebiet positiv; die hierfür gegebene
Begründung genügt aber nicht den aufgezeigten rechtlichen Anforderungen.
Zum einen lässt sie nicht erkennen, worauf sich die Einschätzung einer thera-
peutischen Wirksamkeit der Bestandteile Gartensauerampferkraut, Eisenkraut
und Enzianwurzel im beantragten Anwendungsgebiet gründet. Dies wäre ange-
sichts der negativen Erkenntnislage im Übrigen, wie sie oben dargelegt worden
ist, aber erforderlich gewesen. Vor allem jedoch ergibt sich kein Anhalt dafür,
warum die Einzelwirkstoffe in der angegebenen Dosierung Beiträge zur positi-
ven Beurteilung der Arzneimittel leisten. Auch wenn die Kommission E den ge-
setzlichen Auftrag hatte, genau diese Fragen nach der therapeutischen Wirk-
samkeit und zweckmäßigen Dosierung der Wirkstoffe zu klären, ist eine Mono-
graphie nur dann zur Stützung eines Zulassungsantrags geeignet, wenn sie
über die Mitteilung ihrer Ergebnisse hinaus erkennen lässt, auf welches Er-
kenntnismaterial sie sich hierbei stützt. Daran mangelt es im Streitfall.
Diese Mängel des Entwurfs hat das BfArM auf der Grundlage der dargelegten
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in den Zulassungsverfahren
zutreffend erkannt und im Verfahren nach § 25 Abs. 4 AMG gerügt. Dieser Rü-
ge gegenüber kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass die Beklagte im
Jahre 1997 im Nachzulassungsverfahren für „Sinupret® forte Drageés“ zu einer
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günstigeren Einschätzung gekommen sei; denn dies wäre angesichts der schon
seinerzeit geltenden Anforderungen aus § 22 Abs. 3a, § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5a
AMG unzutreffend gewesen.
4. Ist der Monographieentwurf inhaltlich unzureichend, hat es das Berufungs-
gericht im Ergebnis verfahrensfehlerfrei abgelehnt, den Beweisanträgen der
Klägerin nachzugehen.
a) Ihr Antrag, Beweis zu erheben, dass der Monographieentwurf den aktuellen
Stand der Wissenschaft wiedergibt, lief bei zutreffender Würdigung des Ent-
wurfs darauf hinaus, die fehlende Begründung nachzuholen. Zwar ist es im arz-
neimittelrechtlichen Rechtsstreit über einen Versagungsgrund grundsätzlich
möglich, Beweis über die Richtigkeit einer den Zulassungsantrag stützenden
Tatsachenbehauptung zu erheben; die Beweisbehauptung muss aber eine Tat-
sache betreffen, die der Antragsteller rechtzeitig vorgebracht hat. Anderenfalls
könnte ein Beweisantrag dazu genutzt werden, den Zulassungsantrag mit Tat-
sachenmaterial schlüssig zu machen, mit dem der Antragsteller präkludiert ist.
So liegt der Fall hier. Das BfArM hatte die Klägerin mit seinem Mängelschreiben
vom 2. Mai 2005 darauf hingewiesen, dass die Kombinationsbegründung auch
in Würdigung des Monographieentwurfs der Kommission unzureichend sei.
Damit war gemäß § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG nach der Versagung der Zulassung
mit Bescheiden vom 26. April 2006 das Einreichen von hierauf bezogenen
Unterlagen zur Mängelbeseitigung ausgeschlossen (vgl. Urteil vom 27. Januar
2011 - BVerwG 3 C 10.10 - Buchholz 418.32 AMG Nr. 59 Rn. 14). Dass der
Ausschluss, nach einer Entscheidung über die Versagung der Zulassung weite-
re Unterlagen zur Mängelbeseitigung einzureichen, verfassungsgemäß ist, hat
der Senat bereits entschieden (Beschluss vom 20. Januar 2014 - BVerwG 3 B
40.13 - juris Rn. 14). Der Fall der Klägerin gibt keine Veranlassung zu weiterge-
henden Erwägungen. Ein Beweisantrag, der geeignet ist, die Präklusionswir-
kung zu umgehen, ist allein deshalb abzulehnen.
b) Bei dieser Lage ist auch die Begründung des Berufungsgerichts nicht zu be-
anstanden, es sei Sache der Klägerin gewesen, zur Begründung des Zulas-
sungsantrags das dem Kommissionsentwurf zugrunde liegende Material beizu-
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bringen. Mit dieser Ansicht hat es die Darlegungs- und Beweislastverteilung im
fraglichen Punkt nicht verkannt. Hatte die Klägerin mit dem Monographieentwurf
der Kommission E kein genügendes wissenschaftliches Erkenntnismaterial im
Sinne des § 22 Abs. 3 AMG vorgelegt, war es nach der Mängelbeseitigungsrü-
ge des BfArM allein an ihr, die in dem Monographieentwurf niedergelegte Auf-
fassung durch Beibringung (etwa) der diesem zugrunde liegenden Erkenntnisse
zu stützen. Gegenteiliges würde nur dann gelten, wenn es sich als notwendig
erwiesen hätte, eine bereits durch verwertbares und hinreichend aussagekräfti-
ges Material unterlegte Kombinationsbegründung zu erschüttern; denn allein
der Umstand, dass es sich bei dem für die erforderliche Begründung notwendi-
gen Material um Erkenntnisse einer bei der Behörde gebildeten Kommission
handelt, rechtfertigt keine Umkehr der Darlegungslast.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
Rothfuß
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Arzneimittelrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
AMG § 22 Abs. 3, Abs. 3a; § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5a, Abs. 4 Satz 4;
§ 25b Abs. 2, 4
Stichworte:
Zulassung pflanzlicher Fertigarzneimittel; Phytopharmaka; Kombinationspräpa-
rate; Wirkstoffe; Wirkstoffkombination; Nasennebenhöhlenentzündung; Anwen-
dungsgebiet „Sinusitis“; Kombinationsbegründung; Beitrag zur positiven Be-
urteilung eines Arzneimittels; Wirksamkeit; Unbedenklichkeit; zweckmäßige Do-
sierung; wissenschaftliches Erkenntnismaterial; bibliographischer Zulassungs-
antrag; Mengenverhältnisse; Mängelschreiben; Mängelbeseitigung; Marktüb-
lichkeit („well established use“); Verzicht auf Begründung; unionsrechtliche Er-
leichterungen; Leitlinien der European Medicines Agency (EMA); Aufberei-
tungsmonographien; Monographieentwurf der Kommission E; Berücksichti-
gungsfähigkeit; Bekanntmachung; Veröffentlichungsreife; fehlende Veröffentli-
chung; Beweisanträge; Ablehnung; Präklusionswirkung; Darlegungs- und Be-
weislastverteilung.
Leitsatz:
Im Zulassungsverfahren für pflanzliche Kombinationsarzneimittel (Phytophar-
maka) ist ausreichend zu begründen, dass jeder Wirkstoff in der gewählten Do-
sierung entweder die Wirksamkeit des Präparats im vorgegebenen Anwen-
dungsgebiet fördert oder unerwünschten Effekten entgegenwirkt.
Bei einem bibliographischen Zulassungsantrag sind die Anforderungen an die
Begründung der therapeutischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Wirk-
stoffe nicht deshalb herabgesetzt, weil Arzneimittel mit identischer Wirkstoff-
kombination bereits auf dem deutschen und europäischen Markt zugelassen
und etabliert sind.
Urteil des 3. Senats vom 9. April 2014 - BVerwG 3 C 10.13
I. VG Köln
vom 15.06.2010 - Az.: VG 7 K 2977/07 und VG 7 K 2978/07
II. OVG Münster vom 05.07.2012 - Az.: OVG 13 A 1637/10 und
OVG 13 A 1638/10