Urteil des BVerwG vom 29.07.2010

Zustand, Grundstück, Abgabe, Verfügung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 37.10
VG 4 K 1245/06
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. Juli 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und Dr. Wysk
beschlossen:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom
23. Februar 2010 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Ent-
scheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussent-
scheidung vorbehalten.
G r ü n d e :
Die Klägerin beansprucht nach § 8 Abs. 4 Satz 2 des Vermögenszuordnungs-
gesetzes - VZOG - von der beklagten Gemeinde Erlösauskehr wegen der Ver-
äußerung eines Grundstücks, dessen Eigentümerin die Klägerin nach der be-
standskräftigen Feststellung der Vermögenszuordnungsbehörde am 3. Oktober
1990 geworden war. Das Verwaltungsgericht hat ihrer Leistungsklage stattge-
geben, weil das von der Beklagten nach § 8 Abs. 5 Satz 1 VZOG angebotene
Ersatzgrundstück dem veräußerten Grundstück nicht vergleichbar sei.
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in die-
sem Urteil hat Erfolg. Das angegriffene Urteil beruht auf dem nach § 132 Abs. 2
Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensfehler.
Die Beklagte beanstandet zu Recht, dass das Verwaltungsgericht von einer
unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen ist. Das Verwaltungsgericht
hat die angebotene Ersatzfläche (nach Aktenlage handelt es sich offenbar um
zwei benachbarte Teilflächen) als dem veräußerten Grundstück nicht adäquat
beurteilt, weil es dem veräußerten Grundstück schon von der Größe her (3 400
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gegenüber 6 800 m²) nicht vergleichbar sei, der Bebauungsplan an der betref-
fenden Stelle Parkflächen ausweise und zweifelhaft sei, ob der von der Beklag-
ten angegebene Bodenrichtwert von 69 € pro Quadratmeter zu realisieren wäre.
Wegen dieser auf der Hand liegenden Umstände sei der Schluss auf die man-
gelnde Vergleichbarkeit der Grundstücke auch ohne die von der Beklagten
beantragte Einschaltung eines Sachverständigen möglich.
Die Feststellung, dass der Bebauungsplan an der betreffenden Stelle Parkflä-
chen festsetze, ist aktenwidrig; denn ausweislich der von der Beklagten mit ih-
rem Schriftsatz vom 20. November 2009 vorgelegten Unterlagen befinden sich
die festgesetzten Parkflächen neben den als Ersatzgrundstück angebotenen
Flächen, die als Mischgebiet festgesetzt sind. Insoweit ist das Verwaltungsge-
richt den Behauptungen der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben in ihrem
Schriftsatz vom 16. Dezember 2009 gefolgt, ohne die von der Beklagten vorge-
legten Unterlagen sowie die Verwaltungsvorgänge (roter Hefter) zur Kenntnis
zu nehmen oder sich mit dem Hinweis der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom
14. Januar 2010 (S. 3 Abs. 4) auseinanderzusetzen, dass es sich um Bauland
handele, das „als Wohngebiet mit der Zulässigkeit von nicht störendem Gewer-
be ausgewiesen“ sei.
Es liegt also gleichermaßen ein Mangel richterlicher Überzeugungsbildung nach
§ 108 Abs. 1 VwGO wie eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtli-
chen Gehörs nach § 108 Abs. 2 VwGO vor. Dieser Verfahrensmangel ist auch
ursächlich für die getroffene Entscheidung, obwohl das Verwaltungsgericht für
die mangelnde Vergleichbarkeit des Grundstücks neben den baulichen Nut-
zungsmöglichkeiten auch seine geringere Größe angeführt und daneben die
Werthaltigkeit der Fläche in Zweifel gezogen hat; denn das Gericht hat diese
Argumente in ihrer Gesamtheit herangezogen, um die Nichteinschaltung eines
Sachverständigen zur Beurteilung der Vergleichbarkeit zu rechtfertigen. Entfällt
das Argument unzureichender baulicher Nutzbarkeit, wäre eine Aufklärung der
Werthaltigkeit der Fläche unumgänglich; denn allein mit der geringeren Größe
ließe sich seine Eignung als Surrogat nicht bezweifeln, weil es sich dabei nur
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um einen der vom Verwaltungsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtspre-
chung des Senats genannten Faktoren handelt, aus denen sich die Vergleich-
barkeit ergibt (Urteil vom 26. April 2007 - BVerwG 3 C 14.06 - BVerwGE 128,
351 Rn. 21 f. = Buchholz 428.2 § 8 VZOG Nr. 8).
Die Kausalität des Verfahrensmangels lässt sich schließlich nicht damit in Ab-
rede stellen, dass das Verwaltungsgericht die Tauglichkeit des vorgelegten Be-
bauungsplans zur Bestimmung der baulichen Nutzbarkeit bezweifelt hat, weil er
bereits 10 Jahre alt sei. Abgesehen davon, dass das Alter eines Bebauungs-
plans allein nichts über seine Gültigkeit aussagt, hat das Verwaltungsgericht
trotz seiner Vorbehalte die Festsetzungen dieses Plans - wenn auch fehlerhaft -
zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht.
Der Senat nimmt den geschehenen Verfahrensfehler zum Anlass, dass ange-
griffene Urteil nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an
die Vorinstanz zurückzuverweisen; denn die von der Beklagten neben ihrer Ver-
fahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erhobene Grundsatzrüge rechtfer-
tigt nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens.
Die Beklagte hält sinngemäß für klärungsbedürftig, welcher Zeitpunkt für die
vergleichende Bewertung des Ersatzgrundstücks maßgeblich ist. Diese Frage
lässt sich ohne Weiteres anhand der bisherigen Rechtsprechung des Senats
beantworten. Zieht man sein grundlegendes Urteil vom 26. April 2007 zur Er-
setzungsbefugnis nach § 8 Abs. 5 VZOG heran (a.a.O. Rn. 13 ff.), liegt es auf
der Hand, dass sich die Beurteilung der Beschaffenheit und damit der Werthal-
tigkeit des Ersatzgrundstücks nach dem Zeitpunkt bestimmt, zu dem es vom
Auskehrverpflichteten als Surrogat angeboten wird; denn durch das Angebot
eines geeigneten Ersatzgrundstücks tritt die Ersetzungswirkung ein mit der Fol-
ge, dass sich der Auskehranspruch nach § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG in einen auf
das Ersatzgrundstück gerichteten Eigentumsverschaffungsanspruch verwan-
delt. Die Eignung des angebotenen Grundstücks richtet sich daher naturgemäß
nach seinem aktuellen Zustand, d.h. nach seinem Zustand im Zeitpunkt der
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Abgabe der Ersetzungserklärung. Ebenso liegt auf der Hand, dass für den Zu-
stand und die Werthaltigkeit des den Vergleichsmaßstab bildenden veräußerten
Grundstücks, an dessen Stelle das Ersatzgrundstück treten soll, der Zeitpunkt
des Abschlusses des seinerzeitigen Verpflichtungsgeschäfts maßgeblich ist,
das Grundlage für die Verfügung zu Lasten des Zuordnungsberechtigten war.
Dies ist die notwendige Konsequenz der Rechtsprechung des Senats, nach der
eben dieser Zeitpunkt für die Höhe des anstelle des Kaufpreises nach § 8
Abs. 4 Satz 2 VZOG auszukehrenden Verkehrswerts heranzuziehen ist (Urteil
vom 27. Juli 2006 - BVerwG 3 C 31.05 - Buchholz 428.2 § 8 VZOG Nr. 4). Die
Gründe, die der Senat für die Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts genannt hat,
gelten zwangsläufig für die dieser Bewertung zugrunde liegenden wertbe-
stimmenden Eigenschaften des Grundstücks, nach denen sich wiederum seine
Vergleichbarkeit mit einem angebotenen Ersatzgrundstück richtet.
Kley
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert
Dr. Wysk
Sachgebiet:
BVerwGE:
nein
Vermögenszuordnungsrecht
Fachpresse: ja
Rechtsquelle:
VZOG
§ 8 Abs. 4 Satz 2 und Abs. 5
Stichworte:
Vermögenszuordnungsrecht; Erlösauskehr; rechtsgeschäftliche Veräußerung;
Auskehranspruch; Ersatzgrundstück; Ersetzungserklärung; Eigentumsverschaf-
fungsanspruch; vergleichende Bewertung; maßgeblicher Zeitpunkt; Verkehrs-
wert; wertbestimmende Eigenschaften.
Leitsatz:
Bei der vergleichenden Bewertung eines nach § 8 Abs. 5 VZOG angebotenen
Ersatzgrundstücks ist dessen Zustand und Werthaltigkeit bei Abgabe der Er-
setzungserklärung maßgeblich. Demgegenüber richten sich der Zustand und
die Werthaltigkeit des den Vergleichsmaßstab bildenden veräußerten Grund-
stücks nach dem Zeitpunkt des Verpflichtungsgeschäfts, das Grundlage für die
Verfügung zu Lasten des Zuordnungsberechtigten war.
Beschluss des 3. Senats vom 29. Juli 2010 - BVerwG 3 B 37.10
I. VG Chemnitz vom 23.02.2010 - Az.: VG 4 K 1245/06 -