Urteil des BVerwG vom 16.03.2010

Überzeugung, Beweislastverteilung, Verfahrensmangel, Akte

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 48.09
VG 7 K 4153/07.F(3)
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. März 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Dr. Wysk
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frank-
furt am Main vom 4. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
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Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 818 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger wendet sich gegen seine Verpflichtung zur Rückzahlung der seinem
Vater nach dem Lastenausgleichsgesetz bewilligten Hauptentschädigung. Zur
Begründung macht er im Beschwerdeverfahren geltend, sein Vater habe die
Entschädigungssumme nicht erhalten. Das Verwaltungsgericht habe bei seiner
gegenteiligen Annahme die Beweisregeln verkannt, unberechtigte Vermutungen
angestellt und den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Darlegungen des Klägers ergeben we-
der eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2
Nr. 1 VwGO (1.) noch einen Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts beruhen kann (2.).
1. Die Beschwerde sieht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in
einer gebotenen Weiterentwicklung der Regeln über die Beweislastverteilung
und die Beweiswürdigung für Fälle, in denen nicht mehr feststellbar ist, ob die
(zurückgeforderte) Hauptentschädigung gezahlt und damit der Anspruch erfüllt
worden war. Die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Be-
schluss vom 29. September 1972 - BVerwG 3 B 56.72 - Buchholz 427.3 § 252
LAG Nr. 9 = Mtbl BAA 1973, 147) aufgestellte Grundregel der Beweislastvertei-
lung, wonach die Nichterweislichkeit der Zahlung zulasten der Ausgleichsbe-
hörde gehe, müsse auch dann eingreifen, wenn in Kassenbelegen (Auszah-
lungsanordnungen oder Überweisungsträgern) die Grundsätze der Eindeutigkeit
und Klarheit verletzt worden seien. Daher müsse die Behörde die Zahlung
beweisen, wenn - wie im Fall des Klägers - wegen Überschreibungen oder
Durchstreichungen (hier einer Ziffer in der Eintragung der achtstelligen Bank-
leitzahl in einer Bankanweisung) nicht mehr aufklärbar sei, welches die ur-
sprüngliche und welches die nachträgliche Eintragung in einem Beleg gewesen
sei. Damit wird eine grundsätzliche Bedeutung nicht aufgezeigt. Die Beschwer-
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de will einen allgemeinen Erfahrungssatz geklärt wissen, den ein Gericht bei
seiner Beweiswürdigung nicht außer Acht lassen dürfe. Allgemeine Erfahrungs-
sätze sind jedermann zugängliche Sätze, die nach der allgemeinen Erfahrung
unzweifelhaft gelten und durch keine Ausnahmen durchbrochen sind (stRspr,
Beschluss vom 25. Juli 1990 - BVerwG 3 CB 9.90 - IFLA 1992, 107 m.w.N.). Es
liegt auf der Hand und muss nicht erst in einem Revisionsverfahren geklärt
werden, dass der vom Kläger aufgestellte Erfahrungssatz keine prinzipielle Gel-
tung beanspruchen kann. Es ist eine Frage der Würdigung aller Umstände des
Einzelfalls, welche Schlüsse aus Korrekturen in Dokumenten jeweils zu ziehen
sind, und ob danach von der (Nicht-)Erweislichkeit einer Zahlung auszugehen
ist. Die vom Kläger erstrebte fallübergreifende Klärung ist daher nicht möglich.
2. Das angefochtene Urteil beruht auch nicht auf einem Verfahrensmangel im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht
habe mit der Formulierung, das „Überschreiben einer Ziffer in der achtstelligen
Bankleitzahl dürfte vor Tätigen des Überweisungsvorgangs geschehen sein“,
eine unberechtigte Vermutung angestellt, statt richtig anzunehmen, dass die
Beklagte den Beweis für die Auszahlung schuldig geblieben sei. Damit wird der
Sache nach die Rechtsanwendung beanstandet; denn die Sachverhalts- und
Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) ist regelmäßig dem sachlichen Recht
zuzurechnen und vom Revisionsgericht nur auf die Einhaltung allgemein gülti-
ger Würdigungsgrundsätze hin zu überprüfen (stRspr, Beschluss vom 20. Mai
2003 - BVerwG 3 B 37.03 - juris Rn. 8 ff.). Dass diese Grundsätze hier verletzt
sind, ist nicht erkennbar. Das Verwaltungsgericht hat - gestützt auf den zitierten
Beschluss vom 29. September 1972 - die Frage, ob das Ausgleichsamt den ihm
obliegenden Beweis des Empfangs der Zahlung erbracht hat, nach seiner
freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung
bejaht. Die gewonnene Überzeugung, die keinen Raum für die Anwendung der
Beweislastregel ließ, bezieht ausdrücklich ein, welche Bedeutung der von der
Beschwerde bezeichneten handschriftlichen Korrektur auf dem Anweisungs-
formular beizumessen ist. Mit der vom Kläger beanstandeten Verwendung des
Wortes „dürfte“ sollten lediglich Anhaltspunkte für eine nachträgliche Manipula-
tion der Akte ausgeschlossen werden, die der Kläger ausdrücklich nicht be-
haupten will. Selbst wenn diese Würdigung durch das Verwaltungsgericht in der
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Sache unzutreffend sein sollte, ist nicht dargelegt und auch nicht erkennbar,
dass sie auf einer revisionsgerichtlich überprüfbaren Verletzung von Denkge-
setzen, allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (entsprechend §§ 133, 157 BGB)
oder allgemeiner Erfahrungssätze beruht.
Dasselbe gilt für die von der Beschwerde beanstandete Würdigung der fehlen-
den Abzeichnung eines Feldes im so genannten Laufzettel. Welche Schlüsse
daraus in der Zusammenschau mit den sonstigen Umständen zu ziehen sind,
ist ebenfalls eine Frage der Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Die Rüge des
Klägers führt auch insoweit auf keinen Verfahrensfehler im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Es ist auf der Grundlage der hierfür maßgeblichen Rechts-
auffassung des Verwaltungsgerichts insbesondere nicht ersichtlich, dass eine
Veranlassung zu weiterer Aufklärung der Vorgänge bestand, zumal der Kläger
diese Möglichkeit selbst ausschließt und daher die Beklagte für beweisfällig
hält.
Unberechtigt ist schließlich die als „Zusatzfehler“ bezeichnete Aufklärungsrüge
hinsichtlich der Frage, welche Auswirkungen die Erkrankung des Vaters des
Klägers für den Auszahlungsvorgang hatte. Auch mit dieser Frage hat sich das
Verwaltungsgericht - unter anderem - nach Zeugenvernehmung ausdrücklich
auseinandergesetzt (UA S. 9). Weitergehende Beweisanträge hatte der Kläger
nicht gestellt. Weshalb sich dem Gericht gleichwohl die vermisste Sachaufklä-
rung hätte aufdrängen müssen, wird von der Beschwerde nicht hinreichend
dargelegt. Mit dem Vortrag, das Verwaltungsgericht habe einen medizinischen
Erfahrungssatz nicht ermittelt, macht sie der Sache nach vielmehr wiederum
nur eine fehlerhafte Sachverhaltswürdigung geltend, die auch im Falle ihres
Vorliegens eine Revisionszulassung nicht rechtfertigen könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Kley
Liebler
Dr. Wysk
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