Urteil des BVerwG vom 25.07.2007

Niedersachsen, Europäische Kommission, Landwirtschaftlicher Betrieb, Mitgliedstaat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet
BVerwG 3 C 10.06
am 25. Juli 2007
OVG 10 LC 74/03
Thiele
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juli 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick, Dr. Dette, Liebler
und Prof. Dr. Rennert
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger werden das Urteil des Nieder-
sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. November
2005 und das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg
vom 11. April 2003 geändert. Die Beklagte wird unter Auf-
hebung des Bescheides des Amtes für Agrarstruktur Lü-
neburg vom 30. November 2000 und des Widerspruchs-
bescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 13. Feb-
ruar 2001 verpflichtet, den Klägern eine Flächen- und
Ausgleichszahlung nach der Verordnung (EG)
Nr. 1251/1999 für das Wirtschaftsjahr 2000/2001 auf der
Grundlage eines Getreidedurchschnittsertrags in Höhe
von 53,3 dt/ha zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
G r ü n d e :
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Die Kläger führen einen landwirtschaftlichen Betrieb im Kreis H. in Niedersach-
sen. Sie begehren eine höhere Flächenzahlung für das Wirtschaftsjahr
2000/2001.
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Nach der Verordnung (EG) Nr. 1251/1999 des Rates vom 17. Mai 1999 (ABl
EG Nr. L 160 S. 1) erhalten Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kultur-
pflanzen auf Antrag eine Flächenzahlung, die je Hektar gewährt wird und regio-
nal gestaffelt ist, sowie eine Ausgleichszahlung für die Stilllegung eines Teils
der Betriebsfläche. Der Beihilfesatz wird nach dem Durchschnittsertrag der je-
weiligen Erzeugungsregion bemessen. Zur Festsetzung der Durchschnittserträ-
ge erstellt jeder Mitgliedstaat einen Regionalisierungsplan. In Deutschland ist
dies durch die Flächenzahlungs-Verordnung vom 6. Januar 2000 (BGBl I S. 15)
geschehen. Hierdurch wurde das Land Niedersachsen in zehn Erzeugungsre-
gionen aufgeteilt und für jede dieser Regionen ein Durchschnittsertrag für Ge-
treide bestimmt, der auch für den Stilllegungsausgleich maßgeblich ist. Dage-
gen ist der Durchschnittsertrag für Ölsaaten landeseinheitlich.
Mit Bescheid vom 30. November 2000 bewilligte das Amt für Agrarstruktur
Lüneburg den Klägern eine Flächenzahlung für das Wirtschaftsjahr 2000/2001
in Höhe von 48 614,20 DM, darunter 32 557,30 DM für Getreideflächen und
4 413,86 DM für Stilllegungsflächen. Diesen beiden Teilbeträgen legte es den
Getreidedurchschnittsertrag der Region 4 zugrunde, in der der Betrieb der Klä-
ger liegt. Der Wert der Region 4 beträgt 51,2 dt/ha und ist damit niedriger als
der durchschnittliche Wert aller Regionen in Niedersachsen, den die Beteiligten
mit 53,3 dt/ha angeben. Die Bezirksregierung Lüneburg wies den Widerspruch
der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2001 zurück.
Wie schon mit ihrem Widerspruch haben die Kläger mit ihrer Klage eine Be-
rechnung der Flächenzahlung unter Zugrundelegung des Getreidedurch-
schnittsertrags des ganzen Landes verlangt. Zur Begründung haben sie ausge-
führt, die Einteilung des Bundesgebiets in Erzeugungsregionen sei mit Art. 3
Abs. 1 GG unvereinbar, weil nur das Gebiet Niedersachsens in zehn Erzeu-
gungsregionen aufgeteilt werde, während andere Länder jeweils nur eine Er-
zeugungsregion bildeten. Das führe dazu, dass Landwirte aus ertragschwachen
Regionen Niedersachsens schlechter gestellt seien als Landwirte aus ertrag-
schwachen Regionen anderer Länder. Hierfür gebe es keinen sachlichen
Grund. Der Bundesverordnungsgeber habe offenbar keine eigene Regionalisie-
rungsentscheidung getroffen, sondern nur die jeweiligen Vorstellungen der ver-
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schiedenen Landesregierungen übernommen. Damit sei er seinem Rechtset-
zungsauftrag nicht nachgekommen. All dies habe das Niedersächsische Ober-
verwaltungsgericht schon der im Wesentlichen gleichen Vorgängerregelung zur
Flächenzahlungs-Verordnung entgegengehalten, ohne dass der Verordnungs-
geber dem aber bei seiner Neuregelung Rechnung getragen hätte.
Die Beklagte hat erwidert, es lasse sich nicht beanstanden, dass sich der Bun-
desverordnungsgeber an den Vorstellungen der Länder orientiert habe; er hätte
seine Verordnungsmacht auch förmlich an die Länder delegieren können. Eine
interne Differenzierung sei nicht nur für Niedersachsen erfolgt, sondern - in re-
gionaler Hinsicht - auch für Brandenburg und Rheinland-Pfalz sowie - hinsicht-
lich der Getreidesorten - für Bayern und Baden-Württemberg. Jeweils hätten
geeignete und objektive Kriterien zugrundegelegen, wie vom Gemeinschafts-
recht verlangt. Ausschlaggebendes Kriterium sei die Bodenfruchtbarkeit gewe-
sen. Dementsprechend habe die Europäische Kommission den deutschen Re-
gionalisierungsplan auch gebilligt.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat die Klage mit Urteil vom 11. April 2003
abgewiesen. Die Regionalisierung für Niedersachsen halte sich im Rahmen des
europäischen Gemeinschaftsrechts und genüge auch den Anforderungen des
Gleichheitssatzes; die Flächenzahlungs-Verordnung begegne allenfalls hin-
sichtlich der übrigen Länder verfassungsrechtlichen Bedenken, weil dort weni-
ger genau differenziert werde.
Die Berufung der Kläger hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit
Urteil vom 29. November 2005 zurückgewiesen. Es könne offen bleiben, ob die
Vorschriften der Flächenzahlungs-Verordnung über die Erzeugungsregionen
verfassungswidrig seien. Auch dann nämlich fehle es an einer rechtlichen Mög-
lichkeit, den Klägern die begehrte höhere Flächenzahlung zuzusprechen. Es
wäre dann nicht nur die Niedersachsen betreffende Regelung, sondern die Re-
gelung über die Erzeugungsregionen in Deutschland insgesamt verfassungs-
widrig. Das zu korrigieren, sei allein der Normgeber berufen. Die Gerichte dürf-
ten seine Regelung nur dann ausnahmsweise antizipieren und zur Grundlage
eines Leistungsurteils machen, wenn der Verordnungsgeber nur eine einzige
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Möglichkeit zur Schaffung eines der Verfassung entsprechenden Rechtszu-
standes habe. Davon könne aber keine Rede sein. Der unterstellte Gleichheits-
verstoß lasse sich nicht nur dadurch beheben, dass die Regionalisierung in
Niedersachsen und in Rheinland-Pfalz beseitigt, sondern auch dadurch, dass
sie in den übrigen Länder eingeführt werde; auch könne Niedersachsen in an-
ders zugeschnittene Regionen aufgeteilt und bei den übrigen Ländern entspre-
chend verfahren werden. Eine andere Beurteilung sei auch nicht deshalb gebo-
ten, weil es vorliegend um eine Korrektur für einen zurückliegenden Zeitraum
gehe. Eine Korrektur im Wege einer zusätzlichen Binnendifferenzierung bei
anderen Ländern sei auch für die Vergangenheit nicht grundsätzlich ausge-
schlossen; denkbaren Rückforderungen sich daraus ergebender Überzahlun-
gen stehe der Grundsatz des Vertrauensschutzes wohl nicht entgegen, da die
Landwirte von den Auseinandersetzungen um die Gültigkeit der in Rede ste-
henden Regelung wüssten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision
der Kläger. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie ihr bisheriges
Vorbringen. Ergänzend machen sie geltend: Richtig sei, dass die Rechtspre-
chung allenfalls in eng umgrenzten Ausnahmefällen für befugt erachtet werden
könne, der gesetzgeberischen Korrektur verfassungswidriger Normen vor-
zugreifen und konkrete Ansprüche auf der Grundlage einer richterrechtlichen
Lückenschließung zuzuerkennen. Diese Zurückhaltung beruhe auf dem gebo-
tenen Respekt vor der Prärogative des Gesetzgebers. Im vorliegenden Falle
stehe freilich nicht das Verhalten des Gesetzgebers, sondern der Verwaltung
auf dem Prüfstand. Das Handeln der Verwaltung zu kontrollieren und ggf. zu
korrigieren, gehöre aber zu den ureigensten Aufgaben der Verwaltungsgerichte.
Dies gelte auch gegenüber administrativer Normsetzung.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält die
Revision für unbegründet. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG könne schon
deshalb nicht angenommen werden, weil der Bundesverordnungsgeber die Be-
fugnis zur Bestimmung der Erzeugungsregionen auch an die Länder hätte de-
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legieren können. Hiervon habe man lediglich wegen der geringen für die Um-
setzung der EG-Verordnung verfügbaren Zeit abgesehen. Wenn der Bundes-
verordnungsgeber dann aber den Vorstellungen der jeweiligen Landesregierung
- nach eigener Prüfung - weitestgehend Raum gegeben habe, so trage dies
dem bundesstaatlichen Prinzip gerade Rechnung. Sachlich orientiere sich die
Regionalisierung an den Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts.
Hiernach müssten die Erzeugungsregionen nach Kriterien gebildet werden, die
angemessen und objektiv seien, den spezifischen strukturellen Gegebenheiten
Rechnung trügen sowie die Bildung unterscheidbarer homogener Regionen mit
einer gewissen Mindestgröße ermöglichten. Zu den spezifischen strukturellen
Gegebenheiten zählten neben Ertragsfaktoren auch etwa die konkreten Anbau-
verhältnisse oder die administrative Praktikabilität. Der Bundesverordnungsge-
ber habe die Anliegen der Landesregierungen nach diesen Kriterien überprüft
und gebilligt. Anders als die meisten anderen Länder habe sich Niedersachsen
zu einer differenzierten Aufteilung in Erzeugungsregionen nach Maßgabe der
durchschnittlichen Hektarerträge und der Verwaltungsstrukturen in der Lage
gesehen. Dem sei Rechnung getragen worden, zum einen wegen der weit
überdurchschnittlichen Bedeutung des Getreideanbaus in diesem Land, zum
anderen wegen der regionalen Ertragsunterschiede aufgrund seiner unter-
schiedlichen Bodenstruktur.
II
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Änderung der Urteile der Vorinstanzen und
zur antragsgemäßen Verpflichtung der Beklagten.
1. Das Klagebegehren beurteilt sich nach der Verordnung (EG) Nr. 1251/1999
des Rates vom 17. Mai 1999 zur Einführung einer Stützungsregelung für Er-
zeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (ABl EG Nr. L 160 S. 1)
- im Folgenden: Verordnung (EG) Nr. 1251/1999 - und der Verordnung über
eine Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kultur-
pflanzen (Flächenzahlungs-Verordnung) vom 6. Januar 2000 (BGBl I S. 15) - im
Folgenden: FZV -, die auf der Grundlage der Ermächtigung in § 6 Abs. 1 Nr. 7
des Gesetzes zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisationen
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(Marktorganisationengesetz) i.d.F. der Bekanntmachung vom 20. September
1995 (BGB I S. 1146), geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 2. Mai 1996
(BGBl I S. 656), - im Folgenden: MOG - ergangen ist.
Aufgrund des Art. 2 Abs. 1 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 1251/1999 können
Erzeuger landwirtschaftlicher Kulturpflanzen in der Gemeinschaft eine Flächen-
bzw. Ausgleichszahlung gemäß den Bedingungen dieser Verordnung beantra-
gen. Nach Art. 2 Abs. 2 wird die Flächenzahlung je Hektar gewährt und ist regi-
onal gestaffelt; sie wird für die Fläche gewährt, die mit landwirtschaftlichen Kul-
turpflanzen bebaut ist oder stillgelegt wurde und die eine regionale Grundfläche
nicht übersteigt. Übersteigt die Summe der Flächen, für die in einem Wirt-
schaftsjahr eine Flächenzahlung beantragt wird, die festgelegte regionale
Grundfläche, so werden die Antragsflächen nach Art. 2 Abs. 4 proportional ge-
kürzt. Als Region in diesem Sinne gilt gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 4 nach Wahl
des betreffenden Mitgliedstaats ein Mitgliedstaat oder eine Region innerhalb
des Mitgliedstaats; für Deutschland bildet jedes Land eine Region (Art. 8 i.V.m.
Anhang VI der Verordnung Nr. 2316/1999 der Kommission vom 22. Ok-
tober 1999 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung
Nr. 1251/1999 usw., ABl EG Nr. L 280 S. 43; § 3 Abs. 1 FZV).
Nach Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1251/1999 wird die Flächenzahlung be-
rechnet, indem der dort für bestimmte Kulturpflanzenarten festgesetzte Grund-
betrag (in Euro je Tonne) mit dem in einem Regionalisierungsplan für die
betreffende Region genannten Durchschnittsertrag (in t/ha oder dt/ha) multipli-
ziert wird. Zur Festsetzung der Durchschnittserträge erstellt jeder Mitgliedstaat
nach Art. 3 Abs. 1 einen Regionalisierungsplan, in dem er die objektiven Krite-
rien für die Ausweisung der einzelnen Erzeugungsregionen festlegt, damit un-
terscheidbare homogene Regionen geschaffen werden. Der Durchschnittser-
trag wird für jede Erzeugungsregion anhand der Basiserträge im Fünfjahreszeit-
raum 1986/87 bis 1990/91 nach näherer Maßgabe des Art. 3 Abs. 5 der Ver-
ordnung (EG) Nr. 1251/1999 ermittelt.
Deutschland hat die Erzeugungsregionen und deren jeweiligen Durchschnittser-
trag für Getreide bzw. Ölsaaten in der Anlage zur Flächenzahlungs-Verordnung
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festgelegt (vgl. § 3 Abs. 2, § 7, § 8 Abs. 1, § 9 Abs. 1 FZV); für die Berechnung
des Stilllegungsausgleichs ist der jeweilige Getreidedurchschnittsertrag maß-
gebend (§ 11 Abs. 2 FZV). Für Ölsaaten bildet das Land Niedersachsen im
Wirtschaftsjahr 2000/2001 eine Erzeugungsregion (mit dem Durchschnittsertrag
30,6 dt/ha), für Getreide ist Niedersachsen in zehn Erzeugungsregionen unter-
teilt (mit Durchschnittserträgen zwischen 49,3 dt/ha in Region 5 und 59,8 dt/ha
in Region 2). Der Getreidedurchschnittsertrag in der Region 4, in der der Be-
trieb der Kläger liegt, beträgt 51,2 dt/ha.
Die Bescheide der niedersächsischen Landwirtschaftsbehörden wenden diese
Bestimmungen fehlerfrei an. Dies hat das Berufungsgericht festgestellt und ist
zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
2. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Gliederung des Bundesge-
biets in Erzeugungsregionen durch die Anlage zur Flächenzahlungs-Verord-
nung verfassungsgemäß ist. Sein Urteil ist nicht schon deshalb im Ergebnis
richtig und die Revision unbegründet (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO), weil diese Re-
gelung mit nationalem Verfassungsrecht vereinbar wäre. Im Gegenteil: Die Re-
gelung ist in Ansehung der Werte für den Getreidedurchschnittsertrag (Spal-
ten 1 und 2 der Anlage zur FZV) mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3
Abs. 1 GG unvereinbar.
a) In Spalte 1 der Anlage zur FZV wird das Bundesgebiet in Erzeugungsregio-
nen unterteilt, in Spalte 2 wird jeder Erzeugungsregion ein Getreidedurch-
schnittsertrag zugeordnet. Mit Ausnahme von Brandenburg und Niedersachsen
bilden sämtliche Länder jeweils eine Erzeugungsregion; ausweislich einer An-
merkung soll Rheinland-Pfalz, das in der Vorgängerregelung - der Anlage zur
Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-Verordnung (KpflAusglZV) vom 3. Dezem-
ber 1992 (BGBl I S. 1991) - in zwei Erzeugungsregionen unterteilt war, letzt-
mals noch für das Antragsjahr 2000 in die beiden bisherigen Erzeugungsregio-
nen unterteilt bleiben, allerdings mit übergangsweise einander angenäherten
Werten. Brandenburg wird in zwei Regionen unterteilt, nämlich in die 1993 von
Mecklenburg-Vorpommern nach Brandenburg umgegliederten Landkreise und
in das übrige Landesgebiet; für die umgegliederten Landkreise wurde der
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Durchschnittsertragswert von Mecklenburg-Vorpommern beibehalten. Nieder-
sachsen bildet zehn Erzeugungsregionen, der jeweils Gruppen benachbarter
Stadt- oder Landkreise zugehören.
Die Unterteilung des Bundesgebiets in Erzeugungsregionen folgt damit für ver-
schiedene Länder unterschiedlichen Prinzipien: Während für Niedersachsen
das Prinzip kleinteiliger Untergliederung verfolgt wird, legt die Verordnung für
das übrige Bundesgebiet das Prinzip zugrunde, dass jedes Land eine Erzeu-
gungsregion bildet, mit besonders begründeten Ausnahmen für Brandenburg
und Rheinland-Pfalz. Diese Ungleichbehandlung hat Auswirkungen auf die
Rechtsstellung der betroffenen landwirtschaftlichen Unternehmen. Sie führt
dazu, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb, der Kulturpflanzen anbaut, in er-
tragschwachen Regionen Niedersachsens schlechter gestellt wird als ein ver-
gleichbarer Betrieb in ertragschwachen Regionen eines anderen Landes.
b) Die Ungleichbehandlung berührt den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1
GG und bedarf deshalb der Rechtfertigung. Das lässt sich nicht deshalb in Fra-
ge stellen, weil Referenzgebiet nicht das gesamte Bundesgebiet, sondern ledig-
lich das Gebiet des jeweiligen Landes sei. Jeder Normgeber muss den Gleich-
heitssatz in seinem Bereich wahren (BVerfG, Beschlüsse vom 21. Dezember
1966 - 1 BvR 33/64 - BVerfGE 21, 54 <68> und vom 7. November 1995 - 2 BvR
413/88 u.a. - BVerfGE 93, 319 <351>; BVerwG, Beschluss vom 6. Dezember
2006 - BVerwG 10 B 62.06 - NdsVBl 2007, 123; stRspr); er kann die Geltung
des Gleichheitssatzes nicht auf Teile seines Kompetenzbereichs beschränken
oder seinen Kompetenzbereich in Teilbereiche aufspalten. Referenzgebiet einer
Norm des Bundesverordnungsgebers ist deshalb das gesamte Bundesgebiet.
Daran ändert auch nichts, dass der Bundesverordnungsgeber seine Rege-
lungsbefugnis nach § 6 Abs. 5 MOG auch an die Länderverordnungsgeber hät-
te weiterreichen können, die dann zur Wahrung des Gleichheitssatzes ihrerseits
nur in ihrem jeweiligen Gebiet verpflichtet gewesen wären. Der Bundes-
verordnungsgeber hat diesen Weg nicht gewählt. Solange er selbst die sachli-
che Regelung trifft, muss er den Gleichheitssatz in seinem Zuständigkeitsbe-
reich selbst wahren.
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Eine Ungleichbehandlung ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn sie auf
einem tragfähigen sachlichen Grund beruht. Ganz allgemein darf der Gesetz-
geber differenzieren, wenn hierfür ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sa-
che ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund vorliegt, andern-
falls die Regelung als willkürlich bezeichnet werden muss (BVerfG, Urteil vom
23. Oktober 1951 - 2 BvG 1/51 - BVerfGE 1, 14 <52>). Behandelt die Regelung
hingegen - wie hier - Personengruppen unterschiedlich oder wirkt sie sich auf
die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig aus, so unterwirft Art. 3 Abs. 1
GG den Gesetzgeber strengeren Anforderungen. Dann müssen für die Diffe-
renzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die
ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (BVerfG, Beschluss vom
26. Januar 1993 - 1 BvL 38/92 u.a. - BVerfGE 88, 87 <96 f.>). Das gilt auch für
den Verordnungsgeber, der von einer gesetzlichen Ermächtigung Gebrauch
macht; Besonderheiten, die sich aus Inhalt und Umfang seiner Ermächtigung
ergeben können (vgl. Paehlke-Gärtner in: Umbach/Clemens , MAK-GG,
2002, Rn. 169 ff. zu Art. 3 Abs. 1 GG m.w.N.), sind im vorliegenden Zusam-
menhang ohne Bedeutung.
c) Als einzigen Grund für die erfolgte Differenzierung nennt die Begründung zur
Verordnung den Wunsch der jeweiligen Landesregierung (BRDrucks 623/99
S. 32; vgl. das Schreiben des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten an die EG-Kommission vom 4. August 1992 zur Begründung der
Vorgängerregelung , auf das das Schreiben vom 26. Juli 1999 zur
Übermittlung des Regionalisierungsplanes für das Wirtschaftsjahr 2000/2001
der Sache nach Bezug nimmt). Dies allein ist kein sich aus der Sache selbst
ergebender und in diesem Sinne sachlich einleuchtender Grund. Will der Bun-
desverordnungsgeber dem jeweiligen Regelungswillen der Landesregierungen
Raum geben, dann muss er seine Regelungsbefugnis, soweit dies rechtlich
zulässig ist, an die Landesverordnungsgeber weiterreichen; das ist der von
Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG allgemein vorgesehene und durch § 6 Abs. 5 MOG für
den Bereich des Marktorganisationenrechts auch konkret eröffnete Weg. Trifft
der Bundesverordnungsgeber die Regelung hingegen selbst, so muss er seiner
Regelung ein einheitliches Regelungsprinzip zugrundelegen.
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Das schließt ein unterschiedliches Maß an Differenzierung für das Gebiet ver-
schiedener Länder nicht aus. So liegt auf der Hand, dass der Bundesverord-
nungsgeber sich darauf beschränken kann, nur für die größeren Länder eine
weitere Unterteilung in Betracht zu ziehen; sachliches Kriterium hierfür wäre,
bundesweit annähernd gleich große Erzeugungsregionen zu bilden. Ebenso ist
vorstellbar, das Ziel einer kleinteiligen - weil treffgenaueren - Bildung von Er-
zeugungsregionen zu verfolgen, hiervon jedoch in denjenigen Ländern abzuge-
hen, die nicht über die differenzierten statistischen Erhebungen aus den maß-
geblichen Referenzjahren verfügen, welche zur Festsetzung der Getreide-
durchschnittserträge erforderlich sind (vgl. die Stellungnahme Schleswig-
Holsteins im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 115, 81
<91>).
Der Anlage zur Flächenzahlungs-Verordnung liegt jedoch kein einheitliches
Regelungsprinzip zugrunde, von dem nur aus Sachzwängen ausnahmsweise
abgegangen würde. Vielmehr verfolgt sie gleichzeitig entgegengesetzte Prinzi-
pien für unterschiedliche Teile des Bundesgebiets. Das Prinzip einer kleinteili-
gen Bildung von Erzeugungsregionen verfolgt sie nur für das Gebiet Nieder-
sachsens. Dies beruht auf der politischen Absicht, die Flächenzahlungen an die
landwirtschaftlichen Betriebe möglichst genau nach der Bodenfruchtbarkeit der
jeweiligen Region zu bemessen: Betriebe in ertragschwachen Regionen - die
durch die auszugleichenden Preisregelungen geringere Einkommenseinbußen
haben - sollten geringere, Betriebe in ertragreichen Regionen höhere Aus-
gleichszahlungen erhalten. Das hatte in der Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-
Verordnung zu einer starken Spreizung der Durchschnittsertragswerte für die
verschiedenen Regionen im Land geführt; dasselbe Regelungsprinzip prägt
aber auch die Flächenzahlungs-Verordnung, selbst wenn die Spreizung in An-
näherung an den Landesdurchschnittswert vermindert wurde. Für das Gebiet
anderer Länder verfolgt die Flächenzahlungs-Verordnung demgegenüber das
Prinzip der Bildung möglichst großer Erzeugungsregionen. Das beruht nicht
überall auf Zwängen der Verwaltungspraxis; verschiedentlich liegt dem vielmehr
die politische Absicht zugrunde, Betriebe in ertragschwachen Regionen durch
eine überproportionale Flächenzahlung zu stärken (vgl. die Stellungnahmen von
Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen im Verfahren vor dem Bundesver-
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fassungsgericht, BVerfGE 115, 81 <90 f.>). Damit verfolgt dieselbe Regelung
für unterschiedliche Teile des Bundesgebiets entgegengesetzte politische Ziele,
nämlich für Niedersachsen das der Differenzierung, für das Gebiet anderer
Länder das der Nivellierung. Das ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar; hierfür
gibt es keinen aus der Sache einleuchtenden Grund.
d) Die Kläger können sich auf den Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG auch beru-
fen.
Das hat das Verwaltungsgericht mit der Erwägung in Zweifel gezogen, die An-
lage zur Flächenzahlungs-Verordnung begegne allenfalls hinsichtlich der übri-
gen Länder verfassungsrechtlichen Bedenken, weil für diese weniger genau dif-
ferenziert werde als für Niedersachsen. Dem könnte allenfalls dann gefolgt
werden, wenn der Bundesverordnungsgeber verpflichtet gewesen wäre, mög-
lichst weitgehend zu differenzieren, wenn mit anderen Worten eine Bildung grö-
ßerer Erzeugungsregionen mit nivellierender Wirkung im Grundsatz rechtlich
unzulässig und nur aus zwingenden Gründen der Verwaltungspraxis aus-
nahmsweise zu rechtfertigen gewesen wäre. Davon kann aber keine Rede sein.
Allerdings geht das europäische Gemeinschaftsrecht von dem einzelnen land-
wirtschaftlichen Betrieb aus; dessen Ertragseinbußen infolge von Flächenstill-
legungen und dessen Einkommenseinbußen infolge von Preisregelungen sollen
ausgeglichen werden (vgl. die Erwägungsgründe 8 und 10 zur Verordnung
Nr. 1251/1999). Gleichwohl bemisst das europäische Gemeinschafts-
recht die Flächenzahlung nicht nach der Ertragsfähigkeit des einzelnen Betrie-
bes, sondern nach dem Durchschnittsertrag in einer Erzeugungsregion; es lässt
damit Nivellierungen zu. Die Erzeugungsregionen sollen gemäß Art. 3 Abs. 1
Unterabs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1251/1999 nach objektiven Kriterien und
so gebildet werden, dass sie in sich homogen und nach außen unterscheidbar
sind. Hinter der Vorgabe, dass eine Erzeugungsregion möglichst homogen sein
soll, mag die Absicht stehen, die infolge der Durchschnittsbildung unvermeidli-
che Entfernung von der Ertragsfähigkeit des jeweiligen Betriebes in möglichst
engen Grenzen zu halten. Jedoch folgt hieraus nicht die Pflicht des Mitglied-
staats, möglichst kleine Erzeugungsregionen zu bilden. Dies beruht schon dar-
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auf, dass es eindeutige Kriterien zur Bildung von Erzeugungsregionen nicht
gibt. Zu den vom europäischen Gemeinschaftsrecht als objektive Kriterien an-
gesprochenen strukturellen Ertragsfaktoren zählt nicht nur die Bodenfruchtbar-
keit - die zudem selbst innerhalb einer einzigen Gemeinde erheblich differieren
kann -, sondern zählen auch weitere natürliche (z.B. meteorologische), soziale,
betriebliche und infrastrukturelle Faktoren. Hinzu kommt, dass die Mitgliedstaa-
ten im Rahmen des ihnen eröffneten weiten Spielraums - neben den in Art. 3
Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1251/1999 genannten - auch andere Kriterien
berücksichtigen können, wie etwa die administrative Praktikabilität einer Lösung
(EuGH, Urteil vom 27. November 1997 - Rs. C-356/95, Witt - Slg. I-6589, 6603
Rn. 39). Deshalb ist ein Mitgliedstaat, der - wie Deutschland - nicht sein gesam-
tes Staatsgebiet zu einer einzigen Grundflächenregion bestimmt, sondern es in
mehrere Grundflächenregionen aufgeteilt hat, berechtigt, die Grundflächenregi-
onen jeweils als eine Erzeugungsregion auszuweisen; die spezifischen struktu-
rellen Ertragsfaktoren erfordern keine weitergehende Aufgliederung der Grund-
flächenregionen in einzelne Erzeugungsregionen (a.a.O. Rn. 41).
Die in der Anlage zur Flächenzahlungs-Verordnung hinsichtlich des Getreide-
durchschnittsertrags getroffene Regelung erweist sich mithin insgesamt als ver-
fassungswidrig; sie ist deshalb nichtig.
3. Das Berufungsgericht hat die Verfassungswidrigkeit unterstellt, die Klage
aber gleichwohl abgewiesen, weil dem Klaganspruch auch dann die nötige
rechtliche Grundlage fehle, ohne die das Gericht den Klägern das Begehrte
nicht - auch nicht im Wege richterlicher Lückenschließung - zusprechen dürfe.
Das verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zwar trifft der rechtliche
Ausgangspunkt zu, dass dem Klagebegehren wegen des gebotenen Respekts
gegenüber dem Regelungsspielraum des Normgebers nur in Ausnahmefällen
entsprochen werden kann. Das Berufungsgericht hat indes verkannt, dass die
Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Die Klage gleichwohl abzuweisen, ist
mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren.
a) Wenn eine gesetzliche Regelung unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG eine
Personengruppe benachteiligt, so kann ein Gericht grundsätzlich die Gleichheit
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nicht dadurch herstellen, dass es selbst diese Gruppe in die begünstigende
Regelung einbezieht. Darin läge ein Übergriff in die dem Gesetzgeber vorbehal-
tene Gestaltungsfreiheit (BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 1970 - 1 BvL 22/63 -
BVerfGE 28, 325 <361 f.>). Etwas anderes gilt nur ausnahmsweise dann, wenn
mit Sicherheit angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde - hätte er
den Verfassungsverstoß erkannt - die Regelung auf alle zu berücksichtigenden
Gruppen erstreckt haben, oder wenn es verfassungsrechtlich geboten ist, den
Verstoß gerade auf diese Weise zu beseitigen (BVerfG, Beschluss vom 21. Mai
1974 - 1 BvL 22/71 u.a. - BVerfGE 37, 217 <260>). Dies entspricht der gefestig-
ten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. noch Beschlüsse
vom 25. September 1992 - 2 BvL 5/91 u.a. - BVerfGE 87, 153 <177 ff.>, vom
26. Januar 1993 - 1 BvL 38/92 u.a. - BVerfGE 88, 87 <101> und vom 17. Janu-
ar 2006 - 1 BvR 541, 542/02 - BVerfGE 115, 81 <93 f.>) und des Bundesver-
waltungsgerichts (vgl. Urteil vom 11. Oktober 1996 - BVerwG 3 C 29.96 -
BVerwGE 102, 113 <117 f.>).
Vergleichbares gilt für Rechtsverordnungen (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar
2006 a.a.O. <93>; BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 1996 a.a.O. <118>). Al-
lerdings sind Rechtsverordnungen nicht Akte des Gesetzgebers - auch nicht
delegierte Gesetzgebung (vgl. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungs-
recht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 326) -, sondern Akte der Verwaltung.
Die Prärogative des Normgebers, die die Gerichte zu respektieren haben, ist
daher nicht Ausfluss der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, sondern Aus-
fluss des Ermessens des Verordnungsgebers (BVerwG, Urteil vom 3. Novem-
ber 1988 - BVerwG 7 C 115.86 - BVerwGE 80, 355 <370>; vgl. Gerhardt in:
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Kommentar, Rn. 3 zu § 114 VwGO).
Bei einer gleichheitswidrigen Rechtsverordnung kommt daher eine gerichtliche
Korrektur im Grundsatz nur dann in Betracht, wenn das normative Ermessen
des Verordnungsgebers rechtmäßig nur in diesem Sinne ausgeübt werden
könnte oder wenn sich mit Sicherheit annehmen lässt, dass der Verordnungs-
geber, wäre ihm das Problem bewusst, den Anforderungen des Gleichbehand-
lungsgebots gerade in diesem Sinne Rechnung tragen würde.
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Liegen die beschriebenen Voraussetzungen aber vor, so muss das Gericht der
Klage stattgeben. Das folgt aus dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewäh-
ren (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG). Weil Rechtsverordnungen Akte der Verwaltung
sind, unterliegen sie der Kontrolle der Verwaltungsgerichte. Im Gebot, effektiven
Rechtsschutz zu gewähren, findet die fachgerichtliche Zurückhaltung ge-
genüber der Prärogative des Verordnungsgebers daher eine zusätzliche Gren-
ze (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006 a.a.O. S. 95).
b) Der Bundesverordnungsgeber könnte durch eine generelle Neuordnung den
Verfassungsverstoß in Ansehung des Wirtschaftsjahrs 2000/2001 nicht beseiti-
gen. Daran ist er nicht nur - weil die Flächenzahlungs-Verordnung durch Art. 1
§ 35 der Verordnung vom 3. Dezember 2004 (BGBl I S. 3194) aufgehoben wor-
den ist - praktisch, sondern auch aus Rechtsgründen gehindert.
Das Berufungsgericht geht unter Verweis auf sein Urteil vom 28. April 1997
- 3 L 2724/96 - (RdL 1998, 12), das zur Kulturpflanzen-Ausgleichszahlungs-
Verordnung ergangen war, davon aus, dass der Verordnungsgeber den
Gleichheitsverstoß auf verschiedene Weise beheben könne: Er könne auch für
Niedersachsen nur eine einzige Erzeugungsregion bilden, umgekehrt aber auch
die anderen Länder - jedenfalls die größeren in mehrere Erzeugungsregionen
unterteilen, ferner neue Erzeugungsregionen nach gänzlich anderen Kriterien
für das ganze Bundesgebiet bilden. Hiergegen wendet die Revision mit Recht
ein, dass eine derartige Gestaltungsfreiheit lediglich für die Zukunft bestehen
könne, während der Regelungsspielraum des Normgebers für die Vergangen-
heit - und damit für das hier in Rede stehende Wirtschaftsjahr 2000/2001 -
durch den gebotenen Vertrauensschutz für diejenigen eingeschränkt sei, die
vom bisherigen Recht begünstigt waren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Sep-
tember 1998 - 2 BvL 64/93 - BVerfGE 99, 69 <83>). Dieser Gesichtspunkt steht
einer Veränderung der Bezugsgrößen für die Durchschnittsbildung sowohl hin-
sichtlich Niedersachsens als auch hinsichtlich des übrigen Bundesgebiets
schlechthin entgegen. Jede Durchschnittsbildung kennt sowohl Bevorzugte wie
Benachteiligte. Die Auswirkungen der Wahl einer anderen Bezugsgröße für die
Durchschnittsbildung lassen sich daher nicht auf die bislang Benachteiligten
beschränken, sondern berühren stets auch die bislang Bevorzugten. Deren An-
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spruch auf Vertrauensschutz widerstreitet daher stets einer wie auch immer
gearteten Neuregelung für die Vergangenheit (vgl. BVerfG, Beschluss vom
17. Januar 2006 a.a.O. S. 94).
Das Berufungsgericht bezweifelt zu Unrecht, dass bislang Begünstigte sich ge-
genüber einer Rückforderung infolge einer rückwirkenden Rechtsänderung auf
Vertrauensschutz berufen dürften. Nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG kann
sich der Begünstigte auf Vertrauensschutz - soweit hier von Interesse - nur
dann nicht berufen, wenn er die Rechtswidrigkeit der Begünstigung kannte oder
infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Diese Voraussetzungen liegen nicht
allein deshalb vor, weil die Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberver-
waltungsgerichts die Verfassungsmäßigkeit der Kulturpflanzen-Ausgleichszah-
lungs-Verordnung bezweifelt hatte, zumal seine Bedenken von anderen Gerich-
ten nicht geteilt worden waren und der Verordnungsgeber bei Erlass der Flä-
chenzahlungs-Verordnung am bisherigen Recht im Grundsatz festgehalten hat-
te.
c) Dem Gebot, für das hier strittige Wirtschaftsjahr 2000/2001 - mithin rückwir-
kend - eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen, könnte der Verord-
nungsgeber praktisch nur dadurch Folge leisten, dass er auch für die bislang
benachteiligten Regionen Niedersachsens den Getreidedurchschnittsertrag auf
den Landesdurchschnitt (53,3 dt/ha) festlegt. Ihm verbleibt lediglich die Ent-
scheidung, ob er in diese rückwirkende Besserstellung sämtliche Betriebe ein-
bezieht, die im Wirtschaftsjahr 2000/2001 einen Antrag gestellt haben, oder ob
er sie auf diejenigen beschränkt, deren Anträge noch nicht unanfechtbar be-
schieden sind (vgl. § 79 Abs. 2 BVerfGG). In beiden Fällen würde dem Anliegen
der Kläger Rechnung getragen.
Eine andere Korrektur scheidet praktisch aus. Stellt man die tatsächlichen und
rechtlichen Folgen einer solchen nachträglichen Änderung in Rechnung, ist es
ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber, nur um dem besonderen
Wunsch Niedersachsens zu entsprechen, sich über die gegenläufigen Wünsche
sämtlicher anderer Länder hinwegsetzen und nunmehr deren Gebiete
- rückwirkend - in kleinere Erzeugungsregionen unterteilen würde. Dagegen
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spricht schon, dass dieser Weg der Abhilfe der ungleich teurere wäre; es müss-
ten nämlich nicht nur die durch die regionale Durchschnittsbildung in Nieder-
sachsen, sondern stattdessen die durch bislang landeseinheitliche Durch-
schnittsbildung jedenfalls in sämtlichen größeren der anderen Länder Benach-
teiligten auf einen ihnen günstigeren Durchschnittswert angehoben werden.
Dagegen spricht ferner, dass die verwaltungspraktischen Voraussetzungen für
eine derart weitgreifende Korrektur zumeist nicht vorliegen. Hinzu kommt, dass
die Flächenzahlungs-Verordnung das zuvor geltende Recht ohnehin in Richtung
auf landeseinheitliche Durchschnittswerte fortentwickelt hatte; für Nieder-
sachsen wurde die Spreizung der regionalen Durchschnittswerte in Annäherung
an den Landesdurchschnittswert abgeschwächt, und für Rheinland-Pfalz sollte
die Aufteilung in zwei Regionen nach einer Übergangszeit aufgegeben werden.
Schließlich ist dem Bundesverordnungsgeber auch verwehrt, die Vorschriften
der Flächenzahlungs-Verordnung über die Bildung von Erzeugungsregionen
und die zugehörigen Getreidedurchschnittserträge rückwirkend gänzlich aufzu-
heben und seine Verordnungsmacht an die Landesverordnungsgeber zu dele-
gieren (§ 6 Abs. 5 MOG). Abgesehen davon, dass damit die Pflicht Deutsch-
lands zu fristgerechter Umsetzung der Verordnung (EG) Nr. 1251/1999 nach-
träglich verletzt würde, kann sich ein Verfassungsorgan seiner Pflicht zur Kor-
rektur eines Verfassungsverstoßes nicht dadurch entziehen, dass es seine
Kompetenz nachträglich beseitigt.
d) Kann der Verordnungsgeber den Verfassungsverstoß damit praktisch nur im
Sinne der Klagforderung beseitigen, so darf und muss der Senat dem schon
jetzt Rechnung tragen und das Land antragsgemäß verurteilen.
Hiergegen kann die Beklagte nicht einwenden, dass dafür keine Haushaltsmittel
zur Verfügung stünden. Zwar muss das Land für das Wirtschaftsjahr 2000/2001
- und möglicherweise auch für Folgejahre - mehr Fördermittel aufwenden als
bislang veranschlagt. Das kann die Beklagte den Klägern aber nicht
entgegenhalten. Der Staat muss die finanziellen Folgen einer verfas-
sungswidrigen Ungleichbehandlung auch dann tragen, wenn er sie im Haushalt
des betreffenden Jahres nicht veranschlagt hatte. Das gilt auch, wenn die För-
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dermittel - wie hier - zur Gänze aus Mitteln der Europäischen Gemeinschaft
aufgebracht und vom Mitgliedstaat lediglich verwaltet werden. Der Beklagten ist
zwar zuzugeben, dass sie die zusätzlichen Beträge wohl nicht aus dem Haus-
halt der Gemeinschaft erstattet bekommen wird. Das Land muss sie vielmehr
selbst tragen und kann allenfalls eine Erstattung seitens des Bundes anstreben.
All dies betrifft indes Fragen der staatsinternen Finanzierung. Es lässt den
Anspruch der Kläger unberührt.
Kley van Schewick
RiBVerwG Dr. Dette
ist wegen Urlaubs an
der Unterschrift gehindert.
Kley
Liebler Prof. Dr. Rennert
Sachgebiet:
BVerwGE:
ja
Verfassungsrecht
Fachpresse: ja
Landwirtschaftsrecht
Rechtsquellen:
GG
Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 80 Abs. 1 Satz 4
Verordnung (EG)
Nr. 1251/1999
MOG
§ 6
Flächenzahlungs-Verordnung
Stichworte:
Flächenzahlung; Ausgleichszahlung; Kulturpflanzen; Getreidedurchschnittser-
trag; Regionalisierung; Regionalisierungsplan; Erzeugungsregion; Bodenfrucht-
barkeit; Bodenertragswert; Rechtsverordnung; Bundesverordnung; Landesver-
ordnung; Subdelegation; Gleichheitssatz; Gleichbehandlungsgebot; effektiver
Rechtsschutz; richterliche Lückenschließung; richterliche Notkompetenz.
Leitsatz:
Der Bundesverordnungsgeber muss seiner Regelung ein bundesweit einheitli-
ches Regelungsprinzip zugrundelegen. Er darf hiervon in Ansehung einzelner
Länder nur abweichen, wenn dafür ein aus der Sache einleuchtender Grund
besteht. Der von unterschiedlichen politischen Zielen geleitete Regelungs-
wunsch der jeweiligen Landesregierung für sich genommen stellt einen solchen
Grund nicht dar.
Die Festsetzung der Getreidedurchschnittserträge in der Anlage zur Flächen-
zahlungs-Verordnung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Das Verwaltungsgericht darf eine Verpflichtungsklage nicht unter Hinweis auf
den Regelungsspielraum des Verordnungsgebers abweisen, wenn der Verord-
nungsgeber dem Gebot, eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen, prak-
tisch nur im Sinne der Klage nachkommen könnte.
Urteil des 3. Senats vom 25. Juli 2007 - BVerwG 3 C 10.06
I. VG Lüneburg vom 11. April 2003 - Az.: VG 2 A 218/01 -
II. OVG Lüneburg vom 29. November 2005 - Az.: OVG 10 LC 74/03 -