Urteil des BVerwG vom 06.11.2006

Schiedsstelle, Budget, Einfluss, Rate

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 71.06
OVG 1 Bf 65/05
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. November 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Dette
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision im Urteil des Hamburgischen Oberverwal-
tungsgerichts vom 24. März 2006 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 224 702,40 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund
des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. Die Rechtssache hat keine
grundsätzliche Bedeutung.
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Gesamtbetrags der Erlöse, die dem
klagenden Krankenhaus für das Jahr 2002 zustehen. Die Schiedsstelle hat die-
sen Betrag in der Weise festgesetzt, dass sie den Gesamtbetrag des Vorjahres
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entsprechend den von anderen Krankenhäusern derselben Versorgungsstufe in
H. getroffenen Pflegesatzvereinbarungen um 0,8 % angehoben hat. Die Klä-
gerin verlangt hingegen eine Anhebung entsprechend der Veränderungsrate
der beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der Krankenkassen je Mit-
glied in Höhe von 1,84 % mit der Begründung, sie habe sogar noch darüber
hinausgehende Kostensteigerungen von mehr als 2 % zu tragen gehabt, die
sich ihrem Einfluss entzogen hätten. Das Berufungsgericht hat die Klage abge-
wiesen.
Die Klägerin sieht die Rechtssache als grundsätzlich bedeutsam an. Sie hält die
Frage für klärungsbedürftig, ob die Schiedsstelle für die Festsetzung der
Krankenhauspflegesätze verpflichtet ist, eine Budgeterhöhung in Höhe der Ver-
änderungsrate auszusprechen, wenn zwischen den Vertragsparteien der Pfle-
gesatzverhandlung unstreitig ist, dass das Vorjahresbudget des Krankenhauses
leistungsgerecht war und die tatsächlichen Kostensteigerungen des Kran-
kenhauses aus Gründen, die nicht im Einflussbereich des Krankenhauses lie-
gen, die Obergrenze der Veränderungsrate überschritten haben. Sie meint, un-
ter diesen Voraussetzungen stehe der Schiedsstelle keine Einschätzungsprä-
rogative zu.
Die aufgeworfene Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren,
weil sich die Antwort ohne Weiteres und eindeutig aus den gesetzlichen Rege-
lungen und der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung ergibt.
Auszugehen ist insoweit von der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass
die Schiedsstelle dieselben rechtlichen Grenzen zu beachten hat, die auch für
die Pflegesatzparteien selbst im Falle der Regelung durch Vereinbarungen gel-
ten; innerhalb dieser Grenzen hat die Schiedsstelle die ansonsten den Ver-
tragsparteien zukommenden Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. Urteile vom
19. Juni 1997 - BVerwG 3 C 24.96 - BVerwGE 105, 97 <100> = Buchholz
451.73 § 28 BPflV Nr. 1 S. 3 und vom 8. September 2005 - BVerwG 3 C 41.04 -
BVerwGE 124, 209 <211> = Buchholz 451.74 § 18a KHG Nr. 3 S. 3). Das
bedeutet, dass die Entscheidung der Schiedsstelle nur dann rechtswidrig wäre,
wenn auch die Pflegesatzparteien eine entsprechende Regelung im Ver-
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einbarungswege nicht hätten treffen dürfen. Ein entsprechendes gesetzliches
Verbot zeigt die Klägerin aber nicht auf. Es ist auch nicht ersichtlich.
Möglicherweise meint die Klägerin, unter den von ihr genannten Voraussetzun-
gen verletze eine Anhebung unterhalb der Veränderungsrate die Bestimmung,
dass das Budget medizinisch leistungsgerecht sein und einem Krankenhaus bei
wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen muss, den Versorgungsauftrag zu
erfüllen (§ 17 Abs. 2 KHG, § 3 Abs. 1 BPflV). Ein Automatismus dahin, dass nur
der um die Veränderungsrate erhöhte Gesamtbetrag der Erlöse des Vorjahres
medizinisch leistungsgerecht ist, lässt sich dem Gesetz jedoch nicht ent-
nehmen. Das folgt daraus, dass das Merkmal der medizinischen Leistungsge-
rechtigkeit keine abschließende und alternativlose Bestimmung des dem Kran-
kenhaus zustehenden Budgets ermöglicht. Es ist vielmehr gerade Aufgabe der
Pflegesatzverhandlungen, den Leistungsumfang des Krankenhauses und die
Höhe des angemessenen Entgelts festzulegen. Der Umstand, dass im Vorjahr
eine Vergütungsregelung vereinbart oder festgesetzt worden ist, die dem Gebot
der medizinischen Leistungsgerechtigkeit genügte, besagt daher nicht, dass
diese Vergütung auch der unverrückbare Grundstein der für das Folgejahr zu
treffenden Regelungen sei. Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf hin,
dass das medizinisch leistungsgerechte Budget für jedes Pflegesatzjahr neu
ermittelt und festgelegt werden muss.
Zu Unrecht beruft sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf § 6 Abs. 1
Satz 4 BPflV, der den um die maßgebliche Rate veränderten Gesamtbetrag der
Erlöse des Vorjahres grundsätzlich als Erlösobergrenze bestimmt. Diese Vor-
schrift gehört in den Kontext der Einhaltung der Beitragssatzstabilität durch Ein-
führung einer allgemeinen Kappungsgrenze (vgl. Urteil vom 8. September 2005
a.a.O. S. 215 bzw. S. 6). Für die auf einer vorausliegenden Stufe vorzuneh-
mende Ermittlung des medizinisch leistungsgerechten Budgets ist sie ohne Be-
deutung.
Der von der Klägerin geforderte Automatismus bei der Bestimmung des medi-
zinisch leistungsgerechten Budgets scheitert auch daran, dass das zweite von
ihr benannte Kriterium der sich ihrem Einfluss entziehenden Kostensteigerun-
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gen nach den insoweit maßgeblichen Feststellungen der Schiedsstelle von der
Klägerin nicht belegt ist. Die Schiedsstelle hat ihre Entscheidung darauf ge-
stützt, die Klägerin habe nicht dargetan, warum sie mit dem von den anderen
Krankenhäusern derselben Versorgungsstufe in H. vereinbarten Erhöhungssatz
von 0,8 % nicht auskommen könne, obwohl die anderen Häuser entsprechende
tarifliche Änderungen der Personalkosten zu tragen hätten. Unter diesen Um-
ständen bedarf es keines näheren Eingehens auf die vom Berufungsgericht
verneinte Frage, ob das Merkmal der sich dem Einfluss des Krankenhauses
entziehenden Kostensteigerungen bei der Bestimmung des leistungsgerechten
Budgets überhaupt ausschlaggebend sein kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 3 GKG.
Kley van Schewick Dr. Dette
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Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Krankenhausfinanzierungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
KHG § 17 Abs. 2, § 18 Abs. 5, § 18a
BPflV § 3 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Satz 4
Stichworte:
Pflegesatzfestsetzung; Veränderungsrate; Kostensteigerungen; Deckelung;
Erlösobergrenze; Schiedsstellenverfahren; Schiedsstelle; medizinisch leis-
tungsgerechtes Budget; Beitragssatzstabilität.
Leitsatz:
Aus dem Umstand, dass die im Vorjahr vereinbarte oder festgesetzte Vergü-
tungsregelung für ein Krankenhaus medizinisch leistungsgerecht war, ergibt
sich nicht zwingend, dass im Folgejahr nur der um die Veränderungsrate der
beitragspflichtigen Einnahmen aller Mitglieder der Krankenkassen erhöhte Ge-
samtbetrag medizinisch leistungsgerecht ist, wenn die dem Einflussbereich des
Krankenhauses entzogenen Kostensteigerungen die Veränderungsrate über-
schreiten.
Beschluss des 3. Senats vom 6. November 2006 - BVerwG 3 B 71.06
I. VG Hamburg vom 14.12.2004 - Az.: VG 15 K 3647/2003 -
II. OVG Hamburg vom 24.03.2006 - Az.: OVG 1 Bf 65/05 -