Urteil des BVerwG vom 09.03.2009

Juristische Person, DDR, Demokratisierung, Verfassung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 8.09
VG 27 A 391.01
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette und Prof. Dr. Rennert
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin
vom 12. November 2008 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
mit Ausnahme der Kosten des Beigeladenen, die dieser
selbst trägt.
G r ü n d e :
Die klagende Stadt begehrt die Restitution eines Grundstücks nach den Vor-
schriften des Einigungsvertrags. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abge-
wiesen, weil sie keine Eigentümerin des Grundstücks gewesen sei, bevor es in
Volkseigentum überführt worden sei; auf der Grundlage des am 27. Januar
1953 abgeschlossenen Vertrages, mit der sie das Grundstück eingetauscht
habe, habe sie kein Eigentum mehr erwerben können, weil sie zu diesem Zeit-
punkt als eigenständige juristische Person nicht mehr existent gewesen sei.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem
Urteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist weder die geltend gemachte
grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf, noch
liegt die behauptete Abweichung des angegriffenen Urteils von der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vor.
1. Die Klägerin hält für klärungsbedürftig,
wann der „Wegfall der Privatautonomie einer kommunalen
Gebietskörperschaft“ aufgrund des Gesetzes über die
weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeits-
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weise der staatlichen Organe in den Ländern der
Deutschen Demokratischen Republik vom 23. Juli 1952
erfolgt ist,
und trägt dazu vor, dass - anders als bezüglich der Bezirke und Kreise - eine
Umsetzung des Gesetzes auf kommunaler Ebene erst Jahre später und daher
erst nach dem maßgeblichen Tauschvertrag stattgefunden habe.
Der geltend gemachte Klärungsbedarf besteht nicht. Der Senat geht in ständi-
ger Rechtsprechung davon aus, dass die Gemeinden in der DDR mit Inkrafttre-
ten des Gesetzes vom 23. Juli 1952 (GBl DDR S. 613) als selbständige Kör-
perschaften des öffentlichen Rechts zu existieren aufgehört haben (Urteil vom
13. März 1997 - BVerwG 3 C 14.96 - Buchholz 428.2 § 1a VZOG Nr. 6; Urteil
vom 15. Juli 1999 - BVerwG 3 C 12.98 - Buchholz 428.2 § 11 VZOG Nr. 23;
Urteil vom 30. September 1999 - BVerwG 3 C 35.98 - Buchholz 428.2 § 11
VZOG Nr. 24; Beschluss vom 21. November 2002 - BVerwG 3 B 120.02 -
Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 46). Diese Annahme wird durch das Vorbringen
der Klägerin nicht ernstlich in Frage gestellt, so dass offenbleiben kann, ob und
gegebenenfalls in welchem Umfang sie überhaupt einer auf Fragen des revi-
siblen Rechts beschränkten Grundsatzrüge zugänglich ist.
Zwar trifft es zu, dass das Gesetz vom 23. Juli 1952 förmlich zunächst nur hin-
sichtlich der Bezirke und Kreise umgesetzt wurde (vgl. Ordnung für den Aufbau
und die Arbeitsweise der staatlichen Organe der Bezirke vom 24. Juli 1952
sowie Ordnung für den Aufbau und die Arbeitsweise der
staatlichen Organe der Kreise vom 24. Juli 1952 ), während
das Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht, mit dem diese Entwick-
lung in den Gemeinden förmlich abgeschlossen wurde, erst vom 17. Januar
1957 (GBl DDR I S. 65) datiert. Es ist jedoch verfehlt, daraus den Schluss zu
ziehen, die Gemeinden seien bis zu diesem Zeitpunkt noch selbständige Ver-
waltungsträger gewesen; denn eine solche, allein an den seinerzeitigen Norm-
bestand anknüpfende Sichtweise unterstellt rechtsstaatliche Verhältnisse und
wird damit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht annähernd gerecht. Betrach-
tet man die Rechtswirklichkeit, so besteht Einigkeit darüber, dass spätestens
mit Erlass des Gesetzes vom 23. Juli 1952 die Gemeinden nicht mehr als selb-
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ständige Gebietskörperschaften, sondern nur noch als Territorien des Einheits-
staates angesehen wurden (vgl. Mampel, Die Verfassung der sowjetischen Be-
satzungszone Deutschlands, 2. Auflage, Art. 139 Erläuterungen 2 und 3; Ber-
net, Zur landes- und kommunalrechtlichen Entwicklung in der DDR, S. 16;
Brunner, Einführung in das Recht der DDR, 2. Auflage, S. 21), und zwar „spä-
testens“ deswegen, weil die Aushöhlung der Selbstverwaltung der Gemeinden
und Kreise bereits in der Besatzungszeit eingesetzt hatte und trotz der in
Art. 139 der DDR-Verfassung des Jahres 1949 aufgenommenen Selbstverwal-
tungsgarantie ungehindert ihren Fortgang nahm (vgl. Mampel a.a.O., m.w.N.).
Gleichzeitig mit dem Gesetz vom 23. Juli 1952, mit dem in Anlehnung an das
sowjetische Führungsmodell ein zentralistischer Staats- und Verwaltungsappa-
rat geschaffen wurde, wurden die Restbestände der kommunalen Selbstverwal-
tung abgeschafft (vgl. Brunner a.a.O.); die Gemeinden wurden entsprechend
den Organisationsprinzipien des demokratischen Sozialismus zu Grundeinhei-
ten der einheitlichen Staatsmacht. Die im deutschen öffentlichen Recht vorge-
nommene Unterscheidung von Staats- und Selbstverwaltungsorganen entfiel;
die Kommunen bildeten ebenso wie die Bezirke und Kreise Organe, die seit
1952 durchgängig als örtliche Staatsorgane bezeichnet wurden (vgl. Bernet
a.a.O.). Von einer Eigenständigkeit der Gemeinden konnte - ungeachtet der
erst späteren formalrechtlichen Umsetzung des „demokratischen Zentralismus“
auf Gemeindeebene - jedenfalls zu dieser Zeit keine Rede mehr sein.
2. Die von der Klägerin gerügte Abweichung des angegriffenen Urteils von dem
Urteil des Senats vom 13. März 1997 (a.a.O.) liegt nicht vor. Die Klägerin meint,
das Verwaltungsgericht habe den in der Entscheidung des Senats aufgestellten
Rechtssatz, auch ein durch einen Eintragungsantrag beim Grundbuchamt ent-
standenes Anwartschaftsrecht sei restituierbar, missachtet. Dies trifft nicht zu.
Vielmehr hat das Verwaltungsgericht sich auf den Standpunkt gestellt, die Ge-
meinde sei bereits vor Abschluss des Tauschvertrages nicht mehr als eigen-
ständige Person existent gewesen, so dass sie bei dem notwendigerweise
nachgelagerten Vollzug dieses Vertrages kein Eigentum mehr habe erwerben
können.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Ge-
richtskosten werden gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 VZOG nicht erhoben. Wegen des
Gegenstandswerts wird auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG hingewiesen.
Kley
Dr. Dette
Prof. Dr. Rennert
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Sachgebiet: BVerwGE: nein
Vermögenszuordnungsrecht Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
EV Art. 21 Abs. 3, Art. 22 Abs. 1 Satz 7
VZOG § 11 Abs.1 Satz 1
Stichworte:
Vermögenszuordnungsrecht; Gemeinden in der DDR; Körperschaft des öffent-
lichen Rechts; selbständige Gebietskörperschaft; juristische Person; demokrati-
scher Zentralismus; örtliche Staatsorgane.
Leitsatz:
Die Existenz der Gemeinden in der DDR als selbständige Körperschaften des
öffentlichen Rechts endete spätestens mit Inkrafttreten des Gesetzes über die
weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen
Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik vom 23. Juli
1952 (GBl DDR S. 613).
Beschluss des 3. Senats vom 9. März 2009 - BVerwG 3 B 8.09
I. VG Berlin vom 12.11.2008 - Az.: VG 27 A 391.01 -