Urteil des BVerwG vom 17.11.2005

Rückforderung, Grundstück, Inventar, Rückgabe

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 1.05
VG 6 K 4390/02
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. November 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y sowie die
Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k , Dr. D e t t e ,
L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
ohne mündliche Verhandlung für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsge-
richts Karlsruhe vom 9. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
G r ü n d e :
I.
Die Kläger wenden sich gegen die Rückforderung von Entschädigungsleistungen
nach dem Lastenausgleichsgesetz.
Mit Bescheid vom 12. März 1970 stellte die Beklagte zugunsten der unmittelbar ge-
schädigten Mutter der Kläger für den landwirtschaftlichen Betrieb in S. Nr. 5 mit einer
Größe von 24,2909 ha einen Schaden an land- und forstwirtschaftlichem Vermögen
im Sinne des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes in Höhe von
18 800,00 M-Ost sowie darauf lastende Verbindlichkeiten in Höhe von
15 855,83 M-Ost (Schadenszeitpunkt 26. Februar 1953) fest. Grundlage der Fest-
stellung war ein Einheitswertbescheid vom 29. August 1935. Mit Gesamtbescheid
vom 19. September 1977 wurde zugunsten der Mutter der Kläger ein weiterer Scha-
den an land- und forstwirtschaftlichem Vermögen nach dem Beweissicherungs- und
Feststellungsgesetz in Höhe von 4 200,00 M-Ost festgestellt; diese Entscheidung
betraf den von der Mutter der Kläger geerbten landwirtschaftlichen Betrieb in S.
Nr. 80 mit einer Größe von 4,6725 ha.
Auf der Grundlage dieser Entscheidungen wurde der Mutter der Kläger im Verlaufe
der 70er Jahre insgesamt eine Hauptentschädigung in Höhe von 25 545,90 DM
(Endgrundbetrag 15 180,00 DM, Zinszuschläge 10 365,90 DM) zuerkannt und aus-
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bezahlt. Im Jahre 1983 verstarb die Mutter der Kläger. Sie wurde zu je 1/6 von den
Klägern und deren Schwester sowie zu 1/2 von ihrem Ehemann beerbt. Erben des
Letztgenannten, ihres im Jahre 1994 verstorbenen Vaters, sind die Kläger und ihre
Schwester zu je 1/3.
Im Jahre 1995 leitete die Beklagte Ermittlungen wegen eines möglichen Schadens-
ausgleichs im Gefolge der Deutschen Wiedervereinigung ein. Daraufhin wurde zu-
nächst bekannt, dass die staatliche Verwaltung über die Landwirtschaft in S. Nr. 80
bereits im Jahre 1991 aufgehoben worden war und die als Eigentümer eingetragenen
Erben der unmittelbar Geschädigten über diesen Vermögenswert verfügen konnten.
Unter dem 4. Juni 1999 teilte die Beklagte den Klägern und ihrer Schwester mit, dass
die Frist zur Rückforderung von Lastenausgleichsleistungen hinsichtlich des
landwirtschaftlichen Vermögens in S. Nr. 80 unterbrochen werde. Nachdem das
Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Brandenburg mit Bescheid vom
4. Juni 1997 insgesamt 23,5179 ha Fläche der Landwirtschaft in S. Nr. 5 auf die Klä-
ger rückübertragen hatte, wurden sie insoweit am 3. März 2000 in das Grundbuch
eingetragen. Die Rückübertragung des Grundstücks Flur 3, Flurstück Nr. 230 lehnte
das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Brandenburg mit Bescheid
vom 15. Mai 2000 ab. Dieses Grundstück mit einer Größe von 7 730 m² hatte der
Vater der Kläger durch Vertrag vom 27. April 1950 gegen das 5 210 m² große Flur-
stück Nr. 53 (später Flurstück Nr. 71) getauscht.
Mit gesonderten Rückforderungs- und Leistungsbescheiden vom 24. Juli 2001 for-
derte die Beklagte von der Klägerin zu 1 und ihrer Schwester einen Betrag von
8 325,87 DM sowie vom Kläger zu 2 einen Betrag von 8 325,86 DM an für die land-
und forstwirtschaftlichen Vermögen in S. Nr. 80 und Nr. 5 geleisteter Hauptentschä-
digung einschließlich Zinszuschlages zurück. Zur Begründung wurde im Wesentli-
chen ausgeführt, die seinerzeit festgestellten Schäden an dem genannten Vermögen
seien voll ausgeglichen worden. Die daher vorzunehmende Neuberechnung der
Hauptentschädigung ergebe einen Rückforderungsbetrag in Höhe von insgesamt
24 977,60 DM, der anteilig auf die Kläger und ihre Schwester als Erben bzw. weitere
Erben ihrer Mutter umgelegt werde.
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Die Kläger erhoben Beschwerde, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vortru-
gen, die seinerzeit ersetzten Schäden seien nicht zur Gänze ausgeglichen. So sei ein
Grundstück nicht zurückgegeben und ein über der Einfahrt befindlicher Torbogen
abgerissen worden. Die Pflasterung der Hoffläche sei durch eine nicht mehr ver-
wendbare Betonschicht, die Dacheindeckung teilweise durch der Sonderabfallent-
sorgung unterliegende Wellasbestzementplatten ersetzt worden. Darüber hinaus sei
auf dem Grundstück eine Ölwechselrampe errichtet und eine Tankstelle betrieben
worden, so dass der Verdacht auf Altlasten bestehe.
Mit Bescheid vom 24. Oktober 2002 wies das Regierungspräsidium Stuttgart die Be-
schwerden der Kläger zurück.
Zur Begründung ihrer Klage haben sich die Kläger auf eine fehlende Identität des
weggenommenen und des zurückgegebenen Wirtschaftsguts berufen. Dies ergebe
sich aus der mangelnden Rückgabe des Grundstücks Flurstück Nr. 53 (heute Flur-
stück Nr. 71), dem Abriss des Torbogens, den bestehenden und vermuteten Altlas-
ten sowie den vorgenommenen baulichen Veränderungen an der Hoffläche. Ange-
sichts der fehlenden Objektidentität sei eine Rückforderung ausgeschlossen.
Mit Urteil vom 9. Dezember 2004 hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klagen
abgewiesen. Rechtsgrundlage der Rückforderung der Hauptentschädigung sei § 349
Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 LAG i.V.m. § 342 Abs. 3, § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG.
Gemäß § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG seien im Fall des vollständigen oder teilweisen
Schadensausgleichs nach dem 31. Dezember 1989 (§ 342 Abs. 3 LAG) die zuviel
gezahlten Ausgleichsleistungen nach Maßgabe der Absätze 2 bis 5 zurückzufordern.
Danach gelte bei Rückgabe von Vermögenswerten, die in dem in Art. 3 des Eini-
gungsvertrages genannten Gebiet belegen seien, sowie bei Wiederherstellung der
vollen Verfügungsrechte über solche Vermögenswerte der festgestellte Schaden in-
soweit stets als in voller Höhe ausgeglichen; Wertminderungen sowie das Fehlen von
Zubehör oder Inventar würden nicht berücksichtigt. In Anwendung dieser Grundsätze
sei das Vorbringen der Kläger, ein voller Schadensausgleich sei nicht erfolgt, nicht
geeignet, die Rückforderung der gewährten Lastenausgleichsleistungen nach § 349
LAG dem Grunde nach auszuschließen. Denn für die Anwendung dieser
Rückforderungsvorschrift genüge bereits eine Teilidentität bei der Schadensausglei-
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chung. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt, nachdem die zurückgegebenen Flächen
in jedem Fall ein wesentlicher Bestandteil der landwirtschaftlichen Betriebe in S. Nr.
80 und Nr. 5 seien. Nichts anderes gelte im Ergebnis in Bezug auf die Höhe des
Rückforderungsbetrages. Die von den Klägern insoweit beschränkt auf die Landwirt-
schaft in S. Nr. 5 geltend gemachten Mängel könnten nicht zur Anerkennung eines
erheblichen Restschadens unter dem Gesichtspunkt (teilweise) fehlender Objekt-
identität führen. Voraussetzung eines solchen Restschadens sei ein fortbestehender
Verlust einzelner Wirtschaftsgüter, die als Teil einer wirtschaftlichen Einheit weder
Zubehör noch Inventar im Sinne der §§ 97, 98 BGB seien, oder der fortbestehende
Verlust wesentlicher Bestandteile eines Wirtschaftsguts, sofern der Restschaden
jeweils die Wertfortschreibungsgrenzen des § 22 Bewertungsgesetz überschreite.
Maßgeblich für die hier in Rede stehende Beurteilung sei § 22 des Bewertungsge-
setzes - BewG - in der Fassung des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergeset-
zen vom 1. Dezember 1936 (RGBI I S. 961). Die danach maßgebliche Schwelle von
1/20 des festgestellten Einheitswerts sei aber mit Blick auf den von den Klägern gel-
tend gemachten Verlust eines Teils der Betriebsfläche der Landwirtschaft in S. Nr. 5
nicht erreicht. Denn ausgehend von dem der Schadensberechnung zugrunde geleg-
ten Einheitswert von 18 800,00 RM/DMO müsse der geltend gemachte Restschaden
hierfür einen Wert von 940,00 RM/DMO überschreiten. Ausweislich des Tauschver-
trages vom 27. April 1950 habe aber der Wert sowohl der seinerzeit im Eigentum der
Mutter der Kläger stehenden Grundstücke Flurstück Nr. 162 und 163 (später Grund-
stück Flurstück Nr. 230) als auch des im Tausch hierfür erworbenen Grundstücks
Flurstück Nr. 53 (später Flurstück Nr. 71) nur bei 600,00 DMO gelegen. Unter
Zugrundelegung der Betriebshektarsätze von 888,00 RM für landwirtschaftlich ge-
nutzte Flächen und von 91,00 RM für forstwirtschaftlich genutzte Flächen im Ein-
heitswertbescheid 1935 ergebe sich ein noch geringerer Restschaden. Die von den
Klägern darüber hinaus vorgetragenen Mängel beträfen lediglich nach § 349 Abs. 3
Satz 2 Halbsatz 2 LAG nicht berücksichtigungsfähige Wertminderungen des land-
wirtschaftlichen Betriebes.
Zur Begründung ihrer durch das Verwaltungsgericht zugelassenen Revision wieder-
holen und vertiefen die Kläger ihr bisheriges Vorbringen. Insbesondere sei die Aus-
legung des Verwaltungsgerichts zur Erheblichkeit eines Restschadens mit § 349
Abs. 3 Satz 2 LAG nicht vereinbar. Im vorliegenden Fall müsse - unabhängig davon,
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ob die Wertfortschreibungsgrenze des § 22 BewG überschritten sei - ausnahmsweise
ein Restschaden wegen fehlender Objektidentität zumindest zum Teil anerkannt
werden.
Die Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt unter Vertiefung des bisheri-
gen Vorbringens das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich an dem Verfahren und unterstützt
das angefochtene Urteil.
II.
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu
ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1, § 141 VwGO).
Die Revision ist nicht begründet, da das angefochtene Urteil nicht auf einer Verlet-
zung von Bundesrecht beruht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht
hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Rückforderungsbescheide
sind rechtmäßig. Die Beklagte ist unter Zugrundelegung der gesetzlichen Fiktion des
§ 349 Abs. 3 Satz 2 LAG ohne Rechtsfehler von einem vollen Schadensausgleich
ausgegangen.
Rechtsgrundlage für die Rückforderung der Hauptentschädigung in den von den
Klägern angegriffenen Bescheiden ist § 349 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 des Geset-
zes über den Lastenausgleich (Lastenausgleichsgesetz - LAG) vom 14. August 1952
(BGBl I S. 446) i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 845, berich-
tigt 1995 S. 248), § 349 betreffend zuletzt geändert durch Gesetze vom 16. De-
zember 1999 (BGBl I S. 2422) und 21. Juli 2004 (BGBl I S. 1742), i.V.m. § 342
Abs. 3, § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG.
Gemäß § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG sind "in den Fällen des § 342 Abs. 3" die zuviel
gewährten Ausgleichsleistungen nach Maßgabe der Absätze 2 bis 5 zurückzufor-
dern, ohne dass es - wie § 342 Abs. 3 LAG klarstellt - eines ausdrücklichen Wieder-
aufgreifens des früheren Lastenausgleichsverfahrens bedarf. Was als zurückzuzah-
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lende Zuvielleistung an früherem Lastenausgleich im Sinne des § 349 Abs. 1 LAG
anzusehen ist, ist durch die Bezugnahme auf die folgenden Absätze festgelegt und
auf den nachträglichen Schadenswegfall bezogen (§ 342 Abs. 3 Satz 2 LAG). Nach §
349 Abs. 3 Satz 2 gilt bei Rückgabe von Vermögenswerten, die in dem in Art. 3 des
Einigungsvertrages genannten Gebiet belegen sind, sowie bei Wiederherstellung der
vollen Verfügungsrechte über solche Vermögenswerte der festgestellte Schaden in-
soweit stets als in voller Höhe ausgeglichen; Wertminderungen sowie das Fehlen von
Zubehör oder Inventar werden nicht berücksichtigt. Demnach haben die Kläger als
Erben ihrer unmittelbar geschädigten Mutter die für den Verlust der landwirtschaftli-
chen Betriebe in S. Nr. 5 mit einer Größe von 24,2909 ha und Nr. 80 mit einer Größe
von 4,6725 ha insgesamt gewährte Hauptentschädigung in Höhe von 25 545,90 DM
zu erstatten, da der Schaden ausgeglichen wurde.
Hinsichtlich des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens in S. Nr. 80 ist ein voll-
ständiger Schadensausgleich unstreitig erfolgt.
Bezüglich des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens in S. Nr. 5 greift die Scha-
densausgleichsfiktion des § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG, da die Grundstücke im Wesent-
lichen zurückgewährt worden sind, wegen deren Verlust seinerzeit Lastenausgleich
gewährt wurde.
1. Zwar umfasste der landwirtschaftliche Betrieb in S. Nr. 5 zunächst auch das Flur-
stück Nr. 230 mit einer Größe von 7 730 m
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, das ebenso wenig zurückgegeben wur-
de wie das Grundstück Flurstück Nr. 53 mit einer Größe von 5 210 m
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, das hiergegen
getauscht worden war. Das Fehlen geringfügiger Teilflächen führt jedoch nicht dazu,
die Übereinstimmung zwischen weggenommenem Betrieb und zurückgegebenen
Flächen zu verneinen. Die Rückforderung gewährter Lastenausgleichsleistungen
nach § 349 LAG setzt voraus, dass "nach dem 31. Dezember 1989 ein Schaden
ganz oder teilweise ausgeglichen" wird (§ 342 Abs. 3 LAG). Für die Anwendung der
Rückforderungsvorschrift reicht damit bereits eine Teilidentität bei der Schadensaus-
gleichung aus. Der Einwand der Kläger, die zurückgegebenen landwirtschaftlichen
Flächen seien mit den weggenommenen nicht identisch, erweist sich danach von
vornherein als ungeeignet, die Heranziehung der Rückforderungsvorschrift des § 349
LAG zu vermeiden; denn das zurückerhaltene Land ist in jedem Fall ein wesentlicher
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Teil des seinerzeit verlorenen landwirtschaftlichen Betriebes (vgl. Beschluss vom
5. November 1999 - BVerwG 3 B 44.99 -). Schließlich hat der Gesetzgeber in § 349
Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 LAG, wonach Wertminderungen sowie das Fehlen von Zu-
behör oder Inventar beim Schadensausgleich nicht zu berücksichtigen sind, bestätigt,
dass auch solche Mängel des zurückgegebenen Vermögenswertes keine Rolle bei
der Entscheidung über die Identität des zurückerlangten Schadensobjekts spielen
können. Landwirtschaftliches Inventar, Geräte und Vieh (§ 98 BGB) fallen unter
diesen Ausschluss ebenso wie der schlechte Erhaltungszustand oder Schäden von
Gebäuden.
Es ist ebenfalls sachgerecht, für die Bemessung der Erheblichkeit eines Restscha-
dens im Hinblick auf die fehlenden Grundstücksflächen auf Grundsätze des Bewer-
tungsgesetzes zurückzugreifen. Das rechtfertigt sich bereits aus der Überlegung,
dass für Ausgleichsleistungen nach dem Lastenausgleichsgesetz die Schadensbe-
rechnung gemäß dem Feststellungsgesetz auf der Grundlage des vor der Schädi-
gung zuletzt festgestellten Einheitswerts erfolgte. Der erkennende Senat hat diesen
Maßstab für die Berechnung von Schäden an land- und forstwirtschaftlichem Ver-
mögen im Zusammenhang mit Zonenschäden herangezogen. Danach führen Be-
standsveränderungen, die nach dem Zeitpunkt des zuletzt festgestellten und be-
kannten Einheitswerts eingetreten sind und unter Anwendung des Bewertungsgeset-
zes die Feststellung eines anderen Einheitswerts gerechtfertigt hätten, zu dem Er-
gebnis, dass nicht der bekannte Einheitswert der Schadensberechnung zugrunde zu
legen ist. Ob eine solche Wertänderung vorliegt, ist unter Anwendung des § 22
BewG zu ermitteln. Hätte hiernach eine Wertfortschreibung erfolgen müssen, so ist
nicht von dem bekannten Einheitswert auszugehen, der auf einen Zeitpunkt bezogen
ist, zu dem die Bestandsveränderungen noch nicht eingetreten waren (vgl. Urteile
vom 12. Dezember 1974 - BVerwG 3 C 72.72 - BVerwGE 47, 265 <270>; vom
31. Mai 1979 - BVerwG 3 C 39.78 - und vom 11. Dezember 1980 - BVerwG 3 C
8.80 -). Bestandsveränderungen, die den Einheitswert nicht berührten, sind daher
lastenausgleichsrechtlich unbeachtlich. Gilt dies für die Schadensfeststellung, so
kann bei späterem Verlust für den Schadensausgleich durch Rückgabe nichts ande-
res gelten.
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In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil
vom 12. Dezember 1974 a.a.O. S. 274 f.) ist dabei § 22 BewG in der Fassung maß-
geblich, deren Anwendung § 47 Abs. 2 BFG vorschreibt. Denn die allgemeine Vor-
schrift des § 8 Abs. 1 Nr. 10 LAG verweist auf die Fassung vom 16. Januar 1952
(BGBl I S. 22) nur insoweit, als das Lastenausgleichsgesetz selbst die Bezeichnung
"Bewertungsgesetz" enthält. Das ist aber im Rahmen der speziellen und jüngeren
Rückforderungsvorschriften des § 349 LAG nicht der Fall. § 349 Abs. 2 Satz 2 LAG
verweist für die Bemessung des Schadens ausdrücklich auf die Vorschriften des
Feststellungsgesetzes und des Beweissicherungs- und Feststellungsgesetzes in der
am 31. Dezember 1991 geltenden Fassung. Maßgeblich ist hiernach gemäß § 47
Abs. 2 BFG das Bewertungsgesetz in der Fassung vom 16. Oktober 1934 (RGBl I
1035) unter Berücksichtigung der Änderungen durch das Einführungsgesetz zu den
Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936 (RGBl I S. 961). Durch § 30 dieses Ge-
setzes hat § 22 BewG folgende Fassung erhalten:
"(1) Der Einheitswert wird neu festgestellt (Wertfortschreibung), wenn der
Wert, der sich für den Beginn eines Kalenderjahres ergibt, um mehr als den
fünften Teil, mindestens aber um 1 000 Reichsmark von dem Einheitswert des
letzten Feststellungszeitpunkts abweicht. Beruht bei einem land- und forstwirt-
schaftlichen Betrieb, einem Grundstück oder einem Betriebsgrundstück die
Abweichung auf einer Bestandsveränderung, so wird der Einheitswert schon
dann neu festgestellt, wenn der Wert infolge der Bestandsveränderung allein
um mehr als den zwanzigsten Teil, mindestens aber um 500 Reichsmark ab-
weicht. Eine Bestandsveränderung liegt insbesondere vor,
1. wenn die Grundstücksfläche durch Erwerb oder Abtrennung vergrößert oder
verkleinert wird;
2. wenn der Gebäudebestand durch Neubau, Anbau oder Aufbau oder durch
Abbruch, Abbrand und dergl. verändert wird.
Der Reichsminister der Finanzen kann die Wertgrenzen(Sätze 1 und 2) anders
festsetzen."
Von dieser Ermächtigung hat der Reichsminister der Finanzen durch Verordnung
vom 18. Mai 1939 (RGBl I S. 922) Gebrauch gemacht. Die Durchführungsverord-
nung zum Reichsbewertungsgesetz hat einen § 2a bekommen. Diese Vorschrift lau-
tet - soweit hier von Bedeutung - wie folgt:
"Der Einheitswert wird abweichend von § 22 Absatz 1 Sätze 1 bis 3 des Ge-
setzes neu festgestellt (Wertfortschreibung)
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1. bei einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb, einem Grundstück oder
einem Betriebsgrundstück, wenn der Wert, der sich für den Beginn eines Ka-
lenderjahres
ergibt, entweder um mehr als ein Zwanzigstel, mindestens aber um
100 Reichsmark, oder um mehr als 100 000 Reichsmark von dem Einheitswert
des letzten Feststellungszeitpunkts abweicht; …"
Zutreffend ist das Verwaltungsgericht aufgrund seiner Feststellungen im vorliegen-
den Fall von einer Unterschreitung der danach geltenden Wertfortschreibungsgren-
zen ausgegangen, da die fehlenden Grundflächen weniger als ein Zwanzigstel des
Einheitswerts des entzogenen Grundvermögens ausmachen.
2. Die anderen geltend gemachten Wertminderungen, der Abriss des Torbogens, die
vermuteten Altlasten sowie die vorgenommenen baulichen Veränderungen an der
Hoffläche stehen der gesetzlich angeordneten Schadensausgleichsfiktion ebenso
wenig entgegen. Die behaupteten Altlasten und die übrigen von der Revision vorge-
tragenen Beeinträchtigungen verändern nicht die Identität des zurückgegebenen
Vermögens, sondern nur dessen Wert und sind mithin insoweit gemäß § 349 Abs. 3
Satz 2 Halbsatz 2 LAG nicht berücksichtigungsfähig.
Das gefundene Ergebnis begegnet im Übrigen auch deswegen keinen Bedenken, da
den Rückzahlungspflichtigen das Regulativ aus § 349 Abs. 4 Satz 4 LAG zur Verfü-
gung steht, wonach die Rückforderung auf einen nachweislich geringeren Verkehrs-
wert des zurückgegebenen Vermögenswertes zu begrenzen wäre. Von dieser Mög-
lichkeit haben die Kläger aber offensichtlich ebenso wenig Gebrauch gemacht wie
von der Möglichkeit, auf eine Rückübertragung der Vermögenswerte gänzlich zu ver-
zichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Kley
van Schewick
Dr. Dette
Liebler
Prof. Dr. Rennert
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B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 8 513,89 €
festgesetzt.
Kley
van Schewick
Dr. Dette
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Lastenausgleichsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
LAG
§ 349 Abs. 1 Satz 1, § 349 Abs. 2 Satz 2, § 349 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2,
§ 342 Abs. 3
BewG § 22
Stichworte:
Rückforderung von Lastenausgleichsleistungen; Schadensausgleich; Wertminderun-
gen; Fehlen geringfügiger Flächenanteile; Erheblichkeitsschwelle.
Leitsätze:
Die Wiedererlangung der vollen Verfügungsmöglichkeit über einen lastenausgleichs-
rechtlich als weggenommen behandelten Grundbesitz stellt auch dann eine Rückga-
be im Sinne der Schadensausgleichsfiktion des § 349 Abs. 3 Satz 2 LAG dar, wenn
geringfügige Teilflächen fehlen. Geringfügig sind Bestandsveränderungen, die den
Einheitswert unberührt lassen. Maßgeblich ist insoweit § 22 BewG in der Fassung
vom 16. Oktober 1934 (RGBl I S. 1035) unter Berücksichtigung der Änderungen
durch das Einführungsgesetz zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936
(RGBl I S. 961; wie Urteile vom 12. Dezember 1974 - BVerwG 3 C 72.72 - BVerwGE
47, 265; vom 31. Mai 1979 - BVerwG 3 C 39.78 - Buchholz 427.6 § 15 BFG Nr. 14
und vom 11. Dezember 1980 - BVerwG 3 C 8.80 - Buchholz 427.6 § 15 BFG Nr. 17).
Urteil des 3. Senats vom 17. November 2005 - BVerwG 3 C 1.05
I. VG Karlsruhe vom 09.12.2004 - Az.: VG 6 K 4390/02 -