Urteil des BVerwG vom 11.07.2012

Überprüfung, Erlass, Rüge, Senkung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 79.11
OVG 12 LC 143/09
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juli 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Buchheister
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts vom 12. Mai 2011 wird zurückgewie-
sen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Revi-
sionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO) wurden nicht in der gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gebotenen Wei-
se schlüssig dargetan; soweit dem Darlegungserfordernis genügt wurde, liegen
sie nicht vor.
Der Kläger führt einen Betrieb in der Region Hannover. Zu den Betriebsfahr-
zeugen gehören u.a vier Dieseltransporter; von ihnen haben drei eine gelbe
Plakette im Sinne der 35. BImSchV erhalten, für das vierte Fahrzeug wurde
keine Plakette erteilt. Der Kläger wendet sich gegen die Fahrverbote in der
Umweltzone, die die Beklagte auf der Grundlage eines im Juli 2007 beschlos-
senen Luftreinhalte-Aktionsplans angeordnet hat. Die Umweltzone umfasst ei-
nen Großteil der Innenstadt der Beklagten; Beginn und Ende werden jeweils
durch die Verkehrszeichen 270.1 und 270.2 mit den entsprechenden Zusatzzei-
chen angezeigt. In der Umweltzone gelten - neben weiteren Maßnahmen -
Fahrverbote für Kraftfahrzeuge mit erhöhten Schadstoffemissionen. Diese
Fahrverbote wurden in drei Stufen eingeführt. Seit dem 1. Januar 2008 dürfen
in der Umweltzone Kraftfahrzeuge der Schadstoffgruppe 1 (ohne Plakette) nach
§ 6 Abs. 3 Nr. 1 der 35. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissions-
schutzgesetzes (Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit gerin-
gem Beitrag zur Schadstoffbelastung - 35. BImSchV) nicht mehr am Verkehr
teilnehmen; ab dem 1. Januar 2009 gilt das auch für Kraftfahrzeuge der Schad-
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stoffgruppe 2 (rote Plakette) und ab dem 1. Januar 2010 zudem für Kraftfahr-
zeuge der Schadstoffgruppe 3 (gelbe Plakette).
Die gegen die verkehrsrechtlichen Anordnungen gerichtete Klage, mit der der
Kläger nach erfolglosem Widerspruchsverfahren die formale (unter anderem
wegen fehlender Zuständigkeit der Beklagten für den Erlass des Luftreinhalte-
Aktionsplans) und materielle Rechtswidrigkeit (insbesondere wegen mangeln-
der Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Fahrverbote) des Luftrein-
halte-Aktionsplans geltend macht, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen; die
Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben.
1. Der Rechtssache kommt nicht die grundsätzliche Bedeutung im Sinne von
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, die der Kläger ihr beilegt.
a) Der Kläger hält zum einen die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob
es gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstößt und mit den Vorga-
ben aus § 47 Abs. 1 und § 40 BImSchG vereinbar ist,
wenn für die Rechtmäßigkeitsprüfung des den Verkehrs-
zeichen 270.1 und 270.2 (Umweltzone) zugrunde liegen-
den Luftreinhalteplans ausschließlich der Zeitpunkt der
Prognose maßgeblich sein soll.
Die Beantwortung dieser Frage rechtfertigt nicht die Durchführung eines Revi-
sionsverfahrens, weil sie dort nicht entscheidungserheblich wäre.
aa) Es ergibt sich unmittelbar aus § 47 und § 40 BImSchG, die ein zweistufiges
Verfahren zur Sicherung der Luftqualität vorsehen (vgl. zur Zweistufigkeit:
BVerwG, Beschluss vom 29. März 2007 - BVerwG 7 C 9.06 - BVerwGE 128,
278 Rn. 21), dass für die Beurteilung der Frage, ob die einem Luftreinhalteplan
zugrunde liegenden Prognosen rechtlich zu beanstanden sind, auf den Zeit-
punkt der Beschlussfassung über den Plan abzustellen ist. Davon ist die ober-
gerichtliche Rechtsprechung bislang auch übereinstimmend ausgegangen (so
außer dem Berufungsurteil: OVG Münster, Beschluss vom 25. Januar 2011
- 8 A 2751/09 - ZUR 2011, 199 Rn. 28 ff.; ebenso der Sache nach OVG Berlin-
Brandenburg, Urteil vom 20. Oktober 2011 - OVG 1 B 4.10 - DAR 2012, 157
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Rn. 27; zustimmend Jarass in: BImSchG, Kommentar 9. Aufl. 2012, § 47
Rn. 49).
Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung für die Beurteilung einer Klage, die
sich - wie hier - gegen ein in einem Verkehrszeichen verkörpertes Verkehrsver-
bot und damit gegen einen Dauerverwaltungsakt richtet, regelmäßig die Sach-
und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten tatsachengerichtlichen Verhandlung
maßgeblich (vgl. etwa zu Lkw-Überholverboten: Urteil vom 23. September 2010
- BVerwG 3 C 37.09 - BVerwGE 138, 21 Rn. 21 m.w.N.). Doch nimmt das Beru-
fungsgericht zu Recht an, dass das bei Fahrverboten, die auf einen Luftreinhal-
teplan zurückgehen, nicht ohne Weiteres gelten kann. Grund dafür ist - wie be-
reits erwähnt - die in § 47 und § 40 BImSchG vorgesehene Zweistufigkeit des
Verfahrens und der Umstand, dass dem Luftreinhalteplan, der die von der Stra-
ßenverkehrsbehörde zu ergreifenden Maßnahmen verbindlich festlegt, eine
planerische Entscheidung zugrunde liegt, die umfangreiche Prognosen voraus-
setzt.
Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BImSchG hat die zuständige Behörde einen Luftrein-
halteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen Maßnahmen zur dauerhaften
Verminderung von Luftverunreinigungen festlegt und den Anforderungen der
Rechtsverordnung entspricht, wenn die durch eine Rechtsverordnung nach
§ 48a Abs. 1 - die Verordnung über Immissionswerte für Schadstoffe in der Luft
(22. BImSchV) vom 11. September 2002 (BGBl I S. 3626) - festgelegten Immis-
sionsgrenzwerte einschließlich festgelegter Toleranzmargen überschritten wer-
den. § 47 Abs. 4 Satz 1 BImSchG sieht vor, dass die Maßnahmen entspre-
chend des Verursacheranteils unter Beachtung des Grundsatzes der Verhält-
nismäßigkeit gegen alle Emittenten zu richten sind, die zum Überschreiten der
Immissionswerte beitragen. Das alles betrifft die erste Stufe, die Planerstellung.
Die zweite Stufe, die Durch- und Umsetzung dieser Planung, ist in § 47 Abs. 6
BImSchG und, soweit es um den Erlass von Verkehrsbeschränkungen und
-verboten geht, in § 40 Abs. 1 Satz 1 BImSchG geregelt. Danach beschränkt
oder verbietet die zuständige Straßenverkehrsbehörde den Kraftfahrzeugver-
kehr nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften, soweit ein
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Luftreinhalteplan oder ein Plan für kurzfristig zu ergreifende Maßnahmen nach
§ 47 Abs. 1 oder 2 BImSchG dies vorsehen.
Einer solchen Umsetzung der in einem Luftreinhalteplan festgelegten verkehrs-
beschränkenden Maßnahmen durch Anordnungen der Straßenverkehrsbehör-
den bedarf es deshalb, weil die Pläne ausweislich der Gesetzesbegründung für
den Bürger nicht verpflichtend sind, sondern nur verwaltungsintern binden
(vgl. BTDrucks 14/8450 S. 14). Das Bundesverwaltungsgericht hat deshalb in
den Luftreinhalteplänen ebenso wie in den Aktionsplänen gemäß § 47 Abs. 2
BImSchG Handlungspläne gesehen, die in ihrer Rechtsnatur Verwaltungsvor-
schriften ähneln (Beschluss vom 29. März 2007 a.a.O. Rn. 27). Dementspre-
chend kann der von diesen Maßnahmen Betroffene einen solchen Luftreinhal-
teplan nicht unmittelbar angreifen. Gegenstand einer verwaltungsgerichtlichen
Klage können vielmehr erst die von der zuständigen Fachbehörde zur Umset-
zung dieser Maßnahmen ergangenen nach außen wirkenden Verfügungen
sein. In diesem Verfahren ist jedoch, um den nach Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen
effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, die Rechtmäßigkeit der Vorgaben
aus dem Luftreinhalteplan inzident zu überprüfen, soweit sie durch das Klage-
vorbringen in Frage gestellt werden; davon ist das Berufungsgericht in Überein-
stimmung mit der bereits genannten obergerichtlichen Rechtsprechung und der
Kommentarliteratur (vgl. u.a. Jarass, a.a.O. sowie Storost in: Ule/Laubinger/
Repkewitz, BImSchG, § 40 Rn. C 11 und Scheidler in: Feldhaus, BImSchG,
§ 40 Rn. 51 m.w.N.) ausgegangen.
Der Umfang dieser gerichtlichen Kontrolle des Luftreinhalteplans unterliegt je-
doch, nicht anders als sonstige Planungsentscheidungen, Einschränkungen.
Grund dafür sind zum einen die prognostischen Elemente, die der Planung im
Hinblick auf die Schadstoffentwicklung und der Wirkung der von ihr festgelegten
Maßnahmen zugrunde liegen, und zum anderen das Ermessen, das der Behör-
de bei der Auswahl und der Ausgestaltung der im Luftreinhalteplan festgelegten
Maßnahmen zusteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. März 2007 a.a.O.
Rn. 27). Die gerichtliche Kontrolle muss zudem, um der prognostischen Natur
der Planungsentscheidung gerecht zu werden - wie generell bei der Überprü-
fung solcher Prognosen -, auf den Zeitpunkt dieser Entscheidung abstellen, hier
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also auf die Beschlussfassung über den Plan. Inhaltlich beschränkt sich - wie in
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu sonstigen planerischen
Entscheidungen hinreichend geklärt ist - die gerichtliche Überprüfung derartiger
Prognosen darauf, ob die Prognose von zutreffenden Werten, Daten und Zah-
len ausgeht, auf realistischen Annahmen beruht, methodisch einwandfrei er-
arbeitet worden ist und ob das Prognoseergebnis einleuchtend begründet wor-
den ist (vgl. etwa Urteil vom 25. Juli 1985 - BVerwG 3 C 25.84 - BVerwGE 72,
38 <49 ff.>).
Die Einwände, die der Kläger gegen die Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung
auf die hier in Rede stehenden Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität
vorbringt, greifen nicht durch. Die dargestellten Maßgaben für die gerichtliche
Überprüfung von planerischen Entscheidungen ergeben sich aus dem solchen
Planungen innewohnenden Erfordernis, Prognosen anzustellen. Dagegen
kommt es nicht darauf an, inwieweit diesen Planungen ihrerseits bereits eine
unmittelbare rechtliche Außenwirkung zukommt oder ob es - wie hier - erst noch
weiterer behördlicher Umsetzungsakte bedarf; unerheblich ist ebenso, wie weit
der Kreis der von einer planerischen Entscheidung Betroffenen reicht.
bb) Eine Besonderheit ergibt sich allerdings - wie der Kläger sinngemäß geltend
macht - daraus, dass die in Umsetzung des Luftreinhalteplans angeordneten
und aufgestellten Verkehrszeichen als Dauerverwaltungsakte fortdauernde Wir-
kung äußern. Ihre deshalb auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhand-
lung des Tatsachengerichts zu beziehende rechtliche Beurteilung kann in Kon-
flikt damit geraten, dass sich die Rechtmäßigkeit der ihnen zugrunde liegenden
Luftreinhalteplanung nach Datum der Beschlussfassung über den Plan be-
stimmt. Der Kläger weist zu Recht darauf hin, dass es eine Rechtsschutzlücke
gäbe, wäre er durchgreifend daran gehindert, sich gegen die ihn fortdauernd
belastenden Verkehrszeichen auf nachträgliche Entwicklungen und Erkenntnis-
se zu berufen, die die Prognose erschüttern, auf der die angeordnete Umwelt-
zone beruht. Die Frage, wie einem solchen Rechtsschutzdefizit Rechnung zu
tragen ist - sei es durch die eher naheliegende Berücksichtigung solcher nach-
träglichen Erkenntnisse bereits im Anfechtungsprozess, sei es durch einen an-
derweitig zu verfolgenden Anspruch auf Aufhebung der verkehrsbehördlichen
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Anordnungen -, müsste jedoch im hier erstrebten Revisionsverfahren nicht be-
antwortet werden und rechtfertigt daher nicht die Zulassung dieses Rechtsmit-
tels. Zwar hat sich das Berufungsgericht auf den Standpunkt gestellt, maßgeb-
lich für die rechtliche Beurteilung der angegriffenen Verkehrszeichen sei die
seinerzeitige Rechtmäßigkeit der Einrichtung einer Umweltzone und nicht, ob
es einen später eingetretenen Änderungsbedarf gebe. Es hat aber - gleichsam
vorsorglich - eingehend dazu Stellung genommen, ob die vom Kläger angeführ-
ten nachträglichen Erkenntnisse die Grundlage der Luftreinhalteplanung der Be-
klagten und der nach diesem Plan einzurichtenden Umweltzone in Frage stellen
und dies verneint (S. 32 ff. der Urteilsgründe). Es konnte auch den vom Kläger
vorgetragenen Umständen nicht entnehmen, dass sich die Einrichtung der Um-
weltzone mit den damit verbundenen Fahrverboten als ungeeignet, nicht erfor-
derlich oder unverhältnismäßig im engeren Sinne erweist. Durchgreifende Ver-
fahrensrügen gegen diese Feststellungen hat der Kläger - wie nachfolgend
noch im Einzelnen darzulegen sein wird - nicht erhoben, so dass sie im Revi-
sionsverfahren gemäß § 137 Abs. 2 VwGO binden. Damit wäre es in dem vom
Kläger angestrebten Revisionsverfahren aber nicht entscheidungserheblich,
inwieweit eine Pflicht zur Berücksichtigung solcher Erkenntnisse im Anfech-
tungsprozess besteht.
b) Die zweite vom Kläger für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage,
ob
es die gesetzliche Bestimmung des § 47 Abs. 4 Satz 1
BImSchG erlaubt, für die gerichtliche Überprüfung der
Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme unterschiedliche
Zeitpunkte anzunehmen und zu verwenden,
mit der der Sache nach dasselbe Rechtsschutzproblem angesprochen wird,
führt danach ebenfalls nicht auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Soweit der Kläger die Frage dahin verstanden wissen will, ob für die Prüfung
der Geeignetheit der Maßnahme ein anderer Zeitpunkt zugrunde gelegt werden
darf als für die der Erforderlichkeit oder Angemessenheit, liegt es auf der Hand,
dass diese von der Verhältnismäßigkeitsprüfung erfassten Gesichtspunkte nach
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einheitlichen zeitlichen Bezugspunkten zu beurteilen sind. Der Kläger verkennt
allerdings, dass das Oberverwaltungsgericht - worauf bereits oben hingewiesen
worden ist - nachträgliche Erkenntnisse nur vorsorglich herangezogen hat.
c) Schließlich verleiht auch die Frage, ob
bei einer nicht willentlich getragenen Zuständigkeitsüber-
tragung tatsächlich ein Zuständigkeitswechsel stattgefun-
den hat und ob diese Sichtweise mit § 1 Abs. 5 Satz 1 und
3 der Verordnung über Zuständigkeiten auf den Gebieten
des Arbeitsschutz-, Immissionsschutz-, Sprengstoff-, Gen-
technik- und Strahlenschutzrechts sowie in anderen
Rechtsgebieten (ZustVO-Umwelt-Arbeitsschutz) vereinbar
ist,
der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Abgesehen davon, dass die vom Kläger in Bezug genommene Regelung ohne-
hin zum nicht revisiblen Landesrecht gehört (§ 137 Abs. 1 VwGO), trifft auch die
von ihm dieser Frage zugrunde gelegte Prämisse, dass es bei der Aufstellung
des hier in Rede stehenden Luftreinhalte-Aktionsplanes zu einer nicht willentlich
getragenen Zuständigkeitsübertragung vom Land auf die Beklagte gekommen
sei, nach mit den vom Berufungsgericht hierzu getroffenen Feststellungen nicht
zu.
Nach § 1 Abs. 5 Satz 1 der genannten Verordnung führen im Fall einer Verän-
derung der Zuständigkeiten nach dieser Verordnung die bisher zuständigen
Stellen - hier das Niedersächsische Umweltministerium - die bei ihnen anhängi-
gen Verfahren zu Ende. Nach Satz 3 (i.d.F. der Verordnung vom 5. Januar
2006, Nds. GVBl S. 2) kann die oberste Landesbehörde bestimmen, dass ein
anhängiges Verfahren abweichend von Satz 1 von der nunmehr zuständigen
Stelle zu Ende geführt wird. Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit
dem Verwaltungsgericht angenommen, dass hier im Hinblick auf den Erlass des
Umweltministeriums vom 14. März 2007 eine solche abweichende Zuständig-
keitsübertragung im Sinne von § 1 Abs. 5 Satz 3 ZustVO-Umwelt-Arbeitsschutz
vorlag (UA S. 15).
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2. Die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensfehler sind nicht schlüssig
dargetan; soweit die Beschwerdebegründung dem Darlegungserfordernis des
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt, liegen sie nicht vor.
a) Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass das Berufungsgericht
gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO verstoßen
hat.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien,
aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Danach
ist das Tatsachengericht u.a. verpflichtet, bei Bildung der Überzeugung von ei-
nem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen (stRspr;
vgl. Urteile vom 18. Juli 1986 - BVerwG 4 C 40 bis 45.82 - Buchholz 310 § 108
VwGO Nr. 181 und vom 18. Mai 1990 - BVerwG 7 C 3.90 - BVerwGE 85, 155
<158> = Buchholz 445.4 § 31 Nr. 14 S. 5). Das Gericht darf nicht so verfahren,
dass es einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse bei der Bewer-
tung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgeblichen Umstände nicht
zur Kenntnis nimmt oder nicht in Erwägung zieht (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994
- BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <208 f.>). Im Übrigen ist die tatsa-
chengerichtliche Beweiswürdigung aufgrund des § 137 Abs. 2 VwGO der Über-
prüfung durch das Revisionsgericht weitgehend entzogen; die Beweiswürdi-
gung ist regelmäßig dem sachlichen Recht zuzurechnen und vom Revisionsge-
richt nur auf die Beachtung der allgemein gültigen Würdigungsgrundsätze zu
überprüfen, zu denen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157
BGB), die allgemeinen Erfahrungssätze und die Denkgesetze gehören (stRspr;
vgl. Urteil vom 18. September 1985 - BVerwG 2 C 30.84 - Buchholz 237.5 § 14
LBG Hessen Nr. 2 S. 2 und 6).
aa) Die Rüge des Klägers, das Berufungsgericht habe seinen Vortrag übergan-
gen, dass die der Aufstellung des Luftreinhalteplans zugrunde liegende Pro-
gnose des Ingenieurbüros L. fehlerhaft gewesen sei, trifft nicht zu. Der Kläger
verweist insoweit auf den Vortrag aus den Schriftsätzen vom 19. August 2009
und 4. Mai 2011. Diesen Vortrag hat das Berufungsgericht jedoch im Tatbe-
stand seines Urteils in zusammenfassender Form wiedergegeben (UA S. 11 f.)
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und sich damit inhaltlich, wenn auch nicht mit dem vom Kläger gewünschten
Ergebnis, auseinandergesetzt (UA S. 26 ff.). Es stellt darauf ab, dass die Be-
klagte die Untersuchung nicht kritiklos übernommen, sondern vor der Be-
schlussfassung über den Luftreinhalteplan nochmals einer aktuellen Überprü-
fung unterzogen habe; dabei habe sie auch die Möglichkeit des nachträglichen
Einbaus von Partikelfiltern berücksichtigt. Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1
VwGO ergibt sich insofern nicht.
bb) Gleiches gilt, soweit der Kläger seinen Vortrag übergangen sieht, dass eine
Senkung der NO
x
-Emissionen nicht zwangsläufig zugleich zu einer Senkung
der NO
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-Emissionen führe und dass die Gutachten des Ingenieurbüros L. hier-
zu divergierende Aussagen getroffen hätten. Auch mit diesem Einwand hat sich
das Berufungsgericht eingehend befasst, ebenso mit den aus dem Straßenver-
kehr entstehenden Anteilen von NO
x
und NO
2
-Emissionen und deren Rückwir-
kung auf den in der Luft letztlich festzustellenden NO
2
-Gehalt (UA S. 29 ff.).
Dass dem Berufungsgericht dabei ein Verstoß gegen Beweiswürdigungsgrund-
sätze unterlaufen ist, legt die Beschwerde nicht schlüssig dar.
cc) Der Kläger sieht den Grundsatz der freien Beweiswürdigung weiter dadurch
verletzt, dass das Berufungsgericht den Vortrag der Parteien widersprüchlich
gewertet habe. Während das Berufungsgericht ihm vorwerfe, dass es ein altes
ADAC-Gutachten gebe, das im Widerspruch zu den Angaben des von ihm in
der mündlichen Verhandlung beigezogenen ADAC-Sachverständigen stehe,
habe es entsprechende Folgerungen aus den widersprüchlichen Stellungnah-
men des Umweltministeriums zur Eignung der Umweltzone nicht gezogen.
Ein Widerspruch gegen allgemeine Beweiswürdigungsgrundsätze ergibt sich
daraus nicht. Der Kläger vermengt Dinge, die nichts miteinander zu tun haben,
und vernachlässigt die vom Berufungsgericht für seine Beweiswürdigung je-
weils gegebene Begründung. Die Stellungnahmen des Umweltministeriums be-
zogen sich auf die Frage, ob sich die Einrichtung einer Umweltzone zur Sen-
kung des in Rede stehenden Schadstoffpegels eignet. Dabei lagen der vom
14. Mai 2009 datierenden ersten Stellungnahme des Umweltministeriums allein
die Erkenntnisse aus dem ersten Jahr nach der Einführung der Umweltzone
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zugrunde, während in der gemeinsamen Presseerklärung des Umweltministe-
riums und der Beklagten vom 25. Januar 2011 auch spätere Erkenntnisse Be-
rücksichtigung finden konnten. Auf diese Erweiterung der Erkenntnisbasis hat
das Berufungsgericht auch abgestellt. Demgegenüber betrafen die vom Kläger
angesprochenen Äußerungen des ADAC-Sachverständigen die Auswirkungen
von Partikelfiltern auf den NO
2
-Ausstoß von Kraftfahrzeugen. Diese Äußerun-
gen hat das Berufungsgericht in Zweifel gezogen, weil das im erstinstanzlichen
Verfahren vorgelegte ADAC-Gutachten zu anderen Ergebnissen gekommen
war. Eine Erklärung für diesen Widerspruch oder dessen Auflösung gibt die Be-
schwerdebegründung nicht. Sie stellt damit die Beweiswürdigung des Beru-
fungsgerichts schon nicht schlüssig in Frage; erst recht wird kein Verstoß gegen
allgemeine Beweiswürdigungsgrundsätze dargelegt.
dd) Der Vorwurf des Klägers, das Berufungsgericht habe seinen Vortrag zu
den beiden Gutachten des staatlichen Gewerbeaufsichtsamts Hildesheim nicht
hinreichend gewürdigt, führt ebenfalls nicht auf einen Verfahrensfehler im Sinne
von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Mit der Rüge, das Berufungsgericht habe den Modellrechnungen des Inge-
nieurbüros L. vertraut, nicht aber den tatsächlichen Messungen, die das Gewer-
beaufsichtsamt Hildesheim vorgenommen habe, ist kein Verstoß gegen Be-
weiswürdigungsgrundsätze dargetan. Das Berufungsgericht hat in seinem Urteil
ausgeführt, aus welchen Gründen es dem Bericht des Gewerbeaufsichtsamts
vom April 2009 nicht die mangelnde Eignung der Umweltzone entnehmen konn-
te (möglicherweise geringer Befolgungsgrad des Fahrverbots wegen zeitweise
ausgesetzter Fahrzeugkontrollen; nicht geklärte Auswirkungen einer Verlage-
rung des Messpunktes). Der Kläger mag diese Begründung für unzutreffend
halten; das reicht jedoch für die Darlegung eines Verstoßes gegen allgemeine
Beweiswürdigungsgrundsätze, der den geltend gemachten Verfahrensfehler
erst begründen würde, nicht aus. Gleiches gilt, soweit der Kläger die Ergebnis-
se des zweiten vom Juli 2010 datierenden Berichts des Gewerbeaufsichtsamts
Hildesheim, der das Jahr 2009 betraf, anders bewertet als das Berufungsge-
richt.
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Der Umstand, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Beru-
fungsgericht den Vortrag eines Vertreters der Berliner Senatsverwaltung für
Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, der die Eignung der dortigen Um-
weltzone zur Schadstoffsenkung bestätigte, bestritten hat, hinderte das Beru-
fungsgericht nicht an der Verwertung dieses Vortrags und musste, wenn seitens
des Klägers keine substanziierten Einwendungen erhoben wurden, auch nicht
Anlass für weitere Nachforschungen sein. Der Beschwerdebegründung ist indes
nicht zu entnehmen, welche inhaltlichen Einwendungen vom Kläger gegen den
Vortrag geltend gemacht wurden. Wäre sein Prozessbevollmächtigter tatsäch-
lich durch den Vortrag überrascht worden und ad hoc nicht in der Lage gewe-
sen, solche substanziierten Einwendungen zu erheben, hätte er Schriftsatz-
nachlass beantragen können. Das ist ausweislich des Protokolls der mündli-
chen Verhandlung nicht geschehen.
ee) Ebenso wenig legt der Kläger einen zur Revisionszulassung führenden Ver-
fahrensfehler dar, soweit er darauf verweist, das Berufungsgericht habe den
Sachverhalt hinsichtlich des Luftreinhalteplans der Stadt Aachen, auf den er
sich berufen habe, nicht für vergleichbar gehalten, wohl aber hinsichtlich der
Berliner Umweltzone. In dieser Ungleichbehandlung sieht der Kläger einen Ver-
stoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung.
Das Berufungsgericht hat, wie es in den Entscheidungsgründen des angegriffe-
nen Urteils darlegt, den Hinweis auf den Luftreinhalteplan der Stadt Aachen, der
einen Maßnahmenkatalog ohne die Anordnung einer Umweltzone enthält, des-
halb nicht für weiterführend gehalten, weil eine Vergleichbarkeit der Sachverhal-
te nicht ansatzweise gegeben sei. Welche Maßnahmen zu ergreifen seien,
hänge von den örtlichen Gegebenheiten ab, zu denen sich der Kläger bei seiner
Bezugnahme auf den Aachener Luftreinhalteplan nicht verhalten habe. Diese
Begründung ist im Hinblick auf die Einhaltung der allgemeinen Grundsätze der
Beweiswürdigung, die im Rahmen der geltend gemachten Verfahrensrüge allein
in Rede steht, nicht zu beanstanden. Der Kläger hatte im Berufungsverfahren
nur vorgetragen, dass die für das Jahr 2007 gemessenen Mittelwerte für NO
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und die Zahl der Überschreitungstage in Hannover und Aachen in etwa ver-
gleichbar seien. Das macht zwar nach § 47 Abs. 1 BImSchG die Aufstellung
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eines Luftreinhalteplans notwendig, hat aber mit Blick auf Emissionsquellen und
örtliche Besonderheiten nicht zwingend zur Folge, dass sich auch dieselben
Maßnahmen als verhältnismäßig erweisen. Umgekehrt lässt die Beschwerde,
soweit es um die gerügte Ungleichbehandlung in Bezug auf Berlin geht, eine
nähere Begründung vermissen, weshalb die in Berlin gewonnenen Erkenntnis-
se, aus denen das Berufungsgericht die Eignung einer Umweltzone zur Luft-
schadstoffreduzierung unter anderem herleitet, diesen Schluss nicht tragen sol-
len.
b) Der vom Kläger gerügte Verstoß gegen die gerichtliche Sachaufklärungs-
pflicht nach § 86 VwGO ist auf der Grundlage der Beschwerdebegründung nicht
zu erkennen.
Wird die Revision auf eine Verletzung von § 86 Abs. 1 VwGO gestützt, so ge-
hört zur ordnungsgemäßen Angabe der den Mangel ergebenden Tatsachen
außer der Anführung des Beweismittels, dessen sich das Tatsachengericht
nicht bedient haben soll, auch die Darlegung, was das Beweismittel voraus-
sichtlich erbracht hätte und weshalb bei dem erhofften Beweisergebnis eine
dem Kläger günstigere Entscheidung hätte ergehen können. Hat der die Rüge
vorbringende Verfahrensbeteiligte keinen Beweisantrag gestellt, so ist ferner
darzulegen, weshalb sich dem Tatsachengericht eine weitere Sachaufklärung in
der jetzt aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen (stRspr; vgl. u.a. Ur-
teil vom 29. Juli 1992 - BVerwG 3 C 37.88 - juris).
Der letztgenannten Anforderung wird die Begründung der Beschwerde nicht
gerecht. Der Kläger rügt in verschiedenem Zusammenhang, dass das Beru-
fungsgericht seinen schriftsätzlich geäußerten Beweisanregungen nicht nach-
gegangen sei. Er hatte jedoch, obwohl er auch im Berufungsverfahren anwalt-
lich vertreten war, in der dortigen mündlichen Verhandlung keine förmlichen
Beweisanträge gestellt. Er hätte deshalb - wie gezeigt - in der Beschwerdebe-
gründung darlegen müssen, weshalb sich die vermisste Beweiserhebung dem
Gericht gleichwohl hätte aufdrängen müssen. Das ist nicht in der gebotenen
Weise geschehen. Insbesondere trägt das Vorbringen dem Umstand nicht hin-
reichend Rechnung, dass bereits im erstinstanzlichen Verfahren eine Vielzahl
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fachlicher Stellungnahmen vorlagen und das Verwaltungsgericht in der mündli-
chen Verhandlung darüber hinaus Sachverständige angehört hat; auf diese Er-
kenntnisse konnte auch das Berufungsgericht zurückgreifen. Im Berufungsver-
fahren sind von den Parteien nochmals ergänzende Stellungnahmen und Gut-
achten beigebracht worden; in der mündlichen Verhandlung haben sie sich zu-
dem - wie vom Berufungsgericht erbeten - durch fachkundige Beistände beglei-
ten lassen.
Eine Verletzung von § 86 Abs. 1 VwGO ist insbesondere nicht dargetan, soweit
die Beschwerde einen solchen Verstoß darin sieht, dass das Berufungsgericht
der Frage nicht weiter nachgegangen sei, durch welche der im Luftreinhalteplan
genannten Maßnahmen die für 2009 festgestellte geringe Verbesserung der
Schadstoffsituation herbeigeführt worden sei. Auch insoweit fehlt es an einem
förmlichen Beweisantrag; dass sich dem Berufungsgericht die Beweiserhebung
gleichwohl aufdrängen musste, ist nicht dargetan. Abgesehen davon geht der
Kläger auch hier von einem unzutreffenden zeitlichen Bezugspunkt aus. Maß-
geblich für die Inzident-Überprüfung des Luftreinhalteplans ist im Hinblick auf
die angestellten Prognosen - aus den eingangs bereits dargestellten Gründen -
eine ex-ante-Betrachtung; das gilt gerade auch für die Verhältnismäßigkeit der
in diesem Plan vorgesehenen Maßnahmen. Die vom Kläger angestrebte Be-
weiserhebung zielt stattdessen auf eine ex-post-Beurteilung ab. Die Annahme
des Klägers, dass eine Prognose nicht ausreiche, weil die Ermächtigungsgrund-
lage für den Luftreinhalteplan explizit die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen
verlange, geht fehl. Beides steht nicht im Widerspruch zueinander.
Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2
Halbsatz 2 VwGO abgesehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Kley
Liebler
Buchheister
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