Urteil des BVerwG vom 20.11.2003

Rechtseinheit, Erfüllung, Mitteilungspflicht, Ausnahmefall

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 48.03
VG 2 K 02.01705
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. November 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts
Ansbach vom 6. Februar 2003 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 67 277 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde ist unzulässig und muss verworfen werden. In der Beschwerdebe-
gründung wird nicht in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise ein
Zulassungsgrund im Sinne von § 132 Abs. 2 VwGO dargelegt bzw. bezeichnet.
Dies gilt zunächst im Hinblick auf die Darlegungserfordernisse hinsichtlich des Zu-
lassungsgrundes der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO):
Darzulegen ist nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn zu erwarten
ist, dass die Entscheidung im künftigen Revisionsverfahren dazu dienen kann, die
Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts
zu fördern. Auf die Frage, ob und in welcher Beziehung von der Revision ein solcher
Erfolg zu erwarten ist, muss im Rahmen der Darlegungspflicht wenigstens durch die
Bezeichnung der konkreten Rechtsfrage, die sowohl für die Entscheidung des Beru-
fungsgerichts von Bedeutung war als auch für die Entscheidung im Revisionsverfah-
ren erheblich sein wird, eingegangen werden. Die Darlegung der grundsätzlichen
Bedeutung erfordert ferner mindestens einen Hinweis auf den Grund, der ihre Aner-
kennung rechtfertigen soll. Es genügt nicht, dass die Sache in tatsächlicher Hinsicht
eine über den der Beschwerde zu Grunde liegenden Einzelfall hinausgehende Be-
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deutung hat; diese Voraussetzung ist vielmehr nur dann erfüllt, wenn die Rechtssa-
che eine höchstrichterlich bisher noch nicht geklärte Rechtsfrage von grundsätzli-
cher, d.h. allgemeiner Bedeutung aufwirft. Dabei bedeutet "Darlegen" schon nach
dem allgemeinen Sprachgebrauch mehr als lediglich ein allgemeiner Hinweis; "etwas
darlegen" bedeutet vielmehr soviel wie "erläutern", "erklären" oder "näher auf etwas
eingehen" (BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 -
BVerwGE 13, 90, 91; Beschluss vom 6. März 2003 - BVerwG 3 B 115.02 -).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Kläger
halten die Frage für rechtsgrundsätzlich, ob eine Bundesanstalt oder ein öffentlicher
Träger oder ein vom Parlament bzw. der Bundesregierung eingesetztes Organ wie
die Treuhandanstalt Berlin rechtsverbindliche Verträge und Vergleiche schließen
kann, die ihre Wirkung auch gegenüber anderen Organen wie dem Zentralen Aus-
gleichsamt Bayern entfalten (S. 4 der Beschwerdebegründung). Sie haben aber nicht
einmal ansatzweise dargelegt, dass die Beantwortung der Rechtsfrage in dieser all-
gemeinen Form (in der sie im Übrigen ohne weiteres zu bejahen ist, weshalb es der
Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht bedarf) dazu dienen kann, die
Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts
zu fördern; ferner lässt die Beschwerdebegründung jeden Hinweis vermissen, dass
diese Frage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war und
warum sie in einem Revisionsverfahren erheblich sein könnte.
Im Übrigen könnte die Grundsatzrüge auch dann nicht zum Erfolg führen, wenn der
Beschwerdebegründung (vgl. die Ausführungen auf S. 3 der Beschwerdebegrün-
dung) sinngemäß die Frage zu entnehmen sein sollte, ob die Treuhandanstalt durch
eine vertragliche Regelung rechtswirksam den hier streitbefangenen lastenaus-
gleichsrechtlichen Rückforderungsanspruch ausschließen konnte. Es ist nicht darge-
legt, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung gerade
dieser Frage bestehen soll. Insoweit verweisen die Kläger nur auf die täglich zu tref-
fenden oder bereits getroffenen "gemischt öffentlich-privatrechtlichen Vereinbarun-
gen" und damit allenfalls auf eine in tatsächlicher Hinsicht über den Einzelfall hi-
nausgehende Bedeutung. Ferner haben sie nicht in der erforderlichen Weise darge-
tan, in welcher Weise die so verstandene Rechtsfrage für die Entscheidung im Revi-
sionsverfahren von Bedeutung sein soll. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass es sich
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bei der vom Verwaltungsgericht vorgenommenen Auslegung der zwischen den Klä-
gern und weiteren Miterben sowie der Treuhandanstalt getroffenen gütlichen Eini-
gung (vgl. insoweit § 31 Abs. 5 S. 3 und 4 VermG) um eine Tatsachenfeststellung
handelt, an die das Bundesverwaltungsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO grundsätz-
lich gebunden ist und die, da sie immer einen Einzelfall betrifft, nicht Gegenstand ei-
ner Grundsatzrüge sein kann. Ausnahmen von der Bindung des Revisionsgerichts
bestehen lediglich insoweit, als die Auslegung einen Rechtsirrtum erkennen lässt
oder gegen allgemeine Auslegungsgrundsätze, Erfahrungssätze oder Denkgesetze
verstößt oder wesentlicher Auslegungsstoff außer Acht gelassen wurde (BVerwG,
Urteil vom 7. Dezember 1966 - BVerwG 5 C 47.64 - BVerwGE 25, 318, 323 und Ur-
teil vom 28. Mai 2003 - BVerwG 8 C 6.02 - ZOV 2003, 271). Einen solchen Ausnah-
mefall haben die Kläger nicht dargetan. Vielmehr setzt sich die Beschwerdebegrün-
dung mit dem angefochtenen Urteil nach Art einer Revisionsbegründung auseinander
und verkennt damit den prinzipiellen Unterschied zwischen der Begründung einer
Nichtzulassungsbeschwerde und derjenigen einer zugelassenen Revision.
Von vornherein unverständlich und damit unzulässig ist die mit der Begründung er-
hobene Divergenzrüge, das angefochtene Urteil weiche von der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgericht, des Bundesverfassungsgericht, des Bundesgerichtshofs
sowie des Europäischen Gerichtshofs ab. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2
Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3
VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten,
die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem
die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufge-
stellten die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in
Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat; für die behauptete Ab-
weichung von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichts-
höfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts gilt Entsprechendes
(BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310
§ 133 VwGO n.F. Nr. 26 = NJW 1997, 3328 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt
die vorliegend erhobene Divergenzrüge ersichtlich nicht, da sie keine Entscheidung
geschweige denn einen daraus stammenden Rechtssatz konkret benennt, von dem
die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts abweichen soll. Die Diver-
genzrüge ist vielmehr ins Blaue hinein erhoben, was sich auch aus der Formulierung
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"bzw. haben die obersten Rechtshöfe des Bundes und des Europäischen Gerichts-
hofs sowie des Bundesverfassungsgerichts über eine entsprechende Sach- und
Rechtslage noch nicht entschieden" ergibt. Die danach unzulässige Divergenzrüge
kann auch nicht als zulässige Grundsatzrüge aufgefasst werden; insoweit wird auf
die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen.
Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann "be-
zeichnet" im Sinne vom § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, wenn er sowohl in den ihn ver-
meintlich begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung sub-
stantiiert dargetan wird (Beschluss vom 19. August 1997, a.a.O.). Diesem Erfordernis
wird die Beschwerde ebenfalls nicht gerecht. Dass die Kläger die gerichtliche
Tatsachenwürdigung im Hinblick auf die Erfüllung des Lastenausgleichsanspruchs
für falsch halten, insbesondere soweit es um die Frage der Erfüllung ihrer Mittei-
lungspflicht über den Schadensausgleich geht, vermag einen Revisionszulassungs-
grund nicht zu begründen. Die Beschwerde rügt insoweit, dass der Sachverhalt von
Amts wegen hätte weiter aufgeklärt werden müssen. Damit behauptet sie einen Ver-
stoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO. Ein derartiger
Verstoß muss allerdings substantiiert dargelegt werden, wozu die Angabe erforder-
lich ist, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden
hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür
in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchfüh-
rung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden
wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor
dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vor-
nahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hin-
gewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch
ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom
19. August 1997, a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde ganz offen-
sichtlich nicht. Sie beschränkt sich auf die Behauptung, dass das Verwaltungsgericht
einen Aufklärungsbeschluss hätte erlassen müssen und sich nicht allein auf informa-
torische Auskünfte der Behörde hätte verlassen dürfen. Die Beschwerde macht damit
weder deutlich, welche weiteren Aufklärungsmaßnahmen in Betracht gekommen
wären, noch, welche tatsächlichen Feststellungen voraussichtlich getroffen worden
wären.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 ZPO;
die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 2 GKG.
Prof. Dr. Driehaus van Schewick Dr. Dette