Urteil des BVerwG vom 26.02.2010

Verordnung, Durchführung des Gemeinschaftsrechts, Kommission, Einziehung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 4.10
VGH 19 BV 06.2146
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 26. Februar 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und Dr. Wysk
beschlossen:
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Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungs-
gerichtshofs vom 4. November 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 10 487,47 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger begehrt die Auszahlung einer ihm mit Bescheid vom 16. November
1998 bewilligten Preisausgleichszahlung für Erzeuger landwirtschaftlicher Kul-
turpflanzen an seinen Vater, der sämtliche derartigen künftigen Forderungen
des Klägers gegen den Beklagten am 12. Januar 1994 hatte pfänden und sich
zur Einziehung überweisen lassen. Der Beklagte erklärte demgegenüber die
Aufrechnung mit einer offenen Rückforderung einer zu Unrecht gewährten Vor-
schusszahlung für Ölsaatenerzeuger aus dem Jahr 1993; der der Vorschuss-
zahlung zugrunde liegende Bewilligungsbescheid war mit Bescheid vom 24. Mai
1994 aufgehoben und der Kläger zur Rückzahlung verpflichtet worden. Der
Verwaltungsgerichtshof hat der Klage stattgegeben.
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt
ohne Erfolg. Der Rechtssache kommt die vom Beklagten behauptete grund-
sätzliche Bedeutung nicht zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Der Beklagte hält sinngemäß die Frage für klärungsbedürftig, ob Art. 5b der
Verordnung (EG) Nr. 885/2006 der Kommission vom 21. Juni 2006 (ABl EU
Nr. L 171 S. 90) in der Fassung der Änderungsverordnung (EG) Nr. 1034/2008
vom 21. Oktober 2008 (ABl EU Nr. L 279 S. 13) auch auf das Wirtschaftsjahr
1998 Anwendung findet. Er entnimmt dieser Vorschrift seine Berechtigung,
ausstehende Forderungen gegen einen Begünstigten mit künftigen Zahlungen
an diesen Begünstigten ohne Rücksicht auf Aufrechnungsverbote des nationa-
len Rechts - wie § 392 BGB - zu verrechnen.
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Die Frage rechtfertigt die Durchführung des angestrebten Revisionsverfahrens
nicht. Sie ist - im Einklang mit dem Berufungsurteil - offensichtlich zu verneinen.
Art. 5b der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 ist durch die Änderungsverordnung
(EG) Nr. 1034/2008 vom 21. Oktober 2008 eingefügt worden. Die Änderungs-
verordnung trat am 29. Oktober 2008 in Kraft. Ob sie auch zurückliegende Zeit-
räume erfasst, lässt sie offen. Sie ist jedoch frühestens ab dem 16. Oktober
2006 anwendbar. Dies ergibt sich aus Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 885/
2006; hiernach gilt diese Verordnung ab dem 16. Oktober 2006, einzelne ihrer
Bestimmungen hingegen erst für das Haushaltsjahr 2007 und folgende. Zu ei-
ner weiter zurückreichenden Rechtsänderung wäre die Kommission auch gar
nicht ermächtigt gewesen. Die Verordnung (EG) Nr. 885/2006 der Kommission
beruht auf der Ermächtigung in Art. 42 der Verordnung (EG) Nr. 1290/2005 des
Rates vom 21. Juni 2005 über die Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik
(ABl EU Nr. L 209 S. 1). Diese Verordnung trat am 18. August 2005 in Kraft; sie
galt nach ihrem Art. 49 grundsätzlich ab dem 1. Januar 2007, in bestimmten
Fällen ab dem 16. Oktober 2006 und nur hinsichtlich des - hier nicht einschlägi-
gen - Art. 31 auch für frühere Fälle. Auf die Wiedereinziehung bereits 1993 ge-
zahlter und 1994 zurückgeforderter Beihilfen im Wege der Verrechnung mit
1998 bewilligten Zahlungen findet dieses Regelwerk hiernach keine Anwen-
dung.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Nachfolgeregelung der
vom Berufungsgericht angewandten gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung in
Art. 73 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 der Kommission vom 21. April
2004 (ABl EU Nr. L 141 S. 18, berichtigt ABl EU Nr. L 291 S. 18) durch die Än-
derungsverordnung (EG) Nr. 380/2009 vom 8. Mai 2009 (ABl EU Nr. L 116 S. 9)
unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 885/2006 ersatzlos gestrichen wur-
de. Denn diese Verordnung (EG) Nr. 380/2009 gilt ausweislich ihres Art. 2 erst
für Beihilfeanträge für die Jahre bzw. Prämienzeiträume, die am 1. Januar 2009
oder später beginnen. Für frühere Prämienzeiträume blieb Art. 73 Abs. 2 der
Verordnung (EG) Nr. 796/2004 damit in Geltung. Die Vorschrift erfasste die ab
dem 1. Januar 2005 beginnenden Wirtschaftsjahre oder Prämienzeiträume; sie
löste Art. 49 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2419/2001 der Kommission vom
11. Dezember 2001 (ABl EG Nr. L 327 S. 11) ab, der für Wirtschaftsjahre oder
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Prämienzeiträume ab dem 1. Januar 2002 galt. Dieser wiederum war an die
Stelle des Art. 14 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission
vom 23. Dezember 1992 (ABl EG Nr. L 391 S. 36) in der Fassung der Än-
derungsverordnung (EG) Nr. 1678/98 vom 29. Juli 1998 (ABl EG Nr. L 212
S. 23) getreten, der seit dem 6. August 1998 galt und den das Berufungsgericht
im vorliegenden Fall daher mit Recht angewendet hat.
Im Übrigen ergibt sich aus Art. 5b der Verordnung (EG) Nr. 885/2006 nicht die
Berechtigung des Beklagten, ausstehende Forderungen gegen einen Begüns-
tigten mit künftigen Zahlungen an diesen Begünstigten ohne Rücksicht auf Auf-
rechnungsverbote des nationalen Rechts zu verrechnen. Nach Art. 5b der Ver-
ordnung (EG) Nr. 885/2006 rechnen die Mitgliedstaaten unbeschadet anderer in
den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehener Vollstreckungsmaßnahmen
eine noch ausstehende Forderung an einen Begünstigten, die im Einklang mit
den nationalen Rechtsvorschriften festgestellt worden ist, gegen eine etwaige
künftige Zahlung auf, die von der für die Eintreibung des geschuldeten Betrags
zuständigen Zahlstelle an denselben Begünstigten zu leisten ist. Die Vorschrift
führt nicht dazu, dass künftige Beihilfeansprüche des Begünstigten von vorn-
herein nur in Höhe der Differenz zu dessen offenen Schulden entstünden; sie
betrifft nicht das materielle Beihilferecht, sondern nur dessen Vollzug, nämlich
die Modalitäten der Einziehung offener Forderungen. Ihre Bedeutung liegt aus-
weislich des 3. Erwägungsgrundes darin, die mit der Durchführung des Ge-
meinschaftsrechts befassten nationalen Behörden zu verpflichten, von nach
dem nationalen Recht gegebenen Möglichkeiten, sich durch Aufrechnung zu
befriedigen, auch Gebrauch zu machen. Dagegen sollen diese Möglichkeiten
des nationalen Rechts nicht verändert oder gar das nationale durch ein ge-
meinschaftsrechtliches Aufrechnungsrecht ersetzt werden. Vielmehr bleibt es
auch insofern bei dem Grundsatz, dass das materielle Gemeinschaftsrecht
nach den Regeln des nationalen Rechts vollzogen wird (stRspr, vgl. EuGH, Ur-
teil vom 21. September 1983 - C-205/82 - Slg. 1983, S. 2633 - Deutsche Milch-
kontor; BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 - BVerwG 3 C 22.02 - Buchholz
316 § 49 VwVfG Nr. 44). Anhaltspunkte dafür, dass dieser Grundsatz hier hätte
durchbrochen werden sollen (vgl. Beschluss vom 29. März 2005 - BVerwG 3 B
117.04 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 112 zu Art. 14 Abs. 4 und 5 der
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Verordnung Nr. 3887/92), lassen sich der Verordnung (EG)
Nr. 1034/2008 nicht entnehmen. Dies gilt umso mehr, als die Verordnung (EG)
Nr. 885/2006 der Kommission - ebenso wie die ihr zugrunde liegende Verord-
nung (EG) Nr. 1290/2005 des Rates - allein den Zahlungs- und Abrechnungs-
verkehr zwischen der Gemeinschaft (bzw. den europäischen Fonds EGFL und
ELER) und den Mitgliedstaaten und nicht deren Außenverhältnis zu den Beihil-
feempfängern betrifft; die Verordnung kann daher nur die mitgliedstaatlichen
Behörden zu einer bestimmten Wahrnehmung ihrer gegebenen Rechte gegen-
über den Beihilfeempfängern veranlassen, diese Rechte aber nicht erweitern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des
Streitwerts auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Kley
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Wysk
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