Urteil des BVerwG vom 17.11.2005

Öffentliche Aufgabe, Gleichstellung, Grundstück, Gemeinde

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 84.05
VG 1 K 1849/01
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. November 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y sowie
die Richter am Bundesverwaltungsgericht L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom
17. März 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die
Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen
nicht vor.
1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsent-
scheidung dazu beitragen kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder
die weitere Entwicklung des Rechts zu fördern. Die aufgeworfene Rechtsfrage muss
einen solchen Klärungsbedarf erkennen lassen. Daran fehlt es u.a. dann, wenn sie in
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Wesentlichen bereits be-
antwortet wurde und von einer weiteren Entscheidung weder eine Änderung noch
eine entscheidungserhebliche Ergänzung zu erwarten wäre. So liegt der Fall hier.
Die Klägerin zitiert in ihrer Beschwerdebegründung selbst aus den zahlreichen Ent-
scheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, die sich mit der zuordnungsrechtlichen
Bewertung der Verpachtung von Freizeitgrundstücken durch Gemeinden und der
Abgrenzung zu einer Verpachtung zur Förderung des Kleingartenwesens bereits be-
fasst haben. Sie hält gleichwohl die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, unter
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welchen Voraussetzungen bei einer Zurverfügungstellung von Grundstücken auch
zur kleingärtnerischen Nutzung eine Gleichstellung mit Kleingarten-Pachtverträgen
angenommen werden kann. Die Beantwortung dieser Frage ergibt sich aber schon
aus der bisherigen Rechtsprechung. So hat der Senat u.a. in seinem Beschluss vom
29. Januar 2002 (BVerwG 3 B 5.02 - Buchholz 111 Art. 22 EV Nr. 34 = ZOV 2002)
die Besonderheiten herausgearbeitet, die - unter dem Blickwinkel, ob es sich bei der
Überlassung um die Wahrnehmung einer kommunalen Aufgabe handelt - einer
Gleichstellung der Überlassung von Wochenendhaus-Grundstücken mit dem Ab-
schluss von Kleingarten-Pachtverträgen entgegenstehen. Der Senat hat den maß-
geblichen Unterschied in dem für eine kommunale Aufgabe unerlässlichen sozialen
und öffentlichen Bezug gesehen. Er fehle, wenn die Überlassung der Grundstücke
zur ausschließlich privatnützigen Verwendung durch Einzelpersonen und zu Bedin-
gungen erfolge, die sich in keiner Weise von entsprechenden, allein auf Gewinner-
zielung gerichteten Verträgen zwischen Privaten unterschieden. Der als Kleingarten
genutzte Grund und Boden diene dagegen einer wesentlichen sozialen Funktion,
diese liege allerdings in neuerer Zeit nicht mehr in der Deckung des eigenen Nah-
rungsbedarfes, sondern vorrangig in der Freizeitnutzung des Gartens.
Ebenso wenig genügt es den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO, wenn die Klägerin die im vorliegenden Fall aus ihrer Sicht für eine Gleichstel-
lung mit Kleingarten-Pachtverträgen bestehenden tatsächlichen Anhaltspunkte zu-
sammenfasst und dies mit der Frage verbindet, ob in einem solchen Fall eine
Gleichstellung zu erfolgen habe. Damit hebt die Klägerin gerade auf die Besonder-
heiten dieses Falles ab. Eine über den konkreten Fall hinausweisende grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache ist damit schon vom Ansatz her nicht dargetan.
2. Wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist die Revision
ebenfalls nicht zuzulassen. Die Beschwerde sieht eine Verletzung des Überzeu-
gungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) darin, dass das Verwaltungsgericht
entscheidungserheblichen Sachvortrag nicht zur Kenntnis genommen und in Erwä-
gung gezogen habe. Diese Rüge ist unbegründet.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus
dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gebot der
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freien Beweiswürdigung verpflichtet es unter anderem, dabei von einem zutreffend
und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen. Doch ist das Gericht nicht ver-
pflichtet, sich mit jedem Argument in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu
befassen (Beschluss vom 7. März 2001 - BVerwG 8 B 36.01). Es darf aber nicht ge-
wichtige Tatsachen übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit für das Verfahren
sich ihm hätte aufdrängen müssen (Urteil vom 25. Juni 1992 - BVerwG 3 C 16.90 -
Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 253).
Danach kann ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO nicht daraus hergeleitet wer-
den, dass das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen den Vortrag der
Klägerin unerwähnt gelassen hat, sie habe Zufahrts- und Erschließungswege ange-
legt sowie das Grundstück parzelliert. Das Gericht hat seine Entscheidung darauf ge-
stützt, dass bei der Verpachtung des Grundstücks der erforderliche soziale und
öffentliche Bezug zur Gemeinde gefehlt habe, da das Grundstück nicht durch die
Bewohner der Gemeinde genutzt worden oder ihnen zugute gekommen sei. Insofern
kam es auf die von der Klägerin vermissten Gesichtspunkte, die nicht die Nutzung
des streitigen Grundstücks selbst betrafen, nicht an. Es war ebenfalls nicht von Be-
deutung, ob das Grundstück auch an Gemeindeangehörige hätte verpachtet werden
können, nachdem es nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts tatsächlich
an eine gemeindefremde Firma und eine Privatpersonen verpachtet war. Ebenso
wenig kam es - wie bereits im Zusammenhang mit § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ausge-
führt - darauf an, inwieweit das Grundstück auch zur Gewinnung von Gartenerzeug-
nissen genutzt wurde. Nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind im Urteil nur die für die
richterlichen Überzeugung leitend gewesenen Gründe anzugeben. Schon daher kann
allein aus dem Umstand, dass sich das Gericht nicht mit dieser oder jener Einzelheit
des Vorbringens im Urteil auseinander gesetzt hat, noch nicht geschlossen werden,
dass das Gericht den betreffenden Vortrag bei seiner Entscheidung unberücksichtigt
gelassen habe (vgl. Urteil vom 25. März 1987 - BVerwG 6 C 10.84 - Buchholz 310
§ 108 VwGO Nr. 183 m.w.N.). Im Kern richtet sich das Vorbringen der Klägerin
gegen die Richtigkeit der Sachverhaltswürdigung des Gerichts und der von ihm
daraus gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen. Ein die Zulassung der Revision
eröffnender Verfahrensfehler im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist damit nicht
dargetan.
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3. Schließlich rechtfertigt auch die Rüge, die angefochtene Entscheidung weiche vom
Urteil des Senats vom 13. September 2001 - BVerwG 3 C 31.00 - sowie von den
Beschlüssen des Senats vom 29. Januar 2002 - BVerwG 3 B 5.02 - und vom
3. Dezember 2003 - BVerwG 3 B 133.02 - ab, nicht die Zulassung der Revision. Die
Beschwerdebegründung der Klägerin genügt auch insoweit nicht den Darlegungser-
fordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz ist nur dann gemäß § 133
Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich
bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem
die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
aufgestellten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen
hat.
Ein solches Herausarbeiten sich widersprechender abstrakter Rechtssätze leistet die
Klägerin nicht. Sie trägt vor, dass das Verwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht die
Anforderungen an den zu fordernden sozialen oder öffentlichen Bezug der
Grundstücksnutzung überspannt habe. Sie ist der Auffassung, dass bei zutreffender
und vollständiger Würdigung des Sachverhalts eine Gleichstellung mit Kleingarten-
Pachtverträgen hätte erfolgen müssen. Die Klägerin rügt damit aber nur eine fehler-
hafte Anwendung der in den genannten obergerichtlichen Entscheidungen aufge-
stellten Anforderungen bzw. eine unzureichende Sachwürdigung durch das Verwal-
tungsgericht.
Inwieweit in der Annahme des Verwaltungsgerichts, die Überlassung von Grundstü-
cken zu reinen Erholungszwecken stelle generell keine den Kommunen obliegende
öffentliche Aufgabe dar, eine Abweichung vom Beschluss des Senats vom 29. Janu-
ar 2002 liegen soll, erschließt sich nicht. Der Senat hatte dort ausgeführt, dass die
Überlassung von Grundstücken zwecks Errichtung privat genutzter Wochenendhäu-
ser bzw. deren weiterer Nutzung generell keine den Kommunen obliegende Aufgabe
sei. Der Senat hatte dann zwar auch anerkannt, dass die Verbesserung der örtlichen
Freizeitnutzungs- und Erholungsbedingungen durchaus zu den legitimen kommuna-
len Aufgaben gerechnet werden könne, dies jedoch u.a. für den Fall verneint, dass
der unerlässliche soziale oder öffentliche Bezug fehle. Genau diesem Gedankengang
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folgt aber auch das Verwaltungsgericht, wenn es darauf abstellt, dass im von ihm
entschiedenen Fall der erforderliche soziale oder öffentliche Bezug zur Gemeinde
fehle.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die
Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG.
Kley Liebler Prof. Dr. Rennert
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