Urteil des BVerwG vom 05.10.2005

Rechtliches Gehör, Rücknahme, Einverständnis, Rechtfertigung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 76.05
VG 15 A 296.02
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Oktober 2005
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k ,
L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
beschlossen:
Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom
9. März 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unbegründet. Die vom Beigeladenen angeführten Zulassungs-
gründe liegen nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Rücknahmebescheid aufgehoben,
weil die Voraussetzungen des § 48 VwVfG nicht gegeben seien. Zum einen sei der
Tatbestand dieser Vorschrift nicht erfüllt. Die Rücknahme einer einvernehmlichen
Zuordnungsentscheidung nach § 2 Abs. 1 Satz 6 VZOG komme nicht schon dann in
Betracht, wenn diese dem materiellen Zuordnungsrecht widerspreche, sondern erst
dann, wenn die zugrunde liegende Vereinbarung unter den Zuordnungsprätendenten
beseitigt, etwa von dem einen Teil wegen arglistiger Täuschung wirksam angefoch-
ten sei. Daran fehle es. Zum anderen habe die Zuordnungsbehörde das durch § 48
Abs. 1 VwVfG eingeräumte Rücknahmeermessen nicht ausgeübt.
1. Der Beigeladene bemängelt in erster Linie die Anwendung von § 48 VwVfG. Er
meint, der Bescheid ließe sich auf § 7 Abs. 4 Satz 2 VZOG stützen. In diesem Zu-
sammenhang erhebt er die Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und die Ver-
fahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Mit Blick auf § 7 Abs. 4 Satz 2 VZOG hält er
für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob die nachträgliche Änderung einer einver-
nehmlichen Zuordnungsentscheidung auch dann in Betracht kommt, wenn - allein -
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der aus ihr Begünstigte der Änderung zustimmt. Als Verfahrensmangel rügt er, dass
sich das Verwaltungsgericht nicht mit § 7 Abs. 4 Satz 2 VZOG auseinander gesetzt
habe. Hierdurch sieht er sich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2
VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, weil er auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt
zuvor ausdrücklich hingewiesen habe.
Mit beiden Rügen dringt der Beigeladene schon deshalb nicht durch, weil die erho-
bene Anfechtungsklage sich keinesfalls mit der Begründung hätte abweisen lassen,
der angefochtene Aufhebungsbescheid finde eine gesetzliche Grundlage in § 7
Abs. 4 Satz 2 VZOG. Der Bescheid stützt sich ausdrücklich nur auf § 48 VwVfG. Eine
andere gesetzliche Grundlage hätte das Verwaltungsgericht nur heranziehen kön-
nen, wenn die Voraussetzungen gegeben wären, die § 47 VwVfG an eine Umdeu-
tung eines Verwaltungsaktes stellt. Diese aber liegen offensichtlich nicht vor. Nach
§ 47 Abs. 1 VwVfG muss der andere Verwaltungsakt - neben weiteren Vorausset-
zungen - auf dasselbe Ziel gerichtet sein, und die Voraussetzungen für seinen Erlass
müssen erfüllt sein; hinzu kommt, dass keine abweichenden Anforderungen an die
Ausübung des Ermessens bestehen dürfen. An all dem fehlt es schon deshalb, weil
§ 7 Abs. 4 Satz 2 VZOG nur die Änderung einer Zuordnungsentscheidung erlaubt,
nicht aber deren ersatzlose Aufhebung. Das zeigt schon der Wortlaut. Es wird auch
daraus deutlich, dass die neue Zuordnungsentscheidung den in § 1 VZOG genann-
ten Vorschriften eher entsprechen muss als die alte. Das setzt voraus, dass über-
haupt eine neue Zuordnung erfolgt. Die bloße Aufhebung einer Zuordnungsent-
scheidung mit der - wie hier - erklärten Absicht, wieder Volkseigentum am Grund-
stück zu begründen, steht dem materiellen Zuordnungsrecht keinesfalls näher als
eine - unterstellt: fehlerhafte - Zuordnungsentscheidung, die im Einverständnis der
Beteiligten getroffen wurde.
Kam aber eine Heranziehung von § 7 Abs. 4 Satz 2 VZOG zur Rechtfertigung des
angefochtenen Bescheides von vornherein nicht in Betracht, so können Fragen zur
Auslegung dieser Vorschrift dem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung ver-
leihen. Auch im Revisionsverfahren könnte nämlich nicht geklärt werden, ob eine
Änderung der Zuordnungsentscheidung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 VZOG schon bei
einseitiger Zustimmung des (formal) Begünstigten in Betracht kommt oder aber
ebenso wie die nach § 2 Abs. 1 Satz 6 VZOG die Einigung aller Beteiligten voraus-
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setzt (vgl. BTDrucks 12/5553, S. 166). Auch ein Verfahrensfehler, auf dem die ange-
fochtene Entscheidung beruht, kann nicht vorliegen. Es stellt keine Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör dar, wenn das Verwaltungsgericht in der Begrün-
dung seiner Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt nicht eingeht, auf den
es seine Entscheidung keinesfalls hätte stützen können.
2. Auch die Rüge, das angefochtene Urteil weiche von einer Entscheidung des Bun-
desverwaltungsgerichts ab und beruhe darauf (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), kann nicht
zur Zulassung der Revision führen.
Dies ergibt sich schon daraus, dass die angefochtene Entscheidung auf zwei selb-
ständig tragende Erwägungen gestützt ist, der Beigeladene sich aber nur gegen die
eine von ihnen wendet, die andere aber hinnimmt. Wie erwähnt, hat das Verwal-
tungsgericht den Rücknahmebescheid aufgehoben, weil zum einen die tatbestandli-
chen Voraussetzungen des § 48 VwVfG nicht vorlägen und die Zuordnungsbehörde
zum anderen ihr Ermessen nicht betätigt habe. Die Divergenzrüge betrifft nur den
zweiten Punkt, während zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 VwVfG
ein Zulassungsgrund nicht geltend gemacht wird. Unter diesen Umständen könnte
die angefochtene Entscheidung auf der behaupteten Divergenz nicht beruhen.
Eine Divergenz wird zudem nicht schlüssig dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Hierzu wäre erforderlich gewesen, einen rechtlichen Obersatz, den das Verwal-
tungsgericht zur Begründung seiner Entscheidung aufgestellt hat, einem abweichen-
den rechtlichen Obersatz aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
gegenüberzustellen. Daran fehlt es. Der Beigeladene unterstellt dem Verwaltungsge-
richt den rechtlichen Obersatz, ein Ermessensnichtgebrauch könne auch dann vor-
liegen, wenn in der gegebenen Begründung des Bescheides Ermessenserwägungen
dargelegt werden. Einen derartigen Obersatz hat das Verwaltungsgericht jedoch
nicht aufgestellt.
In Wahrheit rügt der Beigeladene lediglich eine unrichtige Rechtsanwendung. Eine
solche könnte nicht zur Zulassung der Revision führen. Sie liegt im Übrigen auch
nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die Zuordnungsbehörde
ihr Rücknahmeermessen nicht ausgeübt habe. Diese tatrichterliche Würdigung ist frei
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von rechtlichen Einwänden. Die Passage der dem Rücknahmebescheid beige-
gebenen Begründung, auf die der Beigeladene für seine gegenteilige Ansicht ver-
weist, betrifft nicht die Frage der Rücknahme, sondern die sich hieran erst anschlie-
ßende Frage, ob die alte Zuordnung isoliert aufgehoben werden darf oder aber
sogleich durch eine neue Zuordnung ersetzt werden muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streit-
werts auf § 6 Abs. 3 Satz 2 VZOG.
van Schewick
Liebler
Prof. Dr. Rennert
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