Urteil des BVerwG vom 28.05.2015

Planwidrige Unvollständigkeit, Treu Und Glauben, Erneuerung, Kreuzung

BVerwGE: ja
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Recht der Anlegung von Schienenwegen und des
Eisenbahnkreuzungsrechts
Rechtsquelle/n:
AEG § 2 Abs. 1, 2 und 3, § 11
BGB §§ 133, 157
EKrG § 1 Abs. 1, 3, 5 und 6, § 19
PBefG § 4 Abs. 1, § 28
VwVfG § 62 Satz 2
WRV Art. 7 Nr. 19
Stichworte:
Kreuzung; Eisenbahnkreuzung; Eisenbahnunterführung; Eisenbahnbrücke;
Straßenbahn; Straßenbahn im Verkehrsraum einer öffentlichen Straße; Kreuzung
einer Eisenbahn mit einer Straßenbahn; Schienenweg; Straßenbahnverkehr;
Eisenbahnverkehr; Eisenbahninfrastruktur; Eisenbahninfrastrukturunternehmen;
Baukosten; Träger der Baulast; laufende Unterhaltungskosten;
Kreuzungsneubau; Widmung; Vertragsauslegung; ergänzende
Vertragsauslegung; Auslegungsgrundsätze.
Leitsatz:
Das Eisenbahnkreuzungsgesetz gilt nicht für die Kreuzung einer
Eisenbahnstrecke mit einem nicht im Verkehrsraum einer öffentlichen Straße
liegenden Schienenweg, auf dem Straßenbahnen verkehren, solange dieser dem
öffentlichen Eisenbahnverkehr gewidmet und auch tatsächlich noch für
Eisenbahnen benutzbar ist.
Urteil des 3. Senats vom 28. Mai 2015 - BVerwG 3 C 1.15
I. VG Köln vom 4. März 2011
Az: VG 18 K 1600/09
II. OVG Münster vom 21. Februar 2014
Az: OVG 16 A 1014/11
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 1.15
OVG 16 A 1014/11
Verkündet
am 28. Mai 2015
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Mai 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Dr. Wysk,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Rothfuß
für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Ober-
verwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 21. Februar 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I
Die Beteiligten streiten um die Kosten für die Erneuerung einer Eisenbahnbrü-
cke.
Die Brücke, über die die Gleise der Bahnstrecke der Klägerin von Köln nach
Trier verlaufen, überquert die Bahnstrecke Köln - Bonn der Beklagten (sog.
Vorgebirgsbahn) in Hürth-Fischenich. Die Gleise der Vorgebirgsbahn werden
dort für den Güterverkehr und für den Stadtbahnbetrieb der Kölner Verkehrsbe-
triebe Aktiengesellschaft (KVB) zwischen Köln und Bonn genutzt.
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Die Rechtsvorgänger der Beteiligten, die Königliche Eisenbahndirektion Cöln
als Vertreterin des Staates Preußen und die Aktiengesellschaft der Cöln-
Bonner-Kreisbahnen, schlossen im September 1907 einen Vertrag zur Durch-
führung des Kreuzungsbauwerks, nach dessen wesentlichem Inhalt der
Rechtsvorgänger der Klägerin der Rechtsvorgängerin der Beklagten auf deren
Wunsch die Kreuzung der Staatsbahngleise widerruflich gestattete und die Ei-
senbahndirektion die Ausführung der Bauarbeiten auf Kosten der Rechtsvor-
gängerin der Beklagten vorzunehmen hatte, wobei die Unterführung nach ihrer
Fertigstellung in das Eigentum der Staatsbahnverwaltung übergehen sollte.
Diese sollte auch die laufende, gewöhnliche Unterhaltung des Bauwerks tragen,
wofür die Rechtsvorgängerin der Beklagten eine einmalige Entschädigung in
Höhe von 5 000 Mark zahlen sollte. Die Entschädigung sollte nicht die Kosten
der Ausbesserung von durch den Betrieb der Bahnen oder höhere Gewalt ver-
ursachten Schäden oder erforderlich werdender baulicher Ergänzungen erfas-
sen; solche Aufwendungen sollte die Rechtsvorgängerin der Beklagten in jedem
Fall besonders tragen. Sie sollte darüber hinaus keinen Anspruch auf Entschä-
digung für Bahnbetriebsunterbrechungen oder -störungen haben, die sich infol-
ge von Unterhaltungs- oder Erneuerungsarbeiten an der Unterführung oder
durch den Betrieb der Staatsbahn oder deren baulicher Veränderung ergeben
würden. Im Falle des Widerrufs der Kreuzungsgestattung durch die Staatsbahn
sollte diese berechtigt sein, die Unterführung und die auf ihrem Eigentum be-
findlichen Bahnanlagen auf Kosten der Rechtsvorgängerin der Beklagten zu
beseitigen. Schließlich wurde bestimmt, dass sämtliche Verpflichtungen, welche
diese Rechtsvorgängerin gegenüber der Staatsbahn eingegangen sei, auch ihr
etwaiger Rechtsnachfolger zu übernehmen habe.
Im Jahre 2006 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass die Brücke erneue-
rungsbedürftig sei und gab die voraussichtlichen Kosten mit 5 285 000 € an.
Nachdem die Beklagte die Kostenübernahme verweigerte, widerrief die Kläge-
rin mit Ablauf des 31. Mai 2008 die Gestattung zur Kreuzung ihrer Bahngleise
und wies auf die daraus folgenden Beseitigungspflichten hin.
Da die Beklagte dieses Vorgehen nicht akzeptierte, hat die Klägerin Klage auf
Zahlung von 650 000 € für den Rückbau der bestehenden Brücke sowie auf
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Feststellung erhoben, dass auch darüber hinausgehende Kosten zu erstatten
seien. Hilfsweise hat sie die Feststellung beantragt, dass die Beklagte ihr einen
Baukostenvorschuss in Höhe der vollständigen oder anteiligen Kosten für die
Erneuerung des Brückenbauwerks zu leisten habe.
Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 4. März 2011 festgestellt, dass die
Beklagte verpflichtet sei, an die Klägerin einen Baukostenvorschuss in Höhe
der Hälfte der Kosten für die Erneuerung des Brückenbauwerks zu leisten, und
die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen
ausgeführt, dass die Hauptanträge wegen eines Verstoßes gegen Treu und
Glauben erfolglos bleiben müssten; sie bezweckten ausschließlich, die Beklagte
zum Ersatz aller Kosten für eine Ersatzbrücke zu veranlassen, und zielten dar-
über hinaus auf eine Stilllegung der Strecke der Beklagten, die ohne die erfor-
derliche behördliche Genehmigung gar nicht möglich sei. Der Anspruch auf den
Baukostenvorschuss ergebe sich aus den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften
über die Geschäftsführung ohne Auftrag, wobei dieser auf die Hälfte der Bau-
kosten beschränkt sei, weil beide Kreuzungsbeteiligte gleichermaßen für den
sicheren Bestand der Anlage zu sorgen hätten.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Ur-
teil zurückgewiesen und dazu ausgeführt: Der Anspruch auf Zahlung des Bau-
kostenvorschusses ergebe sich aus dem Vertrag von 1907. Das Eisenbahn-
kreuzungsgesetz - EKrG - sei auf die Kreuzung nicht anwendbar, so dass des-
sen § 14 nicht einschlägig sei und ein Außerkrafttreten des Vertrages von 1907
nach § 19 Abs. 1 EKrG von vornherein ausscheide. Das Eisenbahnkreuzungs-
gesetz gelte nach § 1 Abs. 1 für Kreuzungen von Eisenbahnen und Straßen
und nicht, wenn sich - wie hier - zwei Eisenbahnen kreuzten. Etwas anderes
ergebe sich auch nicht aus § 1 Abs. 5 EKrG, wonach nicht im Verkehrsraum
einer öffentlichen Straße liegende Straßenbahnen wie Straßen behandelt wür-
den, wenn sie Eisenbahnen kreuzten; denn auf den Gleisstrecken der Beklag-
ten werde Straßenbahn- und Eisenbahnverkehr durchgeführt. Die Gleisstrecke
sei ein Teil der Eisenbahninfrastruktur der Beklagten als Eisenbahninfrastruktu-
runternehmen und damit Eisenbahn im Sinne des § 1 Abs. 3 EKrG. Die Beklag-
te halte Schienennetz-Benutzungsbedingungen vor, in denen sie gegenüber
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jedem Zugangsberechtigten die diskriminierungsfreie Benutzung ihrer Eisen-
bahninfrastruktur gewährleiste. Die Nutzung der Gleise auch für den Straßen-
bahnverkehr ändere nichts an ihrer Eigenschaft als Eisenbahninfrastruktur,
ebenso wenig eine etwaige Planfeststellungsbedürftigkeit dieses Verkehrs nach
§ 28 des Personenbeförderungsgesetzes - PBefG -. Der Anspruch auf den
Baukostenvorschuss ergebe sich im Wege der Auslegung aus dem Vertrag von
1907. Die Vertragsparteien hätten ausweislich des § 5 die Notwendigkeit von
Erneuerungsarbeiten an der Unterführung durchaus berücksichtigt, von weite-
ren Regelungen hierzu aber abgesehen. Es lasse sich jedoch aus den einzel-
nen Bestimmungen des Vertrages zusammenfassend der Grundsatz ableiten,
dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten und nunmehr die Beklagte selbst
den Bau, die Unterhaltung und die Ausbesserungen von Schäden der Unterfüh-
rung infolge des Bahnverkehrs zu finanzieren habe und Gleiches für den Fall
der Erneuerung der Unterführung gelte, weil sie dem Bau der Unterführung
gleichzusetzen sei. Aber selbst wenn der Vertrag insoweit eine Lücke enthielte,
könne diese im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahin geschlossen
werden, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten in Anbetracht des Vertrags-
zwecks auch die Kosten für eine Erneuerung zu tragen gehabt habe. Die Kläge-
rin könne auch einen Vorschuss auf die hälftigen voraussichtlichen Kosten ver-
langen. Dieser Anspruch bestehe aus Billigkeitsgründen nach § 242 BGB und in
Anlehnung an § 669 BGB. Zudem kenne auch der Vertrag von 1907 in § 3
Satz 3 die Verpflichtung zur Zahlung eines Vorschusses, den damals die
Rechtsvorgängerin der Beklagten vor Beginn der Arbeiten bei der Eisenbahn-
hauptkasse einzuzahlen gehabt habe.
Mit ihrer durch die Vorinstanz zugelassenen Revision gegen dieses Urteil, mit
der sie eine vollständige Abweisung der Klage begehrt, rügt die Beklagte eine
Verletzung von Bundesrecht: Zum einen verkenne das Oberverwaltungsgericht
den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 EKrG; denn es liege eine Kreuzung
zwischen einer Eisenbahn und einer Straße vor, weil es sich bei ihrer - der Be-
klagten - Gleisstrecke um eine Straßenbahn handele, die nach dieser Bestim-
mung als Straße zu behandeln sei. Ihrer Rechtsvorgängerin seien verschiedene
Genehmigungen und Erlaubnisse erteilt worden, um auf dem Gleiskörper auch
Straßenbahnverkehr durchführen zu können. Dieser Verkehr stelle mittlerweile
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den überwiegenden Anteil des Verkehrsaufkommens. Der Begriff der Straßen-
bahn im Sinne des Eisenbahnkreuzungsrechts bestimme sich nach der Definiti-
on des § 4 Abs. 1 PBefG. Die Voraussetzungen jener Norm erfülle ihre Bahnli-
nie. Sie habe einen besonderen Bahnkörper und der Bahnverkehr auf der Vor-
gebirgsbahn ähnele in seinem Betrieb den auf öffentlichen Straßen betriebenen
Bahnen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 1 PBefG. Ihre Betriebsanlagen entsprä-
chen somit sowohl den Voraussetzungen einer Eisenbahn wie denen einer
Straßenbahn. Für die eisenbahnkreuzungsrechtliche Einordnung komme es
nicht nur auf die Infrastruktur, sondern auch auf den darauf stattfindenden Ver-
kehr an; denn nur so ließen sich Eisenbahnen und Straßenbahnen, die beide
Schienenbahnen seien, voneinander abgrenzen. Maßgeblich für diese Abgren-
zung sei die Zweckbestimmung des Schienenwegs, also ob die Merkmale der
Bau- und Betriebsweise einer Straßenbahn die Merkmale überwögen, die für
eine Einordnung als Eisenbahn sprächen. Bei Heranziehung dieser Merkmale
handele es sich bei ihrem Schienenweg um eine Straßenbahn, weil die weit
überwiegende Zweckbestimmung in der Aufnahme und Durchführung des Stra-
ßenbahnverkehrs liege. Aber auch unabhängig von der Frage der Anwendbar-
keit des Eisenbahnkreuzungsgesetzes verstoße das angegriffene Urteil gegen
Bundesrecht; denn die Auslegung des Vertrages von 1907 durch das Oberver-
waltungsgericht stehe nicht in Einklang mit den §§ 133 und 157 BGB. Eine er-
gänzende Vertragsauslegung setze eine Lücke, also eine planwidrige Unvoll-
ständigkeit voraus, die der Vertrag nicht aufweise. Nach dessen Inhalt gingen
die Zuständigkeit und Verantwortung für das Brückenbauwerk nach seiner Er-
richtung entsprechend dem Funktionsprinzip auf die Klägerin über. Die Kosten
der Brückenerrichtung seien auf Nachweis zu erstatten gewesen, die absehba-
ren und kalkulierbaren Kosten der Unterhaltung durch einen einmaligen Betrag
abgegolten worden. Lediglich für nicht kalkulierbare und zu diesem Zeitpunkt
noch nicht vorhersehbare Kosten seien separate Kostenerstattungsansprüche
geregelt gewesen. Um derartige Kosten handele es sich jedoch bei den Kosten
für die Erneuerung der Brücke nicht. Diese seien daher mit der einmaligen Ent-
schädigung für die laufende Unterhaltung abgegolten. Schließlich leide das Ur-
teil an einem Sachaufklärungsmangel nach § 86 Abs. 1 VwGO, weil das Ober-
verwaltungsgericht unbeachtet lasse, dass die Infrastruktur für den Straßen-
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bahnbetrieb genehmigt worden sei, und insoweit und zu dem stattfindenden
Verkehr keinerlei Feststellungen getroffen habe.
Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung und weist darauf hin,
dass es sich bei den Schienenbahnen, die auf der Vorgebirgsbahn fahren dürf-
ten, um klassische Eisenbahnen sowie nach der Eisenbahnbetriebsordnung
besonders zugelassene Straßenbahnwagen handele, die dadurch selbst zu
Eisenbahnen würden.
II
Die Revision ist nicht begründet. Das angegriffene Urteil lässt keinen Verstoß
gegen Bundesrecht erkennen. Das Oberverwaltungsgericht hat zutreffend ent-
schieden, dass auf die Kreuzung das Eisenbahnkreuzungsgesetz nicht an-
wendbar ist (1.). Ebenso wenig ist die Auslegung des Vertrages von 1907 durch
das Berufungsgericht zu beanstanden, nach der die Klägerin gegen die Beklag-
te einen vertraglichen Anspruch auf Zahlung eines Baukostenvorschusses für
die Erneuerung des Brückenbauwerks hat (2.).
1. Da das Eisenbahnkreuzungsgesetz nach dessen § 1 Abs. 1 nur für die Kreu-
zungen von Eisenbahnen und Straßen gilt, hier sich aber zwei Schienenwege
kreuzen, wären die Vorschriften des Gesetzes nur dann einschlägig, wenn der
Schienenweg der Beklagten unter § 1 Abs. 5 EKrG fiele. Dies hat das Oberver-
waltungsgericht zu Recht verneint; denn bei dem die Eisenbahn der Klägerin
kreuzenden Schienenweg der Beklagten handelt es sich nicht um eine Stra-
ßenbahn, die nicht im Verkehrsraum einer öffentlichen Straße liegt, wie es die-
se Vorschrift fordert, sondern ebenfalls um eine Eisenbahn.
Eisenbahnen im Sinne des Eisenbahnkreuzungsgesetzes sind nach dessen § 1
Abs. 3 vornehmlich Eisenbahnen, die dem öffentlichen Verkehr dienen. Die mit
der Neuordnung des Eisenbahnwesens (Eisenbahnneuordnungsgesetz
- ENeuOG - vom 27. Dezember 1993 - BGBl. I S. 2378) eingeführte Bestim-
mung des Begriffs Eisenbahnen (§ 2 Abs. 1 des als Art. 5 ENeuOG in Kraft ge-
setzten Allgemeinen Eisenbahngesetzes - AEG -) unterscheidet insoweit zwi-
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schen öffentlichen Einrichtungen oder privatrechtlich organisierten Unterneh-
men, die Eisenbahnverkehrsleistungen erbringen (Eisenbahnverkehrsunter-
nehmen) oder eine Eisenbahninfrastruktur betreiben (Eisenbahninfrastrukturun-
ternehmen). Während Eisenbahnverkehrsleistungen nach § 2 Abs. 2 AEG die
Beförderung von Personen oder Gütern auf einer Eisenbahninfrastruktur sind,
umfasst die Eisenbahninfrastruktur nach § 2 Abs. 3 AEG die Betriebsanlagen
der Eisenbahnen einschließlich der Bahnstromfernleitungen. Ausgehend davon,
dass § 1 Abs. 6 EKrG unmissverständlich regelt, dass Beteiligte an der Kreu-
zung die jeweiligen Träger der Baulast der kreuzenden Verkehrswege sind, liegt
es demnach auf der Hand, dass bei einer Aufspaltung zwischen dem Betreiber
der Bahninfrastruktur und der Einrichtung oder dem Unternehmen, das die Be-
förderungsleistungen erbringt, Kreuzungsbeteiligte nur die jeweiligen Infrastruk-
turunternehmen sind. Dies sind hier auf der einen Seite die Klägerin als Betrei-
berin der Eisenbahninfrastruktur der Strecke Köln-Trier und auf der anderen
Seite die Beklagte, die - ausgehend von den nicht mit einer Verfahrensrüge an-
gegriffenen und daher das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen
der Vorinstanz - den Fahrweg der Vorgebirgsbahn als Eisenbahninfrastruktur-
unternehmen betreibt, dafür Schienennetz-Benutzungsbedingungen vorhält und
diese Infrastruktur teilweise selbst als Eisenbahnverkehrsunternehmen nutzt
sowie teilweise für den Straßenbahnbetrieb zur Verfügung stellt. Es ist daher
ohne Belang für die Frage, ob es sich bei den kreuzenden Schienenwegen um
Eisenbahnen im Sinne des Eisenbahnkreuzungsgesetzes handelt, welchen An-
teil am Gesamtverkehrsaufkommen der eisenbahnfremde Verkehr auf den
Schienenwegen ausmacht und inwieweit dieser nach den Vorschriften des Per-
sonenbeförderungsgesetzes planfeststellungsbedürftig ist (vgl. dazu das von
der Vorinstanz zitierte Urteil des OVG Saarlouis vom 28. April 1998 - 2 M
2/98 - juris Rn. 29). Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die auf der Strecke
der Beklagten verkehrenden Fahrzeuge der KVB in ihrer Betriebsweise den
Straßenbahnen ähneln, die den Verkehrsraum öffentlicher Straßen benutzen,
und daher Straßenbahnen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 PBefG sind; denn das
Eisenbahnkreuzungsgesetz stellt eigenständige Voraussetzungen für Straßen-
bahnen als Kreuzungsbeteiligte auf, die gerade nicht an die tatsächliche Nut-
zung des Schienenweges anknüpfen, sondern an seine planfestgestellte oder
genehmigte Nutzbarkeit und damit an seine Widmung für den öffentlichen Ei-
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senbahnverkehr. Maßgeblich ist allein, dass es sich bei den Betriebsanlagen
nach wie vor um solche einer Eisenbahn handelt, solange nicht die eisenbahn-
fremde Nutzung auch zu einer durchgreifenden baulichen Umgestaltung der
Infrastruktur geführt hat, so dass die Betriebsanlagen ebenfalls als eisenbahn-
fremd, also als nicht mehr für Eisenbahnen benutzbar, eingeordnet werden
müssten. Dafür gibt es hier keine Feststellungen, würde aber auch bedeuten,
dass die Beklagte den Betrieb ihrer Eisenbahnstrecke dauerhaft eingestellt hät-
te, was nach § 11 AEG einer Genehmigung der zuständigen Aufsichtsbehörde
bedarf. Das macht selbst die Beklagte nicht geltend.
Demgemäß hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht die Normen des Eisen-
bahnkreuzungsgesetzes nicht für anwendbar gehalten mit der Folge, dass der
zwischen den Rechtsvorgängern der Beteiligten geschlossene Vertrag von
1907 nicht nach § 19 EKrG obsolet geworden ist (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom
24. September 1997 - 11 C 10.96 - NVwZ 1998, 1075 <1076>).
Insoweit ist auch kein Mangel der gerichtlichen Sachaufklärung nach § 86
Abs. 1 VwGO feststellbar, der zu einer Zurückverweisung der Streitsache an die
Vorinstanz führen müsste. Abgesehen davon, dass die Beklagte bisher keine
Stilllegung ihrer Eisenbahnstrecke nach § 11 AEG betrieben hat, ist auch eine
tatsächliche Umgestaltung der Betriebsanlagen, die es rechtfertigen könnte,
von einer eisenbahnfremden Infrastruktur zu sprechen, angesichts der zumin-
dest in dem Bereich der Unterführung auch derzeit noch bestehenden Nutzung
durch Eisenbahngüterverkehr von vornherein ausgeschlossen. Dass es sich bei
dem Schienenweg nach wie vor um die Betriebsanlagen einer Eisenbahn han-
delt, wird zudem durch den unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin
gestützt, wonach die Fahrzeuge der Straßenbahn gemäß den Vorschriften der
Eisenbahnbetriebsordnung zum Betrieb auf den Gleisen der Beklagten zuge-
lassen werden müssen.
2. Die Auslegung des Vertrages von 1907 dahin, dass die Klägerin von der Be-
klagten einen Vorschuss auf die Kosten für die Erneuerung der Brücke verlan-
gen kann, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen.
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Es ist bereits fraglich, ob es insoweit überhaupt um die Anwendung revisiblen
Rechts geht, weil die Gesetzgebung über das Eisenbahnwesen erst mit der
Weimarer Reichsverfassung (Art. 7 Nr. 19) dem Reich zugewiesen worden ist
und daher ein Vertrag auszulegen ist, dessen Materie jedenfalls bei Vertrags-
schluss in die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder fiel. Dies mag aber da-
hingestellt bleiben, denn selbst wenn man für landesrechtliche Sachbereiche
die allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Auslegungsgrundsätze über § 62 Satz 2
des Verwaltungsverfahrensgesetzes für revisibel hält (vgl. dazu BVerwG, Urtei-
le vom 19. Januar 1990 - 4 C 21.89 - BVerwGE 84, 257 <264 f.> sowie vom
4. Dezember 2001 - 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 <289>; Neumann, in:
Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 137 Rn. 72), ist eine im Revisionsverfah-
ren rügefähige Rechtsverletzung nicht feststellbar.
Die Auslegung von Verträgen ist grundsätzlich Aufgabe der zur Tatsachenfest-
stellung und -würdigung berufenen Tatsacheninstanzen. Das Revisionsgericht
prüft insoweit nur, ob anerkannte Auslegungsgrundsätze, gesetzliche Ausle-
gungsregeln, die Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze beachtet wor-
den sind. Die Rüge der Beklagten, das Gericht habe die bundesrechtlichen
Auslegungsregeln der §§ 133 und 157 BGB nicht beachtet, indem es eine er-
gänzende Vertragsauslegung vorgenommen habe, obwohl der Vertrag keine
Regungslücke aufweise, ist nicht berechtigt. Sie geht bereits daran vorbei, dass
das Oberverwaltungsgericht eine ergänzende Vertragsauslegung nur hilfsweise
vornimmt. In erster Linie hat das Gericht eine Lücke, also eine planwidrige Un-
vollständigkeit des Vertrages, hinsichtlich der Erneuerungskosten verneint und
im Gegenteil festgestellt, dass die Notwendigkeit von Erneuerungsarbeiten
durchaus berücksichtigt worden sei, sowie aus den Einzelbestimmungen des
Vertrages den Grundsatz abgeleitet, dass die Beklagte die Kosten der Erneue-
rung zu tragen habe, die dem Bau der Unterführung gleichzusetzen sei. Soweit
die Beklagte mit ihrer Rüge der Sache nach das Ergebnis dieser Auslegung
beanstandet, ergibt sich aus ihrem Vortrag kein revisionsrechtlich beachtlicher
Mangel des angegriffenen Urteils. Zwar begründet sie im Einzelnen, warum die
Vertragsbestimmungen nur dahin verstanden werden könnten, dass die Kosten
einer Brückenerneuerung als vorhersehbare Unterhaltskosten anzusehen sei-
en, die durch die von der Rechtsvorgängerin der Beklagten seinerzeit zu zah-
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lende einmalige Entschädigung abgegolten seien. Mit diesem Verständnis des
maßgeblichen Vertragsinhalts - das im Hinblick auf den im Vergleich zu den
Neubaukosten verhältnismäßig geringen Betrag der Entschädigung in Höhe von
5 000 Mark ohnehin fragwürdig ist - beschränkt sie sich jedoch darauf, der
durch das Gericht vorgenommenen Vertragsauslegung ihre eigene entgegen-
zusetzen, ohne den von ihr geltend gemachten Verstoß gegen die Auslegungs-
regeln der §§ 133, 157 BGB plausibel zu machen; denn das Oberverwaltungs-
gericht stützt sich ebenso wie sie auf den Willen der Vertragsparteien, wie er in
den Bestimmungen des Vertrages seinen Ausdruck gefunden hat. Allein aus
dem Umstand, dass man diese Bestimmungen und das ihnen zugrunde liegen-
de Konzept auch anders deuten kann, folgt noch nicht der geltend gemachte
Rechtsverstoß, solange nicht aufgezeigt wird, dass die beanstandete Ausle-
gung sich nicht an den gesetzlichen Auslegungsregeln orientiert hat, also nicht
die Ermittlung des wirklichen Willens der Vertragsparteien im Blick hatte. Dies
leistet die Beklagte nicht, vor allem gelingt es ihr nicht, das ohne Weiteres
nachvollziehbare Argument der Klägerin ernsthaft in Frage zu stellen, dass der
Brückenbau im alleinigen Interesse der Rechtsvorgängerin der Beklagten gele-
gen habe, diese folgerichtig im Vertrag die Kosten der Ausführung, aber auch
der Unterhaltung und notwendiger Ausbesserungen übernommen habe und
demgemäß auch die Kosten einer notwendigen Erneuerung.
Soweit das Gericht den Vertrag von 1907 hilfsweise ergänzend auslegt, indem
es entgegen seiner das Urteil vorrangig tragenden Auffassung unterstellt, dass
die Kostentragungspflicht für eine Erneuerung des Bauwerks vertraglich nicht
geregelt worden sei, und zu dem Ergebnis kommt, dass eine plangemäße Ver-
vollständigung der vertraglichen Bestimmungen zu einer Kostentragungspflicht
der Beklagten führen müsse, greifen die Einwände der Beklagten ebenfalls
nicht durch. Abgesehen davon, dass sie schon deswegen im Ergebnis unerheb-
lich sind, weil sie sich gegen eine Hilfsbegründung richten, läge auch hier nur
dann ein Verstoß gegen Auslegungsgrundsätze vor, wenn der im Wege der
ergänzenden Vertragsauslegung vorgenommene Lückenschluss die Vorschrif-
ten der §§ 133 und 157 BGB missachten würde. Dafür ist nichts erkennbar.
Auch hier gilt, dass allein die Möglichkeit, die Vertragsbestimmungen in einem
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anderen Sinne zu verstehen, nicht für die Annahme eines revisionsrechtlich
beachtlichen Rechtsverstoßes ausreicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
Liebler
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
Rothfuß
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