Urteil des BVerwG vom 20.01.2014

Rechtliches Gehör, Angemessener Zeitraum, Arzneimittel, Kommission

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 40.13
OVG 13 A 2806/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Januar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. März 2013 wird
zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 25 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
I
Die Klägerin beansprucht eine Neubescheidung ihres Antrages auf Verlänge-
rung der (fiktiven) Zulassung für das von ihr vertriebene Arzneimittel „SEDin-
fant®Lösung“ hinsichtlich des Anwendungsgebiets „nervös bedingte Einschlaf-
störungen“. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage abgewiesen, weil die Zulas-
sung des Arzneimittels insoweit wegen einer mit Anzeige vom 8. Juli 1994 vor-
genommenen unzulässigen Änderung des arzneilich wirksamen Bestandteils,
spätestens aber nach § 105 Abs. 4a Satz 4 des Arzneimittelgesetzes - AMG -
mit Ablauf des 1. Februar 2001 erloschen sei. Daran ändere die bestandskräfti-
ge Verlängerung der Zulassung hinsichtlich des Anwendungsgebiets „funktio-
nelle Magen-Darm-Beschwerden“ nichts. Das Oberverwaltungsgericht hat die
Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Es hat zum einen
bestätigt, dass die Zulassung hinsichtlich des umstrittenen Anwendungsgebiets
durch eine unzulässige Änderung des Arzneimittels erloschen sei, zum anderen
seine Entscheidung aber auch darauf gestützt, dass der begehrten Neube-
scheidung der nach § 105 Abs. 4f Satz 1 AMG zu beachtende Versagungs-
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grund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG entgegenstehe, weil die Klägerin
die therapeutische Wirksamkeit des in Rede stehenden Melisseblätterextrakts
nicht ausreichend begründet habe.
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem
Urteil bleibt ohne Erfolg.
Da das Urteil des Oberverwaltungsgerichts auf zwei eigenständig tragende Be-
gründungen gestützt ist, setzt der Erfolg der Beschwerde voraus, dass hinsicht-
lich jeder dieser Begründungen ein durchgreifender Revisionsgrund geltend
gemacht wird. Soweit das Berufungsgericht die Teilversagung der Arzneimittel-
zulassung bestätigt hat, weil die Klägerin die von ihr in Anspruch genommene
therapeutische Wirksamkeit nicht hinreichend begründet habe, fehlt es an die-
ser Voraussetzung mit der Folge, dass eine Zulassung der Revision schon
deswegen ausscheidet und daher dahingestellt bleiben kann, ob und inwieweit
die Rügen, welche die andere, ebenfalls tragende Urteilsbegründung betreffen,
berechtigt sind.
Sämtliche Revisionszulassungsgründe, die die Klägerin gegen die Annahme
des Oberverwaltungsgerichts vorträgt, ihrem Neubescheidungsanspruch stehe
der Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG entgegen, grei-
fen nicht durch. Insoweit weist die Rechtssache weder die geltend gemachte
grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) auf, noch
liegt eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
vor, die eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtferti-
gen könnte (2.). Schließlich sind auch keine Verfahrensmängel im Sinne des
§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erkennbar, auf denen das angegriffene Urteil beruhen
kann (3.).
1. a) Bezogen auf den genannten Teil der Urteilsbegründung hält die Klägerin
zunächst sinngemäß für klärungsbedürftig, ob - wie es das Oberverwaltungsge-
richt verlange - bei einem Arzneimittel im Sinne des § 22 Abs. 3 AMG die zur
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Begründung der therapeutischen Wirksamkeit in Bezug genommenen Studien
gemäß § 26 AMG i.V.m. den Arzneimittelprüfrichtlinien in der Regel auf der Ba-
sis einer guten klinischen Praxis placebo-kontrolliert, doppelt verblindet und ran-
domisiert sein müssten. Die Klägerin sieht in diesem Verlangen einen Wider-
spruch zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der zur
Begründung der therapeutischen Wirksamkeit kein zwingender Beweis der
Wirksamkeit eines Arzneimittels im Sinne eines jederzeit reproduzierbaren Er-
gebnisses eines nach einheitlichen Methoden ausgerichteten naturwissen-
schaftlichen Experiments verlangt werden dürfe, sondern der Aussagegehalt
der Behauptung, ein bestimmtes Arzneimittel sei therapeutisch wirksam, sich
als Wahrscheinlichkeitsaussage verstehe (Urteile vom 14. Oktober 1993
- BVerwG 3 C 21.91 - BVerwGE 94, 215 <222>, und - insoweit gleichlau-
tend - BVerwG 3 C 46.91 - juris Rn. 36). Daneben rügt sie einen Widerspruch
zu den Arzneimittelprüfrichtlinien, in denen sowohl in der Fassung vom
14. Dezember 1989 (Anlage zur Allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom
14. Dezember 1989 - BAnz. Nr. 243a vom 29. Dezember 1989) als auch nach
der Änderung dieser Richtlinien mit der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom
22. Dezember 1994 (BAnz. S. 12569) im ersten Abschnitt unter C - Allgemeine
Anforderungen - angeordnet werde, Art und Umfang der Prüfungen, die als Vo-
raussetzung für die Zulassung von der Zulassungsbehörde verlangt würden, auf
das unerlässliche Maß zu beschränken, wobei die Besonderheiten der jeweili-
gen Arzneimittel zu berücksichtigen seien; pharmakologisch-toxikologische und
klinische Prüfungen dürften nur dann gefordert werden, wenn und soweit kein
ausreichendes Erkenntnismaterial nach § 22 Abs. 3 AMG vorliege.
Die Beantwortung der damit aufgeworfenen Fragen bedarf, soweit diese sich im
Hinblick auf die besonderen Umstände des Falles stellen, nicht der Durchfüh-
rung eines Revisionsverfahrens; denn es liegt auf der Hand, dass das Ober-
verwaltungsgericht unter den hier gegebenen Voraussetzungen zu Recht die
Einhaltung der oben beschriebenen guten klinischen Praxis für die Unterlagen
gefordert hat, die die Klägerin im Rahmen ihres so genannten bibliografischen
Zulassungsantrages nach § 22 Abs. 3 AMG vorgelegt hat. Zwar erlaubt ein sol-
cher Antrag die Vorlage anderen Erkenntnismaterials anstelle der in § 22 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG genannten Ergebnisse zur Begründung der therapeuti-
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schen Wirksamkeit. Wird dabei jedoch auf bereits vorhandene wissenschaftli-
che Studien zurückgegriffen, versteht es sich von selbst, dass an diese jeden-
falls dann die vom Oberverwaltungsgericht dargelegten Anforderungen gestellt
werden dürfen, wenn mit ihnen - wie hier - eine als antizipiertes Sachverständi-
gengutachten einzuordnende Einschätzung einer nach § 25 Abs. 7 Satz 2
i.V.m. Abs. 6 Satz 4 bis 6 AMG eingerichteten Kommission widerlegt werden
soll, mit der der in Anspruch genommenen therapeutischen Wirksamkeit die
Anerkennung versagt worden ist.
Soweit die Klägerin an dieser Stelle zusätzlich rügt, dass das Oberverwaltungs-
gericht auf die Fassung der Arzneimittelprüfrichtlinien aus dem Jahre 1989 hät-
te zurückgreifen müssen, weil das Gericht von einem Erlöschen der Arzneimit-
telzulassung mit Zugang der Änderungsanzeige am 27. Juli 1994 und damit vor
der Neufassung der Richtlinien ausgegangen sei, ist darauf hinzuweisen, dass
für die hier interessierende Frage nach der hinreichenden Begründung der the-
rapeutischen Wirksamkeit des Arzneimittels der maßgebliche Zeitpunkt für die
Beurteilung der vorgelegten Unterlagen der des Ablaufs der Mängelbeseiti-
gungsfrist nach § 105 Abs. 5 AMG ist.
Schließlich ergibt sich auch kein Klärungsbedarf, soweit die Klägerin in den An-
forderungen des Oberverwaltungsgerichts an die vorgelegten Studien einen
Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sieht;
denn die behauptete Abweichung ist nicht erkennbar, so dass auch unter die-
sem Blickwinkel weder eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Be-
deutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO noch wegen Divergenz nach § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO in Betracht kommt. Abgesehen davon, dass die strengen
Anforderungen des Gerichts an die von der Klägerin zu erfüllenden Begrün-
dungspflichten vor dem spezifischen Hintergrund der fachlichen Einschätzung
der für Phytopharmaka zuständigen Kommission E zu sehen sind, steht die Er-
kenntnis des Senats, dass es sich bei der Behauptung, ein bestimmtes Arznei-
mittel sei therapeutisch wirksam, ihrem Gehalt nach um eine Wahrscheinlich-
keitsaussage handele, auch unabhängig davon nicht in Widerspruch zu den an
die Klägerin gestellten Begründungsanforderungen. Der Senat hat mit seinen
Ausführungen - wie in den herangezogenen Urteilen eingehend erläutert wird
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(a.a.O.) - nichts anderes ausdrücken wollen, als dass schon wegen der Indivi-
dualität des Menschen ein sicherer Heilerfolg des betreffenden Arzneimittels
niemals zwangsläufig ist und daher auch in der Begründung des Zulassungsan-
trages kein zwingender Beweis seiner Wirksamkeit verlangt werden kann. Die-
se Aussage ist jedoch allgemeingültig und gilt für jeden Zulassungsantrag,
gleichgültig ob es sich um einen bibliografischen oder um einen „normalen“ An-
trag handelt und hat daher keinen unmittelbaren Bezug zu der Frage, welche
besonderen Anforderungen an die Unterlagen zur Begründung eines solchen
bibliografischen Antrages gestellt werden dürfen.
b) Ebenso wenig zur Zulassung der Revision führt die weitere von der Klägerin
als grundsätzlich bezeichnete Frage,
„welche Auswirkung die Existenz von Standardzulassun-
gen hinsichtlich der Beweislastverteilung zwischen den
vom Antragsteller zur Begründung einer therapeutischen
Wirksamkeit seines Arzneimittels vorzulegenden Unterla-
gen und den Anforderungen an die Begründung der Be-
hörde zur Versagung der Zulassung im Rahmen der Ver-
sagungsgründe des § 25 AMG hat.“
Die Klägerin trägt dazu vor, dass seit 1996 bis heute eine Standardzulassung
im Sinne des § 36 AMG für Melissenblätter mit dem hier umstrittenen Anwen-
dungsgebiet „nervös bedingte Einschlafstörungen“ existiere und daher die the-
rapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels Melisse für dieses Anwendungsge-
biet belegt sei, so dass die Beweislast für das Vorliegen des Versagungsgrun-
des bei der Behörde liege; dies habe das Oberverwaltungsgericht verkannt.
Abgesehen davon, dass die Klägerin ausgehend von den bindenden tatsächli-
chen Feststellungen des Berufungsgerichts ihr Arzneimittel nicht vollständig an
die Monografie Melissae folium angepasst haben dürfte, die Grundlage der
Standardzulassung ist, kann diese Zulassung jedenfalls unter den Gegebenhei-
ten des vorliegenden Falles nicht zu einer Reduzierung der Anforderungen an
die Begründung der therapeutischen Wirksamkeit des Arzneimittels für das in
Rede stehende Anwendungsgebiet führen. Nur darum kann es bei der Frage-
stellung der Klägerin gehen und nicht um die Beweislast für das Vorliegen eines
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Versagungsgrundes; denn diese liegt - wie das Oberverwaltungsgericht aus-
drücklich ausgeführt hat (UA S. 26, 2. Absatz) - unverändert bei der Behörde.
Wie bereits oben dargelegt, durfte die Behörde - nachdem die therapeutische
Wirksamkeit von melissehaltigen Monopräparaten durch die Kommission E für
das Anwendungsgebiet „nervös bedingte Einschlafstörungen“ nicht mehr an-
erkannt wurde - Unterlagen von der Klägerin fordern, die geeignet sind, diese
Einschätzung der Kommission substantiiert in Zweifel zu ziehen. Dies gilt unge-
achtet der seinerzeit bereits existierenden Standardzulassung, weil deren blo-
ßes Weiterbestehen die zwischenzeitlich geänderte Einschätzung der Kommis-
sion nicht widerlegt, so dass die Behörde und ihr folgend das Berufungsgericht
die Begründungsanforderungen an die therapeutische Wirksamkeit des Arz-
neimittels hinsichtlich dieses Anwendungsgebietes als nicht erfüllt ansehen
durfte. Nur in Ansehung dieser besonderen Einzelumstände würde sich die
Frage, welchen Einfluss die Existenz einer Standardzulassung auf diese Be-
gründungsanforderungen hat, in einem Revisionsverfahren stellen, so dass der
Rechtssache unter diesem Gesichtspunkt keine über den Fall hinausreichende
grundsätzliche Bedeutung zukommt.
c) Auch die Rüge der Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe sie unter An-
wendung des § 105 Abs. 5 Satz 3 AMG zu Unrecht von weiterem Vortrag aus-
geschlossen, weil diese Präklusionsvorschrift im Widerspruch zu dem Gebot
effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG stehe und zudem unverhält-
nismäßig in das Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG eingreife,
indem sie den Aufwand für die Erstellung der (Nach-)Zulassungsunterlagen und
den Anspruch auf Erhalt der (fiktiven) Arzneimittelzulassung entwerte, führt
nicht zum Erfolg der Beschwerde; denn die von der Klägerin angestrebte Klä-
rung der Verfassungsmäßigkeit der genannten Norm, die das Einreichen von
Unterlagen zur Mängelbeseitigung nach einer Entscheidung über die Versa-
gung der Zulassung ausschließt, bedarf nicht der Durchführung eines Revi-
sionsverfahrens.
In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwal-
tungsgerichts ist geklärt, dass solche materiellen, sich auf das gerichtliche Ver-
fahren erstreckende Präklusionsregelungen grundsätzlich verfassungsrechtlich
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nicht zu beanstanden sind, wenn der Gesetzgeber mit ihnen zulässige Zwecke
verfolgt, der Eingriff nicht außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Ziel steht
und die Regelung hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und der angeordneten
Rechtsfolge hinreichend klar gefasst ist (grundlegend BVerfG, Beschluss vom
8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 - BVerfGE 61, 82 <109 ff.>; BVerwG, Urteile vom
17. Juli 1980 - BVerwG 7 C 101.78 - BVerwGE 60, 297 <301 ff.> und vom
24. Mai 1996 - BVerwG 4 A 38.95 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 119 S. 137
sowie Beschluss vom 17. Oktober 2005
- BVerwG 7 BN 1.05 - Buchholz 445.3 Landeswasserrecht Nr. 4 Rn. 7). Diesen
Anforderungen genügt § 105 Abs. 5 Satz 3 AMG zweifelsfrei, weshalb der Se-
nat auch in seinem Urteil vom 27. Januar 2011 - BVerwG 3 C 10.10 - (Buchholz
418.32 AMG Nr. 59), in dem er sich mit der Reichweite dieser Präklusionsbe-
stimmung auseinandergesetzt hat, keine Veranlassung gesehen hat, die Frage
der Verfassungsmäßigkeit der Norm zu erörtern.
Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen § 105 Abs. 5 Satz 3
AMG, die sie unter Hinweis auf einen unter Beteiligung ihres Prozessbevoll-
mächtigten verfassten Aufsatz erhebt (vgl. Meier/von Czettritz, PharmR 2003,
333), teilt der Senat nach wie vor nicht. Die mit dem 10. Gesetz zur Änderung
des Arzneimittelgesetzes vom 4. Juli 2000 (BGBl I S. 1002) eingeführte Vor-
schrift, mit der erklärtermaßen das Nachzulassungsverfahren beschleunigt wer-
den soll (vgl. BTDrucks 14/2292 S. 9), verfolgt mit dem Bestreben, das Nachzu-
lassungsverfahren in einem vertretbaren Zeitraum abzuschließen und daher
nicht durch weitere Mängelbeseitigungsversuche in Rechtsbehelfsverfahren zu
belasten, ein legitimes Ziel (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 19. April 2007
- 13 A 2975/06 - PharmR 2007, 200 <201>). Der Ausschluss des Einreichens
von Unterlagen zur Mängelbeseitigung nach der Entscheidung über die Versa-
gung der Zulassung ist ein geeignetes, aber auch erforderliches Mittel zur Er-
reichung dieses verfahrensökonomischen Zwecks, weil nur so die unerwünsch-
te „Zweispurigkeit“ des Rechtsbehelfsverfahrens vermieden werden kann. Ein
unzumutbarer Eingriff in den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf
effektiven Rechtsschutz ergibt sich dadurch nicht; denn § 105 Abs. 5 Satz 1
AMG stellt sicher, dass dem Antragsteller nach einer behördlichen Beanstan-
dung ein angemessener Zeitraum zur Mängelbeseitigung bleibt. Die Regelung
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führt auch insofern nicht zu einem endgültigen Rechtsverlust, als es dem An-
tragsteller unbenommen bleibt, einen neuen Zulassungsantrag zu stellen. So-
weit in dem von der Klägerin herangezogenen Aufsatz gerade im Hinblick auf
diese Möglichkeit bezweifelt wird, dass die Präklusion das geeignete Mittel zur
Verfahrensbeschleunigung sei (Meier/von Czettritz a.a.O. S. 336 f.), wird über-
sehen, dass jeder Unternehmer bestrebt sein wird, bereits im Nachzulassungs-
verfahren die Zulassung zu erhalten und schon deswegen die Pflicht, bis zum
Abschluss jenes Verfahrens einen genehmigungsfähigen Antrag vorzulegen
und allen Mängeln bis dahin abzuhelfen, durchaus tauglich ist, die angestrebte
Verfahrensbeschleunigung zu bewirken (vgl. OVG Münster, Urteil vom 29. April
2008 - 13 A 4996/04 - Beck RS 2008, 35031).
Der durch § 105 Abs. 5 Satz 3 AMG angeordnete Ausschluss bedeutet aller-
dings keineswegs - und so hat es auch das Oberverwaltungsgericht gesehen
(vgl. UA S. 32) -, dass alle nachgereichten Unterlagen davon betroffen sind.
Vielmehr führt das Gesetz nur „Unterlagen zur Mängelbeseitigung“ an, also sol-
che, die darauf zielen, gerügten Mängeln abzuhelfen. Nicht davon betroffen
sind daher insbesondere solche Unterlagen, die zum Beleg dafür dienen sollen,
dass bereits eingereichte Unterlagen zur Mängelbeseitigung hinreichend waren,
mit anderen Worten: Verteidigungsvorbringen, das dazu dient nachzuweisen,
dass in dem nach § 105 Abs. 5 Satz 3 AMG maßgeblichen Zeitpunkt die Be-
gründungsanforderungen des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG erfüllt waren,
ist auch in Ansehung der Präklusionsnorm zulässig. Dies fordert schon die ver-
fassungsrechtlich geforderte Waffengleichheit der Beteiligten im Prozess, die
mit der Präklusionsregelung nicht in Frage gestellt werden sollte (vgl. dazu
Forstmann/Collatz, PharmR 2000, 106 f.; Rehmann, AMG, 3. Aufl. 2008, § 105
Rn. 19; Kügel, in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, § 25 Rn. 114; Kloesel/Cyran,
Arzneimittelrecht, § 105 AMG Anm. 71 Abs. 4).
Soweit die Klägerin daneben einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr Eigen-
tumsgrundrecht nach Art. 14 Abs. 1 GG rügt, ist bereits zweifelhaft, inwieweit
dieses Grundrecht seinem Schutzbereich nach einschlägig ist. Denkbar ist dies
allenfalls, soweit es der Klägerin um den Bestand der (fiktiven) Zulassung geht.
Im Hinblick darauf handelt es sich aber bei den Bestimmungen des Nachzulas-
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sungsverfahrens um die Ausgestaltung des ihr eingeräumten Eigentums und
daher auch hinsichtlich der zu diesem Verfahren gehörenden Präklusionsrege-
lung um eine Eigentumsinhaltsbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2
GG, die aus den bereits oben dargelegten Gründen die Grenzen der Verhält-
nismäßigkeit wahrt.
2. Auch die von der Klägerin nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO erhobenen Diver-
genzrügen rechtfertigen hinsichtlich des hier in Rede stehenden Teils der Be-
gründung des angegriffenen Urteils nicht die Zulassung der Revision. Insoweit
beanstandet sie lediglich, dass das Urteil im Hinblick auf die Anforderungen an
eine ausreichende Begründung der therapeutischen Wirksamkeit in Wider-
spruch zu den Urteilen des Senats vom 14. Oktober 1993 (a.a.O.) sowie vom
18. Mai 2010 - BVerwG 3 C 25.09 - (Buchholz 418.32 AMG Nr. 57) stehe. Be-
reits oben unter 1. a) ist jedoch darauf hingewiesen worden, dass diese Abwei-
chung nicht vorliegt.
3. Schließlich ist auch kein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3
VwGO erkennbar, der zur Zulassung der Revision führen könnte.
a) Die Rüge der Klägerin, das Oberverwaltungsgericht habe unter Verletzung
seiner Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO ihren Antrag abgelehnt, ein
Sachverständigengutachten dafür einzuholen, dass für Melisse und das An-
wendungsgebiet „nervös bedingte Einschlafstörungen“ die therapeutische Wirk-
samkeit nach dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis ausrei-
chend begründet sei, ist nicht berechtigt. Das Berufungsgericht hat diesen An-
trag zu Recht abgelehnt, weil er in der Tat auf die Klärung einer Rechtsfrage
gerichtet ist. Bewiesen werden sollen nicht Tatsachen, vielmehr soll der Sach-
verständige begutachten, ob die vorhandenen Tatsachen (die eingereichten
Unterlagen und sonstigen Quellen) den Anforderungen des § 25 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 Alt. 2 AMG an die Begründung der therapeutischen Wirksamkeit genügen.
Diese Rechtsfrage ist keines Beweises zugänglich.
b) Ebenso wenig berechtigt ist die Rüge der Klägerin, ihr Anspruch auf Gewäh-
rung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO sei
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dadurch verletzt worden, dass das Oberverwaltungsgericht die Gutachten von
Dr. H. und Prof. Dr. K. infolge unrichtiger Auslegung des § 105 Abs. 5 Satz 3
AMG nicht berücksichtigt habe.
Die Klägerin meint, das Gericht habe verkannt, dass diese Gutachten keine Un-
terlagen zur Mängelbeseitigung seien, sondern im Schwerpunkt darauf gerichtet
seien zu begründen, dass die rechtzeitig vorgelegten Unterlagen genügten, die
therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels zu belegen. Es ist zweifelhaft, ob
mit diesem Vortrag eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen
Gehörs dargetan wird; denn dieses Recht gewährt keinen Schutz gegen Ent-
scheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen
oder materiellen Rechts unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom
15. Februar 1967 - 2 BvR 658/65 - BVerfGE 21, 191 <194>; stRspr). So dürfte
es sich hier verhalten. Das Gericht hat den Sachvortrag der Klägerin - die nach-
gereichten Gutachten - als solchen zur Mängelbeseitigung beurteilt und daher
aus materiellrechtlichen Gründen der Präklusionsbestimmung des § 105 Abs. 5
Satz 3 AMG zugeordnet. Aber selbst wenn man dies aus verfassungsrechtlicher
Sicht anders sehen wollte, weil diese Bewertung des Sachvortrags, sollte sie
fehlerhaft sein, zu einer der Sache nach unberechtigten Präklusion geführt hät-
te, ergäbe sich kein Verfahrensmangel, auf dem das angegriffene Urteil beru-
hen kann. Das Gericht hat die Gutachten im Anschluss an seine Ausführungen
zu deren Präklusion ausdrücklich inhaltlich darauf überprüft, ob sie eine andere
Bewertung der von der Klägerin rechtzeitig vorgelegten Unterlagen rechtferti-
gen, und dies verneint (vgl. UA S. 32), so dass sich die - insofern nur verbale -
Zurückweisung der Gutachten als verspätet auf das Ergebnis der angegriffenen
Entscheidung nicht ausgewirkt hat.
Soweit die Klägerin darüber hinaus in diesem Zusammenhang auch die Nicht-
berücksichtigung einer von ihr vorgelegten, öffentlich zugänglichen WHO-
Monografie rügt, genügt ihr nicht näher substantiiertes Vorbringen nicht an-
satzweise den Anforderungen an die Darlegung eines Verfahrensmangels. Im
Übrigen übersieht die Klägerin, dass sich das Oberverwaltungsgericht mit der
genannten Unterlage auseinandergesetzt hat (vgl. UA S. 31 a.E.).
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Von einer weiteren Begründung seines Beschlusses sieht der Senat nach § 133
Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Kley
Dr. Wysk
Dr. Kuhlmann
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Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Arzneimittelrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquellen:
AMG
§ 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3, Abs. 3; § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
Alt. 2, Abs. 7 Satz 2 i.V.m. Abs. 6 Satz 4 bis 6; §§ 26; 36; § 105
Abs. 4a Satz 4, Abs. 4f Satz 1, Abs. 5 Satz 1 und 3
Stichworte:
Nachzulassungsantrag; Melisseblätterextrakt; Anwendungsgebiet; therapeuti-
sche Wirksamkeit; Begründung der therapeutischen Wirksamkeit; bibliografi-
scher Antrag; anderes Erkenntnismaterial; gute klinische Praxis; Arzneimittel-
prüfrichtlinien; Wahrscheinlichkeitsaussage; Kommission E; antizipiertes Sach-
verständigengutachten; materielle Präklusion; Verfassungsmäßigkeit einer Prä-
klusion; Mängelbeseitigung; Mängelbeseitigungsfrist; effektiver Rechtsschutz;
Eigentumsgarantie; Eigentumsinhaltsbestimmung; prozessuale Waffengleich-
heit; Sachaufklärungspflicht; rechtliches Gehör.
Leitsatz:
Der in § 105 Abs. 5 Satz 3 AMG angeordnete Ausschluss, nach einer Entschei-
dung über die Versagung der (Nach-)Zulassung weitere Unterlagen zur Män-
gelbeseitigung einzureichen, ist verfassungsmäßig.
Beschluss des 3. Senats vom 20. Januar 2014 - BVerwG 3 B 40.13
I. VG Köln vom 10.11.2009 - Az.: VG 7 K 1308/05 -
II. OVG Münster vom 13.03.2013 - Az.: OVG 13 A 2806/09 -