Urteil des BVerwG vom 17.08.2015

Rechtshilfe in Verwaltungssachen, Zustellung, Die Post, Eigenhändig

BVerwGE: nein
Fachpresse: ja
Sachgebiet:
Recht der Land- und Forstwirtschaft einschließlich
Förderungsmaßnahmen sowie des Tierzucht- und
Tierseuchenrechts
Sachgebietsergänzung:
Verwaltungszustellungsrecht
Rechtsquelle/n:
Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Republik Österreich über Amts- und Rechtshilfe in
Verwaltungssachen Art. 10 Abs. 1
VwGO § 109, § 137 Abs. 1, Abs. 2, § 173 Satz 1
VwZG § 3 Abs. 2, § 4 Abs. 1
ZPO §§ 178, 293
GKG § 52 Abs. 2
Titelzeile:
Zur eigenhändigen Zustellung eines Bescheides mit
eingeschriebenem Brief an einen Rechtsanwalt in Österreich
Stichworte:
Tierseuchenrechtliche Anordnung; Hundewelpen; Unterbringungskosten;
Widerspruchsbescheid; Zulässigkeit der Klage; Einhaltung der Klagefrist;
Zwischenurteil; Rechtshilfevertrag mit Österreich; völkerrechtlicher Vertrag;
revisibles Recht; Klärung ohne Revisionsverfahren; Zustellung an Anwalt in
Österreich; österreichisches Recht; Ermittlung ausländischen Rechts;
Tatsachenfeststellungen; Zustellung im Ausland; Zustellnachweis; Einschreiben
mit Rückschein; Versendungsformen; Eigenhändigkeit; Zustellung zu eigenen
Händen; Zustellung an Empfänger; Zustellung an Dritte; Ersatzzustellung;
Angestellte in Rechtsanwaltskanzlei; Anforderungen an einen Rückschein;
Streitwert.
Leitsatz:
Nach dem Vertrag zwischen Deutschland und Österreich über Amts- und
Rechtshilfe in Verwaltungssachen vom 31. Mai 1988 (BGBl. II S. 357)
entscheidet das Recht des um Zustellung ersuchten Staates, welche
Anforderungen bei einer Zustellung eines Bescheides unmittelbar durch die Post
(Art. 10 Abs. 1 des Vertrages) an die Eigenhändigkeit der Zustellung an einen
Rechtsanwalt und an den Rückschein gestellt sind.
Beschluss des 3. Senats vom 17. August 2015 - BVerwG 3 B 53.14
I. VG Neustadt a. d. Weinstraße vom 4. September 2013
Az: VG 5 K 251/13.NW
II. OVG Koblenz vom 8. Juli 2014
Az: OVG 6 A 10085/14
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 53.14
OVG 6 A 10085/14
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. August 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungs-
gerichts Rheinland-Pfalz vom 8. Juli 2014 wird zurück-
gewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 12 767,57 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beteiligten streiten um die Zulässigkeit einer Klage gegen eine tierseuchen-
rechtliche Anordnung und einen Kostenbescheid für die Unterbringung von Tie-
ren.
Die Klägerin ist eine Firma in der Slowakei und handelt mit Hundewelpen. Bei
einem Tiertransport nach Belgien kam es zu einem Verkehrsunfall, der eine
amtstierärztliche Untersuchung der Welpen nach sich zog. Wegen des Zustan-
des der Tiere ordnete der Beklagte mit Verfügung vom 5. März 2012 die Ab-
sonderung und Beobachtung der Welpen an und untersagte ihren Weitertrans-
port. Die Klägerin verzichtete daraufhin auf sämtliche Eigentums- und Besitzan-
sprüche an den betroffenen Tieren. Mit Bescheid vom 16. August 2012 zog der
Beklagte die Klägerin zur Erstattung der Kosten für die Unterbringung der Wel-
pen (20 535,13 €) heran. Die Widersprüche der Klägerin gegen beide Beschei-
de wies der Beklagte mit Bescheid vom 19. Februar 2013 zurück. Dieser Be-
scheid wurde dem in Wien praktizierenden Prozessbevollmächtigten der Kläge-
rin per Einschreiben mit Rückschein zugestellt. Die Sendung wurde einer Ange-
stellten, die auch den Rückschein unterschrieb, in den Räumen der Rechtsan-
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waltsgesellschaft am 22. Februar 2013 ausgehändigt. Die vom Prozessbevoll-
mächtigten am 21. März 2013 verfasste Anfechtungsklage ist am 26. März 2013
beim Verwaltungsgericht eingegangen. Das Verwaltungsgericht hat durch Zwi-
schenurteil vom 4. September 2013 festgestellt, dass die Klage zulässig ist. Die
einmonatige Klagefrist sei nicht in Lauf gesetzt worden, weil der Widerspruchs-
bescheid nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1
des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) i.V.m. Art. 10 Abs. 1 des Vertra-
ges zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich
über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen vom 31. Mai 1988 (Rechtshil-
fevertrag) sei erforderlich, dass die Sendung selbst einen Hinweis auf die be-
sondere Versendungsform "Eigenhändig" enthalte, was auf dem Rückschein zu
dokumentieren sei. Diese Anforderung sei nicht eingehalten. Das Oberverwal-
tungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Verwaltungsge-
richts durch Beschluss nach § 130a VwGO geändert, den Wiedereinsetzungs-
antrag der Klägerin abgelehnt und die Klage abgewiesen. Diese sei unzulässig,
weil die Anforderungen nach Art. 10 Abs. 1 des Rechtshilfevertrages an die Zu-
stellung im Ausland erfüllt seien. Das maßgebliche österreichische Recht sehe
die Übergabe an Kanzleiangestellte als eigenhändige Zustellung an, und der
Rückschein müsse für die Wirksamkeit der Zustellung keinen Vermerk "Eigen-
händig" tragen, wenn die Sendung tatsächlich an einen berechtigten Empfänger
übergeben worden und dies dokumentiert sei.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss
bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätz-
liche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Die einem Beschwerdeführer abgeforderte Darlegung (§ 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO) der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache setzt die Formulie-
rung einer bestimmten, jedoch fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen
Rechts voraus, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisi-
onsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Recht-
sprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten
erscheint (stRspr). Die Beschwerde will geklärt wissen:
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"Wie ist Art. 10 Abs. 1 Satz 2 des Vertrages zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich
über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen vom
31. Mai 1988 (“Rechtshilfevertrag“) nach den völkerrechtli-
chen Auslegungsregeln der Art. 31 und 32 der Wiener
Vertragsrechtskonvention vom 23.05.1969 (WVRK) aus-
zulegen? Im Speziellen die Wortfolge 'mit den besonderen
Versendungsformen 'Eigenhändig' und 'Rückschein' zu
versenden'."
Diese Frage, die als solche zu allgemein und umfassend ist, um Gegenstand
der Beantwortung in dem angestrebten Revisionsverfahren sein zu können,
lässt sich anhand der Ausführungen in der Beschwerdeschrift allerdings so weit
in Teilfragen gliedern, dass sie hinreichend bestimmt ist. Der Beschwerde geht
es offenkundig darum, die Anforderungen an die Versendungsformen "Eigen-
händig" und "Rückschein" nach dem Rechtshilfevertrag zu klären, soweit sie
vom Oberverwaltungsgericht zum Nachteil der Klägerin präzisiert worden sind.
Damit stellen sich die Fragen, ob eine eigenhändige Zustellung die Aushändi-
gung der Sendung an den namentlich genannten Empfänger erfordert oder
auch an bestimmte Dritte, wie Angestellte in einer Rechtsanwaltskanzlei, zu-
lässt, und ob auf dem Rückschein die Eigenhändigkeit der Zustellung vermerkt
sein muss.
Diese Fragen betreffen revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO, zu
dem völkerrechtliche Verträge zählen, die in der Bundesrepublik, wie der inmit-
ten stehende Rechtshilfevertrag durch Zustimmungsgesetz vom 26. April 1990
(BGBl. II S. 357), in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sind (vgl. Kraft,
in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 137 Rn. 16 m.w.N.). Die Fragen sind als
solche auch fallübergreifend, offenkundig für eine Vielzahl von Zustellvorgän-
gen bedeutsam und nicht durch höchstrichterliche Entscheidung geklärt. Je-
doch enthält nicht jede derartige Frage der Auslegung und Anwendung einer
Vorschrift bereits eine Problemstellung, die eine Klärung gerade in einem Revi-
sionsverfahren verlangt. Eine Beantwortung ist ohne Revisionsverfahren mög-
lich und geboten, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage
des Wortlauts der Vorschrift mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Inter-
pretation ohne Weiteres beantworten lässt (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom
24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> und vom 11. Juni 1993
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- 4 B 101.93 - Buchholz 407.4 § 8 FStrG Nr. 22 S. 18). Das ist hier für beide
Fragen der Fall; sie lassen sich ohne Weiteres im Sinne des angefochtenen
Beschlusses beantworten.
1. Aus Art. 10 Abs. 1 des Rechtshilfevertrages erschließt sich, dass mit dem
Begriff der Eigenhändigkeit nicht zwingend die Übergabe einer Sendung nur an
den namentlich bezeichneten Empfänger gefordert ist. Was unter "Eigenhändig"
zu verstehen ist, soll maßgeblich von der Rechtsordnung des Staates bestimmt
werden, in dem das Schriftstück zugestellt wird. Das besagt ausdrücklich Satz 1
der Regelung mit der - in der Souveränität der Vertragsstaaten wurzelnden -
Vorgabe, dass die Übermittlung "nach den für den Postverkehr zwischen den
Vertragsstaaten geltenden Vorschriften" erfolgt. Dieser Ausgangspunkt stimmt
mit dem Europäischen Übereinkommen vom 24. November 1977 über die Zu-
stellung von Schriftstücken in Verwaltungssachen im Ausland (BGBl. 1981 II
S. 533) überein, an das der Rechtshilfevertrag anknüpft (vgl. Begründung des
Gesetzentwurfs zum Vertragsgesetz vom 6. April 1989, BT-Drs. 11/4308 S. 5,
11). Das Übereinkommen geht in Art. 6 Abs. 1 davon aus, dass die Zustellung
in einer der Formen vorgenommen wird, die das Recht des ersuchten Staates
für die Zustellung in seinem Hoheitsgebiet vorschreibt (Buchst. a) oder zumin-
dest zulässt (Buchst. b). Dies konkretisierend haben die Vertragsstaaten des
Rechtshilfevertrages in Art. 10 Abs. 1 Satz 2 für die Fälle, in denen nach dem
Recht des Absendestaates eine Zustellung erforderlich ist und unmittelbar
durch die Post bewirkt werden soll, die Zustellung durch eingeschriebenen Brief
mit den besonderen Versendungsformen "Eigenhändig" und "Rückschein" er-
möglicht. Dass die Vertragsstaaten von einer Erläuterung dieser Begriffe abge-
sehen haben, belegt wiederum, dass sie deren Ausfüllung ihren eigenen
Rechtsordnungen überlassen wollten. Das lag nahe, weil die eigenhändige Zu-
stellung mit Rückschein in beiden Rechtsordnungen bekannt ist und auf Ersu-
chen jedes Absendestaates im Zustellstaat bewirkt werden kann. In Deutsch-
land kann sie als besondere Form des Einschreibens mit Übergabe (§ 4 Abs. 1
VwZG) gewählt werden, um sicherzustellen, dass keine Ersatzzustellung (§ 3
Abs. 2 VwZG i.V.m. §§ 178 bis 181 der Zivilprozessordnung) stattfindet (vgl.
Schlatmann, in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG/VwZG, 10. Aufl. 2014, § 4
Rn. 2). Nichts anderes gilt nach den Feststellungen des Oberverwaltungsge-
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richts für den österreichischen Rechtsraum. Dort ist das Zustellgesetz maßgeb-
lich, nach dem die "Zustellung zu eigenen Handen" (§ 21) ebenfalls eine Zustel-
lung an Ersatzempfänger (§ 16) ausschließt, nicht aber die Aushändigung an
Angestellte einer Kanzlei, die gemäß § 13 Abs. 4 Satz 1 österr. ZustG für Zwe-
cke eigenhändiger Zustellung dem "originären" Empfänger, hier also dem na-
mentlich bezeichneten Rechtsanwalt, gleichgestellt sind. Lässt aber das Recht
des ersuchten Vertragsstaates die Aushändigung einer Sendung an bestimmte
Dritte als "eigenhändig" gelten, so ist der Nachweis der eigenhändigen Zustel-
lung im Sinne des Rechtshilfevertrages erbracht.
An die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum österreichischen
Recht ist der Senat gebunden. Sie betreffen nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m.
§ 293 ZPO Tatsachen, deren Ermittlung dem Revisionsgericht durch § 137
Abs. 2 VwGO verwehrt ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. März 1989 - 1 B
43.89 - Buchholz 130 § 3 RuStAG Nr. 2 S. 2 f., vom 3. Mai 1996 - 4 B 46.96 -
Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 296 S. 7 f., vom 10. Dezember 2004 - 1 B 12.04 -
Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 67, vom 14. Oktober 2004 - 6 B 6.04 -
Buchholz 115 Sonst. Wiedervereinigungsrecht Nr. 51 und vom 29. Mai
2012 - 3 B 90.11 - ZOV 2012, 213 <214>). Zulässige und begründete Revisi-
onszulassungsgründe (§ 132 Abs. 2 VwGO) in Bezug auf diese Feststellungen,
die die Bindung nach § 137 Abs. 2 VwGO entfallen ließen, hat die Beschwerde
nicht geltend gemacht.
2. Auch die weitere Frage, ob der Rechtshilfevertrag verlangt, dass die "Eigen-
händigkeit" auf dem Rückschein vermerkt ist, lässt sich mit dem angefochtenen
Beschluss ohne Weiteres - verneinend - beantworten. Es versteht sich von
selbst, dass die besondere Versendungsform "Eigenhändig" auf der Sendung
vermerkt sein muss, um der Post des Zustellstaates die erforderlichen Modalitä-
ten und den gewünschten Ausschluss einer Ersatzzustellung zu verdeutlichen.
Demgegenüber hat der Rückschein eine bloße Dokumentations- und Nachweis-
funktion, die es nicht erfordert, die Versendungsform auf ihm zu vermerken. Für
den Nachweis genügt es, wenn sich aus den Angaben auf dem Rückschein
objektiv, ggf. durch Nachfrage nachvollziehen lässt, dass nach dem Recht des
Zustellstaates eine eigenhändige Zustellung erfolgt ist. Dass der fragliche
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Rückschein dies zulässt, wie vom Oberverwaltungsgericht festgestellt, zieht die
Beschwerde nicht mit Revisionszulassungsgründen in Zweifel. Der vom Verwal-
tungsgericht für erforderlich gehaltene Vermerk "Eigenhändig" auf dem Rück-
schein hat keinen weitergehenden Beweiswert.
Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133
Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab. Das gilt insbesondere für die Würdigung der
Ausführungen der Beschwerde unter "II. Revision", in denen die Richtigkeit des
angefochtenen Beschlusses in der Art einer Berufungsbegründung ohne einen
konkretisierten Bezug zu Zulassungsgründen des § 132 Abs. 2 VwGO gerügt
wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des
Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 und 3
GKG. Die Bedeutung der Sache für die Beschwerdeführerin ist durch das
Rechtsschutzziel geprägt, das erstinstanzliche Zwischenurteil wiederherzustel-
len, um den Rechtsstreit fortsetzen zu können. Die Beschränkung auf die Zu-
lässigkeit der Klage rechtfertigt eine Halbierung der regulär anzusetzenden Be-
träge (5 000 € für die tierschutzrechtliche Anordnung und 20 535,13 € an Un-
terbringungskosten).
Kley
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
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