Urteil des BVerwG vom 30.06.2004

Gefahr, Risikoausgleich, Sozialhilfe, Öffentlich

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 90.03
OVG 4 OB 268/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Juni 2004
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k ,
Dr. D e t t e und L i e b l e r
beschlossen:
- 2 -
Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Juli 2003
geändert.
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Ver-
waltungsgerichts Hannover vom 21. Mai 2003 wird zurückge-
wiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 4 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Unrecht den
Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für den vorliegenden Rechtsstreit für zuläs-
sig erklärt. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, gehört der
Rechtsstreit nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der Fassung des 6. Gesetzes zur Ände-
rung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGG ÄndG) vom 17. August 2001 - BGBl I
S. 2144 - in die Zuständigkeit der Sozialgerichte.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Investitionsaufwendungen für ihr Al-
ten- und Pflegeheim den in der Einrichtung lebenden Pflegebedürftigen nach § 82
Abs. 4 SGB XI ohne Zustimmung des Beklagten gesondert berechnen darf. Materiell
entzündet sich der Streit an der Frage, ob der der Klägerin vom Land nach § 13
NPflegeG gewährte bewohnerbezogene Aufwendungszuschuss eine Förderung nach
Landesrecht ist, die die zustimmungsfreie gesonderte Berechnung der Investi-
tionsaufwendungen nach § 82 Abs. 4 SGB XI ausschließt.
Für die Klage auf Zustimmung zur gesonderten Berechnung von Investitionsaufwen-
dungen eines Pflegeheims gemäß § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XI hat der Senat durch
Urteil vom 26. April 2002 - BVerwG 3 C 41.01 - NVwZ-RR 2002 S. 607 entschieden,
dass dafür der Sozialrechtsweg gegeben sei. Er ist insoweit der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts gefolgt (vgl. BSG, Beschluss vom 31. Januar 2000 - B 3
SF 1/99 R - NZS 2000 S. 523 f.). In zwei Beschlüssen vom 27. Mai 2003 - BVerwG
3 B 40 und 41.03 - hat er diese Zuständigkeit auch für den Streit über die Notwen-
- 3 -
digkeit einer Zustimmung nach § 82 Abs. 4 SGB XI angenommen. Allerdings sind
diese Entscheidungen noch zu der früheren Fassung des § 51 SGG ergangen, die in
Abs. 2 Satz 2 bestimmte, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch über
Streitigkeiten entscheiden, die in Angelegenheiten nach dem Elften Buch Sozialge-
setzbuch entstehen. Diese Formulierung war eine wesentliche Grundlage der Argu-
mentation im Urteil des Senats vom 26. April 2002. Zu Recht weist das Oberverwal-
tungsgericht darauf hin, dass die Bestimmung inzwischen durch das 6. Ände-
rungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz im Wortlaut verändert worden ist. Diese Än-
derung rechtfertigt es jedoch nicht, in der Zuständigkeitsfrage von der bisherigen
Rechtsprechung abzugehen.
Nach § 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG in der nun maßgeblichen Fassung entscheiden die Ge-
richte der Sozialgerichtsbarkeit in Angelegenheiten der sozialen Pflegeversicherung
und der privaten Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch), auch soweit
durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Die Neufassung spricht damit
ausdrücklich die private und die soziale Pflegeversicherung als Gegenstände an, die
der Kompetenz der Sozialgerichte unterfallen. Dies könnte dahin gedeutet werden,
dass die gesondert zu berechnenden Investitionsaufwendungen nicht erfasst sind, da
sie nicht von den Pflegekassen zu tragen sind (vgl. § 82 Abs. 2 SGB XI).
Eine solche Auslegung erscheint jedoch schon vom Wortlaut der Neufassung her
nicht zwingend. Die Benennung der sozialen und der privaten Pflegeversicherung
wird nämlich ergänzt durch den Klammerzusatz "Elftes Buch Sozialgesetzbuch".
Dieser Zusatz spricht dafür, dass weiterhin alle Streitigkeiten, die in Angelegenheiten
nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch entstehen, vor die Sozialgerichte gehören.
Dafür spricht auch die mit der Neufassung verfolgte Absicht des Gesetzgebers. Die-
se ging lediglich dahin, die Zuständigkeitsregelungen übersichtlicher zu gestalten
und, soweit erforderlich, zu ergänzen. Insbesondere sollte durch die hier in Rede
stehende Vorschrift klargestellt werden, dass in der privaten Pflege(Pflicht)Versiche-
rung (§§ 110 ff. SGB XI) neben den von Absatz 2 erfassten privatrechtlichen Streitig-
keiten auch öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, z.B. im Zusammenhang mit dem Risi-
koausgleich nach § 111 SGB XI, in die Zuständigkeit der Sozialgerichte fallen (vgl.
BTDrucks 14/5943 S. 23). Dabei fällt ins Gewicht, dass die Entscheidung des Bun-
dessozialgerichts über die Zuständigkeit der Sozialgerichte für Streitigkeiten nach
- 4 -
§ 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XI bereits vorlag und veröffentlicht war, als das 6. Ände-
rungsgesetz zum Sozialgerichtsgesetz beraten und beschlossen wurde. Wenn der
Gesetzgeber insoweit eine Änderung hätte vornehmen wollen, wäre zu erwarten ge-
wesen, dass er darauf hingewiesen hätte.
Das Oberverwaltungsgericht begründet seine abweichende Auffassung insbesondere
auch damit, dass es wegen der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für sozial-
hilferechtliche Streitigkeiten nach den §§ 93 ff. BSHG zu divergierenden Entschei-
dungen über die Höhe der gesondert zu berechnenden und vom Sozialhilfeträger zu
übernehmenden betriebsnotwendigen Investitionskosten zwischen Verwaltungsge-
richten und Sozialgerichten kommen könne. Es kann offen bleiben, ob eine solche
Gefahr auf der Grundlage des derzeit anzuwendenden Rechts tatsächlich besteht.
Künftig ist diese Gefahr jedenfalls ausgeschlossen, da durch Art. 38 des Gesetzes
zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember
2003 (BGBl I S. 3022) generell die Zuständigkeit in Angelegenheiten der Sozialhilfe
mit Wirkung vom 1. Januar 2005 auf die Sozialgerichte übertragen worden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung
beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG.
van Schewick
Dr. Dette
Liebler