Urteil des BVerwG vom 13.09.2010

Subjektives Recht, Berechtigung, Grundstück, Widmung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 45.10
VG 27 A 39.07
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. September 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und
Dr. Wysk
beschlossen:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. März
2010 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
Die klagende Deutsche Bahn AG wendet sich gegen einen Vermögenszuord-
nungsbescheid, mit dem das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Ver-
mögensfragen festgestellt hat, dass die beigeladene Deutsche Post AG vorbe-
haltlich privater Rechte Dritter Eigentümerin dreier näher bezeichneter Flächen
im Bereich des Berliner Ostgüterbahnhofs geworden ist. Das Verwaltungsge-
richt hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Zuordnungsbe-
scheid sie nicht in ihren Rechten verletze, weil die Flurstücke zum maßgebli-
chen Stichtag der Eintragung der Klägerin in das Handelsregister am 5. Januar
1994 nicht bahnnotwendig gewesen seien, so dass sie weder Eigentümerin
geworden sei noch einen - ein subjektives Recht begründenden - Eigentums-
verschaffungsanspruch gehabt habe. Eine Rechtsverletzung lasse sich auch
nicht aus einem möglicherweise zu ihren Gunsten erlassenen Übergabebe-
scheid des Bundeseisenbahnvermögens herleiten, weil ein solcher Bescheid
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nur die bahninterne Verteilung des Sondervermögens regele und die Rechte
Dritter unberührt blieben.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem
Urteil hat Erfolg. Zwar weicht die angegriffene Entscheidung nicht nach § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO in der von der Klägerin gerügten Weise von der Rechtspre-
chung des Bundesverwaltungsgerichts ab (1.), noch weist die Rechtssache die
geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1
VwGO auf (2). Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht jedoch auf dem von
der Klägerin nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensmangel (3.).
1. Die Klägerin meint, die angegriffene Entscheidung weiche von dem Urteil des
Senats vom 19. August 2003 - BVerwG 3 C 30.02 - (BVerwGE 118, 361) ab,
weil das Verwaltungsgericht auch bei ausschließlicher Nutzung eines
Grundstücks für Bahnzwecke eine Bahnnotwendigkeit der Liegenschaft nicht
als nachgewiesen ansehe, während das Bundesverwaltungsgericht in der he-
rangezogenen Entscheidung vom Gleichklang der Begriffe „Bahnnotwendigkeit“
und „Nutzung zu Bahnzwecken“ ausgegangen sei. Die gerügte Divergenz be-
steht nicht. Entgegen der Behauptung der Klägerin hat der Senat die in Rede
stehenden Begriffe nicht synonym verwendet. Seinen Ausführungen lässt sich
zwar entnehmen, dass jede Fremdnutzung einer Liegenschaft der Annahme
ihrer ausschließlichen Bahnnotwendigkeit im Sinne des § 21 des Bundeseisen-
bahnneugliederungsgesetzes - BEZNG (amtliche Normabkürzung seit dem
1. Juli 2002, vgl. Art. 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtli-
cher Vorschriften vom 21. Juni 2002 ) - entgegensteht; dies
zwingt jedoch weder zu dem Schluss, dass umgekehrt jede ausschließliche
Nutzung eines Grundstücks durch die Bahn ohne Weiteres zu dessen Bahn-
notwendigkeit führt, noch hat der Senat in dem herangezogenen Urteil diesen
Schluss gezogen.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die ihr von der Klägerin beigemessene
grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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a) Die mit der Beschwerde zunächst aufgeworfene Frage:
„Hat die Klägerin eine wehrfähige subjektive Rechtspositi-
on an einem Grundstück, das nach dem Bundeseisen-
bahnneugliederungsgesetz in ihr Eigentum gelangt und
hinsichtlich dessen sie im Grundbuch als Eigentümerin
eingetragen ist, die nur dann durch einen VZOG-Bescheid
zugunsten eines Dritten entzogen werden kann, wenn
dieser Dritte seinerseits positiv eine eigene Berechtigung
an dem Grundstück hat?“,
ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts zu bejahen, ohne dass es
für ihre Beantwortung der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Das Verwaltungsgericht hat einen gesetzlichen Übergang des Eigentums an
den Liegenschaften auf die Klägerin nach § 21 BEZNG verneint; es hat aber für
möglich gehalten, dass sie aufgrund eines Übergabebescheides des Bundesei-
senbahnvermögens Rechtsinhaberin geworden ist. Dennoch hat es eine Ver-
letzung von Rechten der Klägerin durch die Zuordnung der Flurstücke an die
Beigeladene unabhängig von deren eigener Berechtigung mit der Begründung
verneint, dass durch einen Übergabebescheid Rechte Dritter in Bezug auf den
übertragenen Vermögenswert nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BEZNG unberührt blie-
ben. Dieser Auffassung liegt eine offensichtlich fehlerhafte Einschätzung der
durch einen Übergabebescheid erlangten Rechtsposition zugrunde. Sollen mit
einem solchen Bescheid Liegenschaften übertragen werden, gehen diese mit
seiner Vollziehbarkeit nach § 23 Abs. 2 Satz 2 BEZNG auf die Klägerin über;
das Grundbuch wird gemäß § 23 Abs.
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senbahnvermögens entsprechend berichtigt. Das bedeutet, die Eigentumsposi-
tion des Bundeseisenbahnvermögens geht auf die Klägerin über. Der Umstand,
dass Rechte Dritter nach § 23 Abs. 5 Satz 2 BEZNG unberührt bleiben, ändert
daran nichts; sie gilt als Eigentümerin, bis ihr dieses Recht aufgrund einer sol-
chen Drittberechtigung aberkannt oder entzogen wird. Dies bedeutet aber auch,
dass sie eine entsprechend wehrfähige Position hat, die sie nur dann räumen
muss, wenn der Dritte tatsächlich berechtigt ist. Die Auffassung des Verwal-
tungsgerichts führt zu dem untragbaren Ergebnis, dass ein Dritter ohne jedes
eigene Recht nur deswegen ungehinderten Zugriff auf Liegenschaften des
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Bundeseisenbahnvermögens bekommen kann, weil diese möglicherweise
bahnintern fehlerhaft verteilt worden sind. Das Verwaltungsgericht geht auch
fehl, wenn es meint, seine Auffassung aus der Entscheidung des Senats vom
19. August 2003 (a.a.O.) ableiten zu können; denn dort war das umstrittene
Grundstück vom Bundeseisenbahnvermögen unmittelbar an die in jenem Fall
Beigeladene übergeben worden, ohne dass der Klägerin zuvor das Eigentum
eingeräumt worden war, so dass sich die Frage, inwieweit sie sich gegen den
Entzug einer solchen Position wehren kann, gar nicht stellte.
b) Die unmittelbar an die Ausgangsfrage anschließende weitere Frage der Klä-
gerin,
ob der Dritte seine möglicherweise ursprünglich vorhan-
dene eigene Berechtigung an dem Grundstück auch dann
noch geltend machen kann, wenn diese Berechtigung zum
Zeitpunkt des Erlasses des VZOG-Bescheides nicht mehr
schützenswert ist,
rechtfertigt ebenfalls nicht die Revision, weil sie sich in einem Revisionsverfah-
ren nicht stellen würde. Die Frage zielt darauf, dass die Beigeladene die ihr zu-
geordneten Flächen bereits im Jahre 2001 rechtsgeschäftlich erworben hatte.
Die der Fragestellung zugrunde liegende Auffassung der Klägerin, die Beigela-
dene habe infolge dieses Erwerbs keine schützenswerte vermögenszuord-
nungsrechtliche Berechtigung mehr gehabt, ist nicht haltbar. Eine solche Be-
rechtigung äußert auch nach rechtsgeschäftlicher Veräußerung des betroffenen
Vermögenswerts Rechtswirkungen, weil sie Grundlage des Anspruchs auf
Auskehr des Erlöses sein kann, sei es nach § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG, sei es
nach § 816 Abs. 1 BGB (vgl. VG Berlin, Urteil vom 9. Dezember 2009 - VG 27 A
318.08 - n. v.). Das gilt selbstverständlich auch bei einem rechtsgeschäftlichen
Erwerb durch die Person, die gleichzeitig den Vermögenszuordnungsanspruch
verfolgt. Ihr kann nicht ernstlich ein weiter bestehendes Interesse an der
Durchsetzung ihrer vermögenszuordnungsrechtlichen Berechtigung abgespro-
chen werden, weil auch ihr diese Feststellung - auf welcher Rechtsgrundlage
auch immer (zur Klärung dieser hier nicht entscheidungserheblichen Frage hat
der Senat am heutigen Tage in der Sache BVerwG 3 B 54.10 die Revision zu-
gelassen) - im Ergebnis einen Anspruch auf Rückzahlung des von ihr gezahlten
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Kaufpreises eröffnen kann. Etwas anderes würde allenfalls dann gelten, wenn
sich dem Rechtsgeschäft ein Verzicht auf etwaige vermögenszuordnungsrecht-
liche Ansprüche entnehmen ließe. Anhaltspunkte dafür lassen sich weder den
Feststellungen des Verwaltungsgerichts noch dem Inhalt der Akten entnehmen.
c) Die weitere von der Klägerin für klärungsbedürftig gehaltene Frage,
ob sich die Bahnnotwendigkeit eines Grundstücks im Sin-
ne des § 20 Abs. 1 BEZNG zwingend aus einer am
5. Januar 1994 noch bestehenden eisenbahnrechtlichen
Widmung zu Bahnbetriebszwecken ergibt,
führt ebenso wenig zur Zulassung der Revision, weil sie offenkundig zu vernei-
nen ist. In § 20 Abs. 1 Satz 1 BEZNG wird das bahnnotwendige Vermögen als
das Vermögen definiert, das für das Erbringen von Eisenbahnverkehrsleistun-
gen sowie für das Betreiben der Eisenbahninfrastruktur notwendig ist. Zwar
dürfte eine Widmung zu Bahnbetriebszwecken regelmäßig für die Bahnnot-
wendigkeit des gewidmeten Gegenstands sprechen. Es ist jedoch durchaus
denkbar, dass der Widmungszweck trotz bestehender Widmung nicht mehr
besteht oder dass ein Grundstück trotz bestehender Nutzung im Rahmen des
Widmungszwecks aus der Sicht eines ordnungsgemäßen Bahnbetriebs ent-
behrlich ist. Die Widmung zu Bahnbetriebszwecken ist daher nicht mehr als ein
Indiz für die Bahnnotwendigkeit des gewidmeten Gegenstands.
d) Das zu c) Gesagte gilt in ähnlicher Weise für die abschließende Frage der
Klägerin,
ob ein Grundstück, welches am 5. Januar 1994 von ihr
zu Bahnzwecken genutzt wurde, ohne Weiteres bahn-
notwendig im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 BEZNG ist
oder ob es hierfür eines darüber hinausgehenden Nach-
weises der Bahnnotwendigkeit bedarf.
Die Nutzung eines Grundstücks zu Bahnbetriebszwecken mag ähnlich wie eine
Widmung zu diesem Zweck für die Bahnnotwendigkeit der Fläche sprechen,
beweist sie aber nicht ohne Weiteres, weil die Nutzung möglicherweise aufge-
geben werden kann, ohne dass der Bahnbetrieb spürbar beeinträchtigt wird. So
wertet das Verwaltungsgericht beispielsweise den Umstand, dass das Grund-
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stück - wenn auch erst einige Jahre später - veräußert worden ist, zutreffend als
einen Gesichtspunkt, der die Bahnnotwendigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt
in Frage stellen kann.
3. Die Klägerin beanstandet jedoch zu Recht, dass das Verwaltungsgericht es
verfahrensfehlerhaft unterlassen habe, ihr einen Schriftsatznachlass zur Frage
der Bahnnotwendigkeit zu gewähren.
Im erstinstanzlichen Verfahren spielte bis zur mündlichen Verhandlung die
Bahnnotwendigkeit der Flurstücke nur unter dem Gesichtspunkt eine Rolle, in-
wieweit die Flächen zu den maßgeblichen Stichtagen von der Klägerin oder der
Beigeladenen tatsächlich genutzt wurden. Die Frage einer über die tatsächliche
Nutzung hinausgehenden konkreten Notwendigkeit der Grundstücke für den
Bahnbetrieb wurde weder von den Beteiligten noch vom Gericht aufgeworfen,
so dass - auch wegen eines während des Verfahrens entstandenen Streits um
das Bestehen einer „Überbausituation“ - bei den Beteiligten erkennbar der Ein-
druck vorherrschte, die Entscheidung stehe und falle allein mit der Klärung der
Nutzungsverhältnisse, sie hänge - mit anderen Worten - davon ab, ob die
Grundstücke zum Funktionsbereich der Bahn oder der Post gehörten. Dieser
Eindruck verfestigte sich zumindest bei der Klägerin durch die ihr bekannt ge-
wordene Anfrage des Berichterstatters an die Beigeladene nach der Bebauung
zweier der umstrittenen Flächen. Mit der Frage, ob eine Verletzung von Rech-
ten der Klägerin unabhängig von einer eigenen Berechtigung der Beigeladenen
und ungeachtet einer Nutzung der Grundstücke zu Bahnzwecken schon man-
gels Darlegung ihrer Bahnnotwendigkeit ausschied, wurden die Beteiligten
erstmals in der mündlichen Verhandlung konfrontiert. Ihre Entscheidungserheb-
lichkeit musste sich der Klägerin, da sie ja immerhin im Grundbuch eingetrage-
ne Eigentümerin gewesen war, auch nicht ohne Weiteres aufdrängen, so dass
nicht erwartet werden konnte, dass sie auf das für sie überraschend aufgewor-
fene Problem ausreichend vorbereitet war. Zwar mag ihr zuzumuten gewesen
sein, auf die rechtliche Seite dieses Problems, also der rechtlichen Vorausset-
zungen der Bahnnotwendigkeit und der Konsequenzen ihres Fehlens für die
Annahme einer Rechtsverletzung, abschließend Stellung zu nehmen. Für die
tatsächliche Seite des Problems gilt dies nicht; denn es liegt auf der Hand, dass
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sie sich auf die plötzlich in den Mittelpunkt des Verfahrens geratene Frage, ob
die Flächen über ihre Nutzung durch die Bahn hinaus für deren Betrieb auch
notwendig waren, nicht ohne Vorbereitung äußern konnte.
Der Senat nimmt diese Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung
rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO zum An-
lass, das angefochtene Urteil nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den
Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Kley
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
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