Urteil des BVerwG vom 21.07.2014

Rechtsverletzung, Klagebefugnis, Verfahrensmangel, Anfechtungsklage

Sachgebiet:
Recht der Land- und Forstwirtschaft einschließlich
Förderungsmaßnahmen sowie des Tierzucht- und
Tierseuchenrechts
BVerwGE: nein
Fachpresse: ja
Rechtsquelle/n:
TierSG § 24, §§ 66 ff.
VwGO § 42 Abs. 2, §§ 109, 132 Abs. 2 Nr. 3, § 133 Abs. 6
Stichwort/e:
Tierseuchenrechtliche Tötungsanordnung; Erledigung; tierseuchenrechtliche
Verantwortlichkeit; Entschädigungsberechtigter; Anwartschaftsberechtigter;
Halterbegriff; Gesellschaft des Bürgerlichen Rechts; Auflösung; Klagebefugnis;
Rechtsverletzung; Zulässigkeit der Klage; Begründetheit der Klage;
Zwischenurteil; Beweiserhebung; Verfahrensmangel; Beschwerdeverfahren;
Änderung des Berufungsurteils im Beschwerdeverfahren.
Leitsatz/-sätze:
Verkennt ein Gericht die prozessuale Bedeutung des § 42 Abs. 2 VwGO und
weist es daher eine Anfechtungsklage wegen Fehlens der Klagebefugnis als
unzulässig ab, so liegt darin ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO, wenn in der Sache hätte entschieden werden müssen (Fortführung
der stRspr).
Ein solcher Verfahrensmangel liegt vor, wenn ein Gericht Tatsachen, die zur
Begründung der Rechtsverletzung im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO geltend
gemacht werden und - wenn sie sich als zutreffend erweisen - eine
Rechtsverletzung ergäben, nach einer Beweiserhebung als widerlegt ansieht und
die Klage auf dieser Grundlage in einem Zwischenstreit nach § 109 VwGO als
unzulässig abweist.
In einem solchen Fall kann das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren über die
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision das Berufungsurteil durch
Beschluss nach § 133 Abs. 6 VwGO selbst ändern und die Berufung als
unbegründet zurückweisen.
Beschluss des 3. Senats vom 21. Juli 2014 - BVerwG 3 B 70.13
I. VG Oldenburg vom 25. September 2009
Az: VG 7 A 298/09
II. OVG Lüneburg vom 20. August 2013
Az: OVG 10 LB 6/11
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 70.13
OVG 10 LB 6/11
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Juli 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Auf die Beschwerde des Klägers gegen die
Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Nieder-
sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. August
2013 wird das Urteil aufgehoben und die Berufung des
Beklagten gegen das Zwischenurteil des Verwaltungsge-
richts Oldenburg vom 25. September 2009 zurückgewie-
sen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung
vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger wendet sich gegen eine Anordnung des Beklagten aus dem Jahre
2008, einen Putenbestand wegen einer Tierseuche, einer Form der so genann-
ten Vogelgrippe, zu töten. Adressiert hatte der Beklagte die Tötungsanordnung
an den Kläger „als verantwortlichen Gesellschafter“ der B. Putenmast, einer
Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, der B-GbR, die er als Halterin der Puten
ansah. Die Anordnung wurde Mitte Dezember 2008 vollzogen. Zwischen den
Beteiligten ist streitig, ob und gegebenenfalls wann die B-GbR aufgelöst worden
und der Kläger an ihrer Stelle Halter der Puten geworden ist. Die Tierseuchen-
kasse lehnte eine Entschädigung für die getöteten Tiere ab, weil Beiträge nicht
fristgerecht gezahlt worden waren.
Die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Tötungsanordnung hat das
Verwaltungsgericht - nach Erlass eines Zwischen-Gerichtsbescheides - durch
Zwischenurteil gemäß § 109 VwGO für zulässig erklärt. Der Kläger habe nach
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Erledigung der Tötungsanordnung ein berechtigtes Interesse an dieser Feststel-
lung unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Auf die Berufung des
Beklagten hat das Berufungsgericht dieses Urteil geändert und die Klage als
unzulässig abgewiesen. Das Klagebegehren sei hauptsächlich auf die - weiter-
hin statthafte - Anfechtung der Tötungsanordnung gerichtet. Entgegen der An-
nahme des Verwaltungsgerichts und der Beteiligten sei die Tötungsanordnung
nicht erledigt, denn sie behalte im Entschädigungsverfahren Steuerungs- bzw.
Regelungsfunktion. Es fehle aber die Klagebefugnis im Sinne des § 42 Abs. 2
VwGO. Der Kläger werde durch die Tötungsanordnung nicht in einer geschütz-
ten eigenen Rechtsposition betroffen. Er sei, wie er eingeräumt habe, nicht
Eigentümer der unter Eigentumsvorbehalt gekauften Puten. Ein etwaiges An-
wartschaftsrecht an den Puten vermittle ihm kein Klagerecht neben dem inso-
fern vorrangig berechtigten Eigentümer oder Halter der Tiere. Die Tötungs-
anordnung sei auch nicht an ihn adressiert worden; Adressat sei vielmehr, wie
eine Auslegung des Bescheides ergebe, die B-GbR gewesen. Der Kläger sei
schließlich auch nicht Halter der Tiere gewesen, wie er geltend mache. Der Se-
nat lege einen eigenständigen öffentlich-rechtlichen Tierhalterbegriff zugrunde,
der nur voraussetze, dass die Haltereigenschaft der zuständigen Stelle ange-
zeigt worden sei. Hieran gemessen sei die B-GbR als Halterin anzusehen. Dies
gelte auch dann, wenn auf die Zivilrechtslage abgestellt werde. Der Senat habe
im Rahmen der Beweiswürdigung nicht die Überzeugung gewinnen können,
dass die B-GbR bis zum Erlass der streitigen Verfügung vollständig im Sinne
des § 730 BGB aufgelöst worden sei. Zwar hätten die Zeugen bestätigt, dass
eine Auflösung auf Initiative der Hauptgläubigerin beschlossen worden sei; zu
ausreichenden Umsetzungsmaßnahmen hätten sie aber wenig sagen können.
Auch sei der Kläger im Rechtsverkehr noch bis ins Jahr 2010 ausdrücklich im
Namen der B-GbR aufgetreten. Unabhängig davon gelte diese nach den
Grundsätzen der Rechtsscheinhaftung dem Beklagten gegenüber als fortbeste-
hend. Der Kläger habe die Klagebefugnis auch nicht dadurch erlangt, dass er
während des Verfahrens Rechtsnachfolger der B-GbR geworden sei. Eine
Rechtsnachfolge habe er selbst nicht geltend gemacht.
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Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil ist be-
gründet. Zwar rechtfertigen weder die erhobene Divergenzrüge noch die gel-
tend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Sache die Zulassung der Revi-
sion. Der vom Kläger zu Recht gerügte Verfahrensmangel führt aber zur Aufhe-
bung des angegriffenen Urteils des Oberverwaltungsgerichts und zur Zurück-
weisung der Berufung gegen das Zwischenurteil des Verwaltungsgerichts.
1. Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, die eine Zulassung
der Revision unabhängig von dem unten zu behandelnden Verfahrensmangel
rechtfertigen könnte (vgl. Beschluss vom 26. Juni 2000 - BVerwG 7 B 26.00 -
Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 15), ist nicht dargelegt. Eine Divergenz
liegt vor, wenn sich das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben
Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechts-
satz in Widerspruch gesetzt hat zu einem ebensolchen Rechtssatz, der in einer
Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts aufgestellt worden ist (stRspr,
Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132
Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 m.w.N.; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010,
§ 132 Rn. 29 ff.). Ein solcher Widerspruch wird im Beschwerdevorbringen nicht
aufgezeigt.
Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht sei von dem Urteil des Bundes-
verwaltungsgerichts vom 11. Januar 2001 (BVerwG 7 C 10.00 - BVerwGE 112,
335) abgewichen, weil es das Anwartschaftsrecht an den getöteten Puten nicht
als Grundlage einer möglichen Rechtsverletzung im Sinne des § 42 Abs. 2
VwGO angesehen habe. Damit ist ein Widerspruch zu dem genannten Urteil
nicht dargetan. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass ein - von ihm
unterstelltes - Anwartschaftsrecht „jedenfalls in der vorliegenden Konstellation“
nicht geeignet sei, seinem Inhaber eine eigenständige, durch Art. 14 GG ge-
schützte Rechtsposition zu vermitteln. Nach den tierseuchenrechtlichen Ent-
schädigungsvorschriften (§§ 66, 72 TierSG) gingen die von einer Tötungsan-
ordnung betroffenen Eigentümer und Tierhalter einem Anwartschaftsberechtig-
ten vor (UA S. 10 ff.). Damit ist das angefochtene Urteil schon deshalb nicht von
der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen, weil
diese zum Vermögensgesetz (VermG) und also nicht in Anwendung derselben
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Rechtsvorschrift ergangen ist. Abgesehen davon liegt in der Sache keine Ab-
weichung vor. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 11. Januar
2001 eine Anwartschaft als restitutionsfähigen Gegenstand im Sinne des § 3
VermG anerkannt, weil kein geschädigter Grundstückseigentümer vorhanden
war (a.a.O. S. 344). Damit lag der Entscheidung vom 11. Januar 2001 ein ande-
rer als der vom Berufungsgericht entschiedene Sachverhalt zugrunde. Ob im
Übrigen dem geschädigten Inhaber eines Anwartschaftsrechts an einem
Grundstück das Vollrecht auch dann zurückzuübertragen ist, wenn zugleich das
Grundstückseigentum von einer Schädigungsmaßnahme betroffen ist, hat das
Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich offen gelassen. Diese Frage ist in einer
früheren Entscheidung (Beschluss vom 24. Februar 1995 - BVerwG 7 B 23.95 -
Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 9) sogar - insoweit übereinstimmend mit dem Be-
rufungsgericht - verneint worden, worauf das Berufungsurteil zutreffend hin-
weist.
2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
a) Das gilt zunächst, soweit die Beschwerde die Frage aufwirft, „unter welchen
Voraussetzungen ein Anwartschaftsberechtigter i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO kla-
gebefugt ist“. Auch in der vom Kläger gemeinten Verengung auf Fälle, in denen
„ein Eigentümer gleichartige Ersatzansprüche geltend machen“ kann, würde die
Frage nicht zu einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache führen und
könnte überdies in dieser Allgemeinheit auch nicht geklärt werden. Stellen
könnte sich diese Frage hier nur für das Entschädigungsrecht nach dem Tier-
seuchengesetz (TierSG) und also für ausgelaufenes Recht. Denn das Tierseu-
chengesetz ist mit Wirkung zum 1. Mai 2014 vom Gesetz zur Vorbeugung vor
und Bekämpfung von Tierseuchen (Tiergesundheitsgesetz - TierGesG) vom
22. Mai 2013 (BGBl I S. 1324) abgelöst worden und außer Kraft getreten (§ 45
Abs. 1 TierGesG). Fragen, die sich nur aufgrund von auslaufendem und ausge-
laufenem Recht stellen, verleihen einer Rechtssache regelmäßig keine grund-
sätzliche Bedeutung. Mit der Revision könnten Fragen zur Auslegung des gel-
tenden Rechts nicht mehr mit Blick auf die Zukunft fallübergreifend geklärt wer-
den (stRspr; vgl. Beschlüsse vom 7. Oktober 2004 - BVerwG 1 B 139.04 -
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Buchholz 402.240 § 7 AuslG Nr. 12 und vom 5. Oktober 2009 - BVerwG 6 B
17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4). Davon abgesehen ist nicht erkenn-
bar, dass die Frage, wie die Beschwerde ohne Erläuterung behauptet, noch für
eine größere Zahl von Fällen Bedeutung haben könnte. Dagegen spricht schon
die besondere Fallkonstellation, die ihr zugrunde liegt.
b) Die unter 4. der Beschwerdeschrift aufgeworfene Frage, „unter welchen Vo-
raussetzungen der im Adressfeld als Empfänger Ausgewiesene zugleich auch
Adressat der behördlichen Maßnahme ist“, hat keine grundsätzliche Bedeutung,
weil sie sich nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lässt. Die
Frage, an wen sich ein Bescheid richtet, wer also so genannter Bekanntgabe-
adressat der Regelungen des Bescheides ist (zum Unterschied von Inhalts- und
Bekanntgabeadressat vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 42
Rn. 88 und 10), muss durch Auslegung des jeweiligen Bescheides im Einzelfall
beantwortet werden. So ist das Berufungsgericht auch vorgegangen (UA S. 11).
Die Beschwerde formuliert hierzu keine abstrakte klärungsfähige und
-bedürftige Rechtsfrage, sondern bemängelt die Auslegung des Berufungs-
gerichts. Die Frage weist deshalb trotz ihrer generalisierenden Einkleidung nicht
über die konkrete Rechtssache hinaus. Dies zeigt auch die Beschwerdebe-
gründung, die der Sache nach vornehmlich die rechtlichen Ansätze und die tat-
richterliche Würdigung des Sachverhalts in Zweifel zieht.
c) Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache auch nicht, soweit die Be-
schwerde unter 5. rügt, dass das Berufungsgericht „die Haltereigenschaft des
Klägers verneint und die Auflösung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bei
Fortführung der tatsächlichen Sachherrschaft durch einen früheren Gesellschaf-
ter derselben im Rahmen der Klagebefugnis für unerheblich erachtet“ hat. Mit
der in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Frage, „unter welchen Voraus-
setzungen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die aufgelöst worden ist, wei-
terhin Halter von Tieren im verwaltungsrechtlichen Sinne sein kann“, soll offen-
bar der vom Berufungsgericht entwickelte eigenständige öffentlich-rechtliche
Halterbegriff (UA S. 14) zur Überprüfung gestellt werden. Dieser Frage fehlt hier
im Ergebnis aber die Klärungsbedürftigkeit.
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aa) Allerdings ist der vom Berufungsgericht herausgearbeitete Halterbegriff
nicht in einer Weise Zweifeln entzogen, die weitere Klärung erübrigen würde.
Der Beschwerde ist zuzugeben, dass eine allein auf die Anzeige abstellende
Haltereigenschaft Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Effektivität des Ein-
greifens in Fällen weckt, in denen die Fortexistenz des Anzeigenden oder seine
tatsächliche oder rechtliche Herrschaftsmacht über den Tierbestand zweifelhaft
sind. Solchen Zweifeln ist das Urteil ausgesetzt, sofern es - wohl selbstständig
tragend - darauf abstellt, die BGB-Gesellschaft sei nach den Grundsätzen der
Rechtsscheinhaftung dem Beklagten gegenüber als fortbestehend zu behan-
deln gewesen (UA S. 15 f.). Diese Grundsätze dienen schon handelsrechtlich
nicht dazu, ein nicht existentes Rechtssubjekt zu fingieren, sondern sollen die
Haftung der den Rechtsschein setzenden Rechtsperson begründen, was hier
gerade für die Haltereigenschaft des Klägers sprechen würde. Vor allem aber
wäre ein fiktiver Halter kein geeigneter Regelungsadressat einer ordnungsrecht-
lichen Verfügung, wie sie in Rede steht.
bb) Für den konkreten Fall hat das Oberverwaltungsgericht die Zweifel an der
Effektivität seines Halterbegriffs aber sinngemäß durch den Hinweis ausge-
räumt, dass der Kläger bei Erlass der gegen ihn als Gesellschafter ergangenen
Tötungsanordnung keine Einwände in die Richtung erhoben hat, ihm fehlten die
Handlungsmöglichkeiten. Diese bindende Feststellung schließt aber die Not-
wendigkeit aus, die Tragfähigkeit des vom Berufungsgericht entwickelten Hal-
terbegriffs grundsätzlich zu klären. Entscheidungserheblich wäre nur, ob der
Kläger - sei es als tatsächlicher Gesellschafter, sei es, weil er den Rechtsschein
einer in Wirklichkeit nicht mehr bestehenden Gesellschaft gesetzt hatte - tier-
seuchenrechtlich in Anspruch genommen werden durfte. Dies liegt jedoch
- vorbehaltlich des Vorliegens der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für die
Tötungsanordnung - auf der Hand und bedarf nicht der Beantwortung in einem
Revisionsverfahren.
d) Die Sache hat auch mit der Frage keine grundsätzliche Bedeutung, „ob die
Verwaltungsgerichtsrechtsprechung der zivilrechtlichen Konstruktion der
Rechtsnachfolge uneingeschränkt folgt oder hiervon eigenständige Ausnahmen
vorsieht“. Diese Frage ist nicht entscheidungserheblich. Wie die Beschwerde im
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Zusammenhang mit der Klagebefugnis zu Recht geltend macht, betrifft sie
einen denkbaren Aspekt der Begründetheit der Klage, die nicht Gegenstand
eines Zwischenurteils zur Feststellung der Zulässigkeit nach § 109 VwGO sein
kann.
3. Dem Berufungsgericht ist aber ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO unterlaufen, auf dem das Urteil beruht.
a) Dieser Verfahrensfehler liegt freilich nicht darin, dass das Berufungsgericht
nicht festgestellt hat, „ob der Veräußerer [d.h. der dem Anwartschaftsberechtig-
ten vorgehende Eigentümer] der Puten einen eigenständigen Ersatzanspruch
gegen den Beklagten“ hatte.
aa) Ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Aufklärungsmangel leidet, ist
vom materiellrechtlichen Standpunkt der Vorinstanz aus zu beurteilen, und zwar
unabhängig davon, ob dieser Standpunkt zutrifft (stRspr; vgl. Beschlüsse vom
30. Dezember 2009 - BVerwG 4 BN 13.09 - juris und vom 23. Januar 1996
- BVerwG 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1 m.w.N.). Das Beru-
fungsgericht hat den Rechtsstandpunkt eingenommen, dass allein schon die
Existenz eines dinglich Berechtigten zur Zeit der Tötung der Tiere verhindere,
dass an den Besitzer oder Anwartschaftsberechtigten der Tiere eine Entschädi-
gung mit befreiender Wirkung gezahlt werden darf. Als Berechtigter komme in-
soweit nur der Eigentümer der Tiere in Betracht, sofern nicht ausnahmsweise
ein anderer, dinglich vorrangiger Berechtigter (z.B. Pfandrechtsinhaber) vor-
handen sei (UA S. 10). Mit diesem rechtlichen Ansatz befand sich das Beru-
fungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (vgl.
Urteil vom 20. Januar 2005 - BVerwG 3 C 15.04 - Buchholz 418.6 TierSG
Nr. 18 = NVwZ-RR 2005, 446). Hiervon ausgehend war die Frage, ob dem
Eigentümer tatsächlich ein Entschädigungsanspruch zustand, nicht entschei-
dungserheblich; das Berufungsgericht musste ihr nicht nachgehen.
bb) Diese Betrachtung kann der Kläger nicht allein unter Hinweis darauf infrage
stellen, dass er die Kaufpreisforderung des Verkäufers und Eigentümers der
Puten beglichen habe. Zwar bewirkt die Kaufpreiszahlung, dass ein Anwart-
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schaftsrecht zu Eigentum erstarkt, im Fall des Klägers das Eigentum an den
Puten also auf ihn übergeht. Maßgeblich war aber nach Ansicht des Berufungs-
gerichts, das sich hierfür auf die Regelung in § 72 Abs. 1 TierSG gestützt hat,
die Eigentumslage zum Zeitpunkt der Tötung der Tiere. Dass die Kaufpreisfor-
derung seinerzeit bereits erfüllt war, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt
und die Beschwerde nicht behauptet.
b) Verfahrensfehlerhaft war es aber, dass das Berufungsgericht im Rahmen der
Klagebefugnis abschließend geprüft hat, wer Halter der Puten und damit Betrof-
fener der Tötungsanordnung und möglicher Geschädigter gewesen ist, der Klä-
ger oder die B-GbR. Die Beschwerde macht zu Recht geltend, dass das Beru-
fungsgericht mit der Beweisaufnahme die Anforderungen an die Klagebefugnis
überspannt hat.
aa) Bei der Anfechtungsklage verlangt § 42 Abs. 2 VwGO, dass der Kläger gel-
tend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Zur
Geltendmachung ist es in tatsächlicher Hinsicht erforderlich, aber auch ausrei-
chend, dass er Tatsachen vorträgt, die es denkbar und möglich erscheinen las-
sen, dass er durch den Verwaltungsakt in einer eigenen rechtlich geschützten
Position beeinträchtigt ist (vgl. Urteil vom 27. November 1996 - BVerwG 11 A
100.95 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 18 = NVwZ 1997, 994). Der Kläger hat
diese Anforderungen erfüllt, indem er seine Rechtsverletzung damit begründet
hat, er sei Halter der Puten gewesen. Dieser Vortrag, seine Richtigkeit unter-
stellt, hätte nach dem rechtlichen Ausgangspunkt des Berufungsgerichts die
tierseuchenrechtliche Verantwortlichkeit (§ 24 TierSG a.F.) sowie eine poten-
zielle Entschädigungsberechtigung des Klägers und damit seine Klagebefugnis
begründet. Das Berufungsgericht hat ungeachtet dessen im Rahmen der Zuläs-
sigkeit durch Beweiserhebung geklärt, ob die B-GbR vor dem Erlass der Tö-
tungsanordnung rechtlich vollständig aufgelöst war und den Kläger als Halter
verdrängte, und hat dabei seinen Tatsachenvortrag als widerlegt angesehen.
Damit ist es deutlich darüber hinausgegangen, was die Geltendmachung nach
§ 42 Abs. 2 VwGO erfordert. Für die im Rahmen der Zulässigkeit nur zu prüfen-
de Möglichkeit einer Rechtsverletzung genügt es, dass der Kläger Tatsachen
behauptet, die - wenn sie sich als zutreffend erweisen - eine Rechtsverletzung
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ergeben können. Darin erschöpft sich die Filterfunktion der Klagebefugnis (vgl.
Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Bd. I, Stand: April 2013, § 42
Abs. 2 Rn. 10; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 42 Rn. 365 ff.).
Sind die vom Kläger zur Begründung der Rechtsverletzung vorgebrachten Tat-
sachen, wie hier, streitig oder sonst zweifelhaft, ist die Klärung ihrer Richtigkeit
im Rahmen der Begründetheit der Klage vorzunehmen. Zwar hat das Gericht
die Sachentscheidungsvoraussetzungen in jedem Stadium des Verfahrens von
Amts wegen zu prüfen und ihre tatsächlichen Voraussetzungen gegebenenfalls
aufzuklären (vgl. Beschluss vom 9. Januar 2013 - BVerwG 9 B 20.12 -
Buchholz 424.01 § 64 FlurbG Nr. 8 m.w.N.). Die Aufklärung wird insoweit je-
doch durch die Anforderungen begrenzt, welche die jeweilige Sachentschei-
dungsvoraussetzung stellt. Das ist im Falle des § 42 Abs. 2 VwGO die bloße
Geltendmachung der Rechtsverletzung; dass sie vorliegt, ist für die Zulässigkeit
ohne Bedeutung. Lässt sich die Rechtsverletzung nicht bereits auf der Basis
des Tatsachenvortrags offensichtlich und eindeutig verneinen, ist gemäß § 113
Abs. 1 Satz 1 VwGO in der Begründetheitsprüfung der Anfechtungsklage, ge-
gebenenfalls durch Beweiserhebung, festzustellen, ob die geltend gemachten
Tatsachen zutreffen. Das gilt auch dann, wenn wie hier in einem Zwischenver-
fahren nach § 109 VwGO nur die Zulässigkeit der Klage zur Prüfung steht. Dies
verschärft nicht die Anforderungen des § 42 Abs. 2 VwGO. Im Gegenteil be-
steht die Funktion des Zwischenverfahrens gerade darin, unter prozessökono-
mischen Gesichtspunkten zu klären, ob in der Begründetheit erforderliche um-
fangreiche Erörterungen oder Beweiserhebungen vergeblich wären (vgl.
Bamberger, in: Wysk, VwGO, 2011, § 109 Rn. 1).
bb) Die Klage war auf der Grundlage des Streitstoffs im Berufungsverfahren
zulässig, die Abweisung als unzulässig daher verfahrensfehlerhaft. Verkennt ein
Gericht die prozessuale Bedeutung des § 42 Abs. 2 VwGO und weist es daher
eine Anfechtungsklage wegen Fehlens der Klagebefugnis als unzulässig ab, so
liegt darin ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wenn
in der Sache hätte entschieden werden müssen (vgl. auch Beschluss vom
17. Dezember 2001 - BVerwG 6 B 61.01 - NVwZ-RR 2002, 323 und vom
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6. September 2000 - BVerwG 7 B 216.99 - Buchholz 428 § 37 VermG Nr. 29
m.w.N.; Wysk, in: ders., VwGO, 2011, Vorb. §§ 40 bis 53 Rn. 14 m.w.N.).
cc) Das angefochtene Urteil beruht auch im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO auf diesem Verfahrensmangel. Die Entscheidung wäre bei Vermeidung
des Fehlers zu dem vom Kläger erstrebten Ergebnis der Zurückweisung der
Berufung gelangt, sodass es bei der erstinstanzlichen Feststellung der Zuläs-
sigkeit geblieben wäre. Eine Abweisung als unbegründet mangels Rechtsver-
letzung im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, wie sie bei Zugrundelegung
des materiellrechtlichen Standpunkts und der tatsächlichen Feststellungen des
Berufungsgerichts sachlich geboten war, kommt im Zwischenverfahren
schlechthin nicht in Betracht. Damit würde ein Gericht über den Streitgegen-
stand des Zwischenverfahrens hinausgehen.
4. Der Senat nimmt den Verfahrensfehler zum Anlass, das Berufungsurteil zu
ändern und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen. Dies hätte der Senat
auch in einem Revisionsverfahren auszusprechen, ohne dass in dem auch dort
zu wahrenden Rahmen des § 109 VwGO ein Spielraum bestünde. Dann aber
kann eine gebotene Korrektur des Berufungsurteils in entsprechender Anwen-
dung des § 133 Abs. 6 VwGO bereits im Beschwerdeverfahren bewirkt werden.
Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass das Bundesverwaltungsgericht
auf der Grundlage dieser Vorschrift ermächtigt ist, ein prozessrechtlich zwin-
gendes Verfahrensergebnis im Interesse der Verfahrensökonomie selbst herzu-
stellen (vgl. Beschlüsse vom 2. November 2011 - BVerwG 3 B 54.11 - Buchholz
310 § 133 (nF) VwGO Nr. 96 = NVwZ-RR 2012, 86 m.w.N. und vom
24. Oktober 2006 - BVerwG 6 B 61.06 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO
Nr. 24 Rn. 8).
Da das Verfahren nach der Zurückweisung der Berufung gegen das Zwischen-
urteil beim Verwaltungsgericht fortzusetzen ist, muss die Kostenentscheidung
der Schlussentscheidung vorbehalten bleiben.
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Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47
Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Kley
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
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