Urteil des BVerwG vom 24.11.2003

Rechtliches Gehör, Verordnung, Kommission, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 71.03
VGH 10 S 2188/01
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. November 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
beschlossen:
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-
Württemberg vom 11. März 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 12 976,59 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind
teilweise nicht hinlänglich dargelegt und liegen jedenfalls nicht vor.
1. Das angefochtene Urteil leidet nicht an einem Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO).
Das Berufungsurteil kann von vornherein nicht auf einem Verfahrensmangel beru-
hen, der nicht ihm, sondern dem erstinstanzlichen Urteil des Verwaltungsgerichts
anhaftet. Daher kann es nicht zur Zulassung der Revision führen, dass das vollstän-
dige Urteil des Verwaltungsgerichts erst einige Jahre nach dem Schluss der mündli-
chen Verhandlung zugestellt worden ist. Ebenso wenig kann der Kläger beanstan-
den, dass der Verwaltungsgerichtshof auf seine Berufung hin die Sache deswegen
nicht an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen, sondern zur Sache entschieden
hat. Dies hatte der Kläger mit seiner Berufung selbst beantragt; nur so ließ sich auch
eine weitere Verfahrensverzögerung vermeiden.
Inwiefern der Verwaltungsgerichtshof dadurch, dass er die zahlreichen Beweisanträ-
ge des Klägers als unerheblich abgelehnt hat, seine Aufklärungspflicht verletzt oder
gegen das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verstoßen haben soll, wird nicht
schlüssig dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Der Kläger meint, der Verwal-
tungsgerichtshof hätte stattdessen das jeweilige Beweisthema als wahr unterstellen
müssen. Das läuft jedoch auf dasselbe hinaus. Ein Beweisantrag kann nämlich nur
dann mit der Begründung abgelehnt werden, die Beweistatsache könne als wahr
unterstellt werden, wenn es sich nicht um entscheidungserhebliche Tatsachen han-
delt (BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1988 - 9 C 91.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1
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VwGO Nr. 204; stRspr). Die Ablehnung der Beweisanträge hätte daher nur dann feh-
lerhaft erfolgt sein können, wenn die gegebene Begründung - Unerheblichkeit der
Beweisbehauptung - unhaltbar gewesen wäre. Weshalb dies der Fall sein sollte, legt
der Kläger jedoch entweder überhaupt nicht oder doch nicht hinreichend dar. Hierzu
hätte er den Rechtsstandpunkt des Berufungsgerichts einnehmen müssen; denn
allein von diesem Standpunkt aus beurteilt sich der Umfang einer erforderlichen Be-
weisaufnahme. Der Kläger argumentiert jedoch nicht von diesem Rechtsstandpunkt
aus, sondern kritisiert ihn durchgängig.
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz kommt nur in Betracht, wenn das angefoch-
tene Urteil mit einem entscheidungstragenden Satz von einer Entscheidung eines der
in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO bezeichneten Gerichte abweicht. Dass dies der Fall
wäre, legt der Kläger ebenfalls nicht dar. Er hebt im Gegenteil hervor, dass das Beru-
fungsgericht zu der von ihm genannten Frage der zulässigen Höchstdauer für die
Absetzung des erstinanstanzlichen Urteils keine Stellung bezogen habe.
3. Der Rechtssache kommt schließlich auch die behauptete grundsätzliche Bedeu-
tung nicht zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Es ist schon zweifelhaft, ob der Kläger die
für höchstrichterlich klärungsbedürftig erachteten Rechtsfragen hinlänglich bezeich-
net; in weiten Strecken seiner Beschwerdebegründung setzt er sich mit dem ange-
fochtenen Urteil lediglich in der Form einer Berufungs- oder Revisionsbegründung
auseinander, was den Anforderungen an eine Grundsatzrüge nicht genügt. Unge-
achtet dessen lässt sich dem klägerischen Vortrag für eine grundsätzliche Bedeutung
der Rechtssache nichts entnehmen.
a) Ob, wenn das Verwaltungsgericht sein Urteil erst einige Jahre nach Schluss der
mündlichen Verhandlung abgesetzt hat, das Berufungsgericht zur Sache entscheiden
darf oder zurückverweisen muss, betrifft keine klärungsbedürftige Rechtsfrage,
sondern ist zweifelsfrei im ersten Sinne zu beantworten.
b) Die Frage, ob an die Darlegungs- und Nachweispflichten eines Antragstellers bei
neuem Recht geringere Anforderungen zu stellen sind als bei altvertrautem Recht, ist
einer allgemeinen Antwort nicht zugänglich. Welche Anforderungen insofern zu
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stellen sind, beurteilt sich nach dem jeweiligen Fachgesetz sowie im Übrigen nach
den Umständen des Einzelfalles.
c) Die Fragen auf den Seiten 17 ff. der Beschwerdebegründungsschrift zum Ge-
meinschaftsrecht betreffen ausgelaufenes Recht, zu welchem höchstrichterlicher
Klärungsbedarf im Regelfalle nicht mehr besteht (BVerwG, Beschluss vom 20. De-
zember 1995 - 6 B 35.95 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Nr. 9; stRspr). So
wurde die zweimalige Prämie für nicht kastrierte männliche Rinder nach Art. 4 b
VO (EWG) Nr. 805/68 des Rates i.d.F. des Art. 1 Nr. 2 VO (EWG) Nr. 2066/92 des
Rates (ABl Nr. L 217/49) durch Art. 1 VO (EWG) Nr. 2222/96 des Rates vom
18. November 1996 (ABl Nr. L 296/50) abgeschafft; zudem wurde die Verordnung
(EWG) Nr. 805/68 durch die Verordnung (EG) Nr. 1254/1999 vom 17. Mai 1999 (ABl
Nr. L 160/21) abgelöst, die eine neue Prämienregelung eingeführt hat. Dementspre-
chend wurde die Durchführungs-Verordnung (EWG) Nr. 3886/92 der Kommission
vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391/20) durch die Verordnung (EWG)
Nr. 2311/96 der Kommission vom 2. Dezember 1996 (ABl Nr. L 313/9) geändert und
schließlich durch die Verordnung (EG) Nr. 2342/1999 der Kommission vom 28. Ok-
tober 1999 (ABl Nr. L 281/30) ersetzt. Und die Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der
Kommission vom 23. Dezember 1992 (ABl Nr. L 391/36) wurde durch die Verord-
nung (EG) Nr. 2419/2001 der Kommission aufgehoben und durch ein weitgehend
neues Regelwerk ersetzt. Inwiefern die vom Kläger angesprochenen Fragen gleich-
wohl - ausnahmsweise - noch einer höchstrichterlichen Klärung bedürften, sagt der
Kläger nicht.
d) Schließlich ist aus den Darlegungen auf S. 28 der Beschwerdebegründungsschrift
nicht erkennbar, inwiefern die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf
den vom Berufungsgericht verschiedentlich erörterten - und für den vorliegenden Fall
verneinten - sozialrechtlichen Herstellungsanspruch haben sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streit-
werts auf § 13 Abs. 2 GKG.
Prof. Dr. Driehaus Liebler Prof. Dr. Rennert