Urteil des BVerwG vom 19.08.2010

Wider Besseres Wissen, Schiedsstelle, Defizit, Genehmigung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 40.10
OVG 7 A 10976/09
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. August 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und Dr. Wysk
beschlossen:
Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts
Rheinland-Pfalz vom 25. Februar 2010 werden zurückge-
wiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens
einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigela-
denen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 478 861 € festgesetzt.
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G r ü n d e :
Die Kläger begehren die Aufhebung eines Bescheides, mit dem der Beklagte
die Festsetzung der Krankenhauspflegesätze 2007 für das Krankenhaus der
Beigeladenen genehmigt hat. In den vorangegangenen Pflegesatzverhandlun-
gen war zwischen den Klägern und der Beigeladenen unter anderem umstritten
geblieben, ob bei der Überleitung der Vereinbarung 2006 auf den Vereinba-
rungszeitraum 2007 auch 85 Bewertungsrelationen für die Behandlung von
Apoplexien und deren Eingruppierung als „neurologische Komplexbehandlun-
gen des akuten Schlaganfalls“ nach OPS 8-981 anzusetzen seien. Die
Schiedsstelle hat den Ansatz gebilligt, weil der Versorgungsauftrag des Kran-
kenhauses das Erbringen neurologischer Komplexbehandlungen umfasse; ob
die bis zum Beginn der Pflegesatzverhandlungen im Juli 2007 vom Kranken-
haus aufgelisteten Behandlungsfälle gegenüber den Klägern auch abgerechnet
werden könnten, sei im Einzelfall von den Sozialgerichten zu prüfen. Das Ver-
waltungsgericht hat den Klagen gegen die Genehmigung des Schiedsspruchs
stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht hat sie hinsichtlich des nach teilwei-
ser Erledigung durch Prozessvergleich noch streitigen Teils abgewiesen.
Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision bleiben ohne Erfolg.
Der Rechtssache kommt die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung
nicht zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Kläger möchten geklärt wissen,
ob die Schiedsstelle im Rahmen ihres Entscheidungser-
messens bei nicht prospektiv geführten Budgetverhand-
lungen Leistungen in der Entgeltvereinbarung berücksich-
tigen darf, gegen deren Abrechnungsfähigkeit zum Ver-
handlungszeitpunkt substantiierte Einwendungen und An-
haltspunkte vorliegen,
ob eine Krankenkasse bei nicht prospektiv geführten Bud-
getverhandlungen und substantiierten Einwendungen ge-
gen die Abrechnungsfähigkeit bestimmter Entgelte diese
wider besseres Wissen vereinbaren und daraus herrüh-
rende Erlösausgleichsnachteile im Folgejahr hinnehmen
muss,
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schließlich, ob Entgelte im Entgeltverfahren berücksichti-
gungsfähig sind, deren Leistung gegenüber den Patienten
nicht vollständig erbracht wird.
Die Fragen unterstellen, dass die Budgetverhandlungen „nicht prospektiv ge-
führt“ werden, also keine Prognosen erfordern. Das geht an den tatsächlichen
Feststellungen des Berufungsgerichts vorbei. Hiernach haben die Beteiligten
bei der Fortschreibung des Erlösbudgets 2006 für den Vereinbarungszeitraum
2007 über „voraussichtliche Leistungsänderungen“ verhandelt, die von der Bei-
geladenen auf der Grundlage der Behandlungsfälle der Monate Januar bis Mai
2007 hochgerechnet, also prognostiziert wurden. Demzufolge hat das Beru-
fungsgericht seine rechtlichen Maßstäbe zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit
des Schiedsspruchs und seiner Genehmigung ausdrücklich auf eine Prognose
über Art und Menge der künftigen Leistungen des Krankenhauses bezogen.
Den Beschwerden mag immerhin entnommen werden, dass die Kläger geklärt
wissen wollen, ob als Prognosebasis tatsächliche Behandlungsfälle herangezo-
gen werden dürfen, wenn die vom Krankenhaus erbrachten Leistungen nicht
die Voraussetzungen für eine Abrechnung nach der vom Krankenhausträger
geltend gemachten DRG-Pauschale erfüllen. Auch dies wird jedoch der Ent-
scheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht. Das Berufungsgericht hat näm-
lich festgestellt, dass die Abrechnungsfähigkeit der in Rede stehenden Behand-
lungsfälle im Zeitpunkt der Entscheidung der Schiedsstelle zwar von den Klä-
gern - durchaus substantiiert - bestritten, aber noch nicht geklärt war. Es hat
angenommen, dass die Schiedsstelle in einer solchen Lage der Ungewissheit
derartige Behandlungsfälle - sofern sie denn im Rahmen des Versorgungsauf-
trags des Krankenhauses liegen - gleichwohl als geeignete Prognosebasis he-
ranziehen darf, wenn hierfür Gründe bestehen und auch der Blick auf die - aus
einer Berücksichtigung ebenso wie umgekehrt aus einer Nichtberücksichtigung
sich ergebenden - Konsequenzen nicht ausschlaggebend dagegen spricht.
Hiermit setzen sich die Kläger nicht auseinander.
Auf der Grundlage des Berufungsurteils wird ein weiterer Klärungsbedarf nicht
deutlich. Es versteht sich von selbst, dass bei der Fortschreibung des Erlös-
budgets nur Entgelte für Krankenhausleistungen berücksichtigt werden dürfen,
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die das Krankenhaus im Vereinbarungszeitraum voraussichtlich erbringen wird.
Das schließt die Eingruppierung dieser Krankenhausleistungen in das Fallpau-
schalensystem ein. Ob aber eine bestimmte Krankenhausleistung dann tat-
sächlich mit einer bestimmten Fallpauschale abgerechnet werden kann oder ob
sie nach dem Maßstab der hierfür geltenden Bestimmungen nicht „vollständig“
oder fehlerhaft erbracht wurde, ist hierfür gleichgültig; das betrifft allein die Leis-
tungsabrechnung im jeweiligen Einzelfall.
Das Berufungsgericht hat für möglich gehalten, dass anderes gilt, wenn die
Voraussetzungen für die Abrechnungsfähigkeit von Krankenhausleistungen
dieser Art in dem betreffenden Krankenhaus generell („strukturell“) fehlen (und
dies obendrein evident sei). Der Beklagte wendet ein, das Vorliegen der gene-
rellen („strukturellen“) Voraussetzungen für die Erbringung (abrechnungsfähi-
ger) Krankenhausleistungen sei bereits Gegenstand der Krankenhausplanung
und deshalb mit der Aufnahme der betreffenden Betten in den Krankenhaus-
plan entschieden; hiervon sei bei der Budgetvereinbarung auszugehen. Wel-
chem Standpunkt zu folgen wäre, braucht aber aus Anlass des vorliegenden
Rechtsstreits nicht geklärt zu werden. Die Kläger haben die Abrechnungsfähig-
keit der in Rede stehenden Krankenhausleistungen bestritten, weil im Kranken-
haus der Beigeladenen die ausschließliche Betreuung der Schlaganfallpatienten
durch einen Arzt werktags tagsüber nur unter Verletzung arbeitsschutz-
rechtlicher Vorschriften zu bewerkstelligen gewesen wäre. Zwischen den Betei-
ligten war und ist streitig, ob dies zutraf und ob das behauptete Defizit durch
nachfolgende Änderungen der Dienstpläne im Krankenhaus behoben wurde;
von dieser Ungewissheit ist die Schiedsstelle ausgegangen. Sie ist aber ebenso
davon ausgegangen, dass das Defizit mit den Ressourcen des Krankenhauses
zu beheben und jedenfalls ab Juli 2007 behoben war. Dann aber haben die
Voraussetzungen für die Abrechnungsfähigkeit der fraglichen Krankenhausleis-
tungen nicht generell („strukturell“) gefehlt, sondern hätten jedenfalls durch in-
terne Organisationsmaßnahmen hergestellt werden können. Bei dieser Sachla-
ge hat das Berufungsgericht mit Recht unbeanstandet gelassen, dass die
Schiedsstelle und ihr folgend die Genehmigungsbehörde den Streit über die
Abrechnungsfähigkeit einzelner Krankenhausleistungen in das Abrechnungs-
verfahren verwiesen haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3, § 159 Satz 1
VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47
Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Kley
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Wysk
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