Urteil des BVerwG vom 07.09.2004

Öffentlich, Anfechtungsklage, Geldleistung, Staat

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 35.04
OVG 11 LB 257/03
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. Dr. D r i e h a u s sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht
van S c h e w i c k und Dr. D e t t e
beschlossen:
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der
Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Ober-
verwaltungsgerichts Lüneburg vom 23. Januar 2004 wird zu-
rückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdever-
fahren auf 23 164,07 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der
grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht
vor.
Der Beklagte hatte der Klägerin, die einen Kälberaufzuchtbetrieb unterhielt, mit Be-
scheid vom 29. Juni 1990 untersagt, Rinder aus ihrem Bestand ohne vorherige Zu-
stimmung des Beklagten an Dritte herauszugeben, mit Bescheid vom 18. bzw.
24. Mai 1991 die anderweitige Unterbringung der unterdessen für die Stallungen der
Klägerin zu groß gewordenen Tiere im Wege der Ersatzvornahme angeordnet, die
Kosten in Höhe von 34 614,28 € mit Bescheid vom 19. Juli 1991 geltend gemacht
und am 21. November 1991 von einer Drittschuldnerin erhalten.
Auf die am 6. Dezember 1991 erhobene Anfechtungsklage, die nach zwischenzeitli-
chem Ruhen des Verfahrens in der mündlichen Verhandlung am 15. Januar 2003 in
eine Leistungsklage umgestellt worden war, wurde der Beklagte rechtskräftig zur
Zahlung dieses Betrages verurteilt. Die Klägerin begehrt nunmehr die Zahlung von
Prozesszinsen auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit der Anfechtungsklage.
Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat diesen Zinsanspruch, im Gegen-
satz zum Verwaltungsgericht Osnabrück, erst nach Umstellung der Klage für be-
gründet erachtet und daher die Klage, soweit sie auf Zinszahlung seit Rechtshängig-
keit der ursprünglichen Anfechtungsklage gerichtet war, abgewiesen.
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Die Klägerin wendet sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision
durch das Berufungsgericht und macht den Revisionszulassungsgrund der grund-
sätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend.
Sie hält zum einen die Frage, ob und ab wann Prozesszinsen zuzubilligen sind, für
grundsätzlich klärungsbedürftig. Der vorliegende Fall unterscheide sich von den bis-
her entschiedenen Fällen dadurch, dass die Behörde nicht nur einen Kostenbescheid
erlassen, sondern diesen auch vollstreckt habe und sich die Klägerin insgesamt hier-
gegen wende.
Zum anderen hält sie die Frage zur Herausgabe tatsächlich gezogener Nutzungen
für grundsätzlich klärungsbedürftig. Zwar habe das Bundesverwaltungsgericht ent-
schieden, dass bei einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen eine Be-
hörde eine "Verzinsung" wegen tatsächlich gezogener Nutzungen grundsätzlich nicht
in Betracht komme, weil der Staat öffentlich-rechtlich erlangte Einnahmen in der Re-
gel nicht gewinnbringend anlege, sondern über die ihm zur Verfügung stehenden
Mittel im Interesse der Allgemeinheit verfüge (Urteil vom 18. Mai 1973 - BVerwG 7 C
21.72 - Buchholz 451.80 Außenhandelsrecht - Allgemeines Nr. 19 = NJW 1973,
1854). Sie meint jedoch, diese Rechtsprechung bedürfe der Überprüfung.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache jedoch nur, wenn zu erwarten ist,
dass die Revisionsentscheidung dazu beitragen kann, die Rechtseinheit in ihrem Be-
stand zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Einer Rechtsfra-
ge kommt nicht schon deshalb grundsätzliche Bedeutung zu, weil zu ihr noch keine
ausdrückliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt; auch in einem
solchen Fall fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit, wenn sich die Rechtsfrage durch
Auslegung der maßgeblichen Rechtsvorschriften anhand der anerkannten Ausle-
gungskriterien ohne weiteres beantworten lässt oder durch die bisherige Rechtspre-
chung als geklärt angesehen werden kann (Beschluss vom 31. Juli 1987 - BVerwG
5 B 49.87 - Buchholz 436.0 § 69 BSHG Nr. 14). Letzteres trifft auch dann zu, wenn
die vorhandene höchstrichterliche Rechtsprechung ausreichende Anhaltspunkte zur
Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage
gibt (Beschluss vom 28. September 1995 - BVerwG 10 B 6.94 -). Ein solcher Fall ist
hier gegeben.
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zum einen geklärt, dass
eine Verpflichtung zur Zahlung von Prozesszinsen entsprechend § 291 BGB auch
bei öffentlich-rechtlichen Leistungsklagen bestehen kann, wenn das einschlägige
Fachrecht, wie hier, keine gegenteilige Regelung enthält (Urteil vom 28. Juni 1995
- BVerwG 11 C 22.94 - BVerwGE 99, 53 <54>) und dass dies auch dann gilt, wenn
eine Behörde erfolgreich auf Erlass eines die Leistungspflicht unmittelbar auslösen-
den Verwaltungsaktes verklagt worden ist (BVerwGE 11, 314 <318>; 14, 1 <3>; 38,
49 <50>; 51, 287 <288>). Ebenfalls ist geklärt, dass ein solcher Anspruch auch selb-
ständig geltend gemacht werden kann (Urteil vom 24. September 1987 - BVerwG
2 C 27.84 - Buchholz 240 § 3 BBesG Nr. 5 = NVwZ 1988, 441). § 291 BGB kann da-
bei nicht nur bei Klagen auf eine Geldleistung eingreifen, sondern auch bei Verpflich-
tungsklagen auf Erlass eines auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakts.
Denn die Verpflichtungsklage ist ein Unterfall der Leistungsklage (vgl. z.B. Urteil vom
24. September 1987, a.a.O.). Dabei muss aber vorausgesetzt werden, dass mit der
Verpflichtungsklage der Erlass eines die Zahlungspflicht unmittelbar auslösenden
Verwaltungsakts erstrebt wird. Die Verpflichtung muss in der Weise konkretisiert
sein, dass der Umfang der zu erbringenden Geldleistung eindeutig bestimmt ist oder
rechnerisch unzweifelhaft ermittelt werden kann (vgl. zuletzt Urteil vom 28. Mai 1998
- BVerwG 2 C 28.97 - DVBl 1998, 1082 <1083> = NJW 1998, 3368 <3369>). Eine
solche, die analoge Anwendung des § 291 BGB im öffentlichen Recht ermöglichende
Situation ist aber nicht gegeben, wenn auf Anfechtung hin ein Leistungsbescheid
lediglich aufgehoben worden ist, auf den bereits, wenn auch unter Vorbehalt, Leis-
tungen erbracht worden sind, und sei es im Wege der Zwangsvollstreckung. Abge-
sehen davon, dass in solchen Fällen etwa bei bestehenden Rückständen oder Auf-
rechnungslagen durchaus Streit darüber entstehen kann, ob und in welcher Höhe ein
Erstattungsanspruch besteht, fehlt es an der für die entsprechende Anwendung der
Vorschrift grundlegenden Voraussetzung der Rechtshängigkeit des Anspruchs auf
Erstattung des überzahlten Betrages. Von dieser Voraussetzung des § 291 BGB
kann auch bei entsprechender Anwendung der Vorschrift im öffentlichen Recht nicht
abgesehen werden. Zwar darf und muss im Allgemeinen davon ausgegangen wer-
den, dass ein Hoheitsträger gemäß dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwal-
tung nach gerichtlicher Aufhebung seines Leistungsbescheides dem Betroffenen
darauf bereits erbrachte Leistungen erstattet. Dieser Umstand ersetzt aber nicht die
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zwingende Voraussetzung der Rechtshängigkeit der Geldschuld, die § 291 BGB ver-
langt. Dementsprechend könnte das Gericht allein aufgrund des Anfechtungsantra-
ges den Beklagten auch nicht zur Erstattung verpflichten. Es besteht kein Anlass,
von dieser Voraussetzung im Verwaltungsprozess abzusehen, denn § 113 Abs. 1
Satz 2 und Abs. 4 VwGO bieten ein geeignetes Instrument, die Anfechtungsklage mit
einer Klage auf Leistung des Erstattungsbetrages zu verbinden (vgl. Urteil vom
27. Oktober 1998 - BVerwG 1 C 38.97 - BVerwGE 107, 304 <305 f.>; Beschluss vom
4. Mai 1994 - BVerwG 1 B 26.94 - Buchholz 437.1 BetrAVG Nr. 9). Für eine solche
Leistungsklage ist grundsätzlich auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gege-
ben, wenn nicht die Verwaltung ausdrücklich die Erstattung nebst Verzinsung für den
Fall der Aufhebung des Leistungsbescheides zusagt oder sich sonst ergibt, dass es
keiner Inanspruchnahme des Gerichts bedarf. Der Klägerin nützt es auch nichts,
dass im vorliegenden Fall die überzahlte Leistung im Wege der Zwangsvollstreckung
erbracht wurde. Es ist nicht ersichtlich, worin hinsichtlich der Voraussetzungen des
§ 291 BGB der Unterschied zu den bisher entschiedenen Fällen bestehen sollte. Da-
her ist auch insoweit keine grundsätzliche Bedeutung der von der Klägerin aufgewor-
fenen Rechtsfrage zu erkennen.
Zum anderen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt,
dass bei einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen eine Behörde eine
"Verzinsung" wegen tatsächlich gezogener Nutzungen grundsätzlich nicht in Betracht
kommt, weil zwar § 818 Abs. 1 BGB auch in dieser Konstellation entsprechend an-
zuwenden ist, der Staat aber öffentlich-rechtlich erlangte Einnahmen in der Regel
nicht gewinnbringend anlegt, sondern über die ihm zur Verfügung stehenden Mittel
im Interesse der Allgemeinheit verfügt (Urteil vom 30. April 2003 - BVerwG 6 C
5.02 -; Urteil vom 18. Mai 1973 - BVerwG 7 C 21.72 - Buchholz 451.80 Außenhan-
delsrecht - Allgemeines Nr. 19 = NJW 1973, 1854).
Zwar trifft es zu, dass das Bundesverwaltungsgericht die Frage einer Überprüfung
dieser Rechtsprechung in seinem Urteil vom 27. Oktober 1998 (- BVerwG 1 C
38.97 - BVerwGE 107, 304 <308>) offen gelassen hat, weil es darauf in dieser Ent-
scheidung nicht ankam. Es mag auch sein, worauf das Niedersächsische Oberver-
waltungsgericht selbst hingewiesen hat, dass Teile des Schrifttums (vgl. Wolff/
Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, 6. Aufl., § 55 III 4, Rn. 23 a und b; Schön,
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NJW 1993, 3289) und einzelne Oberlandesgerichte (vgl. Bay. OLG, Beschluss vom
9. Dezember 1998 - 3 Z BR 273/98 - NJW 1999, 1194; OLG Hamm, Beschluss vom
19. Oktober 2000 - 15 W 250/00 - NJW-RR 2001,1440) Kritik an dieser Rechtspre-
chung üben, weil der Staat tatsächliche Nutzungen aus rechtsgrundlos überzahlten
Geldbeträgen ziehe, indem er entweder Kreditzinsen erspare oder das Geld zins-
bringend anlegen könne. Indessen ist eine Überprüfung des, wie die Klägerin meint,
"alten" Urteils vom 18. Mai 1973 (- BVerwG 7 C 21.72 - Buchholz 451.80 Außenhan-
delsrecht - Allgemeines Nr. 19 = NJW 1973, 1854) jedenfalls deswegen nicht mehr
geboten, weil sich das Bundesverwaltungsgericht in einer "jüngeren" Entscheidung
(Urteil vom 30. April 2003 - BVerwG 6 C 5.02 -) der bisherigen Rechtsprechung aus-
drücklich angeschlossen hat. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Frage der Her-
ausgabe tatsächlich gezogener Nutzungen demnach ebenfalls nicht mehr zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2; die Festsetzung des Streitwertes
folgt aus § 14 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Prof. Dr. Driehaus
van Schewick
Dr. Dette