Urteil des BVerwG vom 09.07.2002

Politische Verfolgung, Anwendungsbereich, Rückgabe, Vorschlag

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BESCHLUSS
BVerwG 3 B 49.02
VG 6 K 1604/98
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Juli 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. B o r g s – M a c i e j e w s k i
und K i m m e l
beschlossen:
- 2 -
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nicht-
zulassung der Revision in dem Urteil des
Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 15. Januar
2002 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwer-
deverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für
das Beschwerdeverfahren auf 4 090 € festge-
setzt.
G r ü n d e :
Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Be-
deutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Di-
vergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) lassen sich dem Beschwerde-
vorbringen nicht entnehmen.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur, wenn zu er-
warten ist, dass die Revisionsentscheidung dazu beitragen
kann, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten und die
Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Zu Unrecht halten die
Kläger die von ihnen aufgeworfenen Fragen in diesem Sinne für
zulassungseröffnend.
Die Kläger fordern als Erben ihres Vaters dessen verwaltungs-
rechtliche Rehabilitierung, um daraus Rückübertragungsansprü-
che an seinem im Zuge der Bodenreform entzogenen Bauernhof
herleiten zu können. Nach Ansicht der Kläger hängt die Ent-
scheidung des Rechtsstreits im Rehabilitierungsverfahren von
einer Reihe von Rechtsfragen ab, die das Verhältnis des Vermö-
gensgesetzes zum Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz
betreffen.
- 3 -
Zur Beantwortung dieser Fragen bedarf es der Durchführung ei-
nes Revisionsverfahrens nicht, weil die diesbezügliche Rechts-
lage durch die schon vorliegende Rechtsprechung des Bundesver-
waltungsgerichts als hinreichend geklärt erscheint. Der Senat
hat zuletzt in dem Beschluss vom 11. April 2002 - BVerwG 3 B
16.01 - zusammenfassend zu der von den Klägern aufgezeigten
Problematik ausgeführt:
"Der Gesetzgeber hat in § 1 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VwRehaG
der gemäß § 12 VwRehaG zuständigen (Rehabilitierungs-)Be-
hörde die Aufgabe übertragen, nach Eingang eines Antrags
auf Aufhebung einer rechtsstaatswidrigen Verwaltungsent-
scheidung zunächst darüber zu befinden, ob auf die jeweils
in Rede stehende Maßnahme überhaupt das Verwaltungsrecht-
liche Rehabilitierungsgesetz Anwendung findet. Das ist
nicht der Fall, wenn entweder die Voraussetzungen des Sat-
zes 2 oder die des Satzes 3 des § 1 Abs. 1 VwRehaG erfüllt
sind. Dementsprechend hat der Senat im Urteil vom 23. Au-
gust 2001 (BVerwG 3 C 39.00 - VIZ 2002, 25) in Auslegung
einzig des § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG erkannt, eine allein
als zielgerichteter Zugriff auf einen Vermögensgegenstand
und nicht als Nebenfolge eines grob rechtsstaatswidrigen
Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre zu beurteilende ho-
heitliche Maßnahme der DDR-Behörden werde mit der Folge im
Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG vom Vermögensgesetz
erfasst, dass eine Anwendung des Verwaltungsrechtlichen
Rehabilitierungsgesetzes ausgeschlossen ist.
Der Beschwerdeführer geht davon aus, dass die Enteignungs-
maßnahmen im Zuge der Bodenreform vor allem auf die poli-
tische Verfolgung der Betroffenen zielten und deshalb
nicht vom Vermögensgesetz erfasst werden. Das Bundesver-
fassungsgericht neigt ebenfalls dieser Auffassung zu (vgl.
Beschluss vom 9. Januar 2001 - BVerfG 1 BvL 6.00 u.a. -
VIZ 2001, 228, 230). Doch mag das auf sich beruhen. Letzt-
lich kommt es hierauf nicht entscheidend an. Sollte näm-
lich eine solche Enteignungsmaßnahme im Sinne des § 1
Abs. 1 Satz 2 VwRehaG vom Vermögensgesetz erfasst werden,
scheiterte eine Rückgabe an § 1 Abs. 8 Buchstabe a VermG.
Sollte dagegen nicht schon § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG eine
Anwendung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsge-
setzes ausschließen, würde ein solcher Anwendungsaus-
schluss durch § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG begründet.
In Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung des Bun-
desverwaltungsgerichts hat der Senat hierzu in seinem Ur-
teil vom 21. Februar 2002 - BVerwG 3 C 16.01 - im Wesent-
lichen Folgendes ausgeführt:
- 4 -
Durch die Verweisung in § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG auf § 1
Abs. 8 VermG wird die Anwendbarkeit des Verwaltungsrecht-
lichen Rehabilitierungsgesetzes u.a. für 'Enteignungen von
Vermögenswerten auf besatzungsrechtlicher oder besatzungs-
hoheitlicher Grundlage' (Buchstabe a) ausgeschlossen.
Hierunter fallen - jedenfalls auch - Enteignungsmaßnahmen,
welche die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1
Satz 1 VwRehaG erfüllen. § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG stellt
- wie gesagt - nicht etwa nur klar, dass zu den nach § 1
Abs. 1 Satz 2 VwRehaG vom Vermögensgesetz erfassten und
daher vom Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz
ausgenommenen Fallgruppen auch jene des § 1 Abs. 8 VermG
gehören. Einer solchen Bestimmung hätte es nicht bedurft.
Die Vorschrift bringt vielmehr zum Ausdruck, dass Enteig-
nungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitli-
cher Grundlage - abgesehen von der noch zu erörternden
Fallgruppe des § 1 Abs. 7 VermG - unter keinen Umständen
rückgängig zu machen sind, gleichgültig, welchem der hier
in Rede stehenden Gesetze sie ohne diese Ausschlussklausel
unterfallen würden. Die Tatsache, dass es sich bei der
vermögensrechtlichen Restitution und der verwaltungsrecht-
lichen Rehabilitierung nebst vermögensrechtlichen Folgean-
sprüchen um zwei getrennte Sach- und Normbereiche handelt,
steht der angeführten Gemeinsamkeit nicht entgegen.
Die Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte des
Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes bestätigt.
In der Regierungsbegründung zu § 1 Abs. 1 Satz 3 des Ent-
wurfs heißt es u.a. (BTDrucks 12/4994, S. 23):
'Damit werden im Wesentlichen zwei große Enteignungs-
aktionen aus dem Anwendungsbereich des Vermögensge-
setzes und der verwaltungsrechtlichen Rehabilitierung
ausgeschlossen: Die entschädigungslosen Enteignungen
im Bereich der Industrie zugunsten der Länder der
ehemaligen SBZ bzw. im Rahmen der so genannten demo-
kratischen Bodenreform. Diese Rechtslage ist ent-
scheidend auf die Haltung der Sowjetunion zurückzu-
führen, nach der die unter ihrer Besatzungshoheit
(1945 - 1949) durchgeführten Enteignungsmaßnahmen
völkerrechtlich nicht zur Disposition der beiden
deutschen Staaten stünden und als solche unangetastet
bleiben müssten. Dies war auch im Rahmen des verwal-
tungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes zu beach-
ten.'
Dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz liegt
also die Vorstellung zugrunde, dass die beiden Enteig-
nungsaktionen Verfolgungsunrecht darstellten und daher oh-
ne eine spezielle Ausschlussklausel nach dem neuen Gesetz
zu rehabilitieren wären (vgl. Wasmuth, BIZ 2002, 134
- 5 -
<140 f.>).
Durch den Schriftsatz der Beschwerde vom 3. April 2002
sieht sich der Senat zu folgender zusätzlichen Bemerkung
veranlasst: Die Gesetzesmaterialien belegen den Willen des
Gesetzgebers, Enteignungen im Zuge der Bodenreform vom An-
wendungsbereich des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitie-
rungsgesetzes auszunehmen, in völliger Eindeutigkeit. Die
gesetzgebenden Körperschaften haben die Vorschrift des § 1
Abs. 1 Satz 3 VwRehaG auf Vorschlag der Bundesregierung
und auf der Grundlage der von ihr hierzu erarbeiteten Be-
gründung unverändert beschlossen. Ziel und Absicht dieser
Regelung lassen sich somit allein aus der schriftlichen
Begründung des Regierungsentwurfs ermitteln. Selbst wenn
sich einzelne Beamte, die an der Abfassung der Begründung
beteiligt waren - wie die Beschwerde behauptet - hiervon
später distanziert haben sollten, würde dies den Willen
des historischen Gesetzgebers nicht umzustoßen oder auch
nur zu relativieren vermögen. Der Senat schließt sich in-
soweit der namentlich von Wasmuth (VIZ 2002, 134 <141>)
mit folgenden Worten vertretenen Ansicht an: 'Wollten die
Verwaltungsgerichte wegen ihres Verfolgungscharakters auch
für die verwaltungsrechtlichen Vermögensschädigungen der
Boden- und Wirtschaftsreform eine Anwendbarkeit des Ver-
waltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes annehmen und
damit die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG leer-
laufen lassen, stünde eine solche Entscheidungspraxis im
offenen Widerspruch zum erklärten Willen des Gesetzgebers,
der wegen seiner Eindeutigkeit auch nicht mit den Mitteln
der Rechtsfortbildung ausgehebelt werden kann.'
Dem Beschwerdeführer hilft es auch nicht, dass die vorste-
hend erörterte Ausschlussregelung Ansprüche nach § 1
Abs. 7 VermG (u.a.) 'unberührt' lässt (§ 1 Abs. 8 Buchsta-
be a Halbsatz 2 VermG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG).
Diese Klausel ermöglicht zwar die Rückgabe auch solcher
Vermögenswerte, die auf besatzungsrechtlicher oder
-hoheitlicher Grundlage entzogen worden waren, setzt aber
die Aufhebung der Wegnahmeentscheidung nach anderen Vor-
schriften voraus. Eine solche kommt aber nach dem Verwal-
tungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz aufgrund der Aus-
schlussregelung gerade nicht in Betracht. Kann hier aber
eine Aufhebung nicht erfolgen, so kann sich auch die Ver-
weisung in § 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG nur auf den uneinge-
schränkten Ausschlusstatbestand beziehen, also auf § 1
Abs. 8 Buchstabe a Halbsatz 1 VermG. Eine Rehabilitierung
der hier in Rede stehenden Fallgruppen nach den Regeln des
Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes ist danach
bereits dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen nach
eindeutig ausgeschlossen (vgl. Beschluss vom 8. April 1998
- BVerwG 7 B 7.98 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 149,
S. 452).
- 6 -
Die vorstehenden Ausführungen schließen die Feststellung
ein, dass zu den Enteignungen auf besatzungsrechtlicher
oder besatzungshoheitlicher Grundlage auch jene zu zählen
sind, die im Zuge der Bodenreform erfolgt sind (vgl.
BVerfG, Urteil vom 23. April 1991 - BVerfG 1 BvR 1170,
1174, 1175/90 - BVerfGE 84, 90, 114). Auch, und gerade für
sie hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass § 1
Abs. 8 Buchstabe a VermG in Wiederholung der Regelung in
Art. 41 Abs. 1 EV i.V.m. Nr. 1 Satz 1 der Gemeinsamen Er-
klärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und
der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener
Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 einen Anspruch eines Ge-
schädigten auf Rückübertragung eines enteigneten Vermö-
genswertes ausschließt (vgl. zusammenfassend Urteil vom
28. September 1995 - BVerwG 7 C 28.94 - BVerwGE 99, 268,
269). Nichts anderes gilt im Hinblick auf § 1 Abs. 1
Satz 3 VwRehaG. Die Vereinbarungen zwischen den beiden
deutschen Regierungen lassen nicht den geringsten Zweifel
zu, dass sich die von Nr. 1 der Gemeinsamen Erklärung er-
fassten, nicht mehr rückgängig zu machenden Enteignungen
vor allem auf die Vermögensentschädigungen im Rahmen der
Bodenreform beziehen (Wasmuth, VIZ 1999, 633 <639>). Der
Anspruchsausschluss hängt - wie bereits ausgeführt - nicht
davon ab, ob Ansprüche im Gefolge einer Bodenreformenteig-
nung dem Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes oder des
Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes zuzuordnen
sind. Der Gesetzgeber hat sich nämlich dafür entschieden,
Entschädigungs- bzw. Rehabilitierungsleistungen insoweit
nicht nach Maßgabe eines dieser beiden Gesetze zu gewäh-
ren."
Daran hält der Senat auch unter Berücksichtigung der vorlie-
genden Beschwerdebegründung, deren Argumente in den genannten
Entscheidungen erörtert worden sind, fest.
2. Die geltend gemachte Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO)
zwischen dem angefochtenen Urteil und den Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts vom 18. April 1996 <1 BvR 1452/90>,
vom 23. November 1999 <1 BvF 1/94> und vom 9. Januar 2001
(- 1 BvL 6/00 -, VIZ 2001, 228) lässt sich dem Beschwerdevor-
trag nicht entnehmen.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde ge-
gen den zitierten Beschluss des Senats vom 11. April 2002 mit
- 7 -
Beschluss vom 18. Juni 2002 nicht zur Entscheidung angenommen.
Zur Begründung heißt es u.a., das Bundesverfassungsgericht ha-
be mit seinen Ausführungen dazu, dass es sich bei den Bodenre-
formenteignungen um schweres, nicht nur vermögensrechtlich zu
missbilligendes Unrecht handele, nicht zum Ausdruck gebracht,
dass Bodenreformenteignungen unter das Verwaltungsrechtliche
Rehabilitierungsgesetz fallen könnten. Angesichts dieser Klar-
stellung kann jedenfalls im Ergebnis von einer Divergenz zwi-
schen der diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts und derjenigen des Bundesverwaltungsgerichts
(bzw. des damit übereinstimmenden VG Chemnitz) keine Rede
sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die
Streitwertfestsetzung auf §§ 13, 14 GKG.
Prof. Dr. Driehaus Dr. Borgs-Maciejewski Kimmel