Urteil des BVerwG vom 17.11.2009

Rechtliches Gehör, Rüge, Befragung, Vertagung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 85.09
OVG 13 A 3785/05
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. November 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Buchheister
beschlossen:
- 2 -
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. August 2009
wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 25 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
1. Der Kläger begehrt die Erteilung einer Erlaubnis nach dem Heilpraktikerge-
setz. Im Jahr 2001 unterzog er sich erstmals ohne Erfolg einer schriftlichen
Überprüfung im Antwort-Wahl-Verfahren. Mit 31 als richtig bewerteten von ins-
gesamt 60 Fragen erreichte er nicht die Bestehensgrenze von 60%. Seine Kla-
ge auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der Heilpraktikererlaubnis,
hilfsweise auf Zulassung zur mündlichen Prüfung, blieb vor dem Oberverwal-
tungsgericht ohne Erfolg. Es ist nach Einholung eines Sachverständigengutach-
tens zur Zulässigkeit der Prüfungsfragen und Richtigkeit der Antworten in sei-
nem Urteil zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger von 56 zulässigen Fragen
25 falsch beantwortet habe (Fehlerquote 44,6%) und somit die Bestehensgren-
ze nicht erreicht sei. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil rich-
tet sich die Beschwerde des Klägers.
2. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist nicht dargetan. Der Kläger wirft die Frage auf, ob
die Durchführung der schriftlichen Heilpraktikerprüfung als Antwort-Wahl-
Verfahren ohne ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage zulässig ist und ver-
weist (lediglich) darauf, dass die Frage zwar durch verschiedene Instanzgerich-
te, nicht aber das Bundesverwaltungsgericht geklärt worden sei. Das genügt zur
hinreichenden Darlegung im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO schon
deshalb nicht, weil das Bundesverwaltungsgericht sich bereits mit der Frage der
gesetzlichen Grundlage der Heilpraktikerprüfung befasst hat (vgl. Beschluss
1
2
3
- 3 -
vom 27. Juni 1989 - BVerwG 3 B 18.89 - Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 15)
und die Vorinstanz hierauf gestützt im Einzelnen ausgeführt hat, warum das
Fehlen einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage eine Anwendung des
Antwort-Wahl-Verfahrens nicht hindert. Der Kläger hätte sich damit auseinan-
dersetzen und darlegen müssen, warum der Rechtsstandpunkt der Vorinstanz
prinzipiell überprüfungsbedürftig ist (vgl. zu den Darlegungsanforderungen Be-
schluss vom 15. Oktober 2008 - BVerwG 3 B 71.08 - juris Rn. 2; Beschluss vom
9. März 1993 - BVerwG 3 B 105.92 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 11).
Die Verfahrensrügen des Klägers begründen ebenfalls keine Zulassung der
Revision (nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Soweit der Kläger eine Versagung
rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO) allein mit der Behauptung geltend
macht, das Berufungsgericht habe seine Beweisanträge übergangen, fehlt es
an jeglicher Substantiierung. Anders als in dem vorhergehenden Berufungsver-
fahren (vgl. dazu den Beschluss des Senats vom 4. Juli 2008 - BVerwG 3 B
18.08 - juris) hat das Oberverwaltungsgericht sich diesmal nach Einholung ei-
nes Sachverständigengutachtens im Einzelnen mit den Einwendungen des
Klägers gegen die Prüfungsfragen auseinander gesetzt und ausgeführt, warum
es die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht für erforder-
lich hält. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger erläutern müssen, welcher
Vortrag oder welche Anträge seiner Meinung nach unberücksichtigt geblieben
sind.
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts ist entgegen der Ansicht des Klägers
kein unzulässiges Überraschungsurteil. Er rügt, dass das Gericht von der Wer-
tung des Sachverständigen abgewichen sei, ohne zuvor darauf hingewiesen zu
haben. Der Sachverständige hatte die Fragen 57 bis 60 als missverständlich
angesehen und nicht in die Bewertung einbezogen. Das Oberverwaltungsge-
richt hat die Fragen als nicht missverständlich angesehen und berücksichtigt
(dafür aber, gestützt auf eine amtsärztliche Stellungnahme, andere Fragen als
unzulässig angesehen). Mit seiner Rüge macht der Kläger der Sache nach gel-
tend, durch den unterbliebenen Hinweis an (weiterem) Vortrag zu diesem Punkt
gehindert worden zu sein. Zur ausreichenden Bezeichnung des Gehörsversto-
ßes hätte deshalb dargelegt werden müssen, was der Kläger bei einem Hinweis
4
5
- 4 -
des Gerichts noch vorgetragen hätte. Daran fehlt es. Im Übrigen ist ein Hinweis
an die Verfahrensbeteiligten zur Vermeidung einer Verletzung rechtlichen Ge-
hörs nur erforderlich, wenn das Gericht auf einen Gesichtspunkt abstellt, der im
Verfahren bislang nicht erörtert worden ist und mit dem auch ein gewissenhafter
und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt
vertretbarer Auffassungen nicht zu rechnen brauchte. So liegt es hier nicht. Der
Kläger konnte aus dem Umstand, dass das Gericht ein Sachverständigengut-
achten eingeholt und für verwertbar gehalten hat, nicht schließen, dass es dem
Gutachten in jedem einzelnen Punkt folgen werde. Es liegt auf der Hand, dass
die tatrichterliche Würdigung einer Mehrzahl von sachverständigen Feststellun-
gen (hier: zur Zulässigkeit von Prüfungsfragen und der Richtigkeit von Antwor-
ten) unterschiedlich ausfallen kann. Dies gilt zumal bei der Beurteilung der Zu-
lässigkeit von Prüfungsfragen, soweit es dabei - wie hier bezogen auf die Prü-
fungsfragen 57 bis 60 - um deren ohne heilkundliche Sachkunde beurteilbare
allgemeine Verständlichkeit geht. Die Zulässigkeit dieser Fragen und die inso-
weit vom Sachverständigen sowie der Amtsärztin vertretenen gegensätzlichen
Positionen waren von den Beteiligten schriftsätzlich bereits hinlänglich erörtert
worden. Es konnte den Kläger deshalb nicht ernstlich überraschen, dass das
Oberverwaltungsgericht diesen Prozessstoff im Urteil aufgreift.
Der Kläger rügt schließlich einen Verstoß gegen § 87 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 2
VwGO und § 97 Satz 1 VwGO, weil in der Ladung zur mündlichen Verhandlung
nicht darauf hingewiesen worden sei, dass das Gericht auch den Sachverstän-
digen geladen habe. Andernfalls wäre er - so der Kläger - persönlich zur münd-
lichen Verhandlung erschienen, um den Sachverständigen zu befragen und die
Fehlerhaftigkeit des Gutachtens über den bisherigen Vortrag hinaus aufzuzei-
gen. Auch mit dieser Rüge macht der Kläger der Sache nach eine Verletzung
rechtlichen Gehörs geltend. Dazu müsste er allerdings darlegen, dass er bzw.
sein Prozessbevollmächtigter, der an der mündlichen Verhandlung teilgenom-
men hat, alle verfahrensrechtlich eröffneten und nach Lage der Dinge taugli-
chen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, ausgeschöpft hat
(vgl. nur Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310
§ 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9). Hier hätte es dem Prozessbevollmächtigten
des Klägers oblegen, wegen der nach seiner Darstellung unerwarteten Ladung
6
- 5 -
des Sachverständigen mit Blick auf die für erforderlich gehaltene Befragung
durch den nicht anwesenden Kläger eine Vertagung zu beantragen. Dazu ist
der Beschwerdebegründung wie auch der Niederschrift über die mündliche
Verhandlung nichts zu entnehmen. Der Kläger hat zwar (mit der Einlegung der
Beschwerde) eine Protokollberichtigung beantragt, weil eine Rüge des Pro-
zessbevollmächtigten über den unterbliebenen Hinweis auf die Ladung des
Sachverständigen nicht aufgenommen worden sei. Das Oberverwaltungsgericht
hat die Berichtigung indes abgelehnt, weil eine derartige Rüge des Prozessbe-
vollmächtigten in der mündlichen Verhandlung nicht erhoben worden sei (Be-
schluss vom 15. September 2009 - 13 A 3785/05 -). Darauf ist der Kläger mit
der Beschwerde nicht weiter eingegangen. Für die hier zu treffende Entschei-
dung ist somit davon auszugehen, dass schon diese Rüge nicht erhoben wor-
den ist. So oder so hätte es dem Prozessbevollmächtigten oblegen, einen förm-
lichen Vertagungsantrag zu stellen, um einen Verlust der Gehörsrüge zu ver-
meiden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Kley
Liebler
Buchheister
7