Urteil des BVerwG vom 12.04.2010

Politische Verfolgung, DDR, Diskriminierung, Willkür

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 82.09
VG 11 K 2355/06
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. April 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Dr. Wysk
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Pots-
dam vom 4. August 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger beansprucht die Rehabilitierung seiner Mutter nach dem Verwal-
tungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz - VwRehaG -, weil ein Fluss im Rah-
men seiner Begradigung auf Grundstücke seiner Mutter verlegt worden sei, oh-
ne dass ein förmliches Verwaltungsverfahren stattgefunden habe und ohne
dass sie an der Planungsentscheidung beteiligt worden sei. Das Verwaltungs-
gericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass zwar die faktische
Inanspruchnahme des Eigentums ohne Beteiligung der Betroffenen aus rechts-
staatlicher Sicht schwer erträglich sei, jedoch weder politische Verfolgung noch
ein Willkürakt im Einzelfall i.S.d. § 1 Abs. 2 VwRehaG vorliege.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem
Urteil bleibt ohne Erfolg. Es sind weder die nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ge-
rügten Verfahrensmängel erkennbar, noch weist die Rechtssache die geltend
gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr.1 VwGO auf.
1. Der Kläger sieht eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes nach § 108
Abs. 1 VwGO sowie einen Verstoß gegen seinen Anspruch auf Gewährung
rechtlichen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG darin be-
gründet, dass das Verwaltungsgericht für einen Willkürakt mit „individuellem
Einschlag“ keine Anhaltspunkte gesehen hat, ohne der Frage nachzugehen, wie
bei der Begradigung des Flusses an einer weiteren Stelle verfahren worden sei.
Eine Verletzung des Rechts aus § 108 Abs. 2 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG
scheidet insoweit schon deswegen aus, weil das Verwaltungsgericht den Hin-
weis des Klägers auf die Klärungsbedürftigkeit der Verfahrensweise in dem ge-
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nannten Vergleichsfall nachweisbar zur Kenntnis genommen und in Erwägung
gezogen hat; denn es hat in den Entscheidungsgründen des Urteils (S. 12)
ausgeführt, dass die Annahme einer gerade auf die Mutter des Klägers zielen-
den Benachteiligung nicht schon deswegen gerechtfertigt sei, wenn andere pri-
vate Eigentümer im Gegensatz zu ihr bei einer Inanspruchnahme ihrer
Grundstücke beteiligt worden sein sollten. Diese Ausführungen verdeutlichen
zudem, dass das Gericht den aufgezeigten Gesichtspunkt bei seiner Entschei-
dungsfindung keineswegs ausgeblendet und daher seine Überzeugung nicht
unter Verstoß gegen § 108 Abs. 1 VwGO gebildet hat. Es hat sich vielmehr auf
den nachvollziehbaren Standpunkt gestellt, dass eine bloße Nichtbeteiligung in
Ungleichbehandlung zu anderen nicht für die Annahme ausreicht, die Betroffe-
ne habe gezielt diskriminiert werden sollen. Auf der Grundlage dieser verfah-
rensrechtlich beanstandungsfreien Überzeugungsbildung war das Gericht auch
nicht zur Klärung der Frage verpflichtet, ob eine solche vom Kläger vermutete
Ungleichbehandlung tatsächlich stattgefunden hat, weil dies aus der maßgebli-
chen materiell-rechtlichen Sicht des Gerichts nicht entscheidungserheblich war.
Daher scheidet auch der in diesem Zusammenhang sinngemäß gerügte Ver-
stoß gegen die Pflicht zur gerichtlichen Sachaufklärung nach § 86 Abs. 1 VwGO
aus.
2. Ebenfalls zu Unrecht beruft sich der Kläger auf eine grundsätzliche Bedeu-
tung der Rechtssache. Die von ihm als klärungsbedürftig bezeichneten Rechts-
fragen, ob Indizien für die Anwendung von Willkür im Einzelfall mit „individuel-
lem Einschlag“ Auswirkungen auf die Beweislastregelungen hätten, ob es sich
bei „jahrzehntelangem Westkontakt“ einerseits sowie der Begründung von Pri-
vateigentum an Grundstücken in der DDR andererseits um solche Indizien
handele und ob bei der Beurteilung dieser Fragen geänderte rechtliche Stan-
dards seit Ende der 70er Jahre aufgrund des entwickelten Standes des Verwal-
tungsrechts in der DDR zu berücksichtigen seien, rechtfertigen nicht die Zulas-
sung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Soweit sich diese Fragen
generell beantworten lassen, ist dafür die Durchführung eines Revisionsverfah-
rens nicht erforderlich; denn es liegt auf der Hand, dass es Indizien geben kann,
welche die - gegebenenfalls nach den Regeln für den Anscheinsbeweis zu
erschütternde - Vermutung einer gezielten Diskriminierung im Einzelfall be-
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gründen können. Ebenso liegt es auf der Hand, dass bei der Beurteilung dieser
Indizwirkung die zum Zeitpunkt der Maßnahme herrschende Rechtswirklichkeit
und damit auch deren bis dahin eingetretener Wandel zu berücksichtigen sind.
Im Übrigen, insbesondere soweit die aufgeworfenen Fragen den Umfang der
Indizwirkung konkreter Umstände zum Gegenstand haben, sind sie einer all-
gemeingültigen, über die vorliegende Rechtssache hinausreichenden Beant-
wortung nicht zugänglich; insoweit kommt es auf die jeweiligen Verhältnisse des
Einzelfalles an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Kley
Liebler
Dr. Wysk
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