Urteil des BVerwG vom 27.10.2014

Rechtliches Gehör, Verkehrswert, Grundstück, Kaufvertrag

Sachgebiet:
Treuhandgesetz, Kommunalvermögensgesetz und
Vermögenszuordnungsgesetz
Rechtsquelle/n:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 2, § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3,
§ 133 Abs. 6
VZOG § 13 Abs. 2
Titelzeile:
Verletzung des rechtlichen Gehörs durch überzogene
Anforderungen an die Substantiierung; durch Nachbewertung
erzielbarer Erlös als Verkehrswert
BVerwGE: nein
Fachpresse: ja
Stichwort/e:
Vermögenszuordnungsrecht; Veräußerung eines Grundstücks;
Erlös; erzielbarer Erlös; Erlösauskehr; Verkehrswert; Nachbewertung;
Unterschreitung des Verkehrswerts; Anspruch auf Zahlung des Verkehrswerts;
Bodenrichtwert; Zuschlag zum Bodenrichtwert; Wasserlage; Ufergrundstück;
rechtliches Gehör; Substantiierung des Vorbringens; überzogene Anforderungen
an die Substantiierung; Verletzung der Amtsermittlungspflicht.
Leitsatz/-sätze:
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und
§ 108 Abs. 2 VwGO wird verletzt, wenn das Gericht überzogene Anforderungen
an die Substantiierung des Vorbringens eines Beteiligten stellt und sich dadurch
einer sachlichen Auseinandersetzung mit den vorgetragenen Argumenten
entzieht.
Beschluss des 3. Senats vom 27. Oktober 2014 - BVerwG 3 B 40.14
I. VG Berlin vom 13. März 2014
Az: VG 29 K 254.12
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 40.14 (3 C 17.14)
VG 29 K 254.12
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. Oktober 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler und Dr. Wysk
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Ver-
waltungsgerichts Berlin vom 13. März 2014 aufgehoben,
soweit das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen hat.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweitigen Ver-
handlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht
zurückverwiesen.
Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird die Entschei-
dung des Verwaltungsgerichts über die Nichtzulassung
der Revision gegen sein Urteil vom 13. März 2014 aufge-
hoben, soweit das Verwaltungsgericht der Klage stattge-
geben hat. In diesem Umfang wird die Revision zugelas-
sen.
Soweit der Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht zu-
rückverwiesen worden ist, bleibt die Kostenentscheidung
der Schlussentscheidung vorbehalten; im Übrigen folgt die
Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens
der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
G r ü n d e :
Die Klägerin beansprucht einen über die an sie ausgekehrten Erlöse hinausge-
henden Wertausgleich nach § 13 Abs. 2 Satz 2 des Vermögenszuordnungsge-
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setzes - VZOG - für drei Grundstücke, die von Tochtergesellschaften der Beige-
ladenen veräußert wurden. Das Bundesamt für zentrale Dienste und offene
Vermögensfragen hat entsprechende Festsetzungsanträge der Klägerin abge-
lehnt. Auf ihre Klage hin hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet,
den an die Klägerin für zwei der Grundstücke zu zahlenden Geldbetrag auf ins-
gesamt 19 189,64 € festzusetzen, dieser Betrag geht um 8 908,24 € über die
insoweit ausgekehrten Verkaufserlöse hinaus. Hinsichtlich des dritten Grund-
stücks hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, weil der dafür ausge-
kehrte Verkaufserlös in Höhe von 40 903,35 € den Verkehrswert nicht offen-
sichtlich unterschreite.
Die wechselseitig erhobenen Beschwerden der Klägerin und der Beigeladenen
gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts
sind begründet.
1. Die Klägerin rügt zu Recht, dass das Verwaltungsgericht, soweit es die Klage
abgewiesen hat, ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 108
Abs. 2 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt hat und das Urteil insoweit im
Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf diesem Verfahrensmangel beruhen
kann.
Die Klägerin hatte geltend gemacht, dass sich aufgrund der Wasserlage des
betreffenden Grundstücks - die Nordseite grenzt an die Spree - ein erheblicher
Zuschlag zum Bodenrichtwert hätte erzielen lassen. Sie hatte dazu eine Ver-
kehrswertermittlung aus dem Jahre 1999 für ein vergleichbares, in derselben
Ortschaft gelegenes Grundstück vorgelegt, in der der Gutachter für die Anbin-
dung an die Spree einen Zuschlag von 7 DM/m² bei einem Bodenrichtwert von
30 DM/m² angenommen hatte. Das Verwaltungsgericht hat dieses Vorbringen
mit der Begründung zurückgewiesen, die Behauptung, bereits 1993/94 - der
Kaufvertrag über das umstrittene Grundstück datiert vom 7. Februar 1995; ihm
lag ein Verkehrswertgutachten vom 21. November 1994 zu Grunde, das sich
nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts an den Bodenrichtwerten
zum 31. Dezember 1993 ausgerichtet hat- hätte sich für Grundstücke mit Was-
serlage ein erheblicher Zuschlag zum Bodenrichtwert erzielen lassen, entbehre
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der Substantiierung. Diese Einschätzung, die offenbar allein auf den Zeitablauf
zwischen der seinerzeitigen Grundstücksbewertung und der als Beweismittel
vorgelegten Verkehrswertermittlung abstellt, wird dem Anspruch der Klägerin
auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht gerecht. Zwar verleiht diese Verfah-
rensgewährleistung keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag
eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise
oder ganz unberücksichtigt lassen (stRspr; BVerfG, Beschluss vom 15. Februar
1967 - 2 BvR 658/65 - BVerfGE 21, 191 <194>). Voraussetzung ist jedoch,
dass die Anwendung dieses Rechts der Bedeutung und Tragweite der Verfah-
rensgarantie angemessen Rechnung trägt. Diese Grenze ist jedenfalls dann
überschritten, wenn das Gericht überzogene Anforderungen an die Substanz
des Vorbringens eines Beteiligten stellt und sich dadurch einer sachlichen Aus-
einandersetzung mit den vorgetragenen Argumenten entzieht. So verhält es
sich hier; denn allein der zeitliche Abstand von nicht einmal sechs Jahren zwi-
schen der vorgelegten Wertermittlung und den Bewertungsunterlagen, die dem
Kaufvertrag zu Grunde lagen, war kein plausibler Grund dafür, dem Beweismit-
tel jegliche Aussagekraft für den geltend gemachten Zuschlag abzusprechen.
Der wertbildende Charakter der Uferlage eines Grundstücks ist schon von der
Natur der Sache her regelmäßig nicht solchen verhältnismäßig kurzfristigen und
zugleich weitgreifenden Schwankungen unterworfen. Es wäre daher Sache des
Gerichts gewesen, Umstände darzutun, warum der Marktwert der in Rede ste-
henden Ufergrundstücke sich in dem maßgeblichen Zeitraum derart verändert
hatte, dass eine vergleichende Heranziehung des vorgelegten Wertgutachtens
aus dem Jahr 1999 von vornherein nicht in Betracht kam.
Auf diesem Verfahrensmangel kann der klageabweisende Teil des Urteils auch
im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruhen. Dies gilt auch in Ansehung der
insoweit maßgeblichen, dem Urteil zu Grunde liegenden materiell-rechtlichen
Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach bei Einholung eines Verkehrs-
wertgutachtens vor dem Verkauf die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Satz 2
VZOG nur dann erfüllt sind, wenn das Gutachten den wirklichen Wert des
Grundstücks offensichtlich nicht erfasst hat; denn diese Voraussetzung wäre
erfüllt, wenn die nicht zu übersehende Uferlage des Grundstücks einen erhebli-
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chen Zuschlag zum Bodenrichtwert rechtfertigen würde, wie die Klägerin unter
Beweisantritt geltend gemacht hat.
Die Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs hat zugleich
den von der Klägerin gerügten Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht nach
§ 86 Abs. 1 VwGO zur Folge, weil das nicht verwertete Vorbringen dem Gericht
hätte Veranlassung geben müssen, der Frage, ob die Uferlage des Grund-
stücks einen Bewertungszuschlag forderte, nachzugehen.
Demgegenüber ist die Aufklärungsrüge, im Hinblick auf die Grundstücksgröße
nicht begründet; denn es ist nicht zu beanstanden, dass das Gericht insoweit
von weiteren Ermittlungen abgesehen hat. Nachdem die Vertragspartner zu-
nächst nur eine Teilfläche des betroffenen Flurstücks von 3 700 m² zum Ge-
genstand des Kaufvertrages gemacht hatten, weil sie davon ausgegangen wa-
ren, dass die im Grundbuch enthaltene Flächenangabe von 4 138 m² zutreffend
sei, stellte der öffentlich bestellte Vermessungsingenieur bei der Vorbereitung
der Trennvermessung fest, dass das Grundstück nur rund 3 856 m² groß sei
(Schreiben des Dipl.-Ing. S. vom 5. Mai 2004 - Bl. 21 der Akte). Daraufhin korri-
gierten die Vertragspartner den Vertrag und machten das gesamte Grundstück
zum Verkaufsgegenstand. Anlass, der Grundstücksgröße weiter nachzugehen,
bestand für das Verwaltungsgericht nicht, weil sich die Klägerin fortlaufend da-
rauf beschränkt hat, die Angaben des öffentlich bestellten Vermessungsingeni-
eurs unter Hinweis auf die im Grundbuch vermerkte Flächengröße in Zweifel zu
ziehen, deren Fehlerhaftigkeit sich gerade bei den Vorarbeiten zur Trennver-
messung herausgestellt hatte. Konkrete Gründe, warum die Ermittlung der tat-
sächlichen Grundstücksfläche durch den dafür hinzugezogenen Fachmann un-
zutreffend war, hat die Klägerin nicht genannt, so dass das Verwaltungsgericht
von der Richtigkeit der neu ermittelten Flächenangabe ausgehen durfte, die
auch die Vertragspartner anerkannt und in ihre Vertragsgestaltung übernom-
men hatten.
Der Senat nimmt den Verfahrensverstoß - den oben dargelegten Gehörsver-
stoß und den daraus resultierenden Aufklärungsmangel - zum Anlass, das Ur-
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teil, soweit die Klage abgewiesen worden ist, nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzu-
heben und den Rechtsstreit insoweit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
2. Die Beschwerde der Beigeladenen ist ebenfalls begründet. Sie führt zur Zu-
lassung der Revision im Umfang der Klagestattgabe, weil die Rechtssache in-
soweit die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat. Die von der Beigeladenen sinngemäß aufgeworfene
und vom Verwaltungsgericht bejahte Frage,
ob der im Falle einer im Kaufvertrag vereinbarten Nach-
bewertung erzielbare Erlös dem Verkehrswert im Sinne
des § 13 Abs. 2 Satz 2 VZOG gleichgesetzt werden kann
mit der Folge, dass die Vorschrift auch anwendbar ist,
wenn der tatsächlich erzielte Erlös den bei einer Nachbe-
wertung erzielbaren Erlös offensichtlich und ohne sachli-
chen Grund unterschreitet,
bedarf der Klärung in einem Revisionsverfahren.
Rechtsbehelfsbelehrung
Soweit die Revision zugelassen worden ist, wird das Beschwerdeverfahren als
Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 3 C 17.14 fortgesetzt. Der
Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu
begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simson-
platz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom
26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung
der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von
§ 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO vertreten lassen.
Kley
Liebler
Dr. Wysk
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