Urteil des BVerwG vom 20.06.2002

Halbschwester, Rückforderung, Grundstück, DDR

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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 3 C 1.02
Verkündet
VG 7 A 193/00
am 20. Juni 2002
Dallügge
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
- 2 -
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Juni 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungs-
gericht Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter
am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k ,
Dr. B o r g s - M a c i e j e w s k i , K i m m e l
und Dr. B r u n n
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Vertreters der Interes-
sen des Ausgleichsfonds bei dem Bundesverwal-
tungsgericht wird das Urteil des Schleswig-
Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom
25. September 2001 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechts-
streits.
G r ü n d e :
I.
Die Beteiligten streiten um behördliche Rückzahlungsforderun-
gen wegen gewährter Hauptentschädigung nach dem Lastenaus-
gleichsgesetz.
- 3 -
Die Kläger und ein am Rechtsstreit nicht beteiligter Bruder
sind Nacherben des 1971 verstorbenen Herrn Emil St. Der Nach-
erbfall ist mit Tode der Mutter der Geschwister und Vorerbin
Gertrud W. am 20. Mai 1980 eingetreten. Zu dem Nachlass gehör-
te ein Mietwohngrundstück in der Zionskirchstraße in Berlin-
Mitte, als dessen Eigentümer die drei o.g. als Erbengemein-
schaft im Grundbuch eingetragen sind. Über dieses Grundstück
erhielten sie die Verfügungsmöglichkeit 1991 zurück, nachdem
die in der DDR angeordnete staatliche Verwaltung aufgehoben
worden war.
Die Kläger sind - gemeinsam mit dem vorerwähnten Bruder und
einer Halbschwester - zugleich Erben ihres Vaters, des im Jah-
re 1991 verstorbenen Herrn Herbert W. Mit Bescheid vom
3. April 1984 hatte die Beklagte diesem eine von ihm beantrag-
te Hauptentschädigung wegen der als Wegnahme gewerteten Verfü-
gungseinschränkungen über das Mietwohngrundstück in Höhe von
20 600 DM zuzüglich eines Zinszuschlages von 3 708 DM gewährt.
Dabei war sie aufgrund eines unrichtigen und später eingezoge-
nen Erbscheins davon ausgegangen, der Vater der Kläger sei
nach dem Tode der Mutter der Kläger Erbe des Grundstücks ge-
worden.
Die Beklagte errechnete - der Höhe nach unbeanstandet - nach
dem Schadensausgleich durch die Wiederverfügungsmöglichkeit
über das Grundstück eine Rückforderungssumme in Höhe von ins-
gesamt 23 948 DM. Nachdem sie zunächst alle vier Erben des
Herbert W. als Rückforderungsschuldner ansah, änderte sie ihre
Auffassung auf den Hinweis der Halbschwester, sie sei nicht
Miterbin hinsichtlich des Grundstücks geworden, und nahm le-
diglich die Kläger und ihren am Verfahren nicht beteiligten
Bruder jeweils zu einem Drittel in Anspruch (Bescheid des Aus-
gleichsamts der Beklagten vom 29. Juni 1999).
- 4 -
Nach erfolglosem Beschwerdeverfahren (Bescheid des Beschwerde-
ausschusses des Landes Schleswig-Holstein vom 8. Mai 2000) ha-
ben die Kläger Klage mit dem Ziel der Aufhebung der angefoch-
tenen Bescheide erhoben. Sie haben ausgeführt, sie könnten
nicht nach § 349 LAG in Anspruch genommen werden, wenn die Be-
hörde an einen Nichtberechtigten ihm nicht zustehende Lasten-
ausgleichleistungen erbracht habe, von denen im Übrigen auch
ihre Halbschwester profitiert habe.
Die Beklagte hat erwidert, das der Rückforderung zugrunde lie-
gende Vermögen habe der Nacherbfolge unterlegen. Eine Änderung
der Schadensfeststellung zu Gunsten des Vaters der Kläger, die
sich nachträglich als unrichtig herausgestellt habe, sei nicht
möglich. Ihm könne weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit nachge-
wiesen werden.
Mit Urteil vom 25. September 2001 hat das Schleswig-
Holsteinische Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und
die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung hat es
im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Rück-
forderung lägen deshalb nicht vor, weil die in § 349 Abs. 5
LAG genannten Erben, weiteren Erben oder Nacherben immer nur
dann rückzahlungspflichtig seien, wenn sie als Erben bzw. als
Nacherben des Empfängers von Ausgleichsleistungen den Scha-
densausgleich erlangt hätten. Für den mit der Vorschrift des
§ 349 LAG bezweckten Ausschluss von Doppelbegünstigungen rei-
che es aus, dass diejenigen zur Rückzahlung herangezogen wür-
den, die die Schadensausgleichsleistungen gerade als Erbe oder
Nacherbe des Empfängers von Hauptentschädigungen erhalten hät-
ten. Das sei hier nicht der Fall. Dass die Kläger auch
Herbert W. als dessen Kinder beerbt hätten, sei nicht ent-
scheidungserheblich, weil sie von der Verwaltungsbehörde nicht
als solche in Anspruch genommen worden seien. Das ergebe sich
schon daraus, dass die Behörde nicht alle Erben des Herrn W.
herangezogen habe.
- 5 -
Gegen dieses Urteil hat der Vertreter der Interessen des Aus-
gleichsfonds des Landes Schleswig-Holstein die vom Vertreter
des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht übernommene
Revision mit dem Ziel der Klageabweisung eingelegt.
Er rügt die unrichtige Auslegung des § 349 Abs. 5 LAG durch
das Verwaltungsgericht. Die Inanspruchnahme setze nicht die
Nacherbschaft nach dem Empfänger der Hauptentschädigung vo-
raus. Darüber hinaus seien die Kläger aber auch aufgrund ihrer
Erbeneigenschaft nach ihrem Vater Herbert W. rückzahlungs-
pflichtig.
Die Kläger verteidigen das angefochtene Urteil und vertiefen
ihre in der ersten Instanz vorgetragene Rechtsauffassung.
II.
Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt
Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO) und erweist sich auch nicht
aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4
VwGO).
1. Die zur Aufhebung der Rückforderungsbescheide führende Auf-
fassung des Verwaltungsgerichts, die Kläger könnten nicht in
Anspruch genommen werden, weil sie nicht zu den gesetzlich
festgelegten Rückforderungsschuldnern gehörten, beruht auf ei-
ner unrichtigen Auslegung des § 349 Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz
LAG.
Nach dessen Wortlaut richtet sich die Rückforderung von Las-
tenausgleichsleistungen gegen "Empfänger von Ausgleichsleis-
tungen, deren Erben oder weitere Erben sowie bei einem der
Nacherbfolge unterliegenden Vermögen gegen Nacherben, soweit
- 6 -
diese oder ihre Rechtsnachfolger die Schadensausgleichsleis-
tung erlangt haben". Dabei kann wegen der - durch Art. 2
Nr. 13 Buchst. b VermBerG vom 28. Oktober 1998 (BGBl I
S. 3180) erfolgten - Ergänzung um das Merkmal des Nacherben
nicht zweifelhaft sein, dass die bereits in die ursprüngliche
Gesetzesfassung aufgenommene Schadensausgleichsleistungen be-
treffende Einschränkung ("..., soweit diese ...") sämtliche
voranstehenden Regelungsadressaten erfasst, also Empfänger,
Erben und Nacherben.
Das Verwaltungsgericht verkennt, dass die Kläger diese Voraus-
setzungen erfüllen, weil sie Erben des Empfängers der Aus-
gleichsleistung - ihres Vaters Herbert W. - sind und als Scha-
densausgleichsleistung die Wiederverfügbarkeit über das Miet-
wohngrundstück in Berlin erlangt haben.
a) Der Umstand, dass sie die Verfügungsmacht über das streit-
gegenständliche Grundstück als Nacherben nach Emil St. und
nicht als Erben nach Herbert W. erhalten haben, spielt dabei
keine entscheidende Rolle. Die vom Verwaltungsgericht vertre-
tene Auffassung, der im Gesetz genannte Erbe oder Nacherbe
müsse bereits die Ausgleichsleistung jeweils in der Funktion
erhalten haben, in der er die Schadensausgleichsleistung
(hier: das Eigentum des Grundstücks) erlangt habe, findet im
Gesetzeswortlaut keine Grundlage. Eine derartige einschränken-
de Auslegung könnte zulässigerweise nur in Betracht gezogen
werden, wenn Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sie ein-
deutig geböten oder andere Auslegungskriterien sie erforder-
ten. Das ist jedoch nicht der Fall.
Sinn und Zweck der Rückforderungsregelung für Lastenaus-
gleichsleistungen nach § 349 LAG ist es, Doppelentschädigungen
zu Lasten der öffentlichen Hand zu vermeiden (vgl. BTDrucks
12/2170 S. 11). Dem wird hier gerade nach dem Wortlaut Genüge
getan. Die Kläger sind - erstens - Erben des Lastenausgleichs-
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empfängers und ihnen ist - zweitens - das durch Verfügungsbe-
schränkungen der DDR als weggenommen angesehene Grundstück zu-
rückgegeben worden. Auch wenn diese Voraussetzungen nur auf-
grund eines zufälligen Zusammentreffens von Nacherbeneigen-
schaft hinsichtlich dieses Grundstücks und Erbeneigenschaft
nach dem Lastenausgleichsempfänger erfüllt sind, ändert das
nichts daran, dass sich die Kläger in der vom Gesetz nicht ge-
wollten Rolle der Doppelbegünstigten befinden.
b) Soweit das Verwaltungsgericht darauf abstellt, die Rückfor-
derung richte sich gegen die Kläger in ihrer Eigenschaft als
Nacherben und gerade nicht gegen sie als Erben nach Her-
bert W., weil ihre Halbschwester und Miterbin nach Herbert W.
nicht ebenfalls in Anspruch genommen und bei der Aufteilung
des Gesamtrückforderungsanspruchs berücksichtigt worden ist,
rechtfertigt dies die Aufhebung der angefochtenen Bescheide
nicht. Die Halbschwester ist nicht in den Genuss der Schadens-
ausgleichsleistung gekommen, weil sie keinen Anteil an der
Nacherbschaft nach Emil St. hat. Sie erfüllt daher nicht die
neben der erbrechtlichen Verbindung zum Lastenausgleichsemp-
fänger erforderliche weitere Voraussetzung des § 349 Abs. 5
Satz 1 LAG und ist damit im öffentlichen Rückforderungsver-
hältnis zu Recht nicht in Anspruch genommen worden.
Die Beklagte muss sich auch nicht an der - freilich zu Miss-
verständnissen Anlass gebenden - sinngemäßen Aussage der ange-
fochtenen Bescheide festhalten lassen, die Kläger erfüllten
die Voraussetzungen des in § 349 Abs. 1 Satz 1 LAG enthaltenen
gesetzlichen Tatbestandsmerkmals "Nacherben" und würden (nur)
als solche auch in Anspruch genommen. Vielmehr ist insoweit
ausreichend und entscheidend, dass die angefochtenen Bescheide
in unmissverständlicher Weise Herrn Herbert W. als
- wenngleich damals nicht berechtigten - Empfänger der Aus-
gleichsleistung benennen und hieran eine erbrechtliche Nach-
folgestellung der Kläger anknüpfen, sodass sich die Bezeich-
- 8 -
nung der Kläger als Nacherben insoweit als rechtlich unbeacht-
liche Falschbezeichnung ("falsa demonstratio") erweist. In-
haltlich stellen sich daher die angefochtenen Bescheide als
- wie dargelegt, rechtmäßige - Heranziehungen von gesamt-
schuldnerisch für Nachlassverbindlichkeiten haftenden (§ 2058
i.V.m. § 421 BGB) Erben eines Empfängers einer Ausgleichsleis-
tung dar.
2. Die vom Verwaltungsgericht auf seine unrichtige Auffassung
zu § 349 Abs. 5 Satz 1 LAG gestützte Entscheidung erweist sich
auch nicht deswegen im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4
VwGO), weil der Lastenausgleichsempfänger nach der im Nachhi-
nein erkannten richtigen Rechtslage und Einziehung des ur-
sprünglichen Erbscheins zur Geltendmachung der Leistung nicht
berechtigt war. Der Senat hat mit Urteilen vom 22. Oktober
1998 (BVerwG 3 C 37.97 - BVerwGE 107, 294 und BVerwG 3 C
16.98) sowie vom 18. Mai 2000 (BVerwG 3 C 9.99) als maßgebli-
che Grundlage für den Rückforderungsanspruch wegen Schadens-
ausgleichs nach § 349 LAG den durch den früheren bestandskräf-
tigen Feststellungsbescheid im Lastenausgleichsverfahren fest-
gestellten Schaden angesehen. Er hat dazu ausgeführt, dass es
nach Sinn und Zweck der Regelung dieses Rückforderungsanspru-
ches keine Rolle spielt, ob die ursprüngliche Schadensfest-
stellung rechtmäßig oder rechtswidrig war. Jedenfalls ist die-
ser Schaden durch die Rückerlangung des Grundstücks nach der
staatlichen Wiedervereinigung ausgeglichen. Dieser entschei-
dende Gesichtspunkt - an dem der Senat festhält - gilt auch
dann, wenn nicht wie in den bisher entschiedenen Fällen die
Rechtswidrigkeit der Lastenausgleichsgewährung mit falschen
Schadensfeststellungen im Bewilligungsverfahren begründet
wird, sondern mit fehlender Berechtigung des Empfängers, der
sich durch einen Erbschein ausgewiesen hatte.
- 9 -
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Borgs-Maciejewski
Kimmel
Dr. Brunn
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes für das Revisionsverfahren
wird auf 15 965,34 DM (= 8 162,95 €) festgesetzt.
Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Borgs-Maciejewski
Kimmel
Dr. Brunn
Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Lastenausgleichsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
LAG § 349 Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz
Stichworte:
Erbe des Ausgleichsleistungsempfängers; Rückzahlungsverpflich-
tete; Bestandskraft des Leistungsbescheides an Nichtberechtig-
ten; Ausgleichsleistung aufgrund unrichtigen Erbscheins.
Leitsatz:
Erben des Empfängers einer Ausgleichsleistung nach dem Lasten-
ausgleichsgesetz sind - unter der Voraussetzung des Vorliegens
des Empfangs einer Schadensausgleichsleistung - auch dann nach
§ 349 Abs. 5 Satz 1 1. Halbsatz LAG Rückzahlungsverpflichte-
te, wenn der Erblasser nur in Folge eines unrichtigen Erb-
scheins bestandskräftig die Ausgleichsleistung für ein Miet-
wohngrundstück in der DDR erlangt hatte, und sie nach der wah-
ren Rechtslage als Nacherben eines Dritten Eigentümer des
betreffenden Grundstücks geworden sind (im Anschluss an das
Senatsurteil vom 18. Mai 2000 - BVerwG 3 C 9.99 -).
Urteil des 3. Senats vom 20. Juni 2002 - BVerwG 3 C 1.02
I. VG Schleswig-Holstein vom 25.09.2001 - Az.: VG 7 A 193/00 -