Urteil des BVerwG vom 22.02.2012

Tatsächliche Sachherrschaft, Zeugenaussage, Rüge, Gewissheit

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 74.11
OVG 2 L 170/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Februar 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Buchheister und Dr. Wysk
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
des Landes Sachsen-Anhalt vom 5. Mai 2011 wird zu-
rückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigela-
denen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 1 020,86 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger begehrt die Festsetzung von Zahlungsansprüchen für Betriebsprä-
mien nach der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 gemäß seinem Antrag vom
17. Mai 2005. Für die hier umstrittene Fläche von 10,45 ha wurde der Anspruch
abgelehnt, weil der Kläger sein Besitzrecht zum Stichtag nicht zweifelsfrei
nachgewiesen habe. Seine dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsge-
richt abgewiesen; seine Berufung ist erfolglos geblieben. Das Oberverwal-
tungsgericht hat das Berufungsurteil im Wesentlichen darauf gestützt, dass der
Kläger nicht in der gesamten Zeit des von ihm bestimmten Zehn-Monats-
Zeitraums vom 1. Januar bis 31. Oktober 2005 in der Lage gewesen sei, die
umstrittene Fläche in entsprechender Selbständigkeit für seine landwirtschaftli-
che Tätigkeit zu nutzen. Besitz an der Fläche habe er frühestens mit Abschluss
des Pachtvertrages am 12. Januar 2005 erlangt. Dass ihm bereits zuvor
- entweder durch mündliche Vereinbarung oder durch konkludentes Handeln -
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die Nutzungsbefugnis eingeräumt worden sei und er die (unmittelbare) tatsäch-
liche Sachherrschaft über die Fläche ausgeübt habe, lasse sich nicht feststel-
len. Das Gericht legt sodann im Einzelnen dar, warum sich aus den Bekundun-
gen der Zeugin T. nichts anderes ergebe.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil
rügt der Kläger eine fehlerhafte Überzeugungsbildung des Gerichts und damit
einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO, der die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, ist
nicht erkennbar.
Nach Auffassung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht gegen den
Grundsatz der freien Beweiswürdigung verstoßen, indem es die Aussage der
Zeugin T., sie habe dem Kläger mündlich erlaubt, die Fläche zu nutzen, er solle
aber noch einen schriftlichen Antrag stellen, dahin gewürdigt habe, dass die
Fläche nicht sofort habe genutzt werden dürfen; diese Würdigung sei konstru-
iert und verstoße gegen die Denkgesetze.
Diese Rüge geht zunächst daran vorbei, dass das Gericht in erster Linie Zweifel
an der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage äußert, weil das Erinnerungsvermö-
gen der Zeugin - wie im Einzelnen dargelegt - sehr unterschiedlich und lücken-
haft sei und vom Kläger vorgelegte Unterlagen im Widerspruch zu der Zeugen-
aussage stünden. Zwar rügt der Kläger in seiner weiteren Beschwerdebegrün-
dung auch diese Einschätzung des Gerichts als verfahrensfehlerhaft. Insoweit
beschränkt er sich jedoch darauf, der Bewertung des Gerichts seine eigene
entgegenzusetzen, ohne dass sich seinem Vortrag entnehmen lässt, weshalb
das Gericht insoweit gegen Beweiswürdigungsgrundsätze verstoßen hat, deren
Verletzung allein Gegenstand einer Verfahrensrüge sein könnte.
Soweit das Gericht hilfsweise die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage unterstellt
und sie inhaltlich in der vom Kläger beanstandeten Weise würdigt, ist zudem ein
Verstoß gegen Denkgesetze nicht erkennbar. Vielmehr bewegt es sich in den
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Grenzen zulässiger Beweiswürdigung, in der Bemerkung, es sei „noch“ ein
schriftlicher Antrag erforderlich, einen Hinweis dafür zu sehen, dass die Fläche
nicht sofort habe benutzt werden können.
Von all dem abgesehen lässt die Rüge des Klägers unbeachtet, dass das Ge-
richt ihm darüber hinaus vorhält, selbst nicht dargelegt zu haben, dass er die
betreffende Fläche bereits vor Vertragsschluss tatsächlich genutzt habe, so
dass der Zeitpunkt der Inbesitznahme nicht mit hinreichender Gewissheit fest-
stellbar sei. Vor diesem Hintergrund kann die Würdigung der Zeugenaussage
zu den Umständen des Vertragsschlusses und der behaupteten Nutzungsge-
stattung - ausgehend von der dem Urteil zugrunde liegenden materiellen
Rechtsauffassung des Gerichts - das Ergebnis der angegriffenen Entscheidung
ohnehin nicht in Frage stellen; denn maßgeblich für die Erfüllung der An-
spruchsvoraussetzungen ist danach nicht nur die Nutzungsbefugnis während
des Zehn-Monats-Zeitraums, sondern auch die tatsächliche Nutzung während
der gesamten Zeit.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52
Abs. 1 und 3 GKG.
Kley
Buchheister
Dr. Wysk
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