Urteil des BVerwG vom 06.06.2014

Zukunft, Tierseuchengesetz, Überentschädigung, Ersatzleistung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 58.13
VGH 20 BV 12.2711
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Juni 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 13. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 6 709,40 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beteiligten streiten um die Höhe einer Entschädigung nach dem Tierseu-
chengesetz (TierSG). Die Klägerin hält Rinder. Wegen einer Tierseuche wurde
sie im April 2012 verpflichtet, alle Tiere ihres Bestandes töten zu lassen. Ein
Teil der Tiere konnte geschlachtet werden, wodurch die Klägerin Schlachterlöse
erzielte. Im Entschädigungsverfahren nach §§ 66 f. TierSG minderte die beklag-
te Tierseuchenkasse den Entschädigungsbetrag für die Rinder um einen „Rein-
erlös“, der sich aus dem Schlachterlös zuzüglich der Umsatzsteuer zusammen-
setzte. Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte dürfe die
auf den Schlachterlös anfallende Umsatzsteuer nicht vom Entschädigungsbe-
trag absetzen, sondern den Schlachterlös nur „netto“ abziehen. Das Verwal-
tungsgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, die Frage, ob bei den
nach § 67 Abs. 4 Satz 1 TierSG anzurechnenden Erlösen die Umsatzsteuer
einzubeziehen sei, sei nicht eindeutig geregelt. Diese Regelungslücke sei nach
dem hypothetischen Willen des Gesetzgebers so auszufüllen, dass eine über
die infolge der Tötungsanordnung entstehenden Einbußen hinausgehende Ent-
schädigung vermieden werde. Eine solche „übermäßige“ Entschädigung würde
aber gewährt, wenn dem geschädigten Landwirt eine Umsatzsteuer belassen
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würde, die er mit selbst vereinnahmter Umsatzsteuer verrechnen könne. Das
Berufungsgericht hat der Berufung der Klägerin stattgegeben. Es liege keine
Regelungslücke vor, denn nach § 67 Abs. 4 Satz 3 TierSG würden Steuern bei
der Festsetzung der Entschädigung nicht berücksichtigt. Warum sich diese Re-
gelung nur auf die Bestimmung des gemeinen Wertes der Tiere, nicht aber auf
die Anrechnung des Wertes der verwertbaren Teile beziehen solle, sei nicht er-
sichtlich. Es handele sich um eine reine Berechnungsvorschrift, für die steuer-
liche Gestaltungsmöglichkeiten nach § 24 des Umsatzsteuergesetzes (UStG)
keine Rolle spielten.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt
ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die von der Beklagten geltend gemach-
te grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
1. Die Beklagte sieht als grundsätzlich klärungsbedürftig an, ob der nach § 67
Abs. 4 Satz 1 TierSG auf die Entschädigung anzurechnende Wert der verwert-
baren Teile des Tieres unter Einbeziehung der Umsatzsteuer zu berechnen ist,
die auf den Erlös dieser Teile entfällt. Diese Frage kann grundsätzlich schon
deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, weil sie die Auslegung von
ausgelaufenem Recht betrifft. Das Tierseuchengesetz ist mit Wirkung zum
1. Mai 2014 vom Gesetz zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen
(Tiergesundheitsgesetz - TierGesG) vom 22. Mai 2013 (BGBl I S. 1324) abge-
löst worden und außer Kraft getreten (§ 45 Abs. 1 TierGesG). Fragen, die sich
nur aufgrund von auslaufendem und ausgelaufenem Recht stellen, verleihen
einer Rechtssache regelmäßig keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Zulas-
sungsvorschrift des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur eine für die Zukunft richtung-
weisende Klärung herbeiführen soll (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 7. Oktober
2004 - BVerwG 1 B 139.04 - Buchholz 402.240 § 7 AuslG Nr. 12 und vom
5. Oktober 2009 - BVerwG 6 B 17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4).
2. Es mag dahinstehen, ob sich die Beklagte auf eine der in der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannten Ausnahmen hiervon beru-
fen kann. Sie macht insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 30. Januar 2014 - BVerwG 7 B
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21.13 - juris) geltend, dass die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage für ei-
nen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft weiterhin
von Bedeutung ist und dass sich die Frage zudem bei der Nachfolgebestim-
mung des § 16 Abs. 4 TierGesG in gleicher Weise stellen würde, sodass mit
der Beantwortung der das ausgelaufene Recht betreffenden Frage gleichzeitig
eine das neue Recht betreffende Frage beantwortet wäre. Zumindest Letzteres
drängt sich hier auf, wie unten auszuführen ist.
Es fehlt jedoch an der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage.
Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung einer Vorschrift verlangt eine Klä-
rung gerade in einem Revisionsverfahren. Das ist nach ständiger Rechtspre-
chung dann nicht der Fall, wenn sie sich auf der Grundlage des Gesetzeswort-
lauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation ohne Weiteres
beantworten lässt. Dies hat das Berufungsgericht angenommen; dem ist zuzu-
stimmen.
Nach § 67 Abs. 4 Satz 3 TierSG (ebenso § 16 Abs. 4 Satz 3 TierGesG) werden
bei der Festsetzung der Entschädigung Steuern nicht berücksichtigt. Diese Re-
gelung ist eindeutig, was der Senat bereits zur Frage der Einbeziehung der
Mehrwertsteuerpauschale bei der Bildung des „gemeinen Wertes“ des Tieres
(§ 67 Abs. 1 Satz 1 TierSG) entschieden hat (Beschluss vom 5. Dezember
1997 - BVerwG 3 B 172.97 - Buchholz 418.6 TierSG Nr. 16). Nichts anderes gilt
für die Berücksichtigung der Umsatzsteuer im Zusammenhang mit einer An-
rechnungsposition. Die Regelung betrifft nach Wortlaut und Stellung im Gefüge
des Entschädigungsrechts gerade die in § 67 Abs. 4 genannten Anrechnungs-
positionen, also auch die Berechnung des Wertes der verwertbaren Teile der
Tiere. Während der gemeine Wert der Tiere im Sinne des § 67 Abs. 1 Satz 1
TierSG fiktiv zu bestimmen ist, weil kein Erwerbsvorgang stattfindet, ergibt sich
der Wert der verwertbaren Teile aus einem realen Veräußerungsvorgang, bei
dem Umsatzsteuer anfallen kann (§ 24 UStG). In solchen Fällen stellt sich die
Frage, wie sich die Umsatzsteuer auf den Entschädigungsbetrag auswirkt. Inso-
fern besteht ein Unterschied in der Behandlung der Berechnungspositionen, der
aber in Unterschieden der Berechnungsfaktoren begründet ist.
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In dieselbe Richtung weisen die Gesetzesmaterialien zum alten und zum neuen
Recht und die daraus deutlich werdende Zielrichtung der ausgelaufenen Rege-
lung. § 67 Abs. 4 Satz 3 TierSG wurde mit Art. 1 Nr. 35 Buchst. b des Ersten
Gesetzes zur Änderung des Tierseuchengesetzes vom 15. Februar 1991
(BGBl I S. 461) eingeführt, um die Verfahrensweise in den Ländern zu verein-
heitlichen. Bis dahin war es mangels einer ausdrücklichen Regelung unter-
schiedlich gehandhabt worden, wie sich Steuern auf die Berechnung der Ent-
schädigung auswirkten (Begründung des Gesetzentwurfs vom 7. Mai 1990,
BTDrucks 11/7065 S. 15). Aus diesem Zweck der Ergänzung erhellt, dass die
von § 24 UStG eröffneten steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten seu-
chengeschädigter Landwirte, die im Verfahren mit den Stichworten „optieren-
der“ und „pauschalierender“ Landwirt angesprochen worden sind, zugunsten
einer Vereinheitlichung unberücksichtigt gelassen werden sollten. Dass dies in
gewissen Fällen zu einem Anrechnungsbetrag führen kann, der hinter dem rea-
len Erlös zurückbleibt, hat der Gesetzgeber erkennbar in Kauf genommen und
unter Hinweis darauf gerechtfertigt, dass die Tierseuchenentschädigung eine
Leistung besonderer Art sei und gerade keine zwingend nur den unmittelbaren
Schaden abdeckende Ersatzleistung, wie es dem Verwaltungsgericht und der
Beklagten mit dem Stichwort der „Überentschädigung“ vorschwebt. Den beson-
deren Entschädigungscharakter hat auch das Bundesverwaltungsgericht schon
betont (vgl. Urteil vom 19. Oktober 1971 - BVerwG 1 C 3.69 - BVerwGE 39, 10
<14>) und die Willkürlichkeit der Gleichbehandlung von „optierenden“ und „pau-
schalierenden“ Seuchengeschädigten im steuerrechtlichen Zusammenhang
ausdrücklich verneint (Beschluss vom 5. Dezember 1997 a.a.O.). Der Gesetz-
geber hat auch mit der Neuregelung des Tierseuchenrechts keinen Anlass ge-
sehen, die Anrechnungsvorschriften unter diesem Blickwinkel zu ändern. Viel-
mehr hat er die Regelung des § 67 Abs. 4 TierSG in § 16 Abs. 4 TierGesG (=
§ 15 Abs. 4 des Gesetzentwurfs vom 9. Januar 2013, BTDrucks 17/12032
S. 17) im Wesentlichen unverändert übernommen und es insbesondere in der
hier streitigen Frage bei dem bisherigen Rechtsstand belassen (BTDrucks
17/12032 S. 40 f.).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Kley
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
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Sachgebiet:
BVerwGE: nein
Tierseuchenrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
TierSG
§ 67 Abs. 4 Satz 1; Abs. 4 Satz 3
TierGesG
§ 16 Abs. 4 Satz 3
UStG
§ 24
VwGO
§ 132 Abs. 2 Nr. 1
Stichworte:
Tierseuche; Tötungsanordnung; Tierseuchenkasse; Entschädigung; Entschädi-
gungsbetrag; Anrechnung; anzurechnende Erlöse; Schlachterlös; Mehrwert-
steuer; Umsatzsteuer; seuchengeschädigte Landwirte; steuerrechtliche Gestal-
tungsmöglichkeiten; „optierende“ Landwirte; „pauschalierende“ Landwirte;
Überentschädigung; grundsätzliche Bedeutung; Auslegung von ausgelaufenem
Recht; Klärungsbedürftigkeit.
Leitsatz:
Der Entschädigungsbetrag für Tiere, die auf behördliche Anordnung getötet
wurden, war gemäß § 67 Abs. 4 Satz 3 TierSG a.F. nicht auch um die Umsatz-
steuer zu kürzen, die auf anzurechnende Erlöse für verwertbare Teile des Tie-
res anfiel.
Beschluss des 3. Senats vom 6. Juni 2014 - BVerwG 3 B 58.13
I. VG Augsburg
vom 27.11.2012 - Az.: VG Au 1 K 12.1054 -
II. VGH München vom 13.06.2013 - Az.: VGH 20 BV 12.2711 -