Urteil des BVerwG vom 31.01.2008

DDR, Republik, Verwaltungsakt, Entscheid

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 84.07
VG 15 A 200.01
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 31. Januar 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 4. April 2007 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
G r ü n d e :
Das umstrittene, bis zum 1. Juli 1990 volkseigene Grundstück wurde mit Ent-
scheid des Landrats des Kreises vom 18. September 1990 mit Zustimmung der
Treuhandanstalt vom 20. November 1990 unter Berufung auf das Kommunal-
vermögensgesetz an die Klägerin, mit Bescheid des Oberfinanzpräsidenten der
Oberfinanzdirektion vom 22. Mai 2001 auf der Grundlage des Vermögenszu-
ordnungsgesetzes hingegen der Beigeladenen zugeordnet. Mit dem angefoch-
tenen Bescheid vom 22. September 2005 hob die Beklagte den Entscheid vom
18. September 1990 auf. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die
behaupteten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
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1. Dem Rechtsstreit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung auf zwei selbst-
ständige tragende Begründungen gestützt. In derartigen Fällen kann die Revi-
sion nur dann zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der Begründungen
ein Zulassungsgrund dargelegt wird und vorliegt (stRspr; vgl. Beschlüsse vom
1. Februar 1990 - BVerwG 7 B 19.90 - Buchholz 310 § 153 VwGO Nr. 22 und
vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2
Ziff. 1 VwGO Nr. 4, jew. m.w.N.). Daran fehlt es.
a) Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte für befugt gehalten, den Entscheid
des Landrats vom 18. September 1990 zurückzunehmen. Hierzu hat es zum
einen - selbstständig tragend - auf Art. 19 Satz 2 Alt. 2 EV Bezug genommen.
Nach dieser Vorschrift können vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene
Verwaltungsakte der Deutschen Demokratischen Republik dann aufgehoben
werden, wenn sie mit den Regelungen dieses Vertrages unvereinbar sind. Das
Verwaltungsgericht hat näher ausgeführt, dass der genannte Entscheid mit Art.
21, 22 EV sowie auch mit der einschränkenden Maßgabe nach Anl. II Kap. IV
Abschnitt III Nr. 2 des Einigungsvertrages unvereinbar sei, unter der die Be-
stimmungen des Kommunalvermögensgesetzes als fortgeltend anzusehen sei-
en.
Die Klägerin hält insofern sinngemäß für klärungsbedürftig, ob Art. 19 Satz 2
Alt. 2 EV dahin einschränkend auszulegen sei, dass nur die Unvereinbarkeit mit
solchen Regelungen des Einigungsvertrages die Aufhebbarkeit von Verwal-
tungsakten der Deutschen Demokratischen Republik begründe, die die Beseiti-
gung rechtsstaatswidriger Zustände zum Ziel hätten. Diese Frage verleiht der
Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Es liegt auf der Hand und erfor-
dert daher nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens, dass die Frage zu
verneinen ist. Verwaltungsakte der Deutschen Demokratischen Republik, die
mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sind, können - nach näherer
Maßgabe der zur Ausführung erlassenen gesetzlichen Bestimmungen (vgl.
Urteil vom 20. März 1997 - BVerwG 7 C 23.96 - BVerwGE 104, 186 = Buchholz
428 § 1 VermG Nr. 108) - schon nach Art. 19 Satz 2 Alt. 1 EV aufgehoben wer-
den; hierzu hätte es der Anfügung der zweiten Alternative nicht bedurft. Im Üb-
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rigen muss angenommen werden, dass die Vertragsparteien des Einigungsver-
trages die Regelungen dieses Vertrages auch durchgesetzt wissen wollten.
Damit wäre eine Auslegung von Art. 19 Satz 2 Alt. 2 EV unvereinbar, die einen
DDR-Verwaltungsakt, der im Widerspruch zu den Regelungen des Vertrages
steht, für unabänderlich erklärte, zumal einen solchen, der erst nach Abschluss
des Vertrages erlassen wurde.
b) Das Verwaltungsgericht hat die Rücknahme des Entscheides vom 18. Sep-
tember 1990 auch deshalb für rechtmäßig angesehen, weil die Voraussetzun-
gen des § 48 VwVfG erfüllt seien. Insofern wirft die Klägerin die Frage auf, ob
Art. 19 Satz 3 EV die Anwendung des § 48 VwVfG auf anfänglich rechtswidrige
DDR-Verwaltungsakte erlaube (offengelassen im Urteil vom 26. August 1999
- BVerwG 3 C 31.98 - Buchholz 111 Art. 19 EV Nr. 6 S. 6). Wie gezeigt, kann
diese Frage allein der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung mehr ver-
leihen. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die Grundsätze, die das Bun-
dessozialgericht (Urteil vom 11. September 2001 - B 2 U 32/00 R - SozR
3-8100 Art. 19 Nr. 8 = VIZ 2002, 247) unter Billigung durch das Bundesverfas-
sungsgericht (Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvR 1982/01 - BVerfGE
117, 302) für sozialrechtliche Ansprüche mit Blick auf § 44 SGB X aufgestellt
hat, auch für andere Sachgebiete verallgemeinert werden können und ob beja-
hendenfalls eine Ausnahme für solche DDR-Verwaltungsakte zu machen ist,
die nach der politischen Wende in der DDR im Zuge der Umgestaltung der
Rechts- und Sozialordnung erlassen worden sind.
2. Die Revision kann auch nicht deswegen zugelassen werden, weil das ange-
fochtene Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab-
weicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Das setzt
voraus, dass das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift
mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen
Rechtssatz abweicht (stRspr; vgl. Beschluss vom 12. Dezember 1991
- BVerwG 5 B 68.91 - Buchholz 310 § 132 Nr. 302 m.w.N.). Diese Vorausset-
zungen liegen nicht vor. Die Klägerin beruft sich zwar auf die Anforderungen an
die Ausübung des in § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eröffneten Rücknahmeermes-
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sens, die der Senat aus § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG hergeleitet hat (Urteil vom
27. April 2006 - BVerwG 3 C 23.05 - BVerwGE 126, 7 = Buchholz 428.2 § 2
VZOG Nr. 16). Sie legt indes nicht dar, dass das Verwaltungsgericht in seiner
Entscheidung einen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt
hätte. Das ist auch nicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht hat die Ausübung
des behördlichen Rücknahmeermessens unter diesem Gesichtspunkt über-
haupt nicht geprüft; die Klägerin hatte dies im vorhergehenden Verfahren auch
nicht verlangt. Dann aber rügt sie jetzt nur eine unrichtige Rechtsanwendung.
Das kann nicht zur Zulassung der Revision führen.
3. Die behauptete Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist
schon nicht schlüssig dargetan, so dass die Revision auch nicht wegen eines
Verfahrensmangels zugelassen werden kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die
Klägerin meint, das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass sie vor ihrer Ein-
tragung als Eigentümerin im Grundbuch bereits als Rechtsträgerin eingetragen
gewesen sei. Sie legt indes nicht dar, welche Bedeutung dieser Umstand für die
Entscheidung des Verwaltungsgerichts gehabt haben soll. Sie stellt zwar einen
Zusammenhang zu der Fristbestimmung in § 2 Abs. 5 Satz 1 VZOG her, geht
aber selbst davon aus, dass diese Vorschrift insofern für die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts keine Rolle gespielt habe. Damit verkennt sie, dass sich
der Umfang der Amtsermittlungspflicht danach bemisst, was das Verwal-
tungsgericht auf der Grundlage seiner eigenen Rechtsauffassung für entschei-
dungserheblich ansehen musste.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Wegen des Gegenstandswerts wird auf
§ 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG hingewiesen.
Kley
Liebler
Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Recht der Wiedervereinigung
Fachpresse: ja
Vermögenszuordnungsrecht
Rechtsquelle:
EV
Art. 19
Stichworte:
Einigungsvertrag; DDR-Verwaltungsakt; Verwaltungsakt der DDR; Bestands-
kraft; Aufhebung; Rücknahme.
Leitsatz:
Art. 19 Satz 2 Alt. 2 EV verlangt für die Aufhebbarkeit eines Verwaltungsaktes
der Deutschen Demokratischen Republik nicht, dass die dem Verwaltungsakt
widersprechenden Vertragsbestimmungen die Beseitigung rechtsstaatswidriger
Zustände zum Ziel haben.
Beschluss des 3. Senats vom 31. Januar 2008 - BVerwG 3 B 84.07
I. VG Berlin vom 04.04.2007 - Az.: VG 15 A 200.01 -