Urteil des BVerwG vom 01.09.2011

Enteignung, Neues Beweismittel, Ausnahme, Verordnung

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 3 B 33.11
VG 5 A 1433/08
In der Verwaltungsstreitsache
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hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. September 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Greifs-
wald vom 24. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwer-
deverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
G r ü n d e :
Der Kläger begehrt das Wiederaufgreifen eines Verfahrens nach dem Verwal-
tungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG), mit dem er die Rehabilitie-
rung seines Vaters wegen der Enteignung zweier in Nordwestmecklenburg ge-
legener Güter von jeweils mehr als 100 ha Größe beantragt hatte. Von diesen
war der Vater des Klägers vertrieben worden bzw. wegen bevorstehender De-
portation geflohen. Anschließend waren die Güter von einem Treuhänder ver-
waltet und Mitte 1946 neu aufgesiedelt worden. Die Rehabilitierung war mit Be-
scheid vom 29. April 2003 abgelehnt, das Verfahren Ende 2006 rechtskräftig
abgeschlossen worden (vgl. Beschluss vom 13. Dezember 2006 - BVerwG 3 B
41.06 - juris). Das Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Rücknahme des
ablehnenden Bescheides beantragte der Kläger im Juli 2008 sowie erneut im
Oktober und Dezember 2008. Zur Begründung berief er sich unter anderem auf
eine nachträglich aufgefundene Not-Kennkarte seines Vaters. Aus ihr ergebe
sich, dass die Vertreibung nicht auf besatzungshoheitlicher Grundlage, sondern
nach deutschem Recht erfolgt sei. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abge-
wiesen und ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die Not-Kennkarte ein neues
Beweismittel sei; jedenfalls sei der Antrag unbegründet, weil die Karte nicht ge-
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eignet sei, die tragende Rechtsauffassung des bestandskräftigen Bescheides
infrage zu stellen, dass die Enteignung auf besatzungshoheitlicher Grundlage
erfolgt sei. Die Not-Kennkarte treffe über die Vertreibung oder Enteignung des
Karteninhabers keine Aussage und lasse nicht auf dessen weiteres Schicksal
schließen. Für die gegenteilige Auffassung des Klägers fehle es an tatsächli-
chen Anhaltspunkten. Der Beklagte habe auch zu Recht abgelehnt, seinen Be-
scheid vom 29. April 2003 zurückzunehmen. Der Bescheid sei rechtmäßig, da
nicht zu erkennen sei, dass der Vater des Klägers nicht im Zuge der Bodenre-
form enteignet worden sei; dies dränge sich vielmehr auf. Es hänge von den
Umständen des Einzelfalls ab, ob mit der Vertreibung aus der sowjetischen Be-
satzungszone auch bereits eine Enteignung zum Ausdruck komme. Hier spre-
che der Umstand, dass ein Treuhänder eingesetzt worden sei, eher gegen ei-
nen Eigentumsverlust durch Vertreibung. Auch sei dem Vater längst mitgeteilt
worden, dass er von der Bodenreform betroffen sein würde. Bei Gütern von
mehr als 100 ha habe die mecklenburgische Bodenreformverordnung keinerlei
Ausnahmen vorgesehen. Selbst wenn der Vermögensverlust bereits mit der
Vertreibung eingetreten wäre und diese nicht dem Willen der Besatzungsmacht
entsprochen hätte, würde sich am besatzungshoheitlichen Charakter der Ent-
eignung nichts ändern.
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde
gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat keinen Erfolg.
1. Die Beschwerde meint, das angefochtene Urteil weiche im Sinne des § 132
Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
ab, und beruft sich dabei auf - von ihr zum Teil frei formulierte - Rechtssätze,
die sie den Urteilen vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 C 18.06 - (Buchholz
428.6 § 1 VwRehaG Nr. 9 = ZOV 2007, 67), vom 21. Februar 2002 - BVerwG
3 C 16.01 - (BVerwGE 116, 42 = Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 4) und vom
23. August 2001 - BVerwG 3 C 39.00 - (ZOV 2001, 427 = Buchholz 428.6 § 1
VwRehaG Nr. 3) sowie vom 13. Februar 1997 - BVerwG 7 C 50.95 - (BVerwGE
104, 84 = Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 104) entnehmen will. Diese Ausführun-
gen verfehlen die Anforderungen an die Bezeichnung einer Divergenz nach
§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Eine Divergenz liegt vor, wenn sich das vorinstanz-
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liche Gericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Ent-
scheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz zu einem ebensolchen Rechts-
satz, der in einer Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts aufgestellt
worden ist, in Widerspruch gesetzt hat und das Urteil auf dieser Abweichung
beruht (stRspr, z.B. Beschluss vom 11. August 1999 - BVerwG 11 B 61.98 -
Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 m.w.N.). Die Beschwerde stellt
zwar den Entscheidungen vermeintlich zugrunde liegende Rechtssätze gegen-
über, die eine ähnliche Problematik aus dem Bereich der Bodenreform in der
ehemaligen sowjetischen Besatzungszone betreffen; sie macht aber nicht deut-
lich, dass diese zu derselben Rechtsvorschrift ergangen sind. Abgesehen da-
von, dass den zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts unter-
schiedliches Landesrecht zugrunde lag, sind sie teils zu § 1 Abs. 1 Satz 2
VwRehaG (Maßnahmen, die vom Vermögensgesetz erfasst werden), teils zu
§ 1 Abs. 1 Satz 3 VwRehaG i.V.m. § 1 Abs. 8 Buchst. a) VermG oder unmittel-
bar zu § 1 Abs. 8 Buchst. a) VermG (Enteignungen von Vermögenswerten auf
besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage) ergangen.
Vor allem aber besteht der behauptete Widerspruch nicht; denn dem angefoch-
tenen Urteil ist der von der Beschwerde formulierte - ausdrücklich nicht wörtlich
zitierte - abstrakte Rechtssatz nicht zu entnehmen. In der bezeichneten Passa-
ge des Urteils (UA S. 11 Absatz 1) begründet das Verwaltungsgericht, dass
„nicht zu erkennen ist, dass der Rechtsvorgänger des Klägers nicht im Zuge der
Durchführung der Bodenreform enteignet worden ist“ (UA S. 10). Es geht dabei
- unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 13. De-
zember 2006 - BVerwG 3 B 41.06 - ) - von dem Obersatz aus, dass
es von den Umständen des Einzelfalles abhänge, ob mit der Vertreibung eines
Grundeigentümers aus der sowjetischen Besatzungszone bereits dessen Ent-
eignung zum Ausdruck gekommen sei (UA S. 10). Mit diesem individualisieren-
den Ansatz verträgt sich die vom Kläger behauptete generalisierende Leitlinie
von vornherein nicht, der Eigentumsverlust landwirtschaftlicher Güter sei unab-
hängig von der rechtlichen Qualität der Vertreibungsmaßnahme ohne Ausnah-
me als besatzungshoheitlich zu qualifizieren. Im Übrigen führt die Argumentati-
on des Verwaltungsgerichts auch auf den Ausschlussgrund des § 1 Abs. 1
Satz 2 VwRehaG, für den es auf den besatzungshoheitlichen Charakter der
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Vermögensentziehung nicht ankommt. Nach der gefestigten Rechtsprechung
des Bundesverwaltungsgerichts ist bei Vermögensentziehungen auf anderer als
besatzungshoheitlicher Grundlage, wie sie der Kläger für seinen Fall annimmt,
nach Zweck und Ziel der Maßnahme zu unterscheiden, die zum Verlust des
Vermögensgegenstandes geführt hat. Die Rückgängigmachung richtet sich
gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG nach dem Vermögensgesetz, wenn die
Maßnahme zielgerichtet den Entzug des zurückverlangten Gegenstandes be-
zweckt hat, und sie unterfällt dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsge-
setz, wenn sie primär auf andere Zwecke zielte und durch grob rechtsstaatswid-
rige Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre des Geschädigten gekennzeichnet
war (Urteil vom 21. Februar 2002, a.a.O., BVerwGE 116, 42 <44 f.>). Dieser
Unterscheidung in der Sache folgend hat sich das Verwaltungsgericht mit Art. II
Nr. 3 der Verordnung Nr. 19 über die Bodenreform im Lande Mecklenburg-
Vorpommern vom 5. September 1945 (Amtsblatt Mecklenburg-Vorpommern
1946, Nr. 1, S. 14, abgedr. bei Fieberg/Reichenbach, RWS-Dokumentation 7,
Enteignung und Offene Vermögensfragen in der ehemaligen DDR, Bd. I, 2.7.1)
befasst (UA S. 10). Es stimmt mit der Rechtsprechung des Senats überein,
dass Maßnahmen gegen Großgrundbesitzer auf dieser Grundlage in erster Li-
nie der Bodenordnung und nicht der Sanktion für bestimmte Verhaltensweisen
dienten und daher, weil allein dem Vermögensgesetz unterfallend, nicht rehabi-
litierungsfähig sind (Urteil vom 28. Februar 2007, a.a.O.).
2. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt
der Rechtssache ebenfalls nicht zu. Die vom Kläger pauschal angesprochenen
Probleme der „Anwendung und Wirkungen des faktischen Enteignungsbegriffs“
und der „Abgrenzung von Anwendungsfällen des Anspruchs auf Rehabilitierung
in den Bereichen des § 1 Abs. 1, des § 1a VwRehaG und des VermG“ sind in
den vom Kläger zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ge-
klärt. Für die Notwendigkeit erneuter Beschäftigung mit diesen Fragen oder wei-
tergehender Klärung lässt sich der Beschwerde nichts entnehmen.
3. Ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132
Abs. 2 Nr. 3 VwGO), liegt nicht vor. Der Kläger rügt insofern, das Verwaltungs-
gericht habe sich nicht mit seiner Argumentation auseinandergesetzt, dass sein
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Vater nach dem Willen der sowjetischen Militäradministration in Deutschland
(SMAD) das Gut Schönfeld nicht verlassen und ihm ein Resthof belassen wer-
den sollte. Es habe fehlerhaft angenommen, Ausnahmen von der Enteignung
nach der Bodenreformverordnung seien nicht vorgesehen gewesen. Tatsäch-
lich aber habe die 1. Ausführungsbestimmung zu dieser Verordnung in beson-
deren Fällen eine solche Möglichkeit vorgesehen. Dieser Vortrag zeigt den gel-
tend gemachten Verstoß gegen das rechtliche Gehör nicht auf. Zum einen hat
sich das Verwaltungsgericht sehr wohl mit dem bezeichneten Vortrag des Klä-
gers befasst, unter anderem im Zusammenhang mit der Aussagekraft der vom
Kläger beigebrachten Not-Kennkarte (UA S. 9). Ob es den Schlussfolgerungen
des Klägers zu Recht nicht gefolgt ist, ist eine Frage der Sachverhalts- und Be-
weiswürdigung, die revisionsrechtlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem
sachlichen Recht zugeordnet ist (stRspr, Beschluss vom 2. November 1995
- BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266). Für eine Ausnah-
me wegen einer von objektiver Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung (vgl.
Beschluss vom 12. Februar 2008 - BVerwG 9 B 70.07 - juris Rn. 2 m.w.N.) legt
die Beschwerde nichts dar. Das gilt auch dann, wenn das Verwaltungsgericht
fälschlicherweise ausgeschlossen hätte, dass in Mecklenburg Möglichkeiten
vorgesehen waren, im Rahmen der Bodenreform von der Enteignung abzuse-
hen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die vom Kläger nicht
entkräftet worden sind, erfüllte der Vater des Klägers die vom Kläger behaupte-
ten Voraussetzungen für eine solche Ausnahme nicht. Gegenteiliges behauptet
auch der Kläger nicht. Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör liegt aber auch
deshalb nicht vor, weil der Kläger nicht darlegt, dass eine verwaltungsrechtliche
Rehabilitierung in Betracht kommt, wenn der Vortrag in seinem Sinne gewürdigt
worden wäre. Auch dann setzte die Rehabilitierung nach der oben dargestellten
Rechtsprechung des Senats voraus, dass die Enteignung primär auf andere
Zwecke als die Landbeschaffung zielte und durch grob rechtsstaatswidrige Ein-
griffe in die Persönlichkeitssphäre des Geschädigten gekennzeichnet war. Zu
den Hintergründen der angeblich dem Willen der Besatzungsmacht widerspre-
chenden Enteignung sagt die Beschwerde aber nichts.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestset-
zung beruht auf § 47 Abs. 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
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