Urteil des BVerwG vom 01.02.2006

Entschädigung, Berechtigung, Rechtsstaatsprinzip, Erwerb

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 90.05
VG 31 A 46.04
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Februar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom
29. April 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 89 900 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
Der Kläger beansprucht nach den Vorschriften des Entschädigungsgesetzes
- EntschG - die Festsetzung einer Entschädigung für ein im Jahre 1983 in Volksei-
gentum überführtes Grundstück. Dessen Rückgabe war ihm verweigert worden, weil
die Rechtsvorgängerin der von ihm vertretenen Erben zwar von einer Schädigungs-
maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 1 Buchst. b des Vermögensgesetzes - VermG -
betroffen gewesen sei, sie aber nach § 3 Abs. 2 VermG wegen eines vorrangigen
Anspruchs nach § 1 Abs. 6 VermG von einer Rückübertragung ausgeschlossen sei.
Das Entschädigungsbegehren blieb im Verwaltungsverfahren erfolglos. Das Lan-
desamt zur Regelung offener Vermögensfragen/Landesausgleichsamt stellte sich auf
den Standpunkt, dass der Kläger die für einen derartigen Antrag bestehende An-
tragsfrist des § 7a Abs. 3c Satz 3 VermG versäumt habe.
Das Verwaltungsgericht hat die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene
Klage ebenfalls abgewiesen. Es hat die Rechtsauffassung der Behörde bestätigt und
die Anwendung des § 7a Abs. 3c Satz 3 VermG im Falle des Klägers für verfas-
sungsrechtlich unbedenklich gehalten.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil
bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist nicht die nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO
geltend gemachte grundsätzlich Bedeutung auf.
1. Der Kläger hält im Anschluss an die verfassungsrechtlichen Ausführungen des
Verwaltungsgerichts sinngemäß für klärungsbedürftig, ob es mit dem Gleichheitssatz
des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, in den Fällen des § 7a Abs. 3c VermG bzw. § 12
Abs. 1 Satz 3 bis 5 EntschG abweichend von den übrigen Entschädigungsfällen ei-
nen gesonderten Entschädigungsantrag mit der damit verbundenen Ausschlussfrist
zu fordern.
Diese Frage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ihre Beantwortung erfordert keine Durchführung eines
Revisionsverfahrens, weil ihre Bejahung auf der Hand liegt.
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Zutreffender Ausgangspunkt der gerügten Ungleichbehandlung ist der Umstand,
dass der vermögensrechtliche Restitutionsantrag grundsätzlich auch für das Ent-
schädigungsverfahren gilt. Über Grund und Höhe des Entschädigungsanspruchs
eines Antragstellers, dessen Berechtigung im Restitutionsverfahren nach § 2 Abs. 1
VermG festgestellt worden ist, der aber keine Rückübertragung des Vermögenswerts
verlangen kann, weil diese gesetzlich ausgeschlossen ist oder er Entschädigung ge-
wählt hat, entscheidet die Behörde nach § 33 Abs. 1 Satz 1 VermG von Amts wegen.
Ein gesonderter Antrag ist nicht erforderlich. Es handelt sich sozusagen um zwei Tei-
le eines einheitlichen Verfahrens, was vor der Schaffung des Entschädigungsgeset-
zes seinen Ausdruck darin fand, dass in diesen Fällen der Entschädigungsanspruch
seinem Grunde nach in § 9 VermG geregelt war.
Anders verhält es sich demgegenüber bei Antragstellern eines vermögensrechtlichen
Verfahrens, die zwar von einer Schädigungsmaßnahme nach § 1 VermG betroffen
sind, die aber nach § 3 Abs. 2 VermG wegen eines vorrangigen Anspruchs nicht als
Berechtigte gelten. Für diesen Personenkreis, der in § 9 VermG nicht berücksichtigt
worden war, wurde in § 1 Abs. 2 EntschG erstmalig ein Entschädigungsanspruch im
Falle ihrer Redlichkeit begründet. Gleichzeitig wurde in § 12 Abs. 1 EntschG ein ei-
genständiges Antragsverfahren geregelt. Der Antrag kann nur bis zum Ablauf des
sechsten Monats nach Eintritt der Bestandskraft oder Rechtskraft der Entscheidung
nach dem Vermögensgesetz gestellt werden (Ausschlussfrist), wobei die Frist frü-
hestens mit Ablauf des sechsten Monats nach In-Kraft-Treten des Entschädigungs-
gesetzes endet.
Diese eigenständige Antragspflicht übertrug der Gesetzgeber unter Regelung einer
entsprechenden Ausschlussfrist später in § 7a Abs. 3c VermG auf die hier in Rede
stehenden Fälle, in denen der Berechtigungsausschluss nach § 3 Abs. 2 VermG auf
einen vorrangigen Anspruch nach § 1 Abs. 6 VermG zurückzuführen ist (Art. 1 Nr. 7
Buchst. c des Vermögensrechtsanpassungsgesetzes vom 4. Juli 1995 - BGBl I
S. 895 sowie Art. 1 Nr. 4 Buchst. g des Vermögensrechtsbereinigungsgesetzes vom
20. Oktober 1998 - BGBl I S. 3180).
Dieses eigenständige Antragserfordernis für das Begehren auf Entschädigung nach-
rangig Geschädigter im Sinne des § 3 Abs. 2 VermG lässt keinen Verstoß gegen den
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Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG erkennen. Die Situation dieses Personenkrei-
ses, dem das Vermögensgesetz die Berechtigung abgesprochen hat, unterscheidet
sich von der der vermögensrechtlich Berechtigten bereits dadurch, dass deren Be-
rechtigtenfeststellung von vornherein die Entschädigungsberechtigung erfasste, die
demzufolge nur noch im Entschädigungsverfahren aufgrund des seinerzeit noch zu
verabschiedenden Entschädigungsgesetzes "abzuarbeiten" war. Demgegenüber
konnte ein vermögensrechtlicher Antrag eines nachrangig Geschädigten nicht ohne
weiteres auf Entschädigung zielen, weil ein solcher Entschädigungsanspruch damals
noch gar nicht vorgesehen war, sondern erst im Nachhinein durch das Entschädi-
gungsgesetz geschaffen worden ist. Das hätte den Gesetzgeber zwar nicht gehin-
dert, auch in diesen Fällen das vermögensrechtliche Begehren selbst bei einem be-
reits bestandskräftig abgeschlossenen Restitutionsverfahren nachträglich zum An-
knüpfungspunkt für ein Entschädigungsverfahren zu machen. Gezwungen dazu war
er aus Gründen der Gleichbehandlung jedoch nicht, weil schon die zugrunde liegen-
den Sachverhalte unterschiedlich sind.
Selbst wenn man aber allein den systematischen Gesichtspunkt, dass es sich bei
dem Entschädigungsanspruch der nach § 3 Abs. 2 VermG von der Rückübertragung
Ausgeschlossenen anders als bei dem Entschädigungsanspruch der vermögens-
rechtlich Berechtigten um ein neu geschaffenes Recht handelt, aus verfassungs-
rechtlicher Sicht nicht für ausreichend hielte, Verfahrensabweichungen bei der
Durchsetzung der Ansprüche zu rechtfertigen, gibt es daneben auch Unterschiede in
den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen und damit materielle Gesichtspunkte, die
es jedenfalls erlauben, in den Fällen des § 3 Abs. 2 VermG von einem einheitlichen
Antragsverfahren abzusehen. Insoweit weist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf
hin, dass die den Kläger betreffende Sonderregelung des § 7a Abs. 3c Satz 2 i.V.m.
Abs. 3b Satz 2 VermG eine Würdigkeitsprüfung verlangt, so dass dem Zweitgeschä-
digten durch das gesonderte Antragserfordernis eine Überlegungsfrist eingeräumt
wird, ob er sein eigenes Verhalten oder das seines Rechtsvorgängers einer solchen
Überprüfung unterwerfen will. Ähnliches gilt für die hier nicht unmittelbar einschlägige
Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 3 bis 5 (früher Satz 2 bis 4) EntschG, die Vorbild für
die in § 7a Abs. 3c VermG getroffene Regelung war; denn bei den Zweitgeschädig-
ten, die anderen Ansprüchen als solchen nach § 1 Abs. 6 VermG weichen müssen,
setzt der Entschädigungsanspruch nach § 1 Abs. 2 Satz 1 VermG die Redlichkeit
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voraus, so dass dieser Personenkreis vor der Antragstellung überlegen kann, ob er
sein oder seines Rechtsvorgängers Verhalten beim Erwerb des Vermögensgegens-
tandes überprüfen lassen möchte.
Lassen sich somit für ein gesondertes Antragsverfahren sachlich vertretbare Ge-
sichtspunkte anführen, ist auch die daran anknüpfende Antragsfrist als Bestandteil
dieses eigenständigen Verfahrens vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu
beanstanden.
2. Soweit der Kläger sich daneben die vom Verwaltungsgericht erwähnten, aber nicht
für durchgreifend gehaltenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine "nach-
trägliche" Einführung der Ausschlussfrist des § 7a Abs. 3c Satz 3 VermG zu Eigen
macht, bleibt seine Beschwerde ebenfalls erfolglos; denn die gerügte Verletzung des
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG liegt offensichtlich nicht vor.
Es ist bereits mehr als zweifelhaft, dass die beanstandete Frist "nachträglich", d.h.
nach Schaffung des in § 7a Abs. 3c VermG geregelten Anspruchs eingeführt worden
ist; denn bevor dieser Vorschrift mit Art. 1 Nr. 4 Buchst. g des Vermögensrechtsbe-
reinigungsgesetzes vom 20. Oktober 1998 (a.a.O.) der die Ausschlussfrist regelnde
Satz 3 angefügt worden ist, verwies § 7a Abs. 3c Satz 2 VermG in der seit seiner
Einführung geltenden Fassung des Vermögensrechtsanpassungsgesetzes vom
4. Juli 1995 (a.a.O.) auf eine entsprechende Anwendung des Abs. 3b Satz 2 bis 6.
Die damit auch in Bezug genommene Vorschrift des § 7a Abs. 3b Satz 4 VermG re-
gelte aber bereits dieselbe Frist, verwies allerdings für den Fristbeginn auf den Eintritt
der Bestandskraft der Entscheidung nach Abs. 2 (gemeint ist § 7a Abs. 2 VermG).
Da es sich bei dieser Entscheidung aber um die Rückübertragung und nicht um die
Ablehnung der Rückübertragung gegenüber dem Entschädigungsberechtigten
handelt, waren Zweifel aufgekommen, ob die Verweisung in § 7a Abs. 3c Satz 2
VermG auch die Ausschlussfrist des § 7a Abs. 3b Satz 4 VermG erfasste (vgl.
BTDrucks 13/10246, S. 13). Das lag jedoch ausgehend von der Gesetzgebungsge-
schichte, dem Zweck der Verweisung sowie der Parallelität der in § 12 Abs. 1
EntschG und § 7a Abs. 3c VermG getroffenen Regelungen mehr als nahe. Selbst
wenn man insoweit aber anderer Auffassung ist, war es zumindest zweifelhaft, ob die
Ausschlussfrist galt oder nicht. In solchen Fällen kann sich aber kein schutzwürdiges
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Vertrauen des Bürgers in die bestehende Rechtslage herausbilden. Der Kläger
konnte daher auch nicht darauf vertrauen, dass ihm der möglicherweise unbefristet
eingeräumte Anspruch erhalten blieb. Vielmehr erforderte das Rechtsstaatsprinzip
selbst eine klarstellende Regelung (vgl. BVerfGE 30, 367 <388>; stRspr).
Unabhängig von diesen Erwägungen stellt sich die Ausschlussfrist für den Kläger
aber auch deswegen als eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Ei-
gentums nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar, weil der die Rückübertragung versa-
gende Bescheid unter Zugrundelegung der den Senat bindenden Feststellungen der
Vorinstanz erst am 1. März 1999 bestandskräftig geworden ist und damit zu einem
Zeitpunkt, als § 7a Abs. 3c Satz 3 VermG bereits in Kraft getreten war. Der Kläger
hätte sich somit bei der Geltendmachung der Entschädigung von vornherein auf die-
se Frist einstellen können, zumal er in dem bestandskräftig gewordenen Bescheid
ausdrücklich auf die Notwendigkeit eines gesonderten Entschädigungsantrages hin-
gewiesen worden war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung be-
ruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Kley Liebler Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Entschädigungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
GG
Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Satz 1 und 2
EntschG
§ 1 Abs. 2, § 12 Abs. 1
VermG
§ 1 Abs. 6, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 2, § 7a Abs. 3b Satz 2, Abs. 3c,
§ 33 Abs. 1 Satz 1
Stichworte:
Nachrangige Schädigung; Entschädigungsberechtigung, Restitutionsantrag, Ent-
schädigungsverfahren; besonderes Antragserfordernis; Ausschlussfrist, Gleichheits-
satz; unterschiedliche Sachverhalte; Würdigkeitsprüfung; Redlichkeit; nachträgliche
Regelung; Vertrauensschutz; Rechtsstaatsprinzip.
Leitsatz:
Das in § 7a Abs. 3c Satz 3 VermG und § 12 Abs. 1 Satz 4 EntschG geregelte und mit
einer Ausschlussfrist verbundene eigenständige Antragserfordernis für das Ent-
schädigungsbegehren eines nachrangig Geschädigten ist mit Art. 3 Abs. 1 GG ver-
einbar.
Beschluss des 3. Senats vom 1. Februar 2006 - BVerwG 3 B 90.05
I. VG Berlin vom 29.04.2005 - Az.: VG 31 A 46.04 -