Urteil des BVerwG vom 25.06.2007

Rechtliches Gehör, Heilpraktiker, Verfügung, Dermatologie

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 82.06
OVG 13 A 2495/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Juni 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Dette
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsge-
richts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. April
2006 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.
1. Der Beschwerdebegründung, auf die es nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO
ankommt, ist nicht zu entnehmen, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeu-
tung hat. Grundsätzlich bedeutsam ist eine Sache nur, wenn sie eine über den
Einzelfall hinausgehende Frage des Bundesrechts aufwirft, die im Interesse der
Wahrung der Rechtseinheit oder der Fortentwicklung des Rechts der Beantwor-
tung in einem Revisionsverfahren bedarf. Eine solche Frage zeigt die Be-
schwerde nicht auf.
Die Beschwerde hält für klärungsbedürftig, ob kosmetische Lippenuntersprit-
zungen unter den Begriff der „Heilkunde“ i.S.d. § 1 des Heilpraktikergesetzes
(HPG) fallen. Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren schon des-
halb nicht stellen, weil sie den Gegenstand des Rechtsstreits nicht erfasst.
Durch die angefochtene Ordnungsverfügung ist der Klägerin die Tätigkeit der
„Faltenunterspritzung“ untersagt worden. Die Auslegung mag ergeben, dass
darunter auch das Auffüllen der Lippen durch Einspritzen von Fremdstoffen fällt.
Die Faltenunterspritzung, die der Klägerin untersagt worden ist und die sie
ausweislich ihrer Werbeanzeigen anbietet, geht jedoch darüber weit hinaus.
Selbst wenn unterstellt wird, dass die Klägerin geklärt wissen will, ob die Fal-
tenunterspritzung unter den Begriff der Heilkunde i.S.d. § 1 HPG fällt, ergibt
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sich daraus keine klärungsbedürftige Frage des Bundesrechts. Wie das Beru-
fungsgericht dargelegt hat, sind die Kriterien, die erfüllt sein müssen, um eine
Tätigkeit als Ausübung der Heilkunde anzusehen, in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts seit langem geklärt (vgl. u.a. Urteile vom 20. Januar
1966 - BVerwG 1 C 73.64 - BVerwGE 23, 140 = Buchholz 418.04 Heilpraktiker
Nr. 8; vom 25. Juni 1970 - BVerwG 1 C 53.66 - BVerwGE 35, 308 = Buchholz
418.04 Heilpraktiker Nr. 10; vom 18. Dezember 1972 - BVerwG 1 C 2.69 -
Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 11; vom 11. November 1993 - BVerwG 3 C
45.91 - BVerwGE 94, 269 = Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 19). Insbesonde-
re ist entschieden, dass die kosmetische Zielsetzung eines Eingriffs in den Kör-
per die Bewertung, der Eingriff sei der Ausübung der Heilkunde zumindest
gleichzustellen, nicht ausschließt (vgl. Urteil vom 14. Oktober 1958 - BVerwG
1 C 25.56 - Buchholz 418.04 Heilpraktiker Nr. 3 = NJW 1959 S. 833). Mit diesen
rechtlichen Kriterien setzt sich die Beschwerde mit keinem Wort auseinander.
Einen zusätzlichen Klärungsbedarf zeigt sie insoweit nicht auf. Unter diesen
Umständen hängt die Beantwortung der Frage nach der Einordnung der
Faltenunterspritzung als Ausübung der Heilkunde im Wesentlichen von der Ein-
schätzung der mit dieser Tätigkeit verbundenen Risiken ab. Dies ist aber eine
Einschätzung, die die Ebene der Tatsachenfeststellung betrifft und die nach
§ 137 Abs. 2 VwGO den Tatsachengerichten vorbehalten ist.
2. Der angefochtene Beschluss beruht auch nicht auf einem Verfahrensfehler
i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Fehl geht insoweit zunächst die Rüge, das Be-
rufungsgericht habe seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nach § 86 VwGO
verletzt, weil es zur Beurteilung dieser Risiken keinen Sachverständigen heran-
gezogen habe. Damit kann die Klägerin schon deshalb kein Gehör finden, weil
sie einen entsprechenden Beweisantrag in der Vorinstanz nicht gestellt hat. Die
Anhörung zum Beschlussverfahren nach § 130a VwGO machte deutlich, dass
das Berufungsgericht eine Beweiserhebung etwa durch Einholung eines Sach-
verständigengutachtens nicht für erforderlich hielt. Dies hätte der anwaltlich
vertretenen Klägerin Veranlassung geben können, einen entsprechenden Be-
weisantrag zu stellen. Das ist nicht geschehen. Ein solches Versäumnis kann
nicht dadurch aus der Welt geschafft werden, dass im Rechtsmittelverfahren die
Aufklärungsrüge erhoben wird.
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Die Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens brauchte
sich dem Berufungsgericht auch nicht aufzudrängen. Ausweislich des Beru-
fungsurteils hat sich das Oberverwaltungsgericht auf eine größere Zahl bei den
Akten befindlicher fachkundiger Stellungnahmen gestützt, die sämtlich die Not-
wendigkeit ärztlicher/medizinischer Kenntnisse zur fachgerechten Vornahme
von Faltenunterspritzungen belegen. Hervorzuheben sind hier die Äußerungen
der Ärztekammer Westfalen/Lippe vom 22. April 1999, des Ministeriums für
Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen vom
24. Juni 1998, die Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft für ästhetische Dermatolo-
gie und Kosmetologie e.V. der Deutschen dermatologischen Gesellschaft, die
Stellungnahme des Leitenden Oberarztes der Klinik für Dermatologie und Aller-
gologie der Ruhruniversität Bochum, Dr. K. H., sowie der Bericht des Gesund-
heitsamtes des Landkreises Karlsruhe vom 5. Dezember 2005. Es kommt hin-
zu, dass sich selbst für einen Laien bei schlichter Betrachtung des Vorgangs
der Faltenunterspritzung die Notwendigkeit dermatologischer Kenntnisse auf-
drängt. Da es sich um das Einbringen dauerhafter Implantate in die Gesichts-
haut handelt, muss sowohl die zu füllende Hautschicht fachkundig ermittelt und
getroffen als auch die Unbedenklichkeit des zu verwendenden Implantats beur-
teilt werden.
Fehl geht auch die Rüge, der Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör sei
dadurch verletzt worden, dass ihr die vom Landratsamt Karlsruhe übersandten
Bilder einer durch Faltenunterspritzung schwer geschädigten Frau nicht zur
Verfügung gestellt worden seien. Richtig ist zwar, dass dem Prozessbevoll-
mächtigten der Klägerin der Bericht des Landratsamtes ohne die als Anlage
beigefügten Bilder zugeleitet worden ist. In seinem Übersendungsschreiben hat
der Berichterstatter des Berufungsgerichts jedoch ausdrücklich darauf hinge-
wiesen, dass von der Übersendung der in den Vorgängen enthaltenen Fotos
vom Gesicht einer Frau abgesehen werde. Auf Grund dieser Mitteilung hatte die
Klägerin ohne weiteres die Möglichkeit, im Wege der Akteneinsicht nach § 100
VwGO von den Fotos Kenntnis zu erlangen. Dieser Weg drängte sich beson-
ders deshalb auf, weil im Schreiben des Beklagten, dem der Bericht des
Landratsamtes Karlsruhe als Anlage beigefügt war, ausdrücklich hervorgeho-
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ben wurde, die Unterlagen stellten den Fall einer betroffenen Dame „anschau-
lich“ dar. Die Klägerin hat mithin von der ihr problemlos zur Verfügung stehen-
den Möglichkeit der Kenntnisnahme keinen Gebrauch gemacht. Das schließt es
aus, sich nachträglich auf eine Versagung des rechtlichen Gehörs zu berufen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Kley van Schewick Dr. Dette
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Gesundheitsverwaltung
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
HPG § 1 Abs. 1
Stichworte:
Heilpraktikererlaubnis; Faltenunterspritzung.
Leitsatz:
Zur Einordnung der Faltenunterspritzung als Ausübung der Heilkunde i.S.d. § 1
Heilpraktikergesetz.
Beschluss des 3. Senats vom 25. Juni 2007 - BVerwG 3 B 82.06
I. VG Gelsenkirchen vom 26.03.2003 - Az.: VG 7 K 2549/01 -
II. OVG Münster vom 28.04.2006 - Az.: OVG 13 A 2495/03 -