Urteil des BVerwG vom 17.01.2014

Zahnheilkunde, Beschwerdefrist, Behandlung, Bier

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 48.13
OVG 13 A 1210/11
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Januar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. April 2013 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Klägerin ist approbierte niedergelassene Zahnärztin. Sie begehrt die Fest-
stellung, als Zahnärztin zur Durchführung (genauer bezeichneter) Faltenunter-
spritzungen im Gesichts- und Halsbereich berechtigt zu sein. Die Klage ist in
den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat da-
rauf abgestellt, dass es sich bei dieser Tätigkeit nicht um die Ausübung von
Zahnheilkunde im Sinne des Gesetzes über die Ausübung der Zahnheilkunde
(ZHG) handele und sie daher von der zahnärztlichen Approbation nicht umfasst
sei. Dem zahnärztlichen Tätigkeitsfeld seien nur Behandlungsmaßnahmen zu-
zurechnen, die auf den Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer ausge-
richtet seien. Diese Beschränkung verstoße weder gegen Art. 12 Abs. 1 noch
gegen Art. 3 Abs. 1 GG; denn der Klägerin bleibe unbenommen, neben ihrer
zahnärztlichen Berufsausübung einer weiteren heilkundlichen Tätigkeit nachzu-
gehen. Dahinstehen könne, ob sie für die beabsichtigten Faltenunterspritzun-
gen eine Heilpraktikererlaubnis benötige und ob wegen der bei ihr vorhandenen
medizinischen Kenntnisse ganz oder teilweise von einer Kenntnisüberprüfung
abgesehen werden müsste. Da die Beklagte für die Durchführung des Heilprak-
tikergesetzes nicht zuständig sei, fehle es insoweit bereits an einem feststel-
lungsfähigen Rechtsverhältnis. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
am 24. April 2013 zugestellten Berufungsurteil hat die Klägerin am 6. Juni 2013
Beschwerde eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist
beantragt. Das Oberverwaltungsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom
12. Juni 2013 nicht abgeholfen und die Akten dem Bundesverwaltungsgericht
übersandt. Die Beschwerdebegründung hat die Klägerin am 24. Juni 2013 un-
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mittelbar beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Nach richterlichem Hin-
weis auf die Vorschrift des § 133 Abs. 3 Satz 2 VwGO hat sie auch hinsichtlich
der Beschwerdebegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bean-
tragt und vorgetragen, das Oberverwaltungsgericht habe sie in der Mitteilung
über die Nichtabhilfe darauf hingewiesen, dass die weiteren Schriftsätze an das
Bundesverwaltungsgericht zu senden seien.
1. Die Beschwerde ist zulässig. Der Klägerin ist gemäß § 60 Abs. 1 VwGO
Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Einlegung der Beschwerde (§ 133
Abs. 2 Satz 1 VwGO) zu gewähren. Sie hat glaubhaft gemacht, dass ihr Pro-
zessbevollmächtigter ohne Verschulden verhindert war, die einmonatige Be-
schwerdefrist einzuhalten. Diese Frist ist nach der eidesstattlichen Versicherung
der für die Bearbeitung von Fristensachen zuständigen Kanzleiangestellten und
nach den ergänzenden Darlegungen des Prozessbevollmächtigten infolge von
Umständen versäumt worden, für die ihn kein Organisationsverschulden trifft.
Die Beschwerde ist auch nicht wegen Versäumung der Frist zur Begründung
der Beschwerde (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) unzulässig. Dabei kann offen blei-
ben, ob die von der Klägerin am letzten Tag der Frist entgegen § 133 Abs. 3
Satz 2 VwGO unmittelbar beim Bundesverwaltungsgericht eingereichte Be-
schwerdebegründung ausnahmsweise deshalb als fristwahrend angesehen
werden kann, weil das Oberverwaltungsgericht der Beschwerde nicht abgehol-
fen hat und das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung über den An-
trag auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist zuständig ist (§ 60 Abs. 4
VwGO; vgl. dazu Bier, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: April 2013,
§ 60 Rn. 67; Pietzner/Bier, a.a.O., § 133 Rn. 61; Czybulka, in: Sodan/Ziekow,
VwGO, 3. Aufl. 2010, § 60 Rn. 133) und weil das Oberverwaltungsgericht noch
vor Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist die Akten dem Bundesverwal-
tungsgericht vorgelegt hat, unter gleichzeitigem Hinweis an die Klägerin, die
weiteren Schriftsätze seien nunmehr dorthin zu senden. Verneinendenfalls hat
die Klägerin zwar die Zweimonatsfrist für die Begründung der Nichtzulassungs-
beschwerde - die ungeachtet des Wiedereinsetzungsantrags wegen Versäu-
mung der Beschwerdefrist mit der Zustellung des angefochtenen Berufungs-
urteils begonnen hat (Beschluss vom 25. November 1993 - BVerwG 1 B
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178/93 - Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 14; BFH, Beschluss vom 28. Juli
2004 - IV B 83/04 - juris) - versäumt. Ihr ist aber auch insoweit Wiedereinset-
zung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die Fristversäumung unter den
gegebenen Umständen unverschuldet ist.
2. Die Beschwerde ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Zulassungs-
grund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO) liegt nicht vor.
Soweit die Klägerin für klärungsbedürftig hält, ob Faltenunterspritzungen unter
den Begriff der Zahnheilkunde nach § 1 Abs. 3 ZHG zu subsumieren sind, be-
darf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Diese Frage ist an-
hand des Gesetzes ohne Weiteres zu verneinen. § 1 Abs. 3 ZHG definiert als
Ausübung der Zahnheilkunde die berufsmäßige auf zahnärztlich wissenschaftli-
che Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund-
und Kieferkrankheiten (Satz 1). Als Krankheit ist jede von der Norm abweichen-
de Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen,
einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen
(Satz 2). Daraus ergibt sich eindeutig, dass die von der Klägerin beabsichtigte
Tätigkeit keine Ausübung der Zahnheilkunde ist, da sie nicht den geforderten
Behandlungsbezug zum Bereich der Zähne, des Mundes oder der Kiefer (ein-
schließlich der dazugehörigen Gewebe) aufweist. Vielmehr sind die Falten-
unterspritzungen nach ihrem räumlichen Ansatz und dem Zweck des Eingriffs
ausschließlich auf eine Behandlung der Gesichtshaut und der Haut des Halses
gerichtet. Diesem Normverständnis steht nicht entgegen, dass für das Bestehen
der zahnärztlichen Prüfung u.a. auch Kenntnisse auf dem Gebiet der Dermato-
logie nachzuweisen sind. Verlangt werden nämlich lediglich solche Kenntnisse
der Hautkrankheiten, die für die Ausübung der zahnärztlichen Tätigkeit erforder-
lich sind (vgl. § 45 der Approbationsordnung für Zahnärzte). Vergleichbares gilt
etwa für Kenntnisse auf dem Gebiet der Inneren Medizin oder der Hals-, Nasen-
und Ohrenkrankheiten (§§ 44, 46 der Approbationsordnung).
Anderes folgt auch nicht aus der Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung
von Berufsqualifikationen (ABl Nr. L 255 vom 30. September 2005, S. 22). Die
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Vorinstanzen haben zutreffend ausgeführt, dass der Begriff der zahnärztlichen
Tätigkeit nach Art. 36 der Richtlinie ersichtlich keine Verrichtungen umfasst, die
nicht der Behandlung von Anomalien und Krankheiten der Zähne, des Mundes
und der Kiefer dienen.
Die weitere von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob ein approbierter
Zahnarzt zur Vornahme von Faltenunterspritzungen einer Erlaubnis nach § 1
Abs. 1 des Heilpraktikergesetzes bedarf, wäre aus Anlass dieses Falles nicht zu
klären. Das Oberverwaltungsgericht hat zugrunde gelegt, dass die Beklagte für
die Durchführung des Heilpraktikergesetzes nicht zuständig ist, und folgerichtig
ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis (§ 43 Abs. 1 VwGO) insoweit verneint.
Davon wäre auch im Revisionsverfahren auszugehen. Vor diesem Hintergrund
vermögen die Ausführungen der Klägerin zu Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1
GG gleichfalls keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf zu begründen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2
Halbs. 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Kley
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