Urteil des BVerwG vom 24.08.2010

Rückruf, Rücknahme, Ware, Hersteller

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 41.10
VGH 9 S 171/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 24. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und
Buchheister
beschlossen:
Die Beschwerde des Beklagten gegen das Urteil des Ver-
waltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. März
2010 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 100 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
1. Die Klägerin stellt Gewürzprodukte her und verwendet dafür Volleipulver ei-
nes Zulieferers. Eine Lieferung des Volleipulvers war mit Nikotin verunreinigt
und verursachte eine nicht gesundheitsgefährdende, aber doch nachweisbare
Nikotinbelastung bestimmter Produkte der Klägerin. Der Beklagte ordnete des-
halb unter anderem an, dass die Klägerin diese Produkte von ihren Kunden
zurückruft (sog. interner Rückruf). Die Klägerin führte den Rückruf durch; der
größte Teil der ausgelieferten Produkte war jedoch bereits von ihren Handels-
partnern an Endverbraucher verkauft worden. Ihre Klage auf Feststellung der
Rechtswidrigkeit des Rückrufs hatte in den Vorinstanzen im Wesentlichen Er-
folg. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob eine Maßnahme nach § 39
Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LFGB bei Rechtsverstößen ohne Gesundheitsrisiko generell
ausgeschlossen sei; jedenfalls in diesem Fall sei der Rückruf unverhältnismäßig
und deshalb im Sinne des § 39 Abs. 2 Satz 1 LFGB nicht notwendig gewesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts
richtet sich die Beschwerde des Beklagten.
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2. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt die geltend ge-
machte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht
zu.
Die vom Beklagten aufgeworfene Frage,
ob die Anordnung eines sogenannten „internen Rückrufs“
einer wegen rechtswidriger Nikotin- und Cotininbelastung
beanstandeten Ware - unabhängig von der variierenden
formalen Bezeichnung in der behördlichen Verfügung -
materiell als eine gegenüber dem „Rückruf“ mildere
„Rücknahme“ i. S. des § 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LFGB ein-
zustufen ist, wenn sich, ungeachtet der Frage, ob die Wa-
re bereits teilweise den Endverbraucher erreicht hat, die
angeordnete Rückholung auf die bei den Händlern, d.h.
bei den Kunden der Warenherstellerin (Klägerin) lagernde
Ware beschränkt,
hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es liegt auf der Hand, dass von den in
§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 LFGB genannten Maßnahmen die Rücknahme das
gegenüber dem Rückruf mildere Mittel ist. Dieser Aspekt hat für den vorliegen-
den Fall indes keine Bedeutung. Der Beklagte weist selbst darauf hin, dass der
tatsächliche Inhalt der erlassenen Anordnung unstreitig ist. Der Beklagte hat
von der Klägerin nur eine Rückholung der betroffenen Produkte von ihren Kun-
den verlangt, also keine Rückholung der (möglicherweise) bereits an End-
verbraucher gelangten Produkte in Form eines öffentlichen Rückrufs. Nur in
diesem Sinne hat ersichtlich auch das Berufungsgericht die Anordnung ver-
standen, sie aber gleichwohl als unverhältnismäßig angesehen, weil schon die
Verpflichtung zur Rückholung von den Kunden der Klägerin angesichts der be-
sonderen Umstände des Falles nicht notwendig gewesen sei (und deshalb erst
recht kein öffentlicher Rückruf). Ob eine solche Maßnahme nach § 39 Abs. 2
Satz 2 Nr. 4 LFGB als Rücknahme oder - weil die Erzeugnisse bereits End-
verbraucher erreicht haben könnten - als Rückruf zu bezeichnen ist, obwohl
sich die Pflicht zur Rückholung auf die Kunden der Klägerin beschränkt, war für
die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts bedeutungslos.
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Die weitere Frage des Beklagten,
ob die Rücknahme einer wegen rechtswidriger Nikotin-
und Cotininbelastung beanstandeten Ware auch bei feh-
lendem Gesundheitsrisiko im Interesse eines wirksamen
Verbraucherschutzes notwendig
und
gegenüber den wirtschaftlichen Interessen des Herstellers
auch dann noch vorrangig ist, wenn typischerweise
der Hersteller die rechtswidrige Belastung seiner
Ware nicht innerhalb der eigenen Produktions-
sphäre selbst verursacht hat, sondern dies durch
den Zukauf von bereits belasteten Teilprodukten
geschehen ist, die innerhalb des Endproduktes
einen mengenmäßig geringfügigen Bestandteil
bilden, und
es sich nach Durchführung der Rücknahme her-
ausstellt, dass trotz der langen Haltbarkeit der
Produkte der vom Hersteller behauptete prognos-
tische Verkaufsumfang an den Endverbraucher
zutraf und die Rücklaufquote wegen des erfolgten
Verkaufs unter 10 Prozent lag, und
der Hersteller zunächst hohe Rücknahmekosten
trägt, die er aber bei gewöhnlich zu unterstellen-
der Anwendung kaufmännischer Sorgfalt beim
Vertragsabschluss den Lieferanten belasteter
Produkte überträgt und später über zivilrechtlichen
Schadensersatz angemessen mindern kann,
hat ebenfalls keine fallübergreifende Bedeutung. Der Beklagte kleidet lediglich
einen Teil der besonderen Umstände des Falles, die nach Ansicht des Beru-
fungsgerichts die Unverhältnismäßigkeit der Maßnahme begründen, in die Form
einer Frage, deren Beantwortung nicht über eine Klärung des Einzelfalls
hinausreicht. Im Grunde möchte der Beklagte, wie er in der weiteren Begrün-
dung seiner Beschwerde selbst ausführt, geklärt wissen, ob er einen Unter-
nehmer bei Verstößen gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften trotz Fehlens
einer Gesundheitsgefährdung zu einer Rücknahme seiner Ware verpflichten
kann oder ob eine solche Maßnahme stets als unverhältnismäßig ausgeschlos-
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sen ist. Das Berufungsgericht konnte diese Frage offenlassen; ebenso würde
sie sich in einem Revisionsverfahren voraussichtlich nicht stellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Kley
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Buchheister
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