Urteil des BVerwG vom 08.08.2011

Schkg, Rechtliches Gehör, Beratungsstelle, Tatsachenfeststellung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 96.10
OVG 8 LC 40/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. August 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 24. September 2010 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 8 564,39 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger ist Träger verschiedener Schwangerenberatungsstellen, in denen
Beratungen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) durchgeführt
werden. Hierfür gewährte ihm der Beklagte für das Jahr 2007 Fördermittel in
Höhe von 311 021,55 €. Der Berechnung der Fördersumme lag ein anhand von
standardisierten Personalkostensätzen ermittelter Personalkostenbetrag je vol-
ler Stelle von 69 497,50 € für vor dem 1. Juli 2003 eingestelltes Personal und
von 65 313,75 € für danach eingestelltes Personal zugrunde. Der Landeszu-
schuss belief sich auf jeweils 80 % des Personalkostenbetrages. Für das Jahr
2008 beantragte der Kläger eine entsprechende Fördersumme. Mit Bescheid
vom 22. Januar 2008 bewilligte der Beklagte eine Förderung für Personal- und
Sachausgaben in Höhe von 302 457,16 €. Zur Begründung verwies er auf den
für das Förderjahr 2008 maßgeblichen Personalkostenbetrag in Höhe von ein-
heitlich 67 272 €. Das Verwaltungsgericht hat der Klage auf Gewährung weite-
rer 8 564,39 € (nebst Zinsen) stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat
das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe weder
nach den Bestimmungen des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum
Schwangerschaftskonfliktgesetz (Nds. AG SchKG) vom 9. Dezember 2005
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(GVBl S. 401) noch nach § 4 Abs. 2 SchKG ein Anspruch auf eine höhere als
die bewilligte Förderung zu.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Beru-
fungsgerichts bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist weder die geltend ge-
machte grundsätzliche Bedeutung auf, noch liegen die gerügten Verfahrens-
mängel vor.
1. Die vom Kläger aufgeworfene Frage,
„ob den bundesrechtlichen Vorgaben des § 4 Abs. 2
SchKG auf eine angemessene öffentliche Förderung der
Personal- und Sachkosten einer Schwangerenbera-
tungsstelle durch die nach der landesrechtlichen Bestim-
mung des § 7 Abs. 1 Nds. AG SchKG gewährte, anhand
von standardisierten Personalkostensätzen ermittelte pau-
schale Förderung der Personal- und Sachkosten genüge
getan ist oder ob sich die Förderung an den dort für eine
jeweilige Beratungskraft konkret anfallenden Personal-
und Sachkosten orientieren muss“,
verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Klärung dieser Frage bedarf nicht der Durchführung
eines Revisionsverfahrens, weil sie sich auf der Grundlage der bisherigen
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne Weiteres beantworten
lässt. Eine angemessene Förderung für eine allgemeine Beratungsstelle (§ 3
SchKG) oder eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle (§ 8
SchKG) im Sinne von § 4 Abs. 2 SchKG muss mindestens 80 % der notwendi-
gen Personal- und Sachkosten der Beratungsstelle decken (Urteile vom 3. Juli
2003 - BVerwG 3 C 26.02 - BVerwGE 118, 289 <295 ff.> = Buchholz 436.41
SchKG Nr. 1 S. 5 ff. und vom 15. Juli 2004 - BVerwG 3 C 48.03 - BVerwGE
121, 270 <281 f.> = Buchholz 436.41 SchKG Nr. 2 S. 16). Die Notwendigkeit
bestimmt sich danach, welche Personal- und Sachmittel die Beratungsstelle
tatsächlich benötigt, um ein ausreichendes Beratungsangebot sicherzustellen.
Dazu gehört insbesondere ein nach Zahl und Qualifikation hinreichender Per-
sonalbestand, um die Beratungstätigkeit nach §§ 2, 5 f. SchKG gewährleisten
zu können (vgl. Urteil vom 3. Juli 2003 a.a.O. S. 296 und S. 6 f.). Wie diese
bundesrechtlichen Vorgaben im Einzelnen umgesetzt werden, unterfällt der Re-
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gelungskompetenz des Landesgesetzgebers, der nach § 4 Abs. 3 SchKG das
Nähere zur öffentlichen Förderung der Beratungsstellen bestimmt. Danach liegt
auf der Hand, dass es dem Landesgesetzgeber aus Sicht des Bundesrechts
nicht verwehrt ist, die öffentliche Förderung der Personal- und Sachkosten an-
hand von standardisierten Personalkostensätzen zu ermitteln. § 4 Abs. 2
SchKG verletzt eine solche Regelung nur dann, wenn damit der Fördersatz von
80 % der notwendigen Personal- und Sachkosten der geförderten Beratungs-
stelle nicht erreicht wird. Ob dies der Fall ist, ist eine Tatsachenfrage, die an-
hand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist. Dementspre-
chend hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, die nach den landes-
rechtlichen Vorschriften für das Förderjahr 2008 gewährte pauschale Förderung
sei ausreichend, um 80 % der notwendigen tatsächlichen Personal- und Sach-
kosten des Klägers zu decken. Die Pauschale bemesse sich nach dem Perso-
nalkostenbetrag der Entgeltgruppe 9 des Tarifvertrags für den öffentlichen
Dienst der Länder - TV-L - (67 272 €) und umfasse die durchschnittlichen Ist-
Personalausgaben (einschließlich Besitzstandszulagen für vor dem 1. Juli 2003
eingestelltes Personal), personalbezogene Sachausgaben, Personalgemein-
kosten sowie eine Sachkostenpauschale. Mit der Orientierung an der Entgelt-
gruppe 9 TV-L werde die Vergütung von Sozialpädagogen und Sozialarbeitern,
die für die Beratung nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz hinreichend
qualifiziert seien, angemessen berücksichtigt. Eine höhere Vergütung sei zur
Sicherstellung des Beratungsangebots nicht notwendig (vgl. Urteilsabdruck
S. 24 f.). Vor dem Hintergrund dieser Tatsachenfeststellung, gegen die begrün-
dete Verfahrensrügen nicht erhoben worden sind (vgl. unter 2.) und die den Se-
nat daher binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), lässt das Beschwerdevorbringen nicht
erkennen, dass der Fall des Klägers Anlass zu einer weitergehenden grund-
sätzlichen Klärung geben könnte.
2. Die gerügten Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO lie-
gen nicht vor.
a) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht gegen den Überzeugungsgrundsatz
nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen, indem es angenommen hat, der
Kläger habe trotz ausdrücklichen Hinweises in der angefochtenen verwaltungs-
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gerichtlichen Entscheidung und der Aufforderung des Beklagten seine notwen-
digen tatsächlichen Personal- und Sachkosten nicht beziffert. Zu Unrecht sieht
der Kläger darin eine aktenwidrige Tatsachenfeststellung. Wie sich aus dem
Kontext der Urteilsgründe klar ergibt, hat das Berufungsgericht mit den bean-
standeten Ausführungen darauf abgestellt, dass der Kläger die durch die Durch-
führung der Schwangerenberatung veranlassten tatsächlichen Personal- und
Sachkosten nicht konkretisiert habe. Damit hat es den Inhalt der Akten zutref-
fend erfasst. Der Kläger räumt mit seinem Beschwerdevorbringen selbst ein,
dass er die Personal- und Sachkosten seiner Beratungsstellen nicht näher dar-
gelegt hat (vgl. S. 9/10 des Schriftsatzes vom 21. Dezember 2010).
Ein offensichtlicher Widerspruch zum Akteninhalt, wie ihn der Verfahrensman-
gel der aktenwidrigen Tatsachenfeststellung voraussetzt (vgl. Beschluss vom
29. März 2011 - BVerwG 3 B 56.10 - juris Rn. 5 m.w.N.), lässt sich auch nicht
aus der Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung ableiten. Der inso-
weit erhobene Einwand des Klägers, dem Berufungsgericht sei offensichtlich
eine Verwechslung mit dem Sachverhalt eines Parallelverfahrens unterlaufen,
greift nicht durch. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Oberverwaltungs-
gericht mit seiner Deutung der in Rede stehenden erstinstanzlichen Urteilspas-
sage (S. 9, dritter Absatz des Urteilsabdrucks) und des zugrunde liegenden
Sachverhalts die Grenzen allgemein gültiger Maßstäbe für die tatrichterliche
Würdigung (vgl. Beschluss vom 9. November 2009 - BVerwG 3 B 21.09 - ZOV
2010, 91 m.w.N.) verlassen hat; denn das Verwaltungsgericht hatte mit seinen
Ausführungen unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die tatsächli-
chen Personal- und Sachkosten eine bundesrechtliche Schwelle für die Pau-
schalierung des Zuschusse sind. Dies lässt sich durchaus als „Hinweis“ auf die
rechtliche Relevanz dieser Kosten bezeichnen mit der zwingenden Folge, sie
für den keineswegs auszuschließenden Fall ihrer Entscheidungserheblichkeit
substantiieren zu müssen. Unabhängig davon änderte eine etwaige Sachver-
haltsverwechslung nichts daran, dass sich die tragende Feststellung - keine
konkrete Kostenaufstellung - nicht als aktenwidrig darstellt.
b) Die Rüge des Klägers, das Oberverwaltungsgericht habe ihn nicht auf das
Erfordernis einer konkreten Darlegung seiner tatsächlichen Personal- und
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Sachkosten hingewiesen und damit eine den Anspruch auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzende Überraschungsentschei-
dung getroffen, ist unbegründet. Auch unter Berücksichtigung der gesetzlichen
Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO muss das Gericht die Beteiligten grund-
sätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdi-
gung des Prozessstoffes hinweisen. Nur wenn das Gericht an den Vortrag ei-
nes Beteiligten Anforderungen stellt, mit denen auch ein verständiger Prozess-
beteiligter aufgrund des bisherigen Verlaufs des Verfahrens nicht zu rechnen
brauchte, ist es zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung verpflichtet,
einen entsprechenden Hinweis zu geben (vgl. z. B. Beschlüsse vom 4. Juli
2007 - BVerwG 7 B 18.07 - juris Rn. 5 und vom 7. Januar 2010 - BVerwG
5 B 67.09 - ZOV 2010, 97, jeweils m.w.N.). So liegt der Fall hier nicht. Der Klä-
ger hat sich im erstinstanzlichen Verfahren und im Berufungsverfahren zur Be-
gründung des geltend gemachten Anspruchs auf § 4 Abs. 2 SchKG und die da-
zu ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts berufen (vgl.
Schriftsätze vom 20. Mai 2008, S. 2 ff. und vom 6. April 2009, S. 3). Dabei hat
er auch das Urteil vom 15. Juli 2004 - BVerwG 3 C 48.03 - in Bezug genom-
men, dem sich entnehmen lässt, dass für die Frage der notwendigen Personal-
und Sachkosten einer Beratungsstelle das Vorliegen einer konkreten Kosten-
aufstellung bedeutsam sein kann (a.a.O. S. 282 f.). Das Gleiche gilt für das
erstinstanzliche Urteil, wenn es darauf abstellt, der Förderanspruch beziehe
sich auf die durch die Beratung tatsächlich entstandenen Kosten (Urteilsab-
druck S. 6, letzter Absatz, bis S. 7, erster Absatz; S. 9, dritter Absatz). Schließ-
lich ist der Beklagte im Berufungsverfahren der Behauptung des Klägers entge-
gen getreten, die anhand des Personalkostenansatzes der Vergütungsgruppe
BAT IVb ermittelten und in den vorangehenden Förderjahren zugrunde gelegten
Personal- und Sachkosten zählten unstreitig zu den notwendigen tatsächlichen
Kosten (vgl. Schriftsatz vom 14. April 2009). Nach alledem musste der Kläger
damit rechnen, dass das Berufungsgericht dem Umstand einer fehlenden Kon-
kretisierung der geltend gemachten Personal- und Sachkosten Entscheidungs-
relevanz beimessen könnte. Dementsprechend konnte das Oberverwaltungsge-
richt davon ausgehen, dass dem Kläger die Bedeutung dieses Umstandes vor
Augen stand, und war daher nicht verpflichtet, einen diesbezüglichen Hinweis
zu geben.
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c) Damit kann der Kläger auch mit der in diesem Zusammenhang erhobenen
Aufklärungsrüge nicht durchdringen. Seine Annahme, das Berufungsgericht
wäre gehalten gewesen, ihn zu einer näheren Bezifferung der notwendigen tat-
sächlichen Personal- und Sachkosten aufzufordern, geht aus den dargelegten
Gründen fehl. Das Beschwerdevorbringen im Übrigen lässt ebenfalls nicht er-
kennen, dass sich dem Oberverwaltungsgericht weitere Ermittlungen hätten
aufdrängen müssen. Das Gericht hat seine Einschätzung, die nach § 7 Abs. 1
Nds. AG SchKG gewährte Pauschale decke den Fördersatz von 80 % der not-
wendigen Personal- und Sachkosten ab, ausführlich begründet (Urteilsabdruck
S. 24 ff.). Weshalb es gleichwohl weiteren Aufklärungsbedarf hätte sehen müs-
sen, legt die Beschwerde nicht dar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Kley
Liebler
Dr. Kuhlmann
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