Urteil des BVerwG vom 04.09.2003

Weiterbildung, Zahnarzt, Offenkundig, Öffentlich

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 BN 3.03
VGH 9 S 2738/01
In der Normenkontrollsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. September 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D r i e h a u s
sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k und
Dr. B o r g s - M a c i e j e w s k i
beschlossen:
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Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Re-
vision im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg
vom 17. Dezember 2002 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu je
einem Drittel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren
auf 12 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132
Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO greifen nicht durch.
1. Keiner Erörterung bedarf die Rüge, das angefochtene Urteil weiche hinsichtlich der Anfor-
derungen an die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Der Verwaltungs-
gerichtshof hat zwar sein Urteil in erster Linie darauf gestützt, der zur Beurteilung stehenden
Normenkontrollanträge seien wegen fehlender Rechtsbetroffenheit der Antragsteller unzu-
lässig. Er hat aber zusätzlich entscheidungstragend darauf abgestellt, die Anträge seien
auch unbegründet, weil die angegriffenen Satzungsbestimmungen rechtmäßig seien. Entge-
gen der Annahme der Beschwerde sind diese Ausführungen kein bloßes "obiter dictum".
Zwar ist der einleitende Satz dieses Abschnitts im Konjunktiv formuliert. Dies bringt jedoch
lediglich zum Ausdruck, dass die Abweisung des Antrages als unzulässig den prozessualen
Vorrang vor der Prüfung der Begründetheit hat. Schon der im Indikativ gefasste Folgesatz,
dass die Satzungsbestimmungen rechtmäßig "sind", zeigt, dass das Normenkontrollgericht
auch hierzu eine eindeutige und entscheidungstragende Aussage machen wollte. Erst recht
belegt dies die Begründung für die Nichtzulassung der Revision, in der ausdrücklich von der
Abweisung der Anträge als unbegründet die Rede ist.
Ist eine Entscheidung wie in diesem Fall auf mehrere voneinander unabhängige rechtliche
Erwägungen gestützt, so setzt der Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde voraus, dass im
Hinblick auf jeden dieser Gründe ein Zulassungsgrund vorliegt. Daran fehlt es hier.
Die Abweichungsrüge ist nur gegenüber der Aussage des Berufungsgerichts erhoben wor-
den, der Normenkontrollantrag sei unzulässig, weil den Antragstellern die Antragsbefugnis
fehle. Demgegenüber ist im Hinblick auf die Aussage des Berufungsgerichts, der Antrag sei
auch unbegründet, nur die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132
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Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemacht worden, wobei sich dieser Teil der Beschwerdebegrün-
dung auch gegen den ersten Begründungsstrang des angefochtenen Urteils richtet. Wie
nachfolgend darzulegen ist, kommt der Rechtssache jedoch keine grundsätzliche Bedeutung
zu. Daher kommt es hier nicht darauf an, ob der Verwaltungsgerichtshof in der Frage der
Antragsbefugnis tatsächlich von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abge-
wichen ist.
2. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigelegte grundsätzliche Bedeu-
tung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die von den Antragstellern aufgeworfenen
Fragen bedürfen nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, weil die darauf zu gebenden
Antworten auf der Hand liegen und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits zu
finden sind bzw. weil sie sich in der Revisionsinstanz nicht stellen würden.
2.1. Es ist offenkundig, dass durch die den approbierten Zahnärzten unter bestimmten Vor-
aussetzungen eingeräumte Möglichkeit, den Zusatz "Tätigkeitsschwerpunkt Oralchirurgie" zu
führen, nicht in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte, durch Weiterbildung erworbene
Rechtsstellung von Zahnärzten mit der Gebietsbezeichnung "Oralchirurg" eingegriffen wird.
Der weitergebildete Zahnarzt wird durch die den nicht weitergebildeten Zahnärzten einge-
räumte Möglichkeit, auf den entsprechenden Tätigkeitsschwerpunkt hinzuweisen, rechtlich in
keiner Weise gehindert, seine bisherige Berufsausübung unverändert fortzusetzen. Gegen
eine mögliche neue Konkurrenz, die den Antragstellern tatsächlich durch die neu eingeführte
Zusatzbezeichnung erwachsen könnte, vermag Art. 12 Abs. 1 GG keinen Schutz zu gewäh-
ren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember 1980 - 1 BvR 409/80 - BVerfGE 55, 261, 269).
Dabei ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass ohnehin jeder approbierte Zahnarzt berechtigt
ist, oralchirurgische Leistungen anzubieten. Es geht also nur darum, ob Zahnärzte, die ohne
entsprechende Weiterbildung auf dem Gebiet der Oralchirurgie nachhaltig einen
Tätigkeitsschwerpunkt entwickelt haben, wahrheitsgemäß öffentlich auf diese Tatsache hin-
weisen dürfen. Dies kann angesichts der neueren Entwicklung der Rechtsprechung zum
Werbeverbot für Ärzte nicht ernstlich zweifelhaft sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli
2001 - 1 BvR 873/00 - NJW 2001, 2788, 2790; BVerwG, Urteil vom 5. April 2001 - BVerwG
3 C 25.00 -).
2.2. Die Verletzung des Art. 14 Abs. 1 GG kommt gleichfalls offenkundig nicht in Betracht.
Dabei braucht nicht entschieden zu werden, ob und inwieweit durch Weiterbildung erworbe-
ne Zusatzbezeichnungen in den Schutzbereich dieses Grundrechts fallen können. Selbst
wenn dies der Fall wäre, läge hier kein unzulässiger Eingriff in das von den Antragstellern er-
worbene Recht vor; dieses Recht wird weder entzogen noch wird sonst der Gebrauch der
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Zusatzbezeichnung in irgendeiner Weise eingeschränkt. Gegen eine mögliche Konkurrenz
vermag auch Art. 14 Abs. 1 GG nicht zu schützen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember
1980, a.a.O. S. 273).
2.3. Die verfassungsrechtlich in Fällen dieser Art in Betracht kommende, von der Beschwer-
de allerdings nicht ausdrücklich gestellte Frage geht dahin, ob durch die Möglichkeit des
Hinweises auf den Tätigkeitsschwerpunkt Oralchirurgie der Gleichbehandlungsgrundsatz im
Hinblick auf die Bezeichnung derjenigen Zahnärzte verletzt wird, die eine vierjährige intensi-
ve Weiterbildung auf dem Gebiet der Oralchirurgie absolviert haben (vgl. zu dieser Frage-
stellung BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember 1980, a.a.O. S. 269 ff.). Auch diese Frage
rechtfertigt aber nicht die Zulassung der Revision, weil hier eine Verletzung des Gleichheits-
satzes offenkundig ausscheidet. Mit der Einführung der neuen Zusatzbezeichnung wird Un-
gleiches nicht gleich behandelt. Dabei kann offen bleiben, ob allein schon der Begriff "Tätig-
keitsschwerpunkt" hinreichend deutlich macht, dass es sich nicht um eine durch Weiterbil-
dung erworbene Qualifikation handelt, und ob dadurch der Unterschied gegenüber der vom
Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Zusatzbezeichnung für weitergebildete Zahnärzte
"Zahnarzt-Oralchirurg" oder "Zahnarzt für Oralchirurgie" mit den entsprechenden weiblichen
Formulierungen hinreichend deutlich wird. Inzwischen ist die im angefochtenen Urteil bereits
referierte Änderung der Weiterbildungsordnung für Zahnärztinnen und Zahnärzte der
Antragsgegnerin vom 24. Januar 2003 in Kraft getreten, die die Gebietsbezeichnung auf dem
Gebiet der Oralchirurgie nunmehr mit "Fachzahnärztin für Oralchirurgie" bzw. "Fachzahnarzt
für Oralchirurgie" festlegt. Selbst wenn entgegen der Auffassung des Normenkontrollgerichts
bei der vorherigen Fassung der Gebietsbezeichnung eine Verwechslungsgefahr bestanden
hätte, wäre diese damit jedenfalls ausgeräumt. Der Hinweis auf den Tätigkeitsschwerpunkt
einerseits und die Gebietsbezeichnung andererseits macht die diesen Bezeichnungen
zugrunde liegende Abstufung hinreichend deutlich.
2.4. Soweit die Beschwerde schließlich die Frage aufwirft, ob die Möglichkeit der Angabe des
Tätigkeitsschwerpunktes Oralchirurgie eine öffentlich-rechtliche Pflicht der Antragsgegnerin
verletzt, bei der berufsrechtlichen Regelung des Wettbewerbshandelns ihrer Mitglieder auch
das private Wettbewerbsrecht zu beachten, besteht gleichfalls kein Klärungsbedarf. Diese
Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Ausweislich der Beschwerdebe-
gründung zielt die Frage nämlich allein darauf, ob die Weiterbildungsordnung
Zusatzbezeichnungen zulassen darf, die das Irreführungsverbot verletzen. Von einer solchen
Verletzung kann jedoch, wie vorstehend ausgeführt, keine Rede sein. Der Unterschied
zwischen der Angabe "Tätigkeitsschwerpunkt" und der Bezeichnung "Fachzahnarzt" ist der-
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art offenkundig, dass eine Verwechslungs- und damit Irreführungsgefahr nicht besteht (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2001, a.a.O. S. 279).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf
§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 GKG.
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Borgs-Maciejewski