Urteil des BVerwG vom 27.06.2005
Europäisches Gemeinschaftsrecht, Rechtliches Gehör, Erlass, Satzung
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 44.05
OVG 9 A 4232/02
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Juni 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
L i e b l e r und Prof. Dr. R e n n e r t
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das
Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 2004 wird zu-
rückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 1 153 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von der Klägerin in Anspruch genommenen
Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor, weil die von der Beschwerdeführerin bezeichne-
ten Rechtsfragen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des
Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt sind.
a) So ist bereits geklärt, dass nationales Recht die Umsetzung einer Richtlinie des
Gemeinschaftsrechts den Ländern überlassen darf und dass dies auch für die Um-
setzung der Richtlinie 85/73/EWG des Rates vom 29. Januar 1985 über die Finan-
zierung der veterinär- und hygienerechtlichen Kontrollen von tierischen Erzeugnissen
usw. (ABl Nr. L 32/14) in der Fassung der Richtlinie 93/118/EG des Rates vom
22. Dezember 1993 (ABl Nr. L 340/15) gilt. Das schließt die Befugnis ein, gemäß
Art. 2 Abs. 3 sowie gemäß Kap. I Ziff. 4 des Anhangs einen höheren Betrag als die
Gemeinschaftsgebühren zu erheben, sofern die erhobene Gesamtgebühr die tat-
sächlichen Untersuchungskosten nicht überschreitet. Den Ländern ist unbenommen,
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zum Erlass der nötigen Bestimmungen durch hinlänglich bestimmtes Landesgesetz
die kommunalen Gebietskörperschaften zu ermächtigen (EuGH, Urteil vom 10. No-
vember 1992 - Rs. C-156/91 - Hansa Fleisch Ernst Mundt, Slg. I-5567, 5589
5167 ; Senat, Beschlüsse vom 26. April 2001 - BVerwG 3 BN 1.01 - LRE
41, 115, vom 21. Juni 2002 - BVerwG 3 BN 9.01 - und vom 27. Juni 2002 - BVerwG
3 BN 4.01 -). Damit steht zugleich fest, dass jede hiernach zur Rechtsetzung befugte
Gliedkörperschaft der Bundesrepublik Deutschland das Gemeinschaftsrecht für ihren
jeweiligen Hoheitsbereich umsetzt und dass die Wirksamkeit dieser Umsetzungsakte
nicht davon abhängig ist, dass die Umsetzung auch in allen anderen Gebieten der
Bundesrepublik Deutschland bereits erfolgt ist.
Die Befugnis zur Umsetzung umfasst die Befugnis, von Regelungsspielräumen, die
das Gemeinschaftsrecht lässt, Gebrauch zu machen. Beides ist nicht zweierlei, bei
dem eine zeitliche Reihenfolge eingehalten werden müsste. Es versteht sich daher
von selbst, dass von Regelungsspielräumen nicht erst Gebrauch gemacht werden
darf, nachdem die Umsetzung "vollständig" erfolgt ist.
Inwiefern es auf die weitere Frage, ob eine wirksame Umsetzung der Richtlinie
85/73/EWG i.d.F. der Richtlinie 96/43/EG des Rates vom 26. Juni 1996 (ABl EG
Nr. L 162/1) erfordert, Gebührentatbestände auch nach Maßgabe von Art. 2 in Ver-
bindung mit dem Anhang B für andere Arten von Lebensmittelbetrieben festzulegen,
für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ankommt, legt die Beschwerde-
führerin nicht dar. Das Berufungsgericht ist hierauf nicht eingegangen, und es ist
nicht ersichtlich, dass es dies hätte tun müssen.
b) Ferner ist geklärt, dass europäisches Gemeinschaftsrecht nicht grundsätzlich hin-
dert, die erforderliche Umsetzung rückwirkend vorzunehmen. Namentlich darf eine
Richtlinie des sekundären Gemeinschaftsrechts rückwirkend noch zu einem Zeit-
punkt umgesetzt werden, zu dem sie bereits geändert oder außer Kraft gesetzt wor-
den ist, sofern der Umsetzungsakt sich vermöge der Rückwirkung für einen Zeitraum
Geltung beimisst, zu dem die umgesetzte Richtlinie ihrerseits noch in Geltung stand.
Die Auffassung der Beschwerdeführerin, die Aufhebung der umzusetzenden Richtli-
nie hindere ihre Umsetzung für die Zukunft schlechthin, findet im geltenden Gemein-
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schaftsrecht keine Stütze (Urteil vom 18. Oktober 2001 - BVerwG 3 C 1.01 -
Buchholz 316 § 60 VwVfG Nr. 6 = NVwZ 2002, 486).
Eine andere Frage ist, ob der rückwirkende Erlass einer Gebührenordnung im jewei-
ligen Fall den - strengen - Voraussetzungen entspricht, die das Gemeinschaftsrecht
und vor allem das nationale Verfassungsrecht hieran stellen. Mit Blick auf die
Fleischuntersuchungsgebühren hat das Bundesverwaltungsgericht derartige rückwir-
kend erlassene Gebührenordnungen bereits verschiedentlich gebilligt. Es ist hierbei
davon ausgegangen, dass das europäische Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten
zur Erhebung kostendeckender Gebühren verpflichtet und dass die betroffenen Be-
triebe schon aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen und der bundesrechtlichen Vor-
gaben gemäß § 24 Abs. 2 FlHG mit der Erhebung derartiger kostendeckender Ge-
bühren rechnen mussten. Die häufigen Verzögerungen beim Erlass der nötigen
Rechtsgrundlagen hatten ihren Grund zumeist in anfänglichen Unklarheiten über
Inhalt und Reichweite des einschlägigen Gemeinschaftsrechts. Bei dieser Sachlage
hindern Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes nicht, die Rechtsgrundlage für die
Gebührenerhebung erst nachträglich rückwirkend zu schaffen (Beschluss vom
27. April 2000 - BVerwG 1 C 12.99 - Buchholz 418.5 Nr. 21 = LRE 39, 45;
Urteil vom 18. Oktober 2001 a.a.O. ; Beschlüsse vom 28. Juni 2002
- BVerwG 3 BN 5.01, 6.01 und 7.01 -). Die Beschwerdeführerin trägt nichts vor,
woraus sich ergäbe, dass diese Grundsätze einer erneuten Überprüfung unterzogen
werden müssten.
2. Inwiefern die weiteren von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Fragen der
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung verleihen sollen, wird entgegen § 133 Abs. 3
Satz 3 VwGO nicht schlüssig dargelegt.
a) Die Frage, ob der Mitgliedstaat von den gemeinschaftsrechtlichen Pauschalge-
bühren in der Weise nach oben abweichen darf, dass er von den Ermächtigungen
der Ziff. 4 Buchstabe a und Buchstabe b des Anhangs (A) Kapitel I zur Richtlinie
85/73/EWG zugleich Gebrauch macht, stellt sich nicht. Das Berufungsgericht hat
festgestellt, dass das einschlägige Ortsrecht allein von Ziff. 4 Buchstabe b des An-
hangs zur Richtlinie Gebrauch gemacht hat und dass das Landesgesetz dem nicht
entgegensteht. Diese Auslegung betrifft Landesrecht und bindet das Revisionsge-
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richt. Damit ist auch unerheblich, ob Ziff. 4 Buchstabe a eine höhere Gebühr nur bei
mangelhafter betrieblicher Organisation im Einzelfall zulässt, wie die Beschwerdefüh-
rerin meint.
Eine Auslegungsfrage allein zu Ziff. 4 Buchstabe b des Anhangs zur Richtlinie formu-
liert die Beschwerdeführerin nicht. Dieser Vorschrift hat das Berufungsgericht nur die
Vorgabe entnommen, dass höhere als kostendeckende Gebühren nicht erhoben
werden dürfen, und hat hierfür auf die Gesamtkosten der abzurechnenden Amts-
handlungen abgestellt. Ferner hat es angenommen, dass Gemeinschaftsrecht nicht
verbiete, bei der Kalkulation der einzelnen Gebühr auf Unterschiede zwischen den
gebührenpflichtigen Betrieben - sachgerecht nach Betriebsgruppen typisierend -
Rücksicht zu nehmen. Inwiefern dies grundsätzlich klärungsbedürftige Fragen auf-
wirft, zeigt die Beschwerdeführerin ebenfalls nicht auf. Der bloße Hinweis darauf,
dass Ziff. 4 Buchstabe a des Anhangs zur EG-Richtlinie betriebsbezogene Zuschläge
erlaubt, besagt für die Auslegung von Ziff. 4 Buchstabe b noch nichts. Auf eine
nähere Darlegung kann umso weniger verzichtet werden, als der allgemeine Gleich-
heitssatz und das gebührenrechtliche Äquivalenzprinzip eine differenzierende Fest-
setzung der Gebührensätze bei wesentlichen Unterschieden zwischen den Gebüh-
rentatbeständen oder den Gebührenschuldnern geradezu gebieten.
b) Die städtische Satzung sieht unterschiedliche Gebührensätze für Fleischuntersu-
chungen in privaten und in öffentlichen Schlachthöfen vor. Das Berufungsgericht hat
dies am rechtlichen Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG überprüft und gebilligt. Die Be-
schwerdeführerin hält das für falsch und verweist darauf, dass die Gebühren für
Fleischuntersuchungen in privaten Schlachthöfen im Ergebnis fast doppelt so hoch
seien wie die für Untersuchungen in öffentlichen Schlachthöfen. Damit ist eine klä-
rungsbedürftige Rechtsfrage, die zur Zulassung der Revision führen könnte nicht
dargetan. Die Auslegung des nordrhein-westfälischen Landesrechts - einschließlich
des kommunalen Satzungsrechts - unterliegt nicht der Nachprüfung durch das Bun-
desverwaltungsgericht. Dass das bundesrechtliche Gleichbehandlungsgebot (Art. 3
Abs. 1 GG) der weitergehenden Klärung bedürfte, ist aber nicht erkennbar.
c) Auf die von der Beschwerdeführerin bezeichneten Fragen zur Zulässigkeit der Er-
hebung von Sondergebühren für Trichinenuntersuchungen oder für bakteriologische
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Fleischuntersuchungen kommt es nicht an. Derartige Sondergebühren oder beson-
dere Gebührenanteile wurden vorliegend nicht erhoben. Im Übrigen sind die von der
Beschwerdeführerin angesprochenen Fragen in der Rechtsprechung des Europäi-
schen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (EuGH, Urteil vom
30. Mai 2002 - Rs 284/00 und 288/00 - Stratmann, Slg. I-4613, 4632; BVerwG,
Beschlüsse vom 27. Juni 2002 - BVerwG 3 BN 4.01 - und vom 28. Juni 2002
- BVerwG 3 BN 5.01, 6.01 und 7.01 -; Urteile vom 9. Oktober 2002 - BVerwG 3 C
17.02 - und vom 14. Oktober 2002 - BVerwG 3 C 16.02 -).
3. Die Revision ist nicht wegen einer Abweichung des angefochtenen Urteils von ei-
ner Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2
VwGO).
Eine Abweichung vom Urteil des Senats vom 29. August 1996 (- BVerwG 3 C 7.95 -
BVerwGE 102, 39) liegt nicht vor. Der Senat hatte entschieden, dass nach § 24
Abs. 2 FlHG die den Ländern überlassene Entscheidung, ob von den EG-Pauschal-
gebühren abgewichen werden soll, ob die Voraussetzungen für eine Abweichung
erfüllt sind und wie ggf. die höheren Beträge berechnet werden, durch Rechtssatz
getroffen werden muss. Damit hat sich das Berufungsgericht nicht in Widerspruch
gesetzt. Es hat festgestellt, dass die angeführten Entscheidungen vom Landesgesetz
getroffen worden sind, und die Frage demzufolge offen gelassen, ob sie auch durch
kommunale Satzung hätten getroffen werden dürfen. Auch damit wäre es von dem
erwähnten Senatsurteil im Übrigen nicht abgewichen. Der Senat hatte ausdrücklich
dahinstehen lassen, ob die durch Rechtssatz zu treffende Entscheidung dem
förmlichen Gesetz vorbehalten war oder auch durch administrativen Rechtssatz hätte
erfolgen dürfen. Dies hat er in späteren Entscheidungen präzisiert (insb. Beschluss
vom 21. April 1999 - BVerwG 1 B 26.99 - Buchholz 418.5 Nr. 18; Urteil vom 27. April
2000 - BVerwG 1 C 7.99 - BVerwGE 111, 143 <149 f.>).
Die übrigen behaupteten Abweichungen betreffen Rechtsfragen, die nach dem Vor-
stehenden für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich oder nicht revisibel
sind.
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4. Der Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers (§ 133 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht
schlüssig dargetan (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Beschwerdeführerin meint, das
Berufungsgericht habe sich in den Entscheidungsgründen seines Urteils nicht mit
ihrem gesamten rechtlichen Vorbringen auseinander gesetzt, und sieht darin eine
Verletzung des Gebots, rechtliches Gehör zu gewähren. In Wahrheit bemängelt sie
jedoch lediglich, dass das Berufungsgericht ihren eigenen Rechtsstandpunkt nicht
geteilt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streit-
werts auf § 52 Abs. 3 GKG.
Prof. Dr. Driehaus Liebler Prof. Dr. Rennert