Urteil des BVerwG vom 12.04.2012

Verteilung der Beweislast, Rückforderung, Beweisantrag, Verfahrensmangel

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 68.11
VG 6 K 924/10
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. April 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karls-
ruhe vom 15. März 2011 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 2 108,82 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Lastenausgleichs-
leistungen, die dem Vater der Klägerin wegen Wegnahmeschäden an Betriebs-
vermögen (Tierarztpraxis) und Grundvermögen (ein Mietwohngrundstück in
Neustrelitz und ein Einfamilienhaus in Berlin-Karlshorst) gewährt worden waren.
Nach Rückübertragung des Grundstücks in Neustrelitz forderte das Ausgleichs-
amt Biberach vom Vater der Klägerin mit Bescheid vom 20. November 1996 die
hierfür gewährte Hauptentschädigung zurück. Mit weiterem Schreiben vom sel-
ben Tage wies es darauf hin, dass seinen Kenntnissen nach auch über das
Grundstück in Karlshorst frei verfügt werden könne und insofern ebenfalls mit
einer Rückforderung gerechnet werden müsse. Im Juli 2009 unterrichtete das
Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Berlin (LARoV) das Aus-
gleichsamt der Beklagten darüber, dass das Grundstück in Karlshorst lediglich
unter - 1992 beendeter - staatlicher Verwaltung gestanden habe und der Vater
der Klägerin ununterbrochen im Grundbuch als Miteigentümer eingetragen ge-
wesen sei. Daraufhin forderte die Beklagte mit Rückforderungs- und Leistungs-
bescheid vom 1. Oktober 2009 von der Klägerin und ihrem Bruder als Miterben
ihres verstorbenen Vaters für das Einfamilienhaus in Karlshorst Hauptentschä-
digung zurück, von der Klägerin in Höhe von 2 108,82 €. Die Beschwerde der
Klägerin blieb erfolglos. Die Beschwerdestelle führte unter anderem aus, die
Rückforderungsfrist sei nicht verstrichen, weil das Ausgleichsamt erst durch
Mitteilungen des LARoV Berlin und der Stadt Memmingen im Jahr 2009 vom
Schadensausgleich und der Person der Rückzahlungspflichtigen Kenntnis er-
langt habe. Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen erhobene Anfechtungs-
klage unter Bezugnahme auf den Beschwerdebescheid zurückgewiesen und
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ergänzend ausgeführt, positive Kenntnis vom Schadensausgleich habe die Be-
klagte erst im Jahr 2009 erlangt, sodass die Ausschlussfrist für die Rückforde-
rung erst am 1. Januar 2010 zu laufen begonnen habe. Das Hinweisschreiben
des seinerzeit zuständig gewesenen Ausgleichsamts Biberach von 1996 ergebe
nichts anderes. Das Amt sei nicht im Besitz von Unterlagen gewesen, die ihm
eine vergleichbare Kenntnis vom Schadensausgleich hätten vermitteln können.
Der von der Klägerin behauptete desolate Zustand der Rückforderungsakte und
eine etwaige telefonische Mitteilung über den Schadensausgleich begründe
nicht die erforderliche positive Kenntnis der Behörde bereits im Jahr 1996. Das
Ausgleichsamt Biberach habe in seinem Rückforderungs- und Leistungsbe-
scheid von 1996 sogar im Widerspruch zu seinem weiteren Hinweisschreiben
ausgeführt, dass hinsichtlich des Grundstücks in Karlshorst noch kein Scha-
densausgleich erfolgt sei. Insgesamt spreche vieles dafür, dass es sich bei der
Verwendung des Formschreibens vom 20. November 1996 um ein Versehen
gehandelt habe; jedenfalls könne keine positive Kenntnis des Ausgleichsamtes
festgestellt werden. Diese nachzuweisen sei Sache der Klägerin. Die von der
Klägerin angeregte Beweiserhebung durch Vernehmung der seinerzeit zustän-
digen Sachbearbeiter K. und H. würde ins Blaue hinein erfolgen und sei auch
ungeeignet, weil es für die Sachbearbeiter nach der Lebenserfahrung unmög-
lich sei, sich nach so langer Zeit an einen häufig vorgekommenen Routinevor-
gang zu erinnern.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat
keinen Erfolg.
1. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
Die Beschwerde meint, das Verwaltungsgericht habe eine gebotene Aufklärung
des Sachverhalts unterlassen. Es hätte die Sachbearbeiterin K. zum Beweis der
Tatsache vernehmen müssen, dass „frühere Empfänger von Lastenausgleich
immer erst nach Kenntniserlangung von der Rückgabe bzw. Wiederherstellung
der freien Verfügungsbefugnis vom Ausgleichsamt angeschrieben und über die
Rechtsfolgen (u.a. die Ingangsetzung einer vierjährigen Verjährungsfrist) infor-
miert“ worden seien. Diese Aufklärungsrüge dringt nicht durch; das Verwal-
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tungsgericht hat es ohne Verstoß gegen seine Amtsermittlungspflicht (§ 86
Abs. 1 VwGO) abgelehnt, der Beweisanregung der Klägerin im Schriftsatz vom
10. März 2011 nachzugehen. Vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass Maßstab
insoweit nicht die (materielle) Beweislast ist. Die Verteilung der Beweislast be-
sagt nur, zu wessen Lasten es geht, wenn das Gericht in Erfüllung seiner Pflicht
zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts das Vorliegen der anspruchsbe-
gründenden Tatsachen zu seiner vollen Überzeugungsgewissheit („mit an Si-
cherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“) weder feststellen noch ausschließen
kann („non liquet“; vgl. Bamberger, in: Wysk, VwGO, § 108 Rn. 14 f. m.w.N.).
Darum geht es im Fall der Klägerin nicht, denn das Verwaltungsgericht hat sich
in der Lage gesehen, sich in Würdigung des Sachverhalts die Überzeugung zu
bilden, dass die Ausgleichsbehörde Ende 1996 noch keine positive Kenntnis
von der Rückforderungsmöglichkeit hatte. Wenn das Gericht Nachweispflichten
der Klägerin hervorhebt, dann nur, um zu verdeutlichen, dass es angesichts des
vorliegenden Tatsachenmaterials ihre Sache sei, die daraus zu ziehenden
Schlüsse zu entkräften.
Ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht ist nicht erkennbar. Da die
- anwaltlich vertretene - Klägerin keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat,
kommt ein solcher Verstoß nur in Betracht, wenn sich die Vernehmung der
Sachbearbeiterin aufgedrängt hätte. Das ist mit Blick auf die von der Beschwer-
de für aufklärungsbedürftig erachteten Fragen zu verneinen. Die Beschwerde
betont, es gehe „nicht um einen (nicht bedeutenden) Einzelfall, sondern um Ar-
beitsabläufe […], die im Amt vermutlich über lange Zeit hinweg praktiziert“ wor-
den seien, also um die Verwaltungspraxis. Eine Verwaltungspraxis im Sinne der
Beschwerde kann unterstellt werden. Schon aus Rechtsgründen versteht sich,
dass auf die Möglichkeit einer Rückforderung - wie auch bei einer Anhörung -
nur hingewiesen werden kann, wenn das Ausgleichsamt vom Vorliegen aller
Voraussetzungen ausgeht. Dies steht aber nicht im Widerspruch zu dem vom
Verwaltungsgericht als Grund für das Hinweisschreiben vom 20. November
1996 vermutete Versehen, das sich gerade dadurch auszeichnet, dass unbe-
merkt von verbindlichen Vorgaben abgewichen worden ist. Eine solche Verwal-
tungspraxis würde auch nicht in revisionsrechtlich relevanter Weise die konkre-
te Beweiswürdigung infrage stellen, wonach sich in den Verwaltungsvorgängen
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kein Anhaltspunkt dafür findet, dass das Ausgleichsamt positive Kenntnis von
den Rückforderungsvoraussetzungen gehabt haben konnte. Eine denkbare In-
dizwirkung des Hinweisschreibens verliert dadurch auch dann ihre Grundlage,
wenn die Ausgleichsbehörde im Regelfall nur bei positiver Kenntnis auf die
Rückforderung hinweist. Es wäre mithin nicht entscheidungserheblich gewesen,
hätte die Sachbearbeiterin K. eine derartige Verwaltungspraxis bestätigt. Ob der
Beweisantrag im Sinne eines Ausforschungsbeweises ins Blaue hinein gestellt
worden ist, bedarf daher ebenso wenig der Entscheidung wie die Frage, ob im
Verwaltungsprozess ein Beweisantrag in entsprechender Anwendung des
§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels ab-
gelehnt werden darf (vgl. dazu Beschluss vom 7. Februar 1983 - BVerwG 7 CB
96.81 - juris Rn. 6) und ob dies hier verfahrensfehlerfrei geschehen ist.
2. Die Revision ist nicht wegen Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO zuzulassen.
Diese Rüge ist nicht ordnungsgemäß bezeichnet worden. Es fehlt schon daran,
dass keine sich widersprechenden tragenden Rechtssätze aus der angefochte-
nen Entscheidung und einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
herausgearbeitet und einander gegenübergestellt worden sind, wie es nach
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO geboten gewesen wäre, (vgl. dazu Beschluss vom
11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1
VwGO Nr. 19 m.w.N.; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, § 132
Rn. 29 ff.). Abgesehen davon macht die Beschwerde mit der Behauptung, das
Verwaltungsgericht sei „bei der Behandlung des Einwands der Verwirkung von
der Rechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen, in der Sa-
che einen bloßen Rechtsanwendungsfehler geltend, der die Abweichungsrüge
grundsätzlich nicht zu begründen vermag (Beschluss vom 13. Dezember 2007
- BVerwG 4 BN 52.07 - juris Rn. 4; stRspr).
Soweit zur Begründung der Divergenz gerügt wird, das Verwaltungsgericht hät-
te aus den Inhalten des Rückforderungsbescheides und des Hinweisschrei-
bens, die unter demselben Datum (20. November 1996) verfasst wurden, ande-
re Schlüsse ziehen müssen, macht die Klägerin einen Fehler der Sachverhalts-
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und Beweiswürdigung geltend. Ein solcher Fehler wäre grundsätzlich dem
sachlichen Recht zuzuordnen. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass die Würdi-
gung des Verwaltungsgerichts objektiv willkürlich ist oder sonst Beweiswürdi-
gungsgrundsätze verletzt worden sind und daher ausnahmsweise ein Verfah-
rensmangel vorliegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
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Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
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