Urteil des BVerwG vom 08.08.2007

Gericht Erster Instanz, Verfügungsbefugnis, Aufspaltung, Erlöschen

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 35.07
OVG 3 O 84/06
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. August 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Liebler
beschlossen:
- 2 -
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts Halle vom 3. April 2006 wird zurück-
gewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
G r ü n d e :
Die Beschwerde der Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im
Ergebnis zu Recht angenommen, dass der auf § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG ge-
stützte Anspruch auf Erlösauskehr im Verwaltungsrechtsweg geltend zu ma-
chen ist.
Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ergibt sich aus der Sonderzuweisung
in § 6 Abs. 1 Satz 1 VZOG. Danach ist für Streitigkeiten nach diesem Gesetz
der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Im vorliegenden Verfahren macht die
Klägerin unter Berufung auf § 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG einen Erlösauskehran-
spruch geltend. Nach dieser Regelung ist die nach § 8 Abs. 1 VZOG verfügen-
de Stelle verpflichtet, den Erlös, mindestens aber den Wert des Vermögensge-
genstandes dem aus einem unanfechtbaren Bescheid über die Zuordnung nach
den §§ 1 und 2 hervorgehenden Berechtigten auszukehren.
Beim Streit über das Bestehen dieses Anspruchs handelt es sich um eine Strei-
tigkeit nach dem Vermögenszuordnungsgesetz im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1
VZOG. Diese Sonderzuweisung ist schon dem Wortlaut nach nicht nur auf Ver-
fahren beschränkt, bei denen um die Zuordnung eines Vermögensgegenstan-
des gestritten wird; die gesetzliche Formulierung lautet nicht etwa nur „Zuord-
nungsstreitigkeiten nach diesem Gesetz“. Eine Streitigkeit nach dem Vermö-
genszuordnungsgesetz im Sinne dieser Rechtswegzuweisung liegt daher außer
bei einem Streit über die Zuordnungs- bzw. Restitutionsberechtigung als solche
auch dann vor, wenn sich die - oder jedenfalls eine (vgl. § 17 Abs. 2 GVG) -
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch aus dem Vermögens-
zuordnungsgesetz ergeben kann. Dies ist bei dem Erlösauskehranspruch des
§ 8 Abs. 4 Satz 2 VZOG der Fall. Dass die Zuordnungsbehörde nach der ge-
1
2
3
- 3 -
setzlichen Regelung über diesen Anspruch nicht durch Bescheid zu entschei-
den hat, ist unmaßgeblich.
Die Gesetzgebungsgeschichte bestätigt dieses aus dem Wortlaut der Regelung
gewonnene Ergebnis. Bereits der Gesetzentwurf enthielt die weite Formulierung
„Streitigkeiten nach diesem Gesetz“ (vgl. BTDrucks 12/103 S. 20). Zwar war im
damaligen § 5 (Rechtsweg) noch keine ausdrückliche Zuweisung dieser
Verfahren zum Verwaltungsrechtsweg vorgesehen, doch ergab sie sich der Sa-
che nach ohne weiteres daraus, dass über Streitigkeiten nach diesem Gesetz
die Oberverwaltungsgerichte im ersten Rechtszug entscheiden sollten. Freilich
konnten mit „Streitigkeiten nach diesem Gesetz“ damals noch nicht rechtliche
Auseinandersetzungen über Erlösauskehransprüche gemeint sein, da der ur-
sprüngliche Gesetzentwurf weder eine dem jetzigen § 8 Abs. 1 VZOG entspre-
chende Verfügungsbefugnis enthielt noch korrespondierende Ansprüche des
Zuordnungs- bzw. Restitutionsberechtigten auf Auskehr des mit einer solchen
Verfügung erzielten Erlöses vorsah. Jedoch wurde der Gesetzentwurf noch in
den Ausschussberatungen um den § 4b ergänzt, der in seinem Absatz 1 Ge-
meinden, Städten, Landkreisen und Ländern bei entsprechender grundbuchli-
cher Anknüpfung eine Verfügung über die Grundstücke und Gebäude ermög-
lichte und in seinem Absatz 4 dem Berechtigten einen Anspruch auf Auszah-
lung des Entgelts gab. Trotz dieser Begründung über die Zuordnung als solcher
hinausgehender zusätzlicher Ansprüche im Vermögenszuordnungsgesetz
verblieb es für die Frage des Rechtswegs bei der bisherigen umfassenden Zu-
weisung von „Streitigkeiten nach diesem Gesetz“. Sie erfolgte in dem insoweit
neugefassten § 5 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzentwurfs nun auch ausdrücklich zum
Verwaltungsrechtsweg (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses,
BTDrucks 12/255 S. 50 f. und 12/449 S. 18). Vom Gesetzgeber wurde die
Regelung in dieser Fassung dann auch verabschiedet, und zwar zunächst als
§ 8 Abs. 1 Satz 1 des Vermögenszuordnungsgesetzes vom 22. März 1991
(BGBl I S. 766), woraus dann später infolge einer Umnummerierung der nun
geltende § 6 Abs. 1 Satz 1 VZOG wurde. All dies lässt nur den Schluss zu, dass
der Gesetzgeber auch Streitigkeiten über den neu in das Vermögenszu-
ordnungsgesetz aufgenommenen Erlösauskehrspruch unter die Zuweisung an
die Verwaltungsgerichte fassen wollte.
4
- 4 -
Zudem würden bei einer Zuweisung von Streitigkeiten über den Erlösauskehr-
anspruch an die Zivilgerichte miteinander in engem Zusammenhang stehende
Fragen sachwidrig in verschiedene Rechtswege aufgespalten. Bestandteile des
aufeinander aufbauenden Gesamtsystems der Vermögenszuordnung waren
von Anfang an der Primäranspruch des Berechtigten auf Zuordnung einerseits
sowie die in § 8 Abs. 1 VZOG verliehene Verfügungsbefugnis und der aus einer
solchen Verfügung resultierende Surrogatanspruch des Berechtigten auf
Auskehr des Erlöses oder mindestens des Verkehrswertes nach § 8 Abs. 4
Satz 2 VZOG anderseits. Als weiteres Element ist die durch das Registerver-
fahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Dezember 1993 (BGBl I S. 2182) ein-
geführte Ersetzungsbefugnis der verfügenden Stelle nach § 8 Abs. 5 Satz 1
VZOG hinzugetreten, mit der diese einseitig den Erlösauskehranspruch, etwa
durch das Angebot eines geeigneten Ersatzgrundstückes, in einen Eigentums-
verschaffungsanspruch umwandeln kann (vgl. dazu Urteile vom 26. April 2007
- BVerwG 3 C 14.06 und 15.06 -). Es steht außer Frage, dass Streitigkeiten
über den Zuordnungsanspruch als Primäranspruch im Verwaltungsrechtsweg
auszutragen sind. Hinsichtlich der Abwendungsbefugnis des § 8 Abs. 5 Satz 1
VZOG regelt Satz 2, dass, wenn die verfügende Stelle nach Satz 1 vorzugehen
beabsichtigt, auf deren Antrag das Eigentum durch Zuordnungsbescheid der
zuständigen Stelle auf den Berechtigten übertragen wird. Auch hierüber entste-
hende Rechtsstreitigkeiten sind vor den Verwaltungsgerichten zu führen, etwa
wenn sich die Zuordnungsbehörde wegen aus ihrer Sicht fehlender Eignung ei-
nes als Ersatz angebotenen Grundstücks weigert, einen solchen Bescheid zu
erlassen. Dies spricht dagegen, Streitigkeiten über den Anspruch auf Erlös-
auskehr als Zwischenelement zwischen Primäranspruch und Ersetzungsbefug-
nis aus dem Anwendungsbereich von § 6 Abs. 1 Satz 1 VZOG herauszulösen.
Es verbietet sich umso mehr, wenn man in Rechnung stellt, dass die Frage der
Eignung eines Ersatzgrundstücks - wie u.a. die Verfahren BVerwG 3 C 14.06
und 15.06 exemplarisch zeigen - nicht nur für die Verpflichtungsklage der ver-
fügenden Stelle gegen die Zuordnungsbehörde auf Erlass eines Bescheides
nach § 8 Abs. 5 Satz 2 VZOG von Bedeutung ist, sondern ebenso für den Er-
folg einer gegen die verfügende Stelle gerichteten Klage des Berechtigten auf
Erlösauskehr, gegenüber der sich der Verfügende darauf beruft, ein geeignetes
5
- 5 -
Ersatzgrundstück angeboten und dadurch den Erlösauskehranspruch zum Er-
löschen gebracht zu haben.
§ 23 InVorG, wonach u.a. für Erlösauskehrstreitigkeiten nach § 16 InVorG der
ordentliche Rechtsweg gegeben ist, soweit nicht durch Bescheid entschieden
wird, und im Übrigen der Verwaltungsrechtsweg, ist nichts anderes zu entneh-
men. Der Gesetzgeber hat für Streitigkeiten nach dem Vermögenszuordnungs-
gesetz eine solche Aufspaltung des Rechtsweges in Abhängigkeit von einer
Regelung durch Verwaltungsakt gerade nicht vorgenommen.
Ebenso wenig ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach der
vermögensrechtliche Erlösauskehranspruch (§ 3 Abs. 4 Satz 3 VermG in unmit-
telbarer oder entsprechender Anwendung) vor den Zivilgerichten geltend zu
machen ist (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2002 - V ZB 32/01 - BGHZ 151, 24),
auf das Vermögenszuordnungsrecht übertragbar. Dem steht bereits die umfas-
sende Rechtswegzuweisung des § 6 Abs. 1 Satz 1 VZOG entgegen.
Eines Rückgriffs auf § 40 VwGO (so das Verwaltungsgericht im Anschluss an
Schmidt-Räntsch/Hiestand in: RVI, § 8 VZOG Rn. 26) bedarf es wegen der
Sonderzuweisung in § 6 Abs. 1 Satz 1 VZOG nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über
die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nicht aufgrund der in § 17b Abs. 2
Satz 1 GVG getroffenen Regelung entbehrlich, da sie nur die Kosten vor dem
angegangenen Gericht, also dem Gericht erster Instanz, betrifft (vgl. Beschluss
vom 15. Oktober 1993 - BVerwG 1 DB 34.92 - BVerwGE 103, 26 <32>; BGH,
Beschluss vom 17. Juni 1993 - V ZB 31/92 - NJW 1993, 2541).
Kley van Schewick Liebler
6
7
8
9